2. Kapitel
Eine Hochzeit in Florida. Mit langem, glitzerndem Strand, rauschenden, türkisblauen Wellen, stimmungsvollem, rosa-goldenem Sonnenuntergang und einer salzigen Brise. Man hatte weisse Rosenblätter auf den Sand gestreut, die jetzt bei jedem sanften Windhauch über den Boden tanzten. Die Braut und der Bräutigam, die sich gerade ewige Liebe geschworen hatten, hielten Händchen und sahen sich tief in die Augen. In Erwartung des bevorstehenden Kusses hatten beide die Lippen leicht geöffnet.
Konnte es etwas Süsseres geben? Etwas noch Romantischeres?
Etwas, das einen noch grösseren Würgreiz bei ihr hervorrief? Shaya Holling seufzte frustriert und schaute an sich hinunter auf ihr muschelförmiges Bikinioberteil und das Baströckchen. Wer hatte bloss diese alberne Outfit für die Brautjungfern ausgesucht? Auf jeden Fall jemand, der wollte, dass sie grauenvoll aussahen. Je hässlicher die Brautjungfern, desto schöner die Braut.
Oh Gott, sie wollte sich gar nicht vorstellen, was die teuer gekleideten anderen Gäste über ihr Ich-schenk-dir-ein-Lapdance-Hula-Kostüm dachten. Wahrscheinlich sehe ich aus wie ein nuttiger Zombie.
Shaya war blass. Immer schon gewesen. Weisse Haut, weissblonde Haare. Im Laufe ihres Lebens war sie deshalb oft aufgezogen worden. Man hatte Kasper, Schneekönigin, Vampir und Albino zu ihr gesagt. Die Liste der Beleidigungen war endlos gewesen. Nur ihre Augen waren nicht hell; sie waren dunkel-braun und - ihre Meinung nach - das Einzige, was schön an ihr war.
Sie hätte den Selbstbräuner verwenden können, den ihr ihre Mutter für den heutigen Anlass geschickt hatte. Aber die Folgen des letzten Mals, als sie dieses Produkt ausprobierte hatte, waren ihr nur allzu gut in Erinnerung: eine geradezu furchterregenden orangefarbene Haut und fleckige Hände, die aussahen wie die einer Toten. Vielleicht hätte sie ein paar Stunden ins Solarium gehen sollen. Davon hätte sie wahrscheinlich von Kopf bis Fuss Bläschen bekommen, aber wenigstens hätte sie jetzt ein bisschen Farbe. Gut, sie wäre feuerrot, aber das war immerhin nicht weiss.
Als sie so dastand, hatte sie plötzlich eine neue Idee für ihre Grusskartenfirma "Anti-Cards". Ich muss zugeben, dass ich deinetwegen religiös geworden bin, dachte sie, während sie die Braut betrachtete, die zufällig auch ihre Mutter war. Jetzt glaube ich auch an die Hölle.
Sie seufzte. Die silbergrauen, schulterlangen Haare ihrer Mom waren an den Spitzen nach aussen geföhnt und bildeten das perfekt Pendant zu dem cremefarbenen engen Kleid, das sich über den Knöcheln ebenfalls leicht nach aussen wölbte.
Gab es irgendjemanden, der schöner war als Tamara, zukünftige Mrs. Waddell? Jemand, der mehr Schönheitsoperationen hinter sich hatte? Der die Männer ebenso oft wechselte wie die Unterhöschen?
Die wievielte Hochzeit ihrer Mutter war das noch mal? Die sechste?
In diesem Moment blickte ihre Mutter zu ihr und runzelte die Stirn. "Steh gerade", sagte sie tonlos, bewegte nur ihre Lippen. "Lächle."
Wie immer tat Shaya so, als hätte sie die gut gemeinten Ratschläge nicht bemerkt. Sie konzentrierte sich auf den Pfarrer.
"Dich zu lieben, zu achten und zu ehren...", sagte er gerade mit seiner weichen Baritonstimme in die Abenddämmerung hinein. Shaya hörte kaum mehr als Blablabla, ehe sie seine Stimme ganz ausblendete.
Liebe. Wie sie dieses Wort hasste. Die Leute benutzten es als Entschuldigung für die absurdesten Sachen. Er hat mich betrogen aber ich bleibe bei ihm, weil ich ihn liebe. Er hat mich geschlagen, aber ich bleibe bei ihm, weil ich ihn liebe. Er hat mein Bankkonto bis auf den letzten Cent geplündert, aber ich zeige ihn nicht an, weil ich ihn liebe. Wie oft hatte ihre Mutter genau diese Ausrede benutzt?
Wie oft hatten die Männer ihrer Mutter Shaya betatscht und behauptet, es nur deshalb zu tun, weil sie nicht mehr in ihre Mutter, sondern jetzt in sie verliebt wären? Und das zu einer Zeit, als Shaya noch ein Kind gewesen war. Perverse Typen.
Shayas Vater war ein weiteres Paradebeispiel für diesen Nurdie-Liebe-zählt-Schwachsinn. Ich muss deine Mom verlassen, weil ich mich in eine andere verliebt habe.
Offensichtlich hatte er sich in mehrere andere verliebt.
Nachdem seine letzte Ehefrau ihm untreu gewesen war und sich dann von ihm scheiden hatte lassen, hatte Shaya ihm eine Tut-mir-schrecklich-leid-Karte geschickt. Was sie wirklich hatte sagen wollen, war: "Ganz schön doof, wenn man endlich das kriegt, was man verdient, stimmt's?" Natürlich konnte man so eine Karte nirgendwo kaufen - was für sie den Ausschlag gegeben hatte, eigene Karten zu machen. Das Anti-Card-Geschäft boomte. Anscheinend gab es jede Menge Leute, die jemandem - durch die Blume - mal so richtig die Meinung sagen wollten.
Sie arbeitete achtzig Stunden in der Woche, aber es machte sich bezahlt. Dank beliebter Karten wie "Mir geht's total schlecht ohne dich - es ist fast so, als wärst du hier" und "Ein nettes Wort und eine Waffe bringen dich weiter als ein nettes Wort allein" konnte sie dreiundzwanzig gleichgesinnten Frauen einen Arbeitsplatz bieten. Ausserdem verdiente sie mehr, als sie sich in ihren kühnsten Träumen je vorgestellt hatte.
Das Leben hatte sich für das komisch aussehende kleine Mädchen, das die Erwartungen seiner Eltern immer enttäuscht hatte, endlich zum Guten gewendet.
"Sie dürfen die Braut jetzt küssen", sagte der Pfarrer.
Gott sei Dank. Shaya atmete erleichtert auf und konnte sich endlich entspannen. Bald würde sie im Flieger nach Cincinnati sitzen und wieder in ihre ruhige, kleine Wohnung zurückkehren.
Wo kein Liebesschmalz sie nervte. Wo nicht mal eine Katze störte.
Unter fröhlichem Applaus gab der Bräutigam mit den gelifteten Augenbrauen und den aufgespritzten Wangen Shayas Mom einen feuchten Schmatz auf den Mund. Das strahlende Paar drehte sich um und schritt, begleitet von Harfenklängen, den Mittelgang entlang. Shaya ging unauffällig ein paar Schritte zum Meer, weg von der Menge. Jetzt, da alle zum Hochzeitszelt strömten, rückte ihre Freiheit in greifbare Nähe.
Sie hatte ihre Tochterpflicht ( wieder mal) getan und es gab keinen Grund mehr zu bleiben. Ausserdem wollte sie so schnell wie möglich raus aus diesem scheuernden Muschelbikini und dem kratzenden Baströckchen.
"Wo willst du hin, Dummerchen?", fragte eine der anderen Brautjungfern und packte Shaya mit überraschend hartem griff am Arm. "Wir müssen uns doch fotografieren lassen und die anderen Gäste bedienen."
Die Tortur war also noch nicht vorbei. Shaya stöhnte.
Nach einer Stunde braven Posierens für den Fotografen - der irgendwann aufgegeben hatte, ihr ein Lächeln entlocken zu wollen - machte sie sich daran, den Champagner schlürfenden Gästen, die sich bei der Hochzeitstorte anstellten, ihre Tortenstücke auf den Teller zu legen. Ein paar Leute versuchten, mit ihr ins Gespräch zu kommen, fanden sie aber ( wie sie vermutete) zu kurz angebunden und gaben schnell wieder auf.
Wann ist das endlich vorbei? Ich will bloss nach Hause. Doch jetzt kam die Schlange, in der sich die Leute anstellten, ins Stocken. Grrrr. Sie schaute auf. Ein Mann hatte sein Dessert schon bekommen, ging aber nicht weiter, sondern starrte sie unentwegt an. Musterte sie.
"Kann ich ihnen helfen?", fragte sie.
"Ich hätte gern ein Stück von dir, wenn du es mir persönlich servierst." Mit einer Hand balancierte er seinen Teller, in der anderen hielt er sein Champagnerglas. Seine grünen Augen funkelten frech.
Er trug ein weisses Hemd, das er am Kragen aufgeknöpft hatte, eine schwarze Fliege, die er ebenfalls gelockert hatte und eine enge schwarze Hose. Seine blonden Haare waren perfekt geschnitten, keine Härchen am falschen Platz. Ein Trauzeuge, wie ihr jetzt wieder einfiel.
"Sir, Sie halten die Schlange auf." Sie bemühte sich, kühl zu klingen und eine strenge Miene aufzusetzen und machte sich dann wieder daran, Tortenstücke auf Teller zu legen. Sie hatte früh gelernt, dass man die Leute am besten von Anfang an auf Distanz hielt. Und wenn jemand sie dafür hasste, war ihr das auch egal. Sie durfte sich nicht einmal einen Hauch freundlicherer Gefühle erlauben, denn das hatte nichts als Enttäuschung, Zurückweisung und ein gebrochenes Herz zur Folge. "Gehen Sie weiter. Los."
Der Mann reagierte nicht. "Ich glaube, ich sollte mich vielleicht..."
"Shaya, Schätzchen!", rief ihre mutter beschwingt. Die Duftwolke ihres teuren Parfüms vermischte sich mit dem zuckersüssen Geruch der Torte, als sie auf Shaya zuschwebte.
"Ich bin froh, dass du deinen neuen Stiefbruder Preston schon kennengelernt hast."
Stiefbruder? Nicht noch einer. Da sah man mal, wie wenig Kontakt Shaya in den vergangenen Jahren mit ihrer Mutter gehabt hatte, Sie hatte nicht gewusst, das Gemahl Nummer sechs eigene Kinder hatte. Sie hatte ja selbst ihren neuen Daddy erst eine Stunde vor der Hochzeit kennengelernt.
Shaya warf Preston einen flüchtigen Blick zu. "Ich bin nie gut mit anderen Kindern ausgekommen", sagte sie, um ihren barschen Worten von eben die Schärfe zu nehmen. Aber das war's auch schon. Mehr sagte sie nicht.
"Davon habe ich schon gehört", antwortete er und lachte.
Wenn er so lachte wie jetzt, war er sogar noch attraktiver. Sie schaute weg, nahm zwei Teller und gab sie den Gästen hinter ihm. "Hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Preston, aber ich muss jetzt wirklich weitermachen."
In diesem Augenblick begann die Band, ein langsames, romantisches Lied zu spielen. Preston hatte den Wink mit dem Zaunpfahl immer noch nicht verstanden und rührte sich nicht von der Stelle. "Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas je sage, aber würdest du mit mir tanzen, Schwesterlein? Wenn du hier fertig bist, natürlich."
Sie machte den Mund auf, um Nein zu sagen, aber es kam kein Ton über ihre lippen. Sie wollte, wie sie merkte, eigentlich lieber Ja sagen. Obwohl ihre Stiefbrüder und schwestern wahnsinnig oft wechselten und sie diesen Mann höchstwahrscheinlich nie wiedersehen würde, wollte sie Ja sagen. Nicht etwa weil sie sich zu Preston hingezogen fühlte oder so, sondern weil er alles repräsentierte, was se sich immer verwehrt hatte. Und was ich mir weiterhin verwehren muss. Sicherheitshalber.
"Nein", sagte sie. "Also wirklich...Nein." Sie widmete sich wieder der Torte.
Ihre Mutter lachte nervös. "Kein Grund, so unhöflich zu sein, Shaya. Ein Tanz wird dich schon nicht umbringen."
"Ich sagte Nein, Mutter."
Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. "Du da", sagte ihre Mutter schliesslich energisch und zeigte auf eine der anderen grässlich angezogenen Brautjungfern.
"Übernimm die Torte. Shaya, komm mit."
Starke Finger schlossen sich um Shayas Handgelenk. Im nächsten Augenblick wurde sie aus dem Festzelt gezogen und zum Meer hinuntergezerrt. Jetzt geht das wieder los... Shaya seufzte. So lief es immer. Jedes Mal, wenn sie und ihre Mom gezwungenermassem aufeinandertrafen, machte Tamara eine Szene und Shaya wurde wieder mal daran erinnert, was für eine Enttäuschung sie doch war.
Oh Gott, darauf kann ich jetzt wirklich verzichten. Der feuchte Sand schob sich in ihre Sandalen und zwischen ihre Zehen und eine warme, salzige Brise wehte ihr das Baströckchen um die Knie. Mondlicht erhellte den Strand und die sanften Wellen rauschten beruhigend.
Die samtbraunen Augen ihrer Mom - genau die gleichen wie ihre eigenen - verengten sich ein wenig. Tamara liess Shayas Hand los, als könne man von der Berührung vorzeitig falten kriegen. "Du behandelst meine Gäste so, als hätten sie eine ansteckende Krankheit."
Shaya schlang ihre Arme um ihren Oberkörper. "Wenn du mich ein bisschen kennen würdest", sagte sie leise, "wüsstest du, dass ich alle Leute so behandle."
"Es interessiert mich nicht, wie du alle anderen behandelst! Aber hier wirst du jeden, auch Preston - nein, besonders Preston - , mit Respekt behandeln. Hast du mich verstanden? Tu einfach ein paar Stunden so...", sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, "... als hättest du ein Herz."
Das tat weh. Sehr weh. Shaya zwang sich dennoch zu einem Lächeln. "Warum gehst du nicht zu deinem neuen Mann und lässt dich von ihm beruhigen? Wenn du dich so ärgerst, bist du bald verschrumpelt wie eine Rosine."
Ihre Mom japste entsetzt nach Luft und betastete - auf der Suche nach Krähenfüssen - ihre Augenpartie. "Ich habe mir gerade Botox spritzen lassen. Sieht man etwa eine Falte? Oh Gott, sieht man eine Falte? Ich kann meine Augenbrauen nicht hochziehen, um es zu testen - die Muskeln funktionieren nicht richtig."
Shaya verdrehte die Augen. "Sind wir jetzt fertig?"
Ihre Mom stampfte mit dem Fuss auf. "Ich habe endlich die Liebe meines Lebens gefunden. Warum kannst du dich nicht für mich freuen?"
"Hallo? Das ist die sechste Liebe deines Lebens."
"Na und? Ich habe in der Vergangenheit ein paar Fehler gemacht. Das ist immer noch besser, als aus Angst, verletzt zu werden, vor jeder Beziehung zu flüchten, so wie du es tust." Sie machte eine Pause und reckte ihr Kinn empor. "Du vergraulst jeden Mann, Shaya. Du gehst mit keinem aus."
Nein, das tat sie nicht. Nicht mehr. Was man alles tun musste, um zu dem märchenhaften Glücklich-bis-ans-Ende-ihrer-Tage zu gelangen, war ihr immer schon suspekt gewesen. Aber früher einmal hatte sie es sehr wohl mit Dates versucht. Und schnell festgestellt, dass die Männer nie anriefen, wenn sie versprachen anzurufen. Sie hatten sich nie für sie als Menschen interessiert. Nur dafür, sie ins Bett zu kriegen. Ausserdem hatten sie immer anderen Frauen hinterhergeguckt.
Männer logen, betrogen und benutzten einen. Und waren der Mühe nicht wert.
Shaya wickelte sich eine Bastfranse um den Finger. "Ich wünsche dir nur das Allerbeste für deine neue Ehe, Mutter. " Es hatte keinen Sinn, die alten Sachen schon wieder aufzuwärmen. "Und jetzt fliege ich zurück nach Hause."
"Du fliegst nirgendwohin, ehe du dich nicht bei Preston entschuldigt hast." Tamara fuchtelte mit dem Zeigefinger vor Shayas Gesicht herum. "Du hast ihn schäbig behandelt und das toleriere ich nicht. Ich toleriere es nicht, hast du gehört?"
Se hatte ihn wirklich schäbig behandelt und sie hatte ein schlechtes Gewissen deswegen. Aber sie würde sich nicht entschuldigen. Daraus würde sich ein Gespräch entwickeln. Aus dem Gespräch würde sich eine Freundschaft entwickeln und bei einer Freundschaft entwickelten sich Gefühle. Und Gefühle führten letztendlich zu all dem, was Shaya unbedingt vermeiden wollte. "Erwartest du allem Ernstes, dass ich mir von dir als Mutter etwas befehlen lasse? Jetzt? Nachdem ich von Kindermädchen grossgezogen wurde?"
"Eigentlich schon", kam die etwas zögerliche Antwort.
"Du hast anscheinend was vergessen. Ich bin doch die Eisprinzessin von Bitterslowakien, die Grossfürstin von Bitterreich und die Königin von Bitterland. Hast du mich nicht all die Jahre so genannt?"
Von fern war das sanfte Platschen einer brechenden Welle zu hören.
"Ich hätte wissen müssen, dass du dich danebenbenimmst", zischte ihre Mutter . Sie strich sich mit einer genervten Handbewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht und starrte aufs Meer hinaus. "Alles was ich mir immer gewünscht habe, war eine nette, normale Tochter. Stattdessen habe ich dich am Hals. Du bist erst glücklich, wenn du meine Hochzeit ruiniert hast."
"Welche?", sagte Shaya trocken und versuchte zu ignorieren, wie verletzt sie war. Der eisige Gefühlspanzer , mit dem sie sich normalerweise umgab, war ihr viel lieber. Dieser Panzer war als Kind ihre Rettung gewesen, hatte sie vor Trostlosigkeit und Depression bewahrt und ihr geholfen, sich ein erträgliches, wenn nicht gar zufriedenstellendes Leben aufzubauen.
"Alle, verdammt." Tamara sah sie nicht an, sondern starrte weiter aufs Meer hinaus. Wieder ereklang ein Platschen, diesmal näher. "Du bist eifersüchtig auf mich und deshalb willst du nicht, dass ich glücklich bin. Jedes Mal, wenn ich kurz nicht, davorstehe, tust du etwas, um mich zu verletzen."
Von allen Dingen, die ihre Mutter gesagt hatte, tat dieser Satz am meisten weh. Immerhin war Shaya hier, weil sie wollte, dass ihre Mutter glücklich war. Sie hatte ihre Mutter nie aus ihrem Leben verbannt, weil sie ihr - trotz allem - nicht egal war. Das Mädchen, das sonst niemanden an sich heranliess, wollte immer noch Anerkennung seiner Mutter. Würg "Gib nicht mir die Schuld, wenn du unglücklich bist. Dafür bist du ganz allein verantwortlich."
"Connar und ich wollten diesen Tag perf..." Tamara brach ab, ihre Augen weiteten sich und ihr Blick hatte plötzlich etwas Verklärtes, Sehnsüchtiges an sich. "Perfekt." Sie seufzte verträumt. "Hmmm. So Perfekt."
Ihre Stimme klang jetzt wie ein laszives Schnurren, fast so, als wollte sie sich die Kleider vom Leib reissen und nackt im Mondschein tanzen. Shaya sah sie verwirrt an. "Äh,hallo? Wir streiten gerade."
"Mann." Aus Tamaras Mund klang das Wort fast magisch, nach Leidenschaft und geheimen Fantasien. "Mein Mann."
"Wovon redest du?" Shaya schaute aufs Meer hinaus. dann blieb ihr vor Schreck der Mund offen stehen.
Da draussen tauchten gerade sechs beeindruckend grosse, muskulöse Barbaren wie antike Meeresgötter aus dem Wasser auf. Der Mond hinter ihnen umgab sie mit einer Art goldenem Heiligenschein. Jeder von ihnen hatte ein Schwert, ein waschechtes Ich-hacke-dich-gleich-in-eine-Million-Stücke-Schwert in der Hand, aber seltsamerweise beunruhigte Shaya ihr Anblick nicht. Ausserdem hatten sie bewusstlose Männer in Tauchanzügen dabei, die sie entweder unter dem Arm trugen oder sich über die Schulter gelegt hatten. Auch das beunruhigte Shaya nicht.
Die Krieger hatten keine Hemden an, dafür allesamt einen Waschbrettbauch und einen dermassen gebräunten, durchtrainierten Oberkörper, dass es so aussah, als hätte jemand flüssiges Gold über Stahl gegossen. Ihre Gesichter waren so schön, dass jedes männliche Supemodel vor Neid erblasst wäre.
Unglaublich... Unwirklich... Umwerfend.
Shaya schluckte und ihr Herz setzte einen Takt aus. Sie hatte das Gefühl, als würden in ihrem Inneren heisse Flammen emporzüngeln. Alle sechs Krieger sahen sie plötzlich so an, als wäre sie ein leckerer Snack, den sie sich auf der Stelle einverleiben wollten. Merkwürdigerweise hätte sie sich liebend gern nackt auf einen Tisch gelegt und ihren Körper als Abendbuffet angeboten. All you can eat. Gratis.
Sie leckte sich über die Lippen. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, ihre Haut prickelte und ihr Magen zog sich zusammen. Ich bin ja richtig angetörnt. Warum zur Hölle bin ich angetörnt? Die wichtigere Frage allerdings war: Warum ergriff sie nicht die Flucht?
Sie kamen immer näher. So nahe, dass Shaya die silbernen Wassertropfen über die haarlosen männlichen Oberkörper und in ihre sexy Nabel laufen sah. Das Wasser lief weiter hinunter, noch weiter....
Krieg dich wieder ein, du dummes Huhn, sachte sie verwirrt. Dann fiel ihr Blick auf den Mann in der Mitte und sie erstarrte. Vergass zu atmen. Gefährlich, sagte ihre Innere Stimme. Tödlich. Er war grösser als die anderen und ihm hing die nassen, dunkelblonden Haare in sein teuflisch schönes, faszinierendes Gesicht. Seine Augen... Oh Gott, seine Augen. Sie waren blaugrün - nicht blaugrün, sondern zweifarbig - , und sein Blick war so verführerisch und sexy, dass Shaya sich wie magisch, angezogen fühlte. Ihre Nippel wurden hart und zwischen ihren Beinen pulsierte es sehnsüchtig.
Er hatte etwas Verwegenes an sich, etwas Ungezähmtes und Wildes und strahlte das gelassene Selbstbewusstsein eines Mannes aus, der tat, was immer er wollte. Und als sie ihn anstarrte, starrte er zurück. Für einen Moment war sein Blick so feurig, so Leidenschaftlich, dass das Blau-Grün seiner Augen zu einem funkelnden Türkis verschmolz. Doch der lüsterne Blick verwandelte sich schnell in einen leicht verärgerten.
War er wütend? Böse? Auf sie?
"Mein Mann", hauchte ihre mutter, die sich immer noch in einer Art Trance zu befinden schien. "Meiner ganz allein."
Die Männer marschierten ans Ufer und liessen die immer noch bewusstlosen Taucher in den Sand fallen. Die Krieger in der Mitte bedeutete Shaya, zu ihm zu kommen. Obwohl sie immer noch ganz im Bann seiner überwältigend männlichen Ausstrahlung stand, schaffte sie es, den Kopf zu schütteln. Geh zu ihm, flehte ihre - geile - innere Stimme. Sie schüttelte noch einmal den Kopf, diesmal energischer.
Der Mann runzelte die Stirn. "Komm her", sagte er mit einer Stimmer, die wie ein raues Flüstern zu ihr herüberwehte und so erregend wie ein erotisches Streicheln war.
Ihr lief ein heisser schauer über den Rücken, der so intensiv war, dass sie fast auf die Knie fiel. Was würde passieren, wenn er sie wirklich berührte? Was würde geschehen, wenn er mit diesen sinnlichen rosa Lippen jede Rundung und Vertiefung ihres Körpers küsste?
Schluss jetzt, Shaya, befahl ihre - schwache - Stimme der Vernunft. Es reicht.
"Komm her", wiederholte er.
"Ja", sagte ihre Mutter, die den Männern bereits entgegenging. Das verträumte Schimmern in ihrem Blick hatte eine lüsterne Dimension angenommen. "Ich muss dich berühren. Bitte lass mich dich berühren."
Der Teil von Shaya, der erkannte, dass diese Männer gefährlich waren, wusste auch, dass irgendetwas mit ihrer Mom - und mit ihr selbst - nicht stimmte. Und dennoch schien es ihr egal zu sein. Sie fühlte sich wie benebelt.
"Kämpf dagegen an", sagte sie sich. "Egal, was es ist, kämpf dagegen an." In Gedanken versuchte sie mit aller Macht, die Bilder wegzuschieben, die sie plötzlich vor ihrem geistigen Auge sah: sie und dieser Mann, beide nackt, ineinander verschlungen, sein Mund auf ihren Brüsten, seine finger, die sich in sie schoben, ihre Beine, die sich spreizten, damit er leichter zu ihr fand....
"Nein. Nein!" Kaum hatte sie die Worte geschrien, spürte sie eine merkwürdige Gelassenheit. Eine vertraute kalte Mauer schloss sich um ihr Herz und schob alles beiseite - bis auf den Impuls zu fliehen.
Diese Männer, wer - oder was - auch immer sie sein mochten, waren gefährlich und ihre Absichten offensichtlich nicht gut. Sie hatten Schwerter, Herrgott noch mal und gierten eindeutig nach irgendetwas. Ob ihnen der Sinn nach Sex oder nach Töten stand, wusste sie nicht.
Sie waren schon fast vor ihr.
Ängstlich packte sie Tamara am Arm und riss sie zurück.
"Halt dich fern von ihnen."
"Muss... berühren."
"Wir müssen Hilfe holen. Wir müssen die anderen warnen. Wir müssen irgendwas tun!"
"Lass mich los." Tamara versuchte verzweifelt, Shayas Hand abzuschütteln. "Ich muss..."
"Wir müssen zum Zelt zurück. Los komm!" Shaya rannte los und zerrte ihre Mutter hinter sich er zum Hochzeitszelt... zu den lachenden Stimmen, der sanften Musik und den ahnungslosen Gästen.
Im Luafen wagte sie einen schnellen Blick über die Schulter. Die Männer waren ihnen auf den Fersen und ihre Augen funkelten gierig und lüstern.
"Helft uns!", schrie sie, riss den Zeltvorhang auf und stürmte hinein. "Jemand muss schnell die Polizei verständigen!"
Niemand hörte sie. Alle waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich zur Musik hin und her zu wiegen oder sich - dank kostenlosen Alkohols in rauhen Mengen - sinnlos betrinken.
"Lass mich los", rief ihre Mutter wieder. As das noch immer nichts half, biss sie Shaya mit ihren spitzen Zähnen in den Arm.
"Verflucht noch mal!" Shaya tat das Einzige, was ihr spontan einfiel: Sie stellte ein Bein hinter einen Fuss ihrer Mutter und versetzte ihr einen Schubs, sodass die Braut rücklings gegen den Tisch taumelte, auf dem die Desserts standen. Kuchen, Törtchen und Tabletts landeten auf dem Boden, aber wenigstens blieb ihre Mutter erst mal still auf dem Tisch liegen, um wieder zu Atem zu kommen.
Zahlreiche Gäste starrten erst Shaya an, dann die gefallene Braut. Alle rissen die Augen auf - manche verdutzt, manche erschrocken, aber die meisten belustigt.
"Da draussen...", Shaya deute in die Richtung, aus der sie gekommen war, "...sind Männer. Gefährliche Männer. Mit Schwertern. Hat irgendwer hier eine Waffe? Hat jemand die Polizei gerufen?"
Ihre Mom, die sich inzwischen von ihrem Sturz erholt hatte, sprang auf und drängte sich unter Einsatz ihrer Ellbogen durch die Menge zum Ausgang. Die roten Flecken, die der Zuckerguss auf ihrem Zehntausend-Dollar Kleid hinterlassen hatte, schien sie nicht einmal zu bemerken. "Ich brauch ihn. Lasst mich zu ihm."
"Tamara?", sagte ihr frisch gebackener Ehemann fassungslos, lief zu seiner BRaut und nahm sie in den Arm. Als sie sich von ihm losriss, sah er sie besorgt an. "Was ist los mit dir, mein Kätzchen?"
"Ich brauche... ihn." Das letzte Wort klang wie ein entrücktes, glückliches Seufzen.
Die sechs Meeresgötter hatten den Vorhang des Zelteingangs zur Seite gezogen und kamen herein. Die Musik verstummte und die männlichen Gäste duckten sich, als würden sie damit rechnen, jeden Moment zu sterben. Die Frauen seufzten selig, gingen sofort auf die Krieger zu und streckten sehnsüchtig die Hände nach ihnen aus.
"Verschwindet", zischte Shaya. "Wir sind bewaffnet. Wir haben Knarren ... und ... anderes gefährliches Zeugs."
Die Krieger sahen sich suchend unter den Gästen um, musterten jeden von Kopf bis Fuss, bis die Blicke aller sechs Augenpaare schliesslich an Shaya hängen blieben. Sie fing an zu zittern und ihr wurde heiss. Bilder von nackten Körpern begannen wieder durch ihren Kopf zu tanzen. Schweissnasse Haut, glänzend, gerötet vor Erregung...
Nicht schon wieder! Sie schob die Bilder energisch weg. Wer waren diese Männer? Wie machten sie das? Wie schafften sie es, dass sie am liebsten vergessen wollten wer und was sie war, um sich auf der Stelle den sinnlichen Freuden hinzugeben, die diese Kerle ihr - wie sie instinktiv ahnte - bereiten würden?
Shaya kämpfte gegen die Panik an, die sich in ihr breitmachte, hob rasch das Tortenmesser vom Boden auf und richtete es drohend auf die Männer. An ihrer Hand klebte Zuckerguss, ihr Herz raste. Auf der Highschool hatte sie ein paarmal mit ihren Stiefgeschwistern gerauft. Ja, das waren unangebrachte Versuche gewesen, sie auf Distanz zu halten, damit sie nicht anfing, sie zu mögen, nur um sie ein paar Monate später wieder zu verlieren. Ein paar dieser Kämpfe hatte sie sogar gewonnen. Allerdings waren ihre Brüder und Schwestern unbewaffnet gewesen - und hatten auch nicht so viele Muskeln wie zwei miteinander verschmolzene Bodybuilder.
Der Krieger in der Mitte - der atemberaubende blonde Riese, der sie am Strand gerufen hatte - winkte sie erneut zu sich. Er wirkte jetzt noch animalischer und erotischer. In dem hell beleuchteten Zelt konnte sie den Silberring an einem seiner Nippel wippen sehen.
"Komm", sagte er.
Alles in ihr schrie danach, ihm zu gehorchen, zu ihm zu laufen, an diesem Silberring zu saugen und sich an seine Erektion zu pressen. Doch sie schluckte und schüttelte den Kopf. "Nein." Erektion. Gott, sie hatte nicht einmal dorthin geguckt und wusste trotzdem instinktiv, das er eine hatte.
Seine verführerischen Lippen verzogen sich zu einem teuflischen Grinsen, als würde ihm gefallen, dass sie ihm nicht gehorchte. "Es wird mir ein Vergnügen sein, dich davon zu überzeugen, dass du einen Fehler machst."
Oh, ja. Es gefiel ihm.
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