Kapitel 16


Seit einer Woche sind die Temperaturen um mindestens zehn Grad gesunken. Von subtilen zwanzig auf zehn, die sich eher wie fünf anfühlen. Es ist Ende November. Die am Straßenrand stehenden Bäume haben ihre rot-orange gefärbten Blätter verloren, die zu Laub auf dem Boden geworden sind, und immer wenn ein Kind darin herumwühlt, die Mutter nebendran sich entweder aufregt, dass die Klamotten dreckig werden oder einfach seelenruhig daneben steht, ihrem Kind dabei zusieht, wie es Freude daran empfindet, blitzen mir alte Kindheitserinnerungen vor die Augen. Wie oft bin ich von Kopf bis Fuß dreckig nach Hause gekommen, meine Mum jedes Mal in der Küche gestanden und nur den Kopf geschüttelt hat, wenn mein Dad mich aus Spaß durch unser altes Sandsteinhaus in Tottenham gejagt hat, bei der eine Menge Dreck sich verbreitete?
Bei dem Gedanke daran steigt mir ein Lächeln ins Gesicht - das erste Mal seit ein paar Tagen. Wie unkompliziert und unbeschwert es doch war. Keine Bekümmernis so wie irgend welche Emails zu beantworten.

Mit dem Laptop vor mir, lese ich mehrfach den zugeschickten Anhang von Mr. Haverings Mail durch. Eine Woche ist vergangen seitdem ich das letzte Mal auf der Arbeit erschienen bin und somit auch die Mail, die schon längst hätte beantwortet sein sollen.
Direkt am nächsten Tag hatte ich eine Krankschreibung eingereicht, ohne jeglichen Grund dafür preiszugeben. Offiziell wegen des Treppensturzes und aus dessen resultierenden Prellungen, die es einem schwer machen sich munter und gut zu fühlen, und nur langsam zu verschwinden scheinen, aber es akzeptieren, dass ich sie loswerden möchte.
Mr. Havering hatte ein paar Mal versucht anzurufen, um sich zu erkundigen, ob es mir besser geht, jedoch hatte ich immer Sam vorgeschickt, die mit einem 'Den Umständen entsprechend' geantwortet hat. Nach drei Mal anrufen, hat er es dann auch aufgegeben.

Ich war nicht in der Lage ihm so stabil zu antworten, dass er es mir abkauft. Jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke wie es mir geht und weshalb es mir so geht, bricht meine Stimme zitternd zusammen.
Wie sehr wünschte ich mir, dass ich die Augen schließen kann und alles vorbei ist? Als Kind machte man die Augen zu und danach war es besser ohne, dass man sich darüber Gedanken gemacht hat, warum das gerade passiert ist.
Ich habe mir verboten darüber nachzudenken, auch wenn ich es nicht so unterdrücken kann, dass ich damit klarkomme. Je mehr ich es mir verbiete, desto mehr möchte mein Kopf es durcharbeiten.
Das einzig Gute in der Zeit: Meine Krücken bin ich losgeworden. Hätte ich gekonnt, wäre ich vor Freude in die Luft gesprungen, habe mich in letzter Sekunde aber dagegen entschieden.

Erneut überfliege ich die hinzugefügte Datei und reibe mir dabei ein paarmal die Augen, die sich nach knappen und leichten drei Stunden Schlaf nach Ruhe sehnten. Mehr ist durch ständiges Grübeln und Nachdenken nicht beirumgekommen.
Ich sitze aufrecht in einer weiten, gemütlichen Jogginghose und einem grauen langen Hoodie, der mich bei diesen Temperaturen warm hält auf einem der Barhocker am Küchentresen mit einer heißen Tasse Earl Grey Tea in der Hand, an der ich mir jedes Mal die Zunge verbrenne, wenn ich einen Schluck davon nehme. Jedes kleine Kind lernt, dass man keine heißen Sachen trinkt, Skye!
Ich umgreife die Tasse und verharre bei genauerem Lesen mit einem leicht perplextem Blick.
Würde ich ihm gegenüber stehen, hätte mein Mund von selbst 'geschlossen' gewählt, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Die Datei besteht aus einer zweiseitigen Einladung. Keine einfache Einladung. Sondern eine Einladung zu einem Wohltätigkeitsball an diesem Wochenende im The Dorchester. The Dorchester ist definitiv High Society zu der ich nicht ansatzweise gehöre.
Häppchenweise zerbreche ich mir darüber den Kopf - mit Fragen, die mich löchern, jedoch keine Antwort parat haben. Wieso ich? Bin ich für so etwas gemacht? Bin ich bereit dafür?

Unerklärliche Dinge brauen sich in meinem Kopf zusammen. Ich habe ihm noch keine Rückäußerung gesendet. Keine Antwort, ob ich sie annehme oder mich davor drücke. Jedoch stellt sich mir immer mehr die Frage, ob es zu meinem Job gehört.
Aufgeweckt steige ich vom Hocker herunter und krusche im Wandschränkchen nach den Vertragsunterlagen, die mir zugeschickt worden sind, und lese mir sorgfältig jede einzelne Zeile, wenn nötig auch doppelt durch, finde jedoch nicht wonach ich suche. Keine Anzeichen dafür, dass es eventuell zu meinem Job oder meiner Anstellung gehören könnte.

Ich lasse mich zurück auf den Hocker nieder, mit den Händen auf den Tresen gestützt und reibe mir die Falten von der Stirn, die sich nach längerem Zweifeln gebildet haben. Meine Hände sind inzwischen mit Kälte durchströmt und selbst die Teetasse, die noch immer glühend heiß ist, kann sie nicht erwärmen.

Erschöpft schließe ich für einen Moment meine dezent angeschwollenen Augen, um nach einer passenden Antwort für Mr. Havering zu suchen. Jedoch verkrampft sich bei dem Versuch immer wieder mein Magen. Ich sollte jetzt nicht hier sitzen und krübbeln, sondern eher Freude empfinden, dass ich überhaupt die Chance dazu bekomme, was ich mir als kleines Mädchen schon immer gewünscht habe. Jedoch passiert es nicht.

Ungeahnt bemerke ich wie sich der Schlüssel im Türschloss herumdreht, sodass sich meine Augen wieder für die Wirklichkeit öffnen. Mit gerunzelter Stirn schaue ich über meine Schulter. Sam sollte noch gar nicht von ihrem Seminar zurück sein oder hatte sie nur einfach vergessen, Bescheid zu geben, dass sie früher kommt? Es ist sicherlich nichts Neues, doch geistreich wäre das für meine jetzige Verfassung nicht.
Vorsichtig steige ich vom Barhocker und schleiche auf die andere Seite des Tresens. Möglichst geräuschlos öffne ich die unterste Schublade, um mich mit einer Bratpfanne im Falle eines Falls zu rüsten, auch wenn es sicher tausend bessere Ideen gibt, diese mir jedoch im Moment nicht einfallen.
Ich versuche meinen Atem zu entschleunigen, jedoch beschleunigt er sich mehr und mehr bei meinem kläglichen Versuch es zu verhindern. Ich fühle mich wie in einem schlechten Film, der nur gedreht wurde, um anderen eine Heidenangst einzujagen, mit einem Schauspieler, den man in den Keller verbannen sollte.
Mit festem Griff halte ich die Bratpfanne angewinkelt an mein Ohr und verstecke mich angelehnt an der Wand.
Wäre die Situation nicht so verdammt ernst, würde ich mir vermutlich den Arsch ablachen, wenn ich mich von außen betrachten würde. Wie viel Macht er über mich hat, wird mir erst jetzt bewusst klar, und es macht mir mehr Angst, als ich zugeben mag.

Bedächtig nähern sich die Schritte in Richtung Wohnzimmer und Küche. Selbst eine Stecknadel, die auf den Boden fällt, wäre jetzt lauter. Ich halte den Atmen an, während ich darauf warte, im besten Moment die Bratpfanne zum Einsatz zu bringen. Meine Hände beginnen leicht zu zittern, während ich innerlich um keine böse Überraschung bete.
,,Woohoo! Skye? Bist du hier? Bist du Zuhause?" Jacque tritt um die Ecke. Hätte er jetzt nichts gesagt oder ich ihn nicht direkt erkannt, hätte er eine gedonnert bekommen.
Verdutzt schaue ich ihn an, als die gesammelte Anspannung löst sich aus meinen Muskeln.
,, Wie zur Hölle kommst du bitte hier rein?" Ohne freundliche Begrüßung konfrontiere ich ihn direkt. Was macht er denn hier in meinem Apartment?!
,, Ich wollte schauen wi..." weiter spricht er nicht, denn als er auf meine Hand starrt, welche die Pfanne fest umklammert, blickt er geschockt auf.
,, Was hast du denn gedacht, wer hier eintrifft? Wolltest du mich etwa mit einer Bratpfanne erschlagen?! Da hät ich aber schon zum Baseballschläger gegriffen. Der donnert wenigstens so richtig ein. Also so temperamentvoll hatte ich dich jetzt nicht in Erinnerung", stellt er gegen Ende belustigt fest, auch wenn mir überhaupt nicht zu lachen zumute ist. Er hat mich, ohne es zu wissen, in einen Angstzustand versetzt.
Ich stoße die angestaute Luft aus und trete ein paar Schritte zurück, um die Pfanne abzustellen.
Mit gesenkten Schultern und die Hände in die Hüfte gestemmt, blicke ich wieder zu Jacque auf. Der Laptop steht noch immer offen auf dem Küchentresen mit freier Sicht auf Mr. Haverings Einladung.
,, Wie bist du hier reingekommen?", frage ich ihn aus Neugier, stelle mich aber so hin, dass er nicht auf den Bildschirm spähen kann. Er würde ausflippen.
,, Deine Mitbewohnerin - ich weiß gerade nicht mehr wie sie heißt..." Er grübelt nach und steckt die Hände in seine hellgraue Anzugshose, die perfekt mit seinem weißen Hemd und roter Krawatte matched.
,, Sam" rufe ich hinein und stelle mir schon das Schlimmste vor meinem innerlichen Auge vor.
,, Ja, genau. Sie hat mir ihren Schlüssel in die Hand gedrückt, als ich gefragt habe, ob ich vorbeischneien kann, weil ich nichts mehr von dir gehört habe. Sie meinte, du wirst nicht aufmachen, wenn jemand klingelt." Er verlagert sein Gewicht auf den linken Fuß und schaut skeptisch drein, so als würde er etwas ahnen, jedoch nicht genau schlau daraus werden.

Sie hat recht. Mit jedem Klingeln bekomme ich Angst, dass er vor meiner Tür steht und die Vergangenheit mehr und mehr aufreißt. Zu viel hat er mir schon genommen.
Was sie noch anbelangt, da muss ich noch ein ernstes Wort mit ihr reden. Sie kennt Jacque nicht einmal. Man gibt doch keinem Fremden einfach den Schlüssel zum Apartment!
Innerlich könnte ich vor Wut platzen! Jede Zelle in meinem Körper begiebt sich gerade in Startposition, um den nächsten Anfall vorzubereiten, jedoch unterdrücke ich es mit all der Kraft, die ich noch habe. Gegenüber Jacque dies zu tun, wäre überhaupt nicht von Vorteil und gerechtfertigt.

Ich vergrabe meine kleinen, zierlichen und kalten Hände in den Ärmeln meines Hoodies. Jacques schaut mich immer noch eingehend an, sagt aber nichts. Die unangenehme Stille ist unerträglich, bis er sie schließlich unterbricht.
,, Okay, darüber reden wir noch, aber was ist bitte das?!", fragt er erstaunt und läuft auf meinen Laptop zu, der noch immer hell erleuchtet auf dem Tresen steht. Oh nein! Wieso nur?
,, Nichts besonderes.", winke ich uninteressant ab und versuche mich vor Jacque zu drängen, damit er nichts genauer erkennen kann.
Jedoch vergeblich. Er schiebt mich etwas ruckartig zur Seite und fängt an das Dokument durchzulesen.
,, Jacque!", rufe ich ihm empört zu ,, Das geht dich nichts an!" Ich versuche ihn wegzudrängen, doch er lässt sich nicht nur einen Millimeter bewegen. Wie ein Stein hat er sich fest auf meinem Hocker manifestiert.
Ich schnaufe tief aus. Tja Skye, ein bisschen mehr Kraft in den Armen würde dir nicht schlecht tun!
Jacque dreht sich wieder zu mir um und schaut mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich nicht eindeutig identifizieren kann. Unangenehm, verlagere ich abwechselnd das Gewicht auf meine Füße und greife nach der noch immer warmen Tasse Tee, die auf dem Küchentresen steht.
Immer wieder möchte er zu einem Satz ansetzten, scheitert jedoch dabei und greift sich mit der Hand an seine Stirn, um zu begreifen, was er soeben gelesen hat.
,, Wow!", sagt er schließlich und grinst leicht. Verwirrt stehe ich vor ihm. Ist das seine Reaktion darauf?
,, Du musst unbedingt dort hingehen!" Mit flehenden Augen steht er vor mir, kommt einen Schritt auf mich zu und packt mich an meinen Schultern. Schmerzhaft kneife ich meine Augen zusammen.
,, Oh, I'm sorry, honey!" Sanft streichelt er meine verletzte Schulter und lässt meine Schulter wieder los, während er einen Schritt nach hinten macht ,,Hast du denn schon eine Antwort darauf gegeben?"
Ich schüttel den Kopf ,, Nein." Denn tief im Inneren kämpfe ich mit mir selbst. Alles was dafür ist, duelliert sich mit dem, was dagegen spricht. Denn welche Frau träumt nicht davon, einmal in ihrem Leben Prinzessin sein zu dürfen, mit einem Traumprinzen die lange Treppe hinunter steigen und dabei alles um einen herum vergessen? Ich seufze auf. So wie ich es immer tu, wenn ich daran knapper.
,, Was spricht denn dagegen, Skye?" Jacque schaut mir mit seinen Augen tief in die meine, so als suche er nach etwas. Für einen kurzen Moment habe ich Angst er findet den Grund, denn es spricht einiges dagegen, nicht hinzugehen und den Abend auf der Couch oder im Bett zu verbringen.
,, Ich weiß es nicht ", murmel ich leise vor mich hin, auch wenn ich es weiß.
,, Siehst du " Er klatscht in seine Hände ,, Also sträub dich nicht wie ein kleines Kind dagegen, obwohl das wirklich mehr Begeisterung zeigen würde, als du im Moment...wie alt bist?" Er mustert mich von oben bis unten.
Ich bin in den Mitte Zwangigern und in der Blüte meines Lebens, auch wenn das im Moment nicht so anfühlt. Faltenfrei und fit wie ein Turnschuh.
,, Vierundzwanzig ", antworte ich ihm und nehme eine Schluck Tee.
,, Oh Gott! Da solltest du doch erst recht alles genießen!" Ohne mich vorzuwarnen, schiebt er mich Richtung Laptop ,, So, du wirst Mr. Havering jetzt zusagen." Mit einem Grinsen auf dem Gesicht steht er neben mir. Wie kann er dafür nur so aufgedreht sein? Er hat nicht einmal eine Einladung bekommen.
Selbst wenn ich mich im Inneren damit beflügel, kann ich es nicht so rauslassen wie Jacque. Mit jedem Tippen fängt mein Herz an schneller zu schlagen, sowie meine Hände, die anfange zu zittern, dass ich darauf achten muss, den Buchstabe nicht zweimal hintereinander aufzuweisen. Wieso lasse ich mich eigentlich so schnell überreden?
Du heißt Skye. Das erklärt schon alles.

Nach dem letzten Wort atme ich schließlich mehrmals tief durch. Jaque steht press neben mir. Kritisch begutachtet er meine Antwort, bis er schließlich ohne jegliche Vorwarnung auf 'Senden' klickt. Geschockt und mit offenem Mund schaue ich an.
,, Jacque!"
Doch dieser lacht nur und sagt ,, Hab ich gern gemacht!"
Auch wenn er lacht, ist mir dies auf keinen Fall zumute. Wie kann er nur?!
Doch etwas Freude verspüre auch ich. Wenn auch nur minimal.

Hey meine Lieben!

Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. In letzter Zeit brauche ich immer ewig, um ein Kapitel fertig zu schreiben.
Es tut mir immer so furchtbar leid für euch, dass ihr eine Ewigkeit warten müsst!

Ich versuche mir mehr Mühe zu geben und hoffe, dass ich euch trotzdessen nicht als meine geliebten Leser verliere 😢

Trotzdem hoffe ich, dass euch das Kapitel gefallen hat! Falls dies so ist: Lasst ein Vote und Comment da 💕 Ich würde mich sehr darüber freuen! 🥰

Ich hoffe ihr seid alle putz und munter und nicht krank. Falls das so ist: Gute Besserung mein/e Liebe/r 🍀

Habt ihr auch schon seit ein paar Wochen Schule/Studium oder geht Arbeiten?
Wie ist es so? Etwas Besonderes bei euch?
Lasst es mich in den Kommentaren wissen!

Ich hoffe wir lesen uns bald wieder!

Bis zum nächsten Kapitel.

Alles Liebe,
Vanessa ❤

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