Kapitel 44
Nach der Sphäre am Vortag gönnte ich mir an dem darauffolgenden Tag eine Pause. Ich schlief lange und ausgiebig, erlaubte mir ein Frühstück, dass mich bis oben hin satt fühlen ließ und erlaubte meinem Körper, sich zu entspannen. Ich ging baden und ließ die Sonne meine Haut erwärmen. Die Sonnenstrahlen des gelben Feuerballs verloren immer mehr an Wärme, was mir außerdem verriet, dass die Prüfungen bald ihr Ende finden würden. Später am Nachmittag hatte ich mir Früchte von einem Baum gepflückt und Albedo hatte mir Gesellschaft geleistet. Wir hatten viel geredet und gelacht und es war alles normal zwischen uns. In manchen Momenten ertappte ich mich dabei, wie ich mich danach sehnte, ihn zu berühren und seine Lippen auf meinen zu spüren und die Schmetterlinge in meinem Bauch einfach frei flattern zu lassen, doch ich hielt mich zurück. Die richtige Zeit würde noch kommen.
Danach war ich mit Chiyo und Suha Kartenspielen im Gasthaus zum Katzenschwanz gegangen und wir hatten viel Spaß gehabt. Unser Lachen hatte unsere Körper geschüttelt und die gute Stimmung hatte uns wohlfühlen lassen. Es war in mitten der unzähligen Prüfungen, Verletzungen und des Trainings ein Tag der Normalität gewesen. Ein Traum in einer Blase, die bereits am nächsten Tag wieder zerplatzte.
Ich stand vor dem riesigen Tor der nächsten Sphäre und dicke Wolken verdunkelten den Himmel. Kurz darauf fingen die ersten großen Tropfen an, vom Himmel zu fallen. Ich wartete regelrecht darauf, dass ein Donnern in der Ferne ertönte.
Neben mir hatten sich Albedo, Chiyo, Suha und Kalin aufgereiht. Das Team für diese Sphäre durften wir selbst zusammenstellen und ich war zufrieden mit meiner Wahl. Ich wusste, dass wir als Team stark waren, aber ich fragte mich, was uns erwartete, wenn wir Teams aus fünf Leuten bilden sollten. Es schien nicht einfach zu werden.
Ich atmete tief durch. Dieses Mal war meine Aufregung deutlich größer als die letzten Male. Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch und wusste nicht ganz wieso. Aus Affekt heraus griff ich nach dem kühlen Metall meines Schwertes, um mich zu beruhigen. Chiyo links neben mir schien meine Aufregung zu spüren, denn sie drehte ihren Kopf zu mir und lächelte mich aufmunternd an. Augenblicklich durchströmte mich ein Gefühl der Wärme.
"Ayumi mach dir keine Gedanken, wir schaffen das. Alle zusammen", sagte sie mit fester Überzeugung in der Stimme, während sie sanft meine Hand drückte, die sie vorher vorsichtig ergriffen hatte. Sie schien kein bisschen aufgeregt zu sein. Sie war völlig ruhig und vertraute vermutlich unumstößlich in ihre Fähigkeit, sowie die der Anderen.
Ich atmete ein letztes Mal durch um mein rasendes Herz zu beruhigen und schritt dann zusammen mit den anderen durch das große steinerne Tor. Den Weg bis zur Platzmitte nahm ich gar nicht wirklich wahr, es passierte eher wie in Trance.
Sobald wir alle unsere Hände auf den schillernden Schlüssel in der Mitte gelegt hatten, sackte die Temperatur in der Sphäre mit einem Mal um viele Grad ab. Es wurde kalt und dann erschienen die wirklichen Gefahren. Als die zwei Frostarm-Lawachurls auftauchten, war die Kälte mit einem Mal unser geringstens Problem. Die beiden Giganten kamen mit schweren Schritten auf uns zu. Ich spürte wie mir das Herz in die Hose sackte.
"Sofort verteilen, wir müssen sie von mehreren Seiten angreifen!", schrie Kalin über das Gebrüll der Monster hinweg und alle taten, wie ihnen geheißen, außer ich. Ich war wie erstarrt, was nicht nur an der Kälte lag.
Erst als ich sah, wie Albedo eine Geo Blume auf dem Boden erschuf, Chiyo sich drauf stellte, die Blume sie in die Höhe transportierte und die junge Kriegerin das eine Monster von oben attackierte, brach ich endlich aus meiner Starre hervor.
Noch ehe ich länger darüber nachdenken konnte, rannte ich zu dem Monster, das Albedo und Chiyo angriffen. Ich begann es von hinten zu attackieren, doch leider kam man bei diesem Eisriesen ohne Element nicht besonders weit.
"Ayumi!", rief Albedo mir zu und streckte seinen Arm nach mir aus, um mir zu symbolisieren, dass ich zu ihm rennen sollte. Ich dachte nicht wirklich darüber nach und tat, was er wollte. Ich rannte im Sprint auf ihn zu und als ich sah, dass er in die Hocke ging und seine Hände nach unten ineinander verschränkte, wusste ich, dass er mir helfen wollte, den Lawachurl von oben anzugreifen. Ich drosselte meine Geschwindigkeit nicht, trat mit einem Fuß auf Albedos verschränkte Hände und er drückte mich mit all seiner Kraft und meinem Schwung nach oben. Es war eine Art Sprungbrett. Ich wurde in die Höhe katapultiert, stieß mich dann im nächsten Zug von Albedos Geo Blume ab, die gerade wieder in der Luft schwebte und mit einem Schrei, der völlig unkontrolliert aus meiner Kehle drang, landete ich auf dem mächtigen runden Rücken des Biestes und versenkte mein Schwert mit dem vorhandenen Schwung so tief in dem Tier wie möglich.
Der Frostarm-Lawachurl schrie schmerzerfüllt auf, doch es besiegte ihn nicht. Stattdessen geriet er eher in Rage und stürmte plötzlich auf Albedo zu. Ich konnte gerade noch so mein Schwert hervorziehen, als ich mich nicht mehr halten konnte und von dem Monster stürzte. Ich landete hart auf dem Boden, was jegliche Luft aus meinen Lungen presste und mein Schwert traf klirrend neben mir auf.
Ich schluckte die aufkommenden Schmerzen herunter und sog die kalte stechende Luft in meine Lungen ein. Während ich mich aufrappelte und mein Schwert ergriff, rollte ein tiefes Donnern durch die Sphäre und ich wusste, dass Kalin just in diesem Moment Gebrauch von seiner Vision machte. Dennoch bekam ich es nur am Rande mit.
Als ich wieder sicher auf den Beinen stand, rannte ich sofort wieder zu dem Monster, welches Albedo und Chiyo angriff. Albedo schaffte es den schlagenden Fäusten des Biestes auszuweichen und es gleichzeitig mit seinem Geo Element anzugreifen, während Chiyo gerade ihr Schwert leichtfüßig, aber dennoch mit viel Kraft, in das Bein des Lawachurls rammte, was ihn jedoch nur noch wütender zu machen schien.
Ich wollte den Riesen gerade ebenfalls angreifen, als er plötzlich mit seinen Fäusten auf den Boden aufschlug. Der Boden unter meinen Füßen erzitterte und Spitzen aus Eis wuchsen gleichzeitig vom Boden hoch, kaum das seine Fäuste den Boden berührten. Es war, als stampfte er die Eiszapfen aus dem Boden hervor. Ich schaffte es gerade noch außer Reichweite zu springen, wobei ich beinahe mein Schwert verlor. Meine Finger spürte ich aufgrund der Kälte allmählich nicht mehr, was kein besonders gutes Zeichen war. Wir mussten die Viecher so schnell wie möglich besiegen.
Ich wollte zu Albedo rennen, um ihm Unterstützung zu leisten, weil er gerade in die Ecke getrieben wurde, als der zweite Lawachurl, den Suha und Kalin bekämpften, plötzlich auf mich zugestürmt kam. Ich musste notgedrungen ausweichen.
Die beiden Monster befanden sich nun nah beieinander, was die Sache deutlich erschwerte. Ich rannte einen Bogen, um Schwung zu holen und einen der Riesen anzugreifen, als dieser ebenfalls in Rage auf Chiyo zustürmte. Ich sah, wie die Kriegerin geschickt auswich, doch anscheinend hatte sie von ihrem Hydro Element gebrauch gemacht und die Nässe war auf dem Boden gefroren, denn sie rutschte aus, schlitterte ein wenig und versuchte sich abzufangen.
Dadurch bekam sie nicht mit, wie der zweite Lawachurl mit seinen klobigen Fäusten auf den Boden schlug und erneut dicke Eisspitzen aus dem Boden emporgerissen wurden. Einer der gefährlichen Eiszapfen bohrte sich mit unglaublicher Stärke mitten durch Chiyos Rücken, gerade als sie auf dem Eis ausrutschte. Die blute Spitze trat auf ihrer Brust wieder aus und sofort sackte die Kriegerin in sich zusammen.
Ein gellender Schrei drang aus meiner Kehle, als ich realisierte, was gerade passiert war. Augenblicklich rannte ich zu der Jüngeren hin, rutschte ebenfalls ein wenig auf dem Eis aus und schlitterte und rutschte dann direkt auf den Knien auf sie zu. Ich hielt neben ihr an, hatte im Laufen bereits mein Schwert unachtsam zur Seite geschmissen. Der Eiszapfen hatte sich mittlerweile wieder aufgelöst, weshalb sie nun auf dem kalten Boden lag und sich langsam eine Blutlache unter ihr bildete.
"Chiyo", hörte ich meine eigene Stimme brechen und in Schluchzern untergehen. Vorsichtig zog ich die Jüngere in meine Arme, bedacht, ihr nicht weh zu tun und beschmierte meine Hände dabei mit tiefrotem Blut, welches mich in unendliche Angst versetzte. Ich wiegte Chiyo in meinen Armen weinend hin und her. Ein stummer Schrei steckte in meiner Kehle fest und die Tränen verschleierten meine Sicht, als ich ihr die schwarzen Haare aus dem verschwitzten Gesicht strich. Ihre fröhlichen Space Buns hatten sich gelöst und ihre Haare sahen zerwühlt aus. Es war das erste Mal, dass ich sie mit offenen Haaren sah und es fühlte sich so falsch an. Es war eine schlimme Ironie, dass ihre Frisur jedem Kampf standgehalten hatte und sich nun, als sie im Sterben lag, löst. So, als wolle sie loslassen, als wäre es schon zu spät.
"Chiyo", flüsterte ich wieder, weinte unaufhörlich und meine Tränen tropften auf den Stoff ihres schneeweißen Cheongsams, der mittlerweile von Blut nur so getränkt war und mir wie ein schlechter Witz vorkam. Es war das Bild eines sterbenden Engels, welcher auf Erden gewandelt war. Chiyo sah mich aus flackernden Augenlidern an und es erklang ein klirren, als ihr das Schwert aus der Hand rutschte, weil sie keine Kraft mehr hatte es zu halten.
"Es wird alles gut", sagte ich zu ihr und ein kleines Lächeln trat auf die Lippen der Jüngeren. "Ja, das wird es wirklich. Du wirst die Prüfungen bestehen", sagte sie und sogar jetzt klang ihre Stimme noch immer vollkommen überzeugt. Ihre Worte brachten einen weiteren Schluchzer bei mir hervor. "Wir werden sie zusammen bestehen", schluchzte ich und nahm nichts mehr wahr außer das Gesicht vor mir, welches viel zu jung war.
Langsam schüttelte die Jüngere ihren Kopf. "Nein", krächzte sie und musste husten. Dabei rann Blut aus ihren Mundwinkeln. "Ich werde es nicht schaffen, aber du wirst sie für mich mit bestehen. Ayumi, du musst mich mit ins Ziel nehmen", sagte sie mit zitternder, immer schwächer werdenden Stimme und ich konnte nicht anders, als zu nicken. "Das werde ich, das werde ich", versprach ich ihr mit leiser, brechender Stimme und strich ihr ein weiteres Mal die verklebten Strähnen aus dem Gesicht. Dabei beschmierte ich sie versehentlich mit Blut, was in einem Kontrast zu ihrer immer blasser werdenden Haut stand.
"Ayumi", fing sie an und bemühte sich, ein letztes Mal ihre Augen wirklich zu öffnen. Ich konnte sehen, wie sehr es sie anstrengte. "Gib nicht auf, für mich", gab sie von sich, doch der letzte Teil ihres Satzes war kaum zu hören, denn sie hatte ihn mit ihrem letzten Atemzug ausgesprochen, bevor das Leben sie endgültig losgelassen hatte. Ihre Augen blickten stumpf an die Decke und kein Funke war mehr in ihnen zu erkennen. Sie war weg. Der Schmerz explodierte in meinem Herzen und ein schmerzerfüllter kleiner Schrei und unendliche Schluchzer drangen aus meiner wunden Kehle, als ich Chiyos Körper eng an meinen drückte und meine Arme fest um sie schloss. Ich wiegte ihren leblosen Körper hin und her und spürte nur mein gebrochenes Herz. Ich nahm nichts mehr war. Nicht die Kälte, nicht das Kampfgeschrei.
Nur Chiyo und ihren Körper, der keine Seele mehr besaß. Eine Freundin, eine Schwester, die nun auf anderen Pfaden wandelte.
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