Kapitel 26

Langsam drangen die Worte zu mir durch, die Albedo zu mir sagte. Ich hatte also die Zusatzpunkte für den Achat bekommen, obwohl er kaputt gegangen war.

Die plötzliche Erleichterung darüber schwappte in starken,  gleichmäßigen Wellen über mich hinweg  und die eisernen Krallen, die sich um mein Herz geschlossen hatten, ließen ein wenig locker. Das starke Gefühl übermannte mich so sehr, dass es mir erneut Tränen in die Augen trieb, die stumm über meine Wangen liefen. 

Leise weinte ich vor mich hin, erleichtert, weil ich meinen Traum nicht aufgeben musste, denn dieser Wunsch, Abenteurerin zu werden, war das Einzige, was ich jemals mit vollem Herzen wollte, wofür ich bereit war alles aufzugeben.

Erneut schloss Albedo mich kurz in seine nackten Arme und gab mir ein wenig von seiner Wärme ab, die von seinem Körper und von seinem Herzen ausging. Einmal mehr beruhigte mich die innere Ruhe des Kriegers. 

Nachdem meine Tränen versiegt waren und mein Herz wieder einen gleichmäßigen Rhythmus angenommen hatte, stand Albedo schweigend auf, ging rüber zu dem Fass an dem er sich vorhin gewaschen hatte und holte aus dem Regal dahinter ein kleines durchsichtiges Fläschchen heraus, in dem sich eine hellblaue Flüssigkeit befand. 

Während der Aschblonde wieder auf mich zukam, bedachte er mich erneut mit dem Blick, der so aussah, als würde er ein unlösbares Puzzle betrachten. Albedo ließ sich wieder auf seinem Hocker nieder  und reichte mir das Fläschchen. "Das wird dich stärken", sagte er nur und ich bedachte die Flüssigkeit mit einem misstrauischen Blick, doch fragte nicht, was das überhaupt war. Ohne zu protestieren stürzte ich das Getränk in einem Zug runter. Es schmeckte leicht süßlich. 

Noch während ich trank, brannte mir eine Frage auf der Zunge, die wichtiger als alles sein sollte und dennoch hatte ich sie bisher nicht gestellt. Einfach deshalb, weil es mir schlichtweg nicht eingefallen war. 

"Wie habe ich überlebt?", fragte ich leise, hörte meine eigene Stimme die so fremd klang und hielt geschlagen meinen Kopf gesenkt, konnte Albeo nicht ansehen. Ich hätte mich selbst dafür ohrfeigen können, dass mir dieser Aspekt bisher nicht in den Sinn gekommen war. Ich dummes Mädchen hatte nur an die Prüfungen gedacht, dabei hätte ich um ein Haar den Löffel abgegeben. Wahrscheinlich hatte Albedo mich deshalb die ganze Zeit so fragwürdig angesehen, weil er nicht verstanden hatte, wie jemand sein eigenes Leben vergessen konnte. 

Als ich endlich aufsah, trafen mich innerhalb einer Sekunde Albedos eisblaue Augen, die direkt auf mich gerichtet waren. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, als er endlich das Schweigen brach. 

"Du bist von dem Berg gestürzt. Ein anderer Teilnehmer, der zufällig in der Nähe war, hat es von unten gesehen. Er ist ein Anemo Catalyst und arbeitet mit Luftdruck und kleinen Stürmen. Er hat es geschafft, einen kleinen Wirbelsturm unter dir zu platzieren und ihn so flach und weitflächig zu halten, dass er deinen Körper von unten stützen konnte. Er hat den Sturz maßgeblich abgefangen, aber Wind ist eben doch nur Wind. Er konnte nichts dagegen tun, dass du auf den harten Boden aufkamst. Du warst schlimm zugerichtet. Viele gebrochene Knochen, viel Blut und offene Wunden. Aber du hast überlebt und das ist nur ihm zu verdanken, weil er die Geschwindigkeit des Falls drosseln konnte. Ohne ihn würdest du nicht mehr hier sein", erklärte mir Albedo und wurde am Ende hin leiser, knirschte ein wenig mit den Zähnen. Es war ein ungewöhnliches Bild, denn sonst schien Albedo die Ruhe selbst zu sein. Doch jetzt tanzte in seinen Augen ein Eissturm an Gefühlen und ich konnte keines einfangen, um es genauer zu analysieren.

"Kaum warst du unten aufgekommen, hat er es erneut geschafft, dich mit Hilfe seiner Winde anzuheben und dich so zu transportieren, dass du möglichst wenig Schmerzen haben würdest. Der Krieger wusste, dass ich hier eine eigene Höhle habe und weil ihm auf die Schnelle nichts besseres eingefallen war, hat er dich kurzerhand hergebracht. Ich war hier und als ich dich sah, da... da ist etwas in mir zerbrochen. ich dachte...", Albedo unterbrach sich selbst und schluckte, senkte seinen verletzlichen Blick auf den Boden. 

"Ich dachte du wärst tot", brachte er dann leise mit kratziger Stimme heraus und schluckte erneut und mied meinen Blick. Ich wollte ihm sagen, das alles gut war, wollte seine Hand nehmen und ihn trösten, doch es war so so falsch. Seine Verletzlichkeit zu nutzen, nur um meinen Bedürfnissen nachzukommen, war das Letzte was ich tun würde. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie er sich gefühlt haben musste, als er dachte, ich hätte nicht überlebt. 

Stattdessen schwieg ich und ließ Albedo weiter reden, denn bisher hatte er nie über seine Gefühle, oder über das, was er dachte, gesprochen.

"Er und ich haben dir improvisorisch ein Bett hergerichtet, auf das wir dich legen konnten und ich haben augenblicklich die beste Heilerin vom Ordo Favonius angefordert. Jean kam dann augenblicklich her und hat ihr bestes gegeben, um dich am Leben zu halten und deine Wunden zu heilen. Morgen früh kommt sie nochmal, damit sie dich noch einmal heilen kann", erzählte Albedo und sah mich mit einen blick an, der mich komplett einnahm. Doch ich konnte nur verwirrt zurück starren. 

"Du hast die Stellvertretende Großmeisterin hergeholt?", fragte ich ein paar Oktaven zu hoch und der Respekt, den ich für diese Frau empfand, welcher unermesslich hoch war, nahm mich mit einem Mal völlig ein. Ich wollte am liebsten im Erdboden versinken. 

"Sie ist die beste Heilerin hier. Und du hast nach wie vor in Lebensgefahr geschwebt. Nur sie konnte deine unzähligen Wunden heilen", erklärte Albedo mir mit ruhiger Stimme und ich schluckte, sah ihn nachdenklich an, mit unzähligen Fragen im Kopf. Bei manchen wusste ich nicht einmal, ob ich sie ihm stellen konnte, ohne ihm persönlich zu nahe zu treten. 

"Wie bist du an Jean herangekommen? Ich meine, man erreicht sie doch nicht so einfach und gleich gar nicht so schnell. Wie hast du das also geschafft?", fragte ich voller Verwirrung und konnte mir tatsächlich keinen Reim auf das Gesagte machen. "Ich gehöre zum Orden", antwortete Albedo ohne große Umschweife und ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke. Er tat was?!

"Du... gehörst zum Orden?", wiederholte ich und starrte Albedo ungläubig an. Kein Wunder, dass er Jean so einfach anfordern konnte, sie arbeiteten zusammen. Ein winziges amüsiertes Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln und er nickte, was bei mir hingegen nur noch mehr Fragen aufwarf. "Aber wenn du in unserem Alter bereits zum Orden gehörst, warum nimmst du an den Prüfungen Teil? Durch den Orden stehen dir so viele Möglichkeiten offen", legte ich einen Bruchteil meiner unzähligen, wirren Gedanken dar und erinnerte mich daran, dass ich ihn damals in der Bar schonmal danach gefragt hatte, warum er Abenteurer werden möchte. Damals hatte er mir nur eine vage Antwort gegeben, abe rich hatte das Gefühl, dass wir uns nun näher standen als damals.

Albedo schwieg eine Weile und sah mich mit leicht schief gelegten Kopf an, so als müsse er überlegen, ob er mir den Grund erzählen sollte, oder ob es etwas war, was er lieber für sich behalten sollte. 

"Wenn Ich Abenteurer werde, öffnen sich mir Türen und Wege, an die ich ohne die Lizenz zum Abenteurer niemals auch nur herankommen könnte. Durch diese Möglichkeiten, die sich mir dadurch ergeben, kann ich meine Forschungen und meine Alchemie weiter ausbauen, sie nützlicher machen und besser in diesem Feld werden", erklärte mir der Aschblonde sachlich. Noch während er sprach wurde mir mit einmal bewusst, dass jeder Teilnehmer vermutlich von völlig anderen Dingen gelenkt wurde, Abenteurer zu werden. Für Albedo war es die Forschung, für mich war es mein ganz persönlicher Traum und für noch jemand anderen konnte es beispielsweise eine Möglichkeit für ein besseres Leben sein. Wir wurden von unterschiedlichen Gründen angetrieben und hatten dennoch alle dasselbe Ziel. Irgendeine Art fremder Stolz keimte plötzlich in meiner Brust auf und ließ mich in einer seltsamen Art und Weise besser fühlen. 

"Aber wie hast du es so zeitig schon in den Orden geschafft?", fragte ich langsam und hörte die Ehrfurcht in meiner eigenen Stimme. Ich hatte definitiv Respekt davor, das stand fest. Ich suchte Albedos Blick und bemerkte einmal mehr, dass er mir direkt in meine grünen Augen starrte. Er fing meinen Blick eine kurze Weile auf, hielt ihn fest und stieß ihn dann von sich. Kopfschüttelnd wandte er den Blick ab und ich wusste sofort, dass er es mir nicht erzählen würde. Anscheinend standen wir uns noch nicht nahe genug oder das Thema traf ihn persönlich einfach zu tief, ich wusste es nicht. Eine Weile schwiegen wir, bis meine Gedanken wieder zu der Bar abdrifteten, in der ich mich mit Albedo unterhalten hatte. 

"Wieso sagtest du damals, ich wäre die Erste, bei der du eine Zusammenarbeit in Betracht ziehen würdest?", kam es mir plötzlich in den Sinn und erneut zuckten Albedos Mundwinkel für den Bruchteil einer Sekunde. "Weil es so ist", erwiderte er und ich gab ein entnervtes Stöhnen von mir. "Ja, aber wieso ist das so?", präzisierte ich und ein leichtes Lächeln huschte über die Lippen des Aschblonden. "Das erzähle ich dir zu einem anderen Zeitpunkt", sagte er nur und ich ahnte fast, dass er mich nur ärgern wollte und es mir nur nicht verriet, weil ich so erpicht darauf war, es zu erfahren. 

Nachdem Albedos Blick, der wieder ein wenig sorgenvoll geworden war, ein weiters Mal über mein Gesicht gewandert war, welches vermutlich voller Schrammen war und geschunden aussah, stand er langsam auf und war drauf und dran das Zelt zu verlassen. Doch eine weitere Frage kam mir in den Sinn, kristallisierte sich unter den tausend anderen Fragen heraus und brannte mir auf der Zunge. 

"Albedo?", kam es über meine Lippen und der Aschblonde blieb im Zelteingang stehen und wandte sich zu mir um. Die Fackeln in der Höhle warfen nun ein sanftes orangenes Licht auf seinen alabasterfarbenen, nackten Oberkörper und die entstehenden Schatten ließen die Muskeln an seinem Bauch ein wenig mehr hervortreten. Es war der perfekte Kontrast zu seinen eisblauen Augen. Er sah aus, wie aus einem Märchen entsprungen.

"Bist du wirklich ein Prinz?", rutschte mir die Frage über die Lippen, ohne dass ich länger darüber nachgedacht hatte. Und dieses Mal lächelte Albedo wirklich. Ein zauberhaftes, amüsiertes Lächeln.

"Ich bin genau so wenig ein Prinz, wie die Ritter des Ordo Favonius wirklich Ritter sind."

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Einen guten Abend am späten Freitag!

So schnell ist die Woche vorbei. Habt ihr am Wochenende etwas vor?
Ich werde mich wahrscheinlich sehr viel meiner neuen Sucht widmen: dem kdrama Goblin!
Es ist so gut ^^

Habt ein schönes Wochenende!

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