Kapitel 30
Am Abend ging ich, wie ich bereits geplant hatte, in die Engelsgabe, um Feng zu finden. Die Taverne war gerammelt voll. Ich hatte fast erwartet, dass es so kommen würde. Jetzt, nachdem die Drachengrat Aufgaben vorbei waren, hatten wir wieder drei Tage frei, was unter anderem daran lag, dass wir jetzt die Hälfte der Prüfungen geschafft hatten und es erfüllte mich zum Teil mit Stolz, dass ich bereits so weit gekommen war, zum anderen Teil war ich noch immer niedergeschlagen von der wenig erfolgreichen letzten Prüfung. Dennoch würde ich die drei Tage vermutlich nicht zum ausruhen nutzen, denn so wie ich Suha kannte, wollte sie trainieren.
An der Tür, die ins Innere der Engelsgabe führte, blieb ich stehen und die vielen Geräusche von drinnen drangen gedämpft zu mir hindurch. Mein Blick blieb an der Pinnwand neben der Tür hängen, an der ein paar Zettel befestigt waren. In der Mitte prangte eine Vermisstenanzeige einer Frau, die an den Prüfungen Teil genommen hatte. Sie schien während der Prüfungen verschollen zu sein und war bis jetzt nicht gefunden geworden. Dass die Anzeige bereits seit über zwei Wochen an dem Brett hing, verriet mir das Datum, was unten auf den Zettel drauf geschrieben worden war. Mich beschlich die leise Ahnung, dass diese Frau vermutlich niemals mehr auftauchen würde. Sie war wahrscheinlich tot. Irgendwo unbemerkt gestorben und diese Erkenntnis ließ mein Herz ein wenig mehr schmerzen, weil es mir fast genau so ergangen wäre.
Bevor ich jedoch meinen finsteren Gedanken noch länger nachhängen konnte, ertönte mein Name. "Ayumi! Wie schön dich wiederzusehen!", rief Chiyo und kam schwungvoll neben mir zum Stehen. Auf dem Gesicht der Fünfzehnjährigen lag ein breites Lächeln und einmal mehr hatte sie ihre Haare zu zwei Space Buns zusammengebunden, die nun ein wenig zerzaust aussahen. Es ließ mich leicht lächeln. Heute trug sie einen pinken Cheongsam, der eher weniger mit ihrem blauem göttlichen Auge zusammenpasste, welches sie an ihrer Hüfte trug.
"Lass uns rein gehen!", sprach sie aufgeregt aus und bevor ich länger herumstehen konnte, hatte sie mich mit ins Innere der Warmen Taverne geschleift. Wie ich bereits vermutete hatte, war es brechend voll. Es war laut und irgendwo wurde Musik gespielt. In der hintersten Ecke tanzten zwei auf den Tischen, auf dem Boden sah ich bereits Spuren von den verschiedenen Getränken und fast alle Plätze waren besetzt, obwohl wieder einmal mehr Tische und Stühle bereit gestellt worden waren. Das Chaos war nahezu perfekt.
Ich hatte nicht lange Zeit, mir das Bild anzuschauen, denn Chiyo schleifte mich zu der Theke und bestellte etwas zu trinken. "Du bist viel zu jung, um Alkohol zu trinken!", tadelte ich die Jüngere, die mich jedoch um einiges überragte, als sie ihr alkoholisches Getränk zugereicht bekam. Die Barkeeper schienen bei der Menge an Leuten nicht zu kümmern, wer was bestellte, vermutlich hatten sie so schon genug Stress.
Chiyo hingegen zuckte nur mit den Schultern und winkte ab. "Da wird es doch viel lustiger", war ihr Argument und sie grinste mich erfreut an. "Du hingegen solltest heute kein Alkohol trinken", gab sie von sich und nahm mir vorsichtig das Glas weg, was ich in den Händen hielt. Ich hatte nicht mal mitbekommen, was ich für ein Getränk von dem Barkeeper bekommen hatte. "Deine Augen sehen heute zutiefst traurig aus und mit Alkohol wird das nicht besser. Du solltest deine Sorgen nicht ertränken, sondern dich ihnen stellen und überlegen, was du dagegen tun könntest. Was du tun könntest, dass es dir wieder besser geht", sagte sie mir und sah mich ernst an. Ein wenig staunte ich dann doch darüber, dass sie mit fünfzehn solche Weisheiten an den Tag legen konnte, dennoch war ich ihr dankbar für die Worte.
Chiyo schloss mich leicht in die Arme und sagte: "Du solltest die Taverne verlassen, hier sollte man nicht sein, wenn es einem so geht", sagte sie leise und ihre Worte gaben mir in irgendeiner Weise Kraft. Ich nickte nur und betrachtete die Jüngere dann. Sie war so liebenswert. Ich war froh, sie als Freundin zu haben. Und dann ließ ich sie allein und suchte Feng, der eigentliche Grund, warum ich hier war.
In der Menge der Menschen war es gar nicht so leicht, ihn zu finden, doch nach einer gewissen Weile hatte ich Erfolg. Er saß in der zweiten Etage an einem der Tische an der Wand. Ein wenig unsicher trat ich auf ihn zu und ich war kaum stehen geblieben, als er aufsah, mich erblickte und mit einem Ruck von seinem Stuhl aufstand. Es lag Überraschung in seinen Augen. "Ich hätte nicht gedacht, dass sie dich wieder hinkriegen, du sahst echt zugerichtet aus", sagte er ohne zu zögern und ich nickte langsam. Er sah mich wirklich so an, als wäre es ein Wunder, dass ich vor ihm stand, was es in gewisser Weise ja auch war.
"Setz dich", sagte er dann und zeigte auf den Stuhl ihm gegenüber. Langsam setzte ich mich und musterte den Mann. Er sah genau so aus, wie Albedo ihn beschrieben hatte. Er war äußerst unscheinbar und hatte ein schmales Gesicht. Generell schien er mir eher der Introvertierte Typ zu sein. "Geht es dir wieder vollkommen gut?", fragte er mich und sah mich interessiert an. "Ja, Jean hat mich wieder zusammengebastelt", antwortete ich und ließ außen vor, dass ich momentan mental dennoch nicht in der besten Stimmung war, aber das musste er nicht wissen.
"Ich wusste, dass Jean eine großartige Heilerin ist, aber dass sie so genial ist, hätte ich nie auch nur erahnen können. Wenn du wüsstest, wie zugerichtet du warst... Es war ein Wunder, dass ich dich überhaupt lebend zu Albedo bringen konnte. Ich hatte auf dem Weg die ganze Zeit Angst, dass du mir weg stirbst", sagte er und hatte seine Augen leicht geweitet, so als würde er vor seinem inneren Auge immer noch meinen blutigen Körper vor sich sehen.
"Aber wärst du nicht gewesen, hätte ich wahrscheinlich überhaupt nicht überlebt. Du musst großes Talent haben, wenn du dein Element so gut kontrollieren kannst, dass du einen verletzten Menschen transportieren kannst", gab ich von mir und machte eine kurze Pause. "Danke, dass du mir das Leben gerettet hast", sprach ich dann aufrichtig die Worte aus, die ich schon die ganze Zeit loswerden wollte. Ich sah Feng in die dunklen Augen und erkannte darin Erleichterung.
"Ich hätte es ehrlich gesagt nie für möglich gehalten, dass du das durchstehst. Als ich nach dem Sturz zu dir geeilt war, hattest du schon nur noch so flach geatmet, dass man es durch die dicken Klamotten nicht einmal mehr sehen konnte. Und oh Gott, ich hab mir solche Gedanken gemacht, dass ich dich noch mehr verletze, wenn ich dich transportiere. Dein Anblick war schrecklich, es hat sich mir ins Gedächtnis gebrannt", sagte er mir und ich wusste, dass er es nicht böse meinte. Es schien für ihn wohl nur irgendwie traumatisierend gewesen zu sein, was ich ihm nicht verübeln konnte. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, der sich zeitgleich mit dem schlechten Gewissen gebildet hatte, was in mir aufstieg.
"Sah ich wirklich so schlimm aus?", fragte ich etwas unsicher und Feng nickte langsam und sah mich nachdenklich an. Er wog ab, ob er es mir erzählen sollte oder nicht und was das Wissen dann mit mir anstellen würde.
"Es war wirklich schrecklich. Ich stand so unter Adrenalin, dass ich in dem Moment gar nicht wirklich darauf reagiert habe, aber Albedo... Als er dich sah, ist ihm alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Pure Angst und blanke Panik standen in seinem Blick. Es war, als bereitete ihm dein Anblick unendlich große Schmerzen. Und dabei ging es noch, als du deinen dicken Mantel noch anhattest. Als Albedo dich aus dem zerrissenen Mantel geholt hat, haben seine Hände die ganze Zeit gezittert und der Anblick unter dem Mantel war das wirklich schlimme. Alles war mit Blut getränkt und manche Gliedmaßen standen in komischen Winkeln ab. Dein Gesicht war voller Kratzer und Schrammen. Aber Albedo hat dir die meiste Zeit nur ins Gesicht geschaut, als hätte er Angst, dass du aufhörst zu atmen. Ich habe ihn noch nie so erlebt. Sonst behält er immer die Fassung, aber in diesem Moment... Ich glaube er hatte noch nie solche Angst wegen eines Menschen", erläuterte mir Feng und starrte dabei gedankenverloren auf den braunen Holztisch.
Ich musste erst einmal verarbeiten, was Feng mir da erzählte. Ich konnte mir Albedo in so einer Verfassung überhaupt nicht vorstellen, aber das hieß ja nicht, dass es nicht doch der Fall gewesen war.
Einmal mehr an diesem Tag, zog sich mein Herz ein wenig zusammen, weil mir die Vorstellung nicht gefiel, dass er wegen mir in so einer Verfassung gewesen war.
Ich wollte gerade aufstehen, als Feng mich noch zurückhielt. "Ayumi, ich denke du bedeutest ihm wirklich etwas. Er ist sonst nie wirklich daran interessiert, Kontakte zu knüpfen oder engere Beziehungen zu Menschen aufzubauen."
_________________________
Ich habe es gestern nicht mehr geschafft, das Kapitel zu überarbeiten, deswegen kommt das Update heute ^^
Ich muss heute mal mein ganzes Zimmer putzen und aufräumen. So richtig motiviert bin ich nicht, aber was muss das muss ;)
Wie verbringt ihr euren Samstag?
Habt ein tolles Wochenende!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top