Kapitel 6
Das hier, das hier und das hier, hier hinein und die Mappe dort hinein. Leicht erschöpft lege ich die letzten Unterlagen in die Schublade und fahre meinen Laptop herunter. Ich nehme meine Tasche und verlasse mein Büro, welches ich immer noch nach den ersten Stunden hier bestaunte.
Ich hatte endlich Feierabend und würde mich am liebsten sofort in mein Bett legen.
Grace sitzt immer noch am Empfangstresen, während die anderen schon längst Feierabend gemacht hatten. Nur noch wir beide sind da. Ob Mr. Harvering auch noch da ist?
Immer noch schwebt mir der Moment aus dem Kopierraum vor. War das normal? Wie er mich angesehen hatte und wie er mir plötzlich so nahe gekommen war... Dieser Geruch...Hmmm. Ich würde ihn überall wieder erkennen.
Ein Flair von Vanille...
Es ist ein pures Geruchserlebnis gewesen und so sinnlich verführerisch, dass ihm wohl keine Frau widerstehen konnte.
Ich muss mich von diesem Mann fernhalten.
Ich ertappe mich selbst dabei, wie ich immer noch vor der Glastür stehe und mich an den Moment zurückerinnere. Noch ein Mal diesen Geruch erleben und...
,, Liebes?" Mitten in meinen Träumereien werde ich von Grace in die Realität zurückgeholt, indem sie mir auf die Schulter tippt.
,, Grace. Haben Sie noch kein Feierabend?"
Verwundert schaue ich sie an.
,, Irgendjemand muss hier ja bis zum Schluss die Stellung halten." Sie lächelt müde. ,, Gehen Sie nach Hause, Liebes."
Ich fahre mir durch die Haare und seufze müde. Das der erste Tag so anstrengend werden würde, hatte ich nicht vermutet.
Mittlerweile ist es schon dunkel geworden. Im Dunkeln U- Bahn zu fahren, bereitete mir nicht wirklich Freude...
Zudem ist noch Rush Hour. Als Kind hatte meine Mum mir immer verboten, im Dunkeln U-Bahn zu fahren. Sie hatte schon immer einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, der manchmal auch etwas zu weit ging.
,, Sie sollten auch nach Hause gehen."
,, Machen Sie sich keine Gedanken um mich. Ich mache das immerhin schon seit 25 Jahren hier." Sie lächelt. Doch ein bisschen Müdigkeit kann ich auch in ihren Augen erkennen. Auch wenn ich sie nicht zum gehen überreden kann, breitet sich die Müdigkeit in mir immer mehr aus, so dass mir vermutlich in den nächsten paar Minuten die Augen zufallen werden. Meine Beine fühlen sich träge und schwer an, und ich bezweifle, dass meine Beine es noch bis zur nächsten U-Bahn schaffen.
Mit einem Lächeln und einem müden "Auf Wiedersehen", verabschiede ich mich von Grace und warte auf den Aufzug. Noch nie bin ich so glücklich über einen Fahrstuhl gewesen. Treppen laufen würde mir jetzt noch den Rest geben.
Während sich die Fahrstuhltüren öffen, drehe ich mich noch einmal kurz zu Grace um, die mittlerweile wieder an ihrem Schreibtisch sitz, und winke ihr zu, ehe sich die Türen hinter mir schließen. Wie lange sie wohl noch bleiben wird? Das fragst du dich doch jetzt nicht ernsthaft, Skye...
Doch ich bin so müde und denke dementsprechend über jeden banalen Gedanken nach, der mir gerade in den Sinn kommt, obwohl es vielleicht nicht die beste Idee ist. Meine Augen werden immer schwerer, und die Müdigkeit scheint mich so zu übermannen, dass ich Angst habe, jetzt im Fahrstuhl meinen wohlverdienten Schlaf zu halten, und mein Rücken mich am nächsten Tag mit den dazugehörigen Rückenschmerzen bestrafen würde. Nein, danke.
Endlich unten angekommen, öffnen sich die Türen. Mit langen Schritten schreite ich durch die Lobby. Niemand scheint mehr hier zu sein bis auf die Dame am Empfangstresen, deren Augenringe bis hier hin deutlich zu erkennen sind.
Ich nicke ihr kurz freundlich zu und verlasse das Gebäude. Ein milder, aber dennoch etwas kühler Wind weht schwach und bläst mir kleine Strähnen ins Gesicht. Was würde ich jetzt für eine dünne Jacke geben?...
Sanft streiche ich mir mit meinen Händen über meine Arme, welches eine Gänsehaut zum Vorschein bringt. Als Kind hatte ich immer angefangen die Pünktchen zu zählen, die dabei entstanden. Ein leichtes Schmunzeln fährt mir über die Lippen, als ich mich daran zurückerinnere.
,, Na, was gibt es denn zu grinsen?" Ich zucke leicht zusammen, als ich eine Stimme neben mir wahrnehme.
Ein junger Mann, mitte zwanzig und kurzen blonden Haaren steht neben mir und lächelt mich an. Von seinem Kleidungsstil würde ich eindeutig darauf tippen, dass er schwul ist.
(Keine Vorurteile!)
Ich lächle zurück ,, Erinnerungen."
,, Ja, Erinnerungen können was ganz tolles sein.", verträumt schaut er Richtung Himmel, an dem sich inzwischen Sterne gebildet haben.
,, Wissen Sie, was ich glaube?" Immernoch schaut er hoch zu den Sternen und ich tue es ihm gleich. Ich schüttle den Kopf, auch wenn ich weiß, dass er es nicht sieht.
,, Das jeder Stern eine Erinnerung ist, die man mal erlebt hat. Gute sowie auch schlechte. Und das sie dort oben gut aufbewahrt werden, damit man sie immer noch hat, wenn man irgendwann einmal sich zu der anderen Seite des Horizonts begibt."
Noch nie habe ich darüber nachgedacht, doch es ergibt auf irgendeine Art und Weise Sinn.
,, Ach, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt." Er wendet sich mir wieder zu.
,, Ich vergesse das als vollkommen." Er verdreht seine Augen während er grinst. ,, Ich bin Jacque, freut mich Sie kennenzulernen."
Er streckt mir seine Hand entgegen, welche ich ergreife und kann nicht anders als zu lächeln. Auf irgendeine Weise wirkt er süß.
,,Skye. Die Freude ist ganz meinerseits."
,, Wie der Himmel", antwortet Jacque.
,, Nur, dass ich mit 'e' am Ende geschrieben werde." Nun lachen wir beide. Auch wenn er mir komplett fremd ist, fühle ich mich dennoch wohl.
Der Wind wird nun immer stärker. Langsam fange ich an zu zittern, meine Zähne knirschen und auch meine Zehenspitzen bleiben nicht verschont. Ich hätte es besser wissen müssen, dass man in London nicht einfach ohne Jacke aus dem Haus geht, vorausgesetzt es ist wirklich richtig warm, und das ist es Anfang Herbst nun mal nicht. Man o man, Skye...
Mit einem flüchtigen Blick auf die Uhr wird mir bewusst, dass ich schon seit zwanzig Minuten hier stehe und noch nicht einmal weiß, warum.
Jacque neben mir scheint für einen kurzen Moment in sein Handy vertieft zu sein und lächelt.
,, Ihre Freundin?" Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass er immer noch schwul ist, schadet es ja nicht, mal nachzufragen...
Immer so neugierig. Nanana.
Er hebt seinen Blick und schaut mich an. Ein Lachen widerfährt ihm.
,, Nein, meine Süße, ich habe keine Freundin."
Etwas verlegen schaue ich zu Boden, und bin froh, dass er im Dunkeln nicht sehen kann, wie rot meine Backen gerade anlaufen.
,, Suche auf einem ganz anderen Territorium." Er zwinkert.
,,Oh." Nun muss auch ich lachen, und hoffe sehr, dass Jacque nicht merkt, wie verlegen ich gerade wirke. Das hast du von deiner Neugier.
Ja, ist ja gut. Es ist einfach nur Karma.
,, Arbeiten Sie auch hier?" Erwartungsvoll schaue ich ihn an.
,, Gott, bitte sietze mich nicht, sonst fühl ich mich immer so alt. Bin doch erst 25." Spielerisch verletzt greift er sich ans Herz.
Ich kichere. Ich mag ihn jetzt schon, auch ohne zu wissen, wer er eigentlich ist.
,, Aber ja, ich arbeite hier. Gerade aufgestiegen zum Leiter des Consultings." Stolz strafft er sein Jacket. ,, Und du?"
,, Hatte heute meine ersten Arbeitstag hier im Bereich Wirtschaftspsychologie und bin ziemlich fertig", antworte ich gähnend.
Ein Pfeifen fährt ihm durch die Zähne.
,, Na sieh mal einer an. Ein kluges Köpfchen."
Ich schmunzle. Ich hatte dafür auch mehr als gebüffelt und bin sehr froh, dass die Zeit nun rum ist. Freizeit war ein echter Mangel.
Es wird immer dunkler und auch ich muss mich langsam auf den Weg machen, um heute überhaupt noch nach Hause zu kommen. Ich kenne mich. Beise ich mich einmal woran fest, ist es schwierig davon los zu kommen.
,, Bei der Dunkelheit willst du jetzt alleine U-Bahn fahren?" Verwundert schaut Jacque mich an. Er hatte indessen eine Mütze aufgezogen.
,, Laufen könnte sich als problematisch herausstellen." Ich kichere.
,, Komm, ich nehme dich mit." Mit einer Handbewegeung deutet er auf ein Auto, welches ein paar Meter von uns entfernt steht.
,, Das ist wirklich nicht nötig."
Doch er lässt mir keine Chance und zieht mich an meiner Hand hinter ihm her.
,, Man, bist du stur." Er schüttelt den Kopf.
Ich kenne diesen Mann nicht einmal eine Stunde und ehe ich mich versehe sitze ich in seinem Auto.
,,Das ist Freiheitsberaubung." Ich kann es nicht ernst sagen, denn Jacque zieht so eine Grimasse, die es mir unmöglich macht, nicht zu lachen.
,, Das ist Freiheitsberaubung", äfft er mich nach, aber in einer Stimmlage, die viel zu hoch ist. Als wir uns gegenseitig anschauen, prusten wir los.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal so gelacht habe. Es schien ewig her zu sein.
Ich nenne Jacque meine Adresse und keine 20 Minuten später sind wir da.
,, So die Dame, da wären wir." Mit seinem Arm lehnt er sich über mich und öffnet mir die Tür.
,, Danke." Ich lächle ihn an und steige aus.
Er grinst mich an und zwinkert mir zu als ich die Tür schließe.
,,Man sieht sich sicherlich", sagt er noch, ehe er auch schon davon rast.
Ich schüttel grinsend den Kopf. Verrückter Typ.
Mit schweren Schritten, öffne ich die Haustür und schließlich auch die Wohnungstür. Alles ist dunkel und Sam scheint nicht zu Hause zu sein, nur ihre verdammten Kartons stehen immer noch an der ein und selben Stelle. Ich wusste, dass sie sie niemals wegräumen würde. Dafür ist sie einfach viel zu faul. Vielleicht auch zu inkompetent, aber das kann man ihr ja nicht sagen.
Ich befreie meine Füße von den High Heels - was mehr als befriedigend ist - und laufe direkt in mein Zimmer. Vor lauter Müdigkeit schmeiße ich mich direkt drauf mein Bett, ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden mich auszuziehen und abzuschminken. Dafür habe ich jetzt nun wirklich keinen Nerv mehr.
Mit einem Lächeln auf dem Gesicht und den Gedanken an Mr. Havering schlafe ich schließlich ein.
Hey ihr Lieben,
es tut mir sooo leid, dass so lange nichts kam.
Mir sind einfach die Ideen ausgeblieben.
Aber eine gute Nachricht habe ich dennoch:
Ich habe schon mit dem nächsten Kapitel angefangen. :)
Was haltet ihr von Jacque? Also ich mag ihn definitiv.
Schreibt es mir doch in die Kommentare ⬇️
Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen, und wenn ja: Lasst gerne ein Vote und Comment da! 💕
Bis zum nächsten Kapitel.
Alles Liebe,
Eure Vanessa ❤
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top