Kapitel 21

Ich sah Albedo an, hörte den Schmerz in seiner Stimme, bemerkte seine zusammengefallene Haltung. Doch er hatte noch immer seinen Kopf von mir weggedreht. In mir zog sich alles zusammen. Ihn so zu sehen ließ etwas in mir schmerzen. 

"Albedo", sagte ich leise, wehmütig und flehend und sah ihn an. Und dann drehte er seinen Kopf und blickte zurück. Endlich sah er mich an. Seine blauen Augen waren traurig und voller Schmerz, doch es war mir lieber, als die Ausdruckslosigkeit in seinem Blick, die er die ganze Zeit getragen hatte. 

Ich wollte ihm diesen Schmerz in seinem Gesicht nehmen, wollte, dass es ihm gut ging, wollte ihn trösten und ihm sagen, dass alles gut war. Dass alles gut werden würde. Doch das konnte ich nicht. Ich wusste nicht, was vorgefallen war, wusste nicht, was Albedo so zusetzte und wusste nicht, wie er seinen Schmerz verarbeitete. Einmal mehr wurde mir klar, dass nicht besonders viel über ihn wusste und dennoch wollte ich im Moment nicht von seiner Seite weichen. 

Ich stand ihm nicht nah genug, um ihn einfach in den Arm zu nehmen aber wir waren uns auch nicht so fremd, dass ich ihn einfach mit seinen Gefühlen sitzen lassen konnte. Ich wollte ihm ein Lächeln ins Gesicht zaubern, doch das war nur ein buntes Hirngespinst, was ich nicht umsetzen konnte. Also rutschte ich von meiner Stufe, hockte mich vor seine Beine und hob meine Hand mit dem nassen Tuch und begann, ihm das Blut von seinem Gesicht zu waschen, denn das war alles, was ich in dem Moment tun konnte. 

Ich begann mit dem Blut, was aus seiner Nase gelaufen war und seine Lippen rot gefärbt hatte. Dann machte ich an seinen Wangen weiter und kühlte ein wenig seinen angeschwollenen Wangenknochen. Albedo ließ mich mit seinen wachsamen Augen nicht ein einziges Mal außer Acht und ich vertiefte mich in meine Aufgabe. 

"Ayumi", sagte Albedo leise und ich hielt einen Moment inne und hob meinen Blick um dem Krieger in die Augen sehen zu können. "Erzähl mir etwas. Irgendwas. Bitte", ergänzte er leise und ich sah in sein flehendes Gesicht und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen. 

"Ich und meine Familie wohnen in einem kleinen Haus an der Falkenküste", fing ich an und begann zeitgleich damit, erneut Albedo das Blut vom Gesicht zu waschen . "Mein Bruder ist zwölf und eine kleine Nervensäge. Er ist äußerst fordernd und weiß alles besser, aber ich habe ihn trotzdem lieb. Ich mochte es, mit ihm am Wasser zu spielen, aber mittlerweile machen wir das nicht mehr besonders oft. Er denkt, er ist jetzt zu alt dafür", erzählte ich und ein kleines Lächeln trat auf meine Lippen, als ich an die bereits vergangenen Tage zurückdachte, die nur noch als Erinnerungen lebendig waren. 

"Mein Vater ist ein toller Mann, aber er glaubt nicht daran, dass ich eine Abenteurerin werden kann." Ich legte eine Pause ein. "Dann ist er ein Narr", kam es von Albedo und ich hob erneut meinen Blick um in eisblaue Augen zu schauen und festzustellen, dass er es absolut ernst meinte. 

"Du kannst alles schaffen, was du willst. Vergiss das nicht, Ayumi."

"Ich weiss es nicht", seufzte ich.

"Zweifle niemals an dir selbst."

"Aber wie soll ich nicht zweifeln, wenn ich weder kämpfen kann, noch ein göttliches Auge besitze?"

"Wer sagt, dass du das brauchst? Dein Blickwinkel ist nur in eine Richtung, nur auf einen Weg gerichtet. Aber es gibt niemals nur einen Weg."

Ich sah Albedo an und ein wehmütiges Lächeln trat auf meine Lippen. Er glaubte an mich. Albedo glaubte an mich. 

"Mein Vater hat mir eine Frist gesetzt, dass ich es bis zu meinem neunzehnten Geburtstag versuchen kann. Danach..." "Es gibt kein danach, weil du es schaffen wirst", unterbrach Albedo mich und sah mich ernst an. Ich lächelte leicht. "Danke, dass du an mich glaubst", sagte ich stattdessen, doch Albedo schüttelte seinen Kopf. 

"Es ist nicht wichtig, dass ich an dich glaube. Alles was zählt ist, dass du an dich selbst glaubst", sagte er leise und sah mich an, hielt meinen Blick fest, wollte, dass ich seine Worte verstand. 

Irgendwann wandte ich meinen Blick ab und nachdem eine Weile Schweigen geherrscht hatte, erzählte ich weiter. "Dies ist meine letzte Chance um Abenteurerin zu werden und ich darf sie nicht verstreichen lassen, denn das ist, was ich machen will. Ich will die Welt erkunden und Menschen helfen", erklärte ich ihm, doch Albedo hörte nur schweigend zu. Dann sagte er plötzlich: "Erzähl mir etwas anderes. Erzähl mir etwas, was nicht alle über dich wissen." 

Seine Worte überrumpelten mich in gewisser Hinsicht und ich sah ihn an. Das orange Licht der Laternen schmiegte sich sanft an seine Haut und tauchte sie in einen wohligen Schein, während die Welt um uns herum bereits in Dunkelheit versunken war. 

Ich musste mit einem Mal Lächeln, als ich diesmal zum Erzählen einen anderen Ansatz verwendete. "Ich mag den Sommer. Die warmen Temperaturen, die zahlreichen Farben und die gute Laune die in der Luft liegt. Ich mag es, barfuß durch das weiche Gras zu laufen, denn es fühlt sich nach Freiheit an. Wann immer ich bei warmen Wetter  in Liyue bin, suchen meine Augen automatisch die Umgebung nach Glaslilien ab. Es sind meine Lieblingsblumen. Sie sind wunderschön und wenn ich eine pflücke und sie mir ins Haar stecke, riecht die ganze Welt nach Sommer." Ich musste noch ein wenig mehr lächeln. "Man sagt, Glaslilien wuchsen einst in ganz Liyue und sind so alt, dass sie Geschichten erzählen. Manchmal male ich mir aus, was sie alles gesehen haben", ergänzte ich und wandte meinen Blick gen Horizont, wo ein paar Wolken aufzogen, die den dunklen Sternenhimmel verdeckten. 

"Den Winter hingegen finde ich nicht ganz so toll. Die Kälte, die farblose Landschaft und die Dunkelheit, die über dem Licht vorherrscht. Aber ich liebe es, wenn ich an einem kalten Wintermorgen aufwache und es nach dem süßen Milchgebäck  meiner Mutter riecht. Ich glaube, es hat nicht einmal einen Namen, aber es schmeckt so gut, vor allem wenn es gerade frisch gebacken wurde und noch warm ist. Wenn ich diesen Duft rieche, dann riecht es für mich nach zu Hause." 

Ich legte erneut eine Pause ein, nur um festzustellen, dass ich ununterbrochen lächelte, als hätte ich die Sonne höchstpersönlich verschluckt. Albedo sah mich mit einem undefinierbaren Ausdruck in den Augen an und studierte mein Gesicht. Erneut blickte er mir so entgegen, als wäre ich ein Puzzle, was er um jeden Preis lösen wollte.

"Ich habe eine Schwäche für alte Legenden und Geschichten", erzählte ich einfach ohne Umschweife weiter. Nachdem ich einmal angefangen hatte zu reden, war es, als wäre ich in einem Strom, der mich nicht mehr aufhören ließ. 

"Es ist interessant, wie es von manchen Geschichten mehrere Versionen gibt und am Ende doch keiner wirklich weiß, wie es tatsächlich passiert ist, oder ob die Geschichte überhaupt wahr ist. Aber immer, wenn ich mich mit so etwas beschäftige, fühlt es sich so an, als würde ich in eine andere Zeit reisen. In längst vergangene Tage, die nur noch existieren, weil Menschen davon Geschichten erzählen. Es ist einfach so wundervoll. Ich kann in jede Zeit reisen, wann immer ich will. Ich glaube daran, dass alte Legenden uns manchmal zu Erkenntnissen bringen können, die vor aller Augen verschlossen geblieben waren." 

Erneut blickte ich Albedo an, nur um festzustellen, dass ein winziges Lächeln in seinen Mundwinkeln zu sehen war. Der Schmerz in seinen Augen war noch immer gegenwärtig, aber er beherrschte ihn nicht mehr. Albedo sah nicht mehr ganz so sehr in sich zusammengefallen aus und das deutete ich als gutes Zeichen. Noch immer wollte ich ihn fragen, was passiert war, warum er so viel Blut an den Händen gehabt hatte und warum er sich die Schuld an dieser ganzen Sache gab. Doch im Moment wäre es falsch gewesen, zu fragen, denn das würde ihm nicht helfen. Albedo hatte gebeten, ihn auf andere Gedanken zu bringen und das tat ich und deshalb erzählte ich weiter. 

"Und ich glaube an die Magie in der Welt. Nicht im Sinne von wirklicher Zauberei, sondern mehr in Form von Emotionen, Erlebnissen, kleinen Gesten und stillen Momenten. Magie in Form eines Gefühls, das einen durchströmt und die schönsten Dinge empfinden lässt. Magie in Form von Kleinigkeiten, wie einem Kristallschmetterling, der in seiner Zerbrechlichkeit die Sonne reflektiert und auf einer bunten Blume landet. Magie in Form von Kleinigkeiten, die einen verzaubern", hörte ich mich selbst sagen und spürte die Freude und Euphorie, die mich ergriff. 

"Oder Magie in Form von Momenten, von denen man sich wünscht, sie würden niemals enden", ergänzte Albedo und ich nickte euphorisch. "Genau!" 

Dann richtete ich meinen Blick wieder in Richtung des dunklen Himmels, an dem so unendlich viele Sterne funkelten. Genau in diesem Moment, als ich meinen Blick über den Himmel wandern ließ, erblickte ich eine Sternenschnuppe. "Sieh mal da!", rutschte es mir heraus und ich deutete auf den Himmel. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Albedos Blick zum Himmel zuckte. "Jetzt kannst du dir was wünschen", gab ich lächelnd von mir und sah den Aschblonden an, doch dieser schüttelte nur leicht mit dem Kopf. "Hab sie verpasst", erklärte er mir. 

"Dann kannst du meinen Wunsch haben", sagte ich leise lächelnd und machte eine sanfte Handbewegung, als würde ich den Wunsch der Sternenschnuppe aus der Luft einfangen. Dann schloss ich meine Hand und legte sie Albedo auf die Brust und öffnete sie dort wieder, danach zog ich mich zurück und sagte lächelnd: "Aber jetzt kannst du dir was wünschen." 

Albedo hielt meinen Blick noch kurz fest, bevor er die Augen schloss und sich im stillen etwas wünschte. 

Als er seine Augen wieder öffnete, lächelte er. Er lächelte wirklich.

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Nein, ich denke ich muss zu dem Kapitel nichts zu sagen ;) 

Song Empfehlung #9:
Feel Real - Deptford Goth



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