Kapitel 4
Mit offenem Mund, aus dem mir leicht die Spucke hinausläuft, stehe ich mit gestrafften Schultern vor The Havering Company, während ich die Fensterfassade eingehend beobachte, deren Ende ich nicht erkennen kann, denn sie scheint mit dem Himmel zu verschwimmen.
Es ist einfach gigantisch.
Ich habe nicht einmal im Traum mir vorstellen können, vorne dran zu stehen und dabei von dem Ausmaß der Größe überwältigt zu werden, die das Unternehmen mit sich bringt.
Inzwischen komme ich mir noch kleiner vor, als ich es schon bin.
Fühle mich wie ein kleiner Käfer, der jeden Moment von einem Riesen zertrümmert werden könnte, ohne auch nur eine Chance zu haben, sich zu wehren, gar zu überleben.
Ein unwohles Gefühl steigt in mir auf.
Auf Anhieb drücke ich meine Tasche näher an die Brust.
Was ist, wenn ich nicht hier her passe?
Ich lasse meinen Blick umher schweifen. Alle sind vorzüglich gekleidet und machen den Anschein, mindestens zwanzig Jahre Berufserfahrung mitzubringen sowie eine gehobene Position zu besitzen, die sie in Wohlhabenheit schwimmen lässt.
Und dann stehe da ich. Klein, anscheinend nicht passend gekleidet und total irritiert.
Ich fühle mich wie an meinem ersten Tag an der Universität, die mein Leben verändern sollte, und auf die ein oder andere Weise tat sie es.
Je mehr ich darüber nachdenke, wie ich mich fühle, desto präsenter wird der Gedanke, dass ich hier nicht sein sollte. Womöglich sollte ich umkehren, und dem neuen Job den Rücken kehren.
Seufzend senke ich meine Schultern.
Er wusste es schon immer. Wusste, dass ich mir schwer tun würde neue Dinge anzufangen, ohne von Zweifeln verfolgt zu werden, die sich, genau so wie er, in meinen Kopf einnisten werden.
Aber ich darf mich nicht entmutigen lassen. Das ist meine Chance!
Ich will sie mir nicht entgehen lassen, nur weil mehrere Stimmen in meinem Kopf mich dazu drängen möchten. Es ist meine Gelegenheit mich aus den Fängen meiner Gedanken zu befreien.
Ich schüttle meinen Kopf, um diese banalen und unnötigen Gedanken zu verbannen und straffe die Schultern.
Kurz schließe ich die Augen und atme die frische Luft ein, um etwas Kraft zu tanken, ehe ich die riesengroße Glastür mit meinen kleinen, zierlichen Händen öffne.
Der Griff wirkt viel zu groß in ihnen.
Kontinuierlich versuche ich mir einzureden, dass ich es schaffen werde, wenngleich es nicht einfach ist, während ich durch die helle, eingangsfreundliche Lobby, an den vielen Menschen vorbei, auf den Fahrstuhl zuschreite.
Fahrstuhl fahren ist einfach ätzend. Man steht press aneinander, riecht den Schweiß der anderen, kann sich keine fünf Zentimeter drehen oder fortbewegen, ohne dass man seinen Gegenüber fast küssen würde, und kommt es zu einem Stillstand, drehen alle auf einmal durch und man denkt sich nur: Wieso bin ich nicht gelaufen?
Jedes einzelne Stockwerk wird nacheinander abgeklappert und mir kommt es so vor, als stünde ich hier schon seit Stunden drin.
Eine ältere Frau hinter mir, deren Parfum so penetrant riecht, dass ich mir unwillkürlich die Nase zu halten muss, fängt allmählich an, Panik zu bekommen, denn es wird immer enger, obwohl dieser Fahrstuhl überdurchschnittlich groß ist, und der Mann vor mir seufzt die ganze Zeit über genervt auf.
Mein Blick schweift zur Anzeige, die auf Stockwerk zweiunddreißig von zweiundfünfzig verweist.
Ungeduldig verteile ich das Gewicht abwechselnd auf meine Füße, die mit jedem Stockwerk ein wenig mehr kribbeln.
Zudem werde ich mit jedem Stockwerk, dass näher an das Zweiundfünfzigste kommt, ein bisschen nervöser. So nervös, dass mein Hände zu zittern beginnen.
Als sich die silbernen Fahrstuhltüren mit einem ,Ping‘ öffnen, wird mir unverzüglich flau im Magen. Nicht so sehr, dass ich das Gefühl habe, ich müsse mich gleich übergeben, aber so stark, dass ich augenblicklich zwischen den Türen verharre.
Meine Mitfahrer rufen mir zu, dass ich doch bitte aus der Tür treten soll, doch meine Füße wollen der Anweisung nicht Folge leisten.
Sie scheinen verankert.
,, Können Sie bitte den Fahrstuhl verlassen?!“, fordert ein älterer Mann nun etwas forscher und gibt mir einen kleinen Schubs, so dass ich nicht mehr zwischen drin stehe, woraufhin sie sich schließen.
Ich schlucke schwer.
Lasse meine Blick durch die Abteilung gleiten, die mit mehreren Glaswänden versehen ist, ehe ich einen Fuß vor den anderen setze und über den frisch polierten, weißen Boden schreite, hinüber zum Empfangstresen, hinter dem eine ältere Frau zum Vorschein kommt und in ihre Arbeit vertieft scheint.
Kleine, nachdenkliche Fältchen sind auf ihrer Stirn, die sie mit ihrer Hand stützt, abgezeichnet.
Als ich vor ihr stehe, hebt sie ihren Kopf und sieht mich mit ihren matt-grauen Augen an. Ein Lächeln bildet sich auf ihren schmalen, zart rosanen Lippen.
,, Hallo!“ Sie erhebt sich und reicht mir ihre schmale, zarte Hand, welche ich nur sachte drücke, denn ich habe Angst, dass sie bei zu viel Druck zerbricht.
,, Ich bin Mrs. Channing. Grace Channing. Was kann ich für Sie tun?“, fragt sie freundlich, obgleich sie diesen Satz schon einstudiert hat und mutmaßlich mehrere Male am Tag aufsagen muss.
Verhalten lächele ich Mrs. Channing an und streiche mir mit meiner zittrigen Hand eine Strähne hinter das Ohr.
,, Hallo! Mein Name ist Skye Chester.“ Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. ,, Heute ist mein erster Arbeitstag. Ich soll mich hier melden“, äußere ich, greife nach meiner Tasche und lege ihr die Papiere vor, die sie entgegen nimmt.
Mrs. Channing nickt einnehmend und schaut auf den ihren Bildschirm, bevor sie etwas eintippt.
Gebannt sehe ich dabei zu wie ihre Finger über die Tastatur fliegen und mit jedem Mal scheint sie ein bisschen schneller zu werden.
Allerdings wirkt sich die Schnelligkeit unwillkürlich auf meinen Herzschlag aus, der mir bis zum Hals schlägt.
Fest verschränke ich die Finger miteinander, um mir nicht anmerken zu lassen, dass mein komplettes Nervensystem gerade einen Zusammenbruch erleidet.
Ich schaue zu Mrs. Channing, die noch immer mit den Papieren beschäftigt ist.
Doch nach ein paar weiteren Klicken, sieht sie zu mir hoch.
,, Dann kommen Sie mal mit!“, entgegnet sie und läuft voraus. ,,Ich werde Ihnen alles zeigen" Sie schenkt mir ein Lächeln.
Mit meinen wackeligen Beinen folge ich ihr und versinke dabei in Gedanken. Ich hatte keine Erwartung, was auf mich zukommen wird, doch es übertrifft mit jedem weiteren Schritt meine Vorstellungskraft. Wenn es nicht die drei Meter hohen Glaswände sind, dann die Sauberkeit oder die immense Länge des Ganges, der kein Ende nehmen mag. Groß zu denken, scheint hier Motto zu se –
Unerwartet werde ich in meinem Gedankengang unterbrochen, als ich gegen Mrs. Channing remple, die stehen geblieben ist.
Peinlich berührt sehe ich zu Boden.
,,Oh Gott, es tut mir so leid!", stammle ich hastig und versuche mich zu entschuldigen, wobei ich einige Schritte nach hinten taumele, und mit Haaresbreite beinahe über meine eigenen Füße gestolpert wäre. Verflixt!
Zu meiner großen Überraschung scheint sie aber keineswegs sauer oder verärgert über meinem Ausrutscher zu sein, denn sie lächelt nur und legt ihre Hand auf meinen Arm.
,,Das macht doch nichts. An ihrer Stelle wäre ich genau so nervös, wenn ich meinen ersten Arbeitstag bei The Havering Company hätte.“ Sie schmunzelt. ,, Glauben Sie mir, ich bin so nervös gewesen, dass ich fast alles falsch aufgeschrieben habe," erklärt sie mir. ,, Das kam gar nicht gut an. Aber mit der Zeit passiert das einem weniger und man wird besser. Also machen Sie sich nicht so einen Kopf, alles richtig zu machen. Das werden Sie mit Übung innerhalb kürzester Zeit sowieso tun.“
Ich lächle zurückhaltend, wenngleich ich ihr nicht genug danken könnte, mir die Nervosität ein wenig genommen zu haben.
,,Sie werden hier schon zurechtkommen. Wieso hätte man Sie hier eingestellt, wenn Sie kein Potential hätten?" Sie macht eine kurze Pause, in der sie ein paar Schritte weiter läuft. Ich folge ihr.
,,Haben Sie Vertrauen in sich." Sie schaut mich mit einem warmen Blick an.
,, Danke sehr!"
,, Nichts zu danken, Liebes! Ich verstehe Sie sehr gut, und ich weiß aus Erfahrung, dass man immer eine Aufmunterung gebrauchen kann.“ Sie zwinkert mir zu. Ich mochte Sie schon jetzt.
Sie dreht sich um und bleibt stehen.
,,Das hier wäre dann ihr Büro," verkündet Mrs. Channing kurz darauf, während sie die große Glastür vor uns öffnet.
Erstaunt laufe ich an ihr vorbei, ins Innere des Raumes, und mir bleibt der Mund offen stehen, dass ich fast vergesse, wie man ihn wieder schließt.
Es ist nicht die Ausstattung, die sich aus einem Schreibtisch, der vermutlich mehr als mein teuerstes Möbelstück kostet, und einem der neuen Computern zusammensetzt, die mich so fasziniert, sondern der Ausblick, der einem fast ganz London zum Besten gibt.
In diesem Moment bin ich ziemlich froh darüber, keine Höhenangst zu haben.
Ich drehe mich wieder zu Mrs. Channing um, die in der Tür stehen geblieben ist, und stelle meine Tasche auf dem Tisch ab.
Ich seufze wohlwollend.
,, Ich weiß", sagt sie plötzlich, als sie meinen Gesichtsausdruck sieht. ,, Man kann sich daran einfach nicht satt sehen. Und mit jedem Mal überwältigt es einen ein bisschen mehr.“
Sie hat Recht. Ich werde mich vermutlich nie daran gewöhnen können. Und genau das, möchte ich auch gar nicht. Ich möchte sie immer wieder neu in mich aufsaugen können, um den Tag ein bisschen mehr mit Freude erfüllen zu können.
,, Sie werden sich hier schnell eingewöhnen. Nehmen Sie sich ein paar Minuten, um alles auf sich wirken zu lassen.“ Sie dreht sich um, stoppt aber. ,, Ich komme gleich mit ein paar Dingen, mit denen Sie heute anfangen werden.“
,, Danke", sage ich darauf an Mrs. Channing gewandt.
Sie schließt die Tür hinter sich und lässt mich alleine zurück.
Ich fühle mich überwältigt. Überwältig von der Aussicht, aber auch ergriffen von all den Emotion, die versuchen, alle einmal an die Reihe zu kommen. Ich weiß überhaupt nicht wohin mit all den Eindrücken, und weiß auch nicht, wie ich alles verarbeiten soll.
Meine Gedanken überschlagen sich, und mein Gehirn hat Schwierigkeiten diese alle so zu sortieren, dass sie einen Sinn ergeben.
Ich seufze. Ich wusste, dass es nicht einfach werden würde und schon gar nicht alles nach Wunsch ablaufen wird.
Nichtsdestotrotz kann es nicht die Freude trüben, die ich gegenüber dieses Jobs hege.
Es ist mein Trumpf ihm gegenüber.
Es ist mein Neuanfang zu etwas Besserem.
Zur Freiheit in meinem Kopf.
Hey ihr Lieben,
nach langer Zeit hört man auch mal wieder etwas von mir und das mit einem neuen Kapitel!😉
Ich hatte in letzter Zeit einfach sooo viel Klausurenstress und konnte deshalb nicht updaten.
Aber jetzt hab ich Ferien!
Ich hoffe, es gefällt euch. Lasst doch ein Vote und Comment da!
Bis zum nächsten Kapitel.
Alles Liebe,
Eure Vanessa ❤
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