level 24
»Sojungs Sicht«
Rückblick
"Ich glaube, es ist besser wenn wir uns trennen, Sojung."
Es überraschte mich nicht diesen Satz von ihm zu hören, doch das änderte nichts daran, dass es weh tat.
Aus mitfühlenden Augen blickte Seokjin mich an und schaffte es dadurch, dass ich mich noch mieser fühlte, als zuvor.
Er war drei Jahre älter als ich und letzten Sommer auf die Universität gewechselt. Seitdem hatte sich eine unüberbrückbare Kluft zwischen uns gebildet. Wir lebten plötzlich in verschiedenen Welten und während er zum Erwachsenen wurde, war ich noch das unreife Kind an seiner Seite.
"Ja, ich denke auch", antwortete ich mit einem aufgesetzten Lächeln.
Obwohl ich es geahnt hatte, dass es so kommen würde, hatte ein Teil von mir sich gewünscht, dass wir es trotzdem schaffen würden. Das wir zwei für immer zusammenbleiben würden.
"Danke für alles." Auf seinem Gesicht lag ein aufrichtiges Lächeln, dass mich in diesem Augenblick nostalgisch werden ließ.
Und so nahm meine erste Liebe ein Ende.
Ich hob meine Tasche vom Boden auf, drehte mich um und verließ anschließend seine Wohnung, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Draußen regnete es und obwohl ich einen Schirm dabei hatte, ließ ich mich einfach vom Regen erfassen und konnte somit endlich meinen Tränen freien lauf lassen.
Dabei hatte ich mir geschworen hart wie ein Stein zu bleiben, damit ich mir nicht wie das zurückgelassene Baby vorkam, doch ich konnte es einfach nicht unterdrücken. Die Emotionen kochten unaufhaltsam über.
All die Zeit, die ich mit ihm verbracht hatte. Die schönen Tage, unsere Streitereien. Alles war umsonst gewesen. Mir kam alles so sinnlos vor.
"Sojung?"
Mein Kopf hob sich lethargisch, als ich meinen Namen hörte und blieb sofort stehen, als ich Seokjins besten Freund vielleicht einen Meter entfernt vor mir stehen sah.
Erschrocken riss ich meine bereits geschwollenen Augen auf und drehte mich reflexartig um, damit ich fliehen konnte. Ich wollte nicht, dass er mich in diesem Zustand sah. Doch noch bevor ich verschwinden konnte, hatte er mich eingeholt und versperrte mir den Weg.
Er sagte nichts, sondern sah mich nur an, während er den durchsichtigen Regenschirm über unseren Köpfen hielt.
"Was machst du da?", schniefte ich betrübt und blickte zu dem schwarzhaarigen hinauf, welcher mich mit ungewohnter Weichheit in den Augen betrachtete
"Ist dir nicht kalt?", fragte er mich, anstatt mir zu antworten.
Erneut liefen mir Tränen über die Wangen und es schnürte mir förmlich die Kehle zu.
Kim Namjoon war ein Jahr älter als ich und Seokjins bester Freund. Ich kannte ihn ewig und er war für mich ebenfalls zu einem sehr engen Freund geworden. Es machte mich traurig, dass unsere Wege sich wohl nun ebenfalls trennen würden.
Er wusste wie es um meine Beziehung mit Seokjin stand, deshalb musste ich ihm wohl nicht erklären, was passiert war.
"Jetzt... wo Jin und ich n-nicht mehr z-zusammen sind... k-können wir keine Freunde mehr sein...", heulte ich und wollte mich wieder vom Acker machen, doch der Größere kam mir erneut zuvor.
"Wer hat denn so einen Mist behauptet?", wollte er mit erhobenen Augenbrauen von mir wissen.
Danach beugte er sich lächelnd ein Stück zu mir herunter und tätschelte mit seiner freien Hand schließlich mein feuchtes Haar.
"Du kannst dich auf mich verlassen, Sojung."
Rückblick Ende
Mein Kopf lehnte noch an Minahs Schulter, die mich fest in ihren Armen hielt und mir behutsam auf den Rücken klopfte.
War es weil ich die Ex seines besten Freundes war? Dabei dachte ich, dass unsere Beziehung nach all den Jahren bereits so viel mehr war, als das.
Wenn ich jemanden gebraucht habe, war er immer zur Stelle und half mir in jeglicher Hinsicht. Wenn mein Vater früher zu viel getrunken hatte, kam er vorbei und beschützte meine Mutter und mich vor ihm. Wenn ich jemanden zum reden brauchte, kam er mit Soju und Streetfood bei uns vorbei.
Auch, wenn meine Eltern sich mittlerweile getrennt haben und es deshalb keine solcher Zwischenfälle mehr gab, war er für meine Mutter und mich nach wie vor unser Retter in Not.
Ich konnte mich wirklich immer auf ihn verlassen. Vielleicht ein wenig zu sehr, wenn ich ehrlich war. Dabei war es nicht selbstverständlich.
Was hatte ich überhaupt jemals für ihn getan, außer ihm täglich auf die Nerven zu gehen?
Komischerweise fühlte es sich sogar noch schlimmer an, als die Trennung mit Seokjin. Denn ich hatte dieses Gefühl, nicht bloß zurückgewiesen worden zu sein, sondern auch, als hätte ich meinen besten Freund verloren.
»Jungkooks Sicht«
Ich schaltete das Licht in meinem Schlafzimmer an, atmete tief aus und ging geradewegs auf den alten Umzugskarton mit meiner gesamten Fotoausrüstung zu. Seit dem Tod meines Vaters hatte ich meine Kameras nicht mehr angerührt.
Mit einem schweren Gefühl im Magen griff ich nach meiner aller ersten Spiegelreflexkamera, die Nikon D3500. Obwohl ich sie so lange nicht mehr benutzt hatte, fühlte sie sich ganz natürlich in meinen Händen an. So, als hätte ich nie mit dem Fotografieren aufgehört.
Mein Vater war derjenige gewesen, der sie mir geschenkt hatte und ich verband so viele schöne Erinnerungen mit dieser Kamera.
Er hatte mich immer in dem Wunsch professioneller Fotograf zu werden, unterstützt und gefördert. Doch nach seinem Tod brachte ich es einfach nicht übers Herz damit weiterzumachen und legte meinen Traum auf Eis.
Stattdessen wollte ich dem Weg meines Vaters folgen. Vielleicht, um mich ihm näher zu fühlen. Vielleicht, um vor der Tatsache zu entkommen, dass ich einsam war und mich jedes Bild daran erinnern würde. Oder vielleicht, weil ich einfach nicht an mein Talent glaubte.
Doch was auch immer der Grund sein sollte, das Ergebnis war im Endeffekt dasselbe.
Mein Herz raste, als ich auf den Kopf drückte und die Kamera zum ersten Mal nach sieben Jahren einschaltete. Es gab so einiges, dass mir durch den Kopf ging und im gleichen Moment herrschte darin singende leere.
Mit einem Daumen wischte ich die dünne Staubschicht vom Display. Auf meiner Stirn bildeten sich tiefe Furchen, als ich entdeckte, dass sich kein einziges Bild auf der Kamera befand. Ich hatte die SD-Karte niemals rausgenommen.
Verwirrt öffnete ich die kleine Klappe der Öffnung der SD-Karte und rechnete eigentlich damit, dass die Öffnung leer war, doch ich sah, dass sich eine andere Speicherkarte darin befand und holte diese aus der Spiegelreflex heraus.
Vorsicht inspizierte ich den kleinem Gegenstand, bis es irgendwann endlich bei mir ankam und ich vor Schock den Atem anhielt.
Konnte es etwa sein, dass mein Vater sie dort ....
Schwer schluckend ballte ich meine Hand, in welcher die Karte lag, zur Faust und biss die Zähne fest aufeinander.
Wenn es das war wofür ich es hielt, hatte mein Vater sie dort versteckt, damit ich sie so schnell wie möglich finden würde.
Ich hatte überall gesucht, dabei habe ich sie die ganze Zeit vor meiner Nase gehabt. Und der Einzige Grund, weshalb ich meine Kamera überhaupt angefasst hatte, war Choi Minah.
Ohne Umschweife kramte ich mein Smartphone aus meiner Jeans und wählte schließlich ihre Nummer.
Dabei wusste ich zu diesem Zeitpunkt bei weitem nicht, wie sehr der Inhalt dieser Chipkarte mein Leben auf den Kopf stellen würde.
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