Valentine

Vorbei. Es ist endgültig vorbei. Ich wünschte, ich könnte wütend auf Tyler sein, aber eigentlich bin ich einfach nur deprimiert. Wie kann er mir das nur antun? Heute ist Valentinstag und dieser Idiot wagt es doch tatsächlich, mich ausgerechnet an diesem Tag zu verlassen. Ich schließe die Augen und bestelle mir ein weiteres Glas Bourbon, das ich sofort in einem Zuge austrinke. Irgendwann würde der Alkohol schon wirken und dann würde ich endlich die letzten paar Stunden vergessen. Aber bis es so weit ist, sehe ich die Bilder immer und immer wieder vor meinen Augen. Es sollte doch der perfekte Tag werden. Ich hatte alles geplant, wir wollten wandern gehen und dann am Fuße des Wasserfalls picknicken. Das einzige, was ich heute wollte, war, Zeit mit ihm zu verbringen und ihn einfach nur für mich haben. Aber nein, das lag anscheinend nicht in seinem Interesse. Ich bin zu ihm gegangen, wollte ihn überraschen, und er wies mich einfach nur zurück mit den Worten, dass er jetzt gerade keine Zeit für mich habe. Wahrscheinlich ist ihm nicht einmal klar, was heute für ein Tag ist. Wie viel mir dieser Tag bedeutet. Aber jetzt ist es zu spät.

„Guten Abend, Liebes. So alleine am Tag der Liebe?", fragt eine tiefe Stimme neben mir und ich muss mich nicht einmal zu ihr umdrehen, um sie zu erkennen. Es war wohl doch keine so gute Idee, in eine öffentliche Bar zu gehen. Aber Zuhause kann ich mich nun einmal nicht so gut betrinken.

„Klaus. Sie sind doch auch alleine, oder nicht?", begrüße ich ihn kalt und trinke mein nächstes Glas leer, während er sich auch etwas bestellt.

„Wie oft soll ich dich denn noch darum bitten, mich zu duzen?", seufzt er grinsend, ohne auf meine Frage einzugehen.

„Haben Sie nicht irgendetwas anderes zu tun? Exfreunde von mir verfolgen oder so etwas?", meine ich nur genervt.

„Exfreunde? Habe ich etwas verpasst?", fragt er überrascht nach und ich verdrehe die Augen. War ja klar, dass er nur das hört.

„Das geht Sie gar nichts an, Klaus.", antworte ich nur und sehe dabei verbittert auf die Tresen. Ich will nicht, dass er sieht, wie verletzt und schwach ich bin.

„Natürlich geht es mich etwas an, wenn so eine Schönheit am Tag der Liebe alleine an einer Bar sitzt und sich betrinkt. Du solltest nicht traurig sein, nicht heute."

„Lassen Sie mich einfach in Ruhe. Sie sind schuld, dass es überhaupt so weit gekommen ist.", flüstere ich leise und bemerke zu meinem eigenen Entsetzen, dass meine Stimme zittert. Oh nein, ich werde jetzt sicher nicht in Tränen ausbrechen. Nicht hier, nicht vor ihm. Er soll einfach gehen.

„Ich bin schuld?", wiederholt er und tut dann etwas, womit ich wirklich am wenigsten gerechnet hätte: Er lacht.

„Lachen Sie mich gerade aus?", will ich gekränkt wissen und drehe mich nun doch zu ihm um, die Arme vor der Brust verschränkt. Was ich vermutlich nicht hätte tun sollen, denn durch die ruckartige Bewegung wird mir sofort schwindelig und ich muss mich schnell an der Bar festhalten. Augenblicklich verstummt sein Lachen und kurz darauf spüre ich, wie er mich wieder gerade hinsetzt. Seine Hand ruht noch immer an meinem Arm und auch, wenn ich es nicht zugeben möchte, fühlt sich diese Wärme ziemlich gut an. Wie Geborgenheit.

„Nein, ich lache dich nicht aus, Liebes. Aber ich finde es schon ein wenig absurd, dass du mir die Schuld gibst, alleine hier zu sein. Schließlich wolltest du meine Gesellschaft gar nicht.", lächelt er mich schief an. Für einen Moment sehe ich in seine Augen und habe das Verlangen, mich einfach nur weinend in seine Arme zu werfen. Doch so schnell dieser Moment gekommen ist, geht er auch wieder und mir wird klar, was ich hier gerade tue. Schnell rücke ich, nun doch ein wenig unwohl, etwas mehr von ihm und seiner warmen Hand weg.

„Darum geht es doch auch gar nicht.", seufze ich.

„Dann erzähl mir doch, worum es geht.", sagt er und tut so, als wäre gerade nie etwas vorgefallen. Wahrscheinlich ist bei ihm auch nie etwas Außergewöhnliches vorgefallen, aber mein Herz rast immer noch. Bestimmt liegt das nur am Alkohol. Zumindest rede ich mir das jetzt ein, über andere Gründe möchte ich gar nicht nachdenken.

„Tyler hat mit mir Schluss gemacht.", gebe ich leise zu und schlage mir direkt darauf die Hand vor den Mund. Ich wollte das doch gar nicht sagen! Wieso vertraue ich ihm das an? Ausgerechnet ihm?

„Ich habe es schon immer gewusst: Tyler ist der wohl dümmste Mann, den ich je in meinem Leben getroffen habe. Nur ein Idiot lässt eine so wunderbare Frau gehen, ausgerechnet am Valentinstag. Er hat dich nicht verdient, Caroline.", sagt er und ich bin erstaunt darüber, wie sanft seine Stimme klingt. So habe ich ihn noch nie reden hören.

„Aber Sie haben es?", will ich spöttisch wissen und spiele dabei auf seine zahlreichen Flirtversuche an. Aber statt gekränkt zu wirken, wie ich es jetzt erwartet hätte, blickt er mir nur ernst in die Augen und schüttelt den Kopf.

„Nein, Liebes, auch ich habe dich nicht verdient. Dir steht der beste Mann auf dieser Welt zu und das bin ich mit Sicherheit nicht. Mir ist durchaus bewusst, dass du zu gut für mich bist, aber das bedeutet ja nicht, dass ich es nicht wenigstens versuchen kann."

Überrascht erwidere ich seinen Blick und streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während ich verzweifelt nach Worten suche. Was sagt man schon auf so eine Aussage?

„Also, möchtest du mir jetzt erzählen, was genau passiert ist?", fragt Klaus mich, als er meine Unsicherheit bemerkt und bevor ich selber realisiere, was hier eigentlich passiert, nicke ich leicht.

„Heute Nachmittag... bin ich zu Tyler gegangen. Ich wollte ihn überraschen, weil wir uns in letzter Zeit so selten gesehen haben. Ich hatte alles genauestens durchgeplant, hatte alles vorbereitet. Aber als er die Tür geöffnet hat, hat er nicht einmal gelächelt. Er wirkte so... genervt. Von mir. Als ob ich die Person wäre, die er gerade am wenigsten sehen wollte. Trotzdem habe ich versucht, mir nichts anmerken zu lassen und ihm vorgeschlagen, wandern zu gehen. Einen Moment lang dachte ich, dass er sofort ja sagen und mit mir losgehen würde, aber er hat mich einfach nur wortlos angesehen. Als hätte ich gerade den dümmsten Vorschlag meines Lebens gemacht. Und dann... Dann hat er gesagt..." Plötzlich halte ich inne. Ich bin zwar betrunken, aber so viel Verstand habe ich noch. Klaus ist die letzte Person, der ich jetzt verraten darf, was Tyler daraufhin gesagt hat. „...Er hat gesagt, dass er gerade keine Zeit hat. Und dann hat er Schluss gemacht.", kürze ich die Geschehnisse ab, wobei ich hoffe, dass meinem Gegenüber mein kurzes Zögern nicht aufgefallen ist. Seinem Blick nach zu urteilen ist ihm aber anscheinend durchaus bewusst, dass ich ihm etwas verschweige.

„Er hatte keine Zeit?", fragt er auch schon überrascht nach. „Was kann wichtiger sein als die eigene Freundin, die man seit Tagen nicht gesehen hat?"

„Ich- ähm- Ich denke nicht, dass...", stottere ich und sehe mich unsicher um. Erst jetzt bemerke ich, dass wir ganz alleine in der Bar sind. Heute ist jeder bei seinem Partner oder sieht sich Zuhause kitschige Liebesfilme an. Was ich unter normalen Umständen auch getan hätte. Selbst der Barkeeper ist weggegangen, vermutlich sucht er etwas hinten im Lager. Das bedeutet also, dass ich ganz allein mit Klaus bin. Was nicht gerade dazu beiträgt, dass ich mich entspannen kann. Was soll ich nur tun, wenn er mich weiter ausfragt? Ich kann ihm ja schlecht einfach die Wahrheit sagen. Dass Tyler mich nur verlassen hat, weil ich ihn vor die Wahl gestellt habe: Entweder seine Rache an Klaus oder mich. Er hat sich dafür entschieden, seine ganze Zeit dafür zu verwenden, Klaus leiden zu lassen, aber das kann ich ihm ja schlecht verraten.

„Er will sich an mir rächen, nicht wahr?", fragt dieser dann plötzlich in die entstandene Stille hinein. Überrascht sehe ich ihn an.

„Ich- Was- Wie... Wie kommen Sie denn darauf?", frage ich ihn mit einem Lachen, um ihn abzulenken. Doch selbst in meinen Ohren klingt dieser verzweifelte Versuch einfach nur aufgesetzt.

„Ich bin nicht dumm, Caroline. Wenn es etwas gibt, was Tyler am wichtigsten ist, dann ist das, sich an mir zu rächen. Er ist von diesem Gedanken doch ganz besessen. Außerdem hast du vor kurzem noch behauptet, dass alles meine Schuld sei."

„Bitte töten Sie ihn nicht.", flüstere ich leise und sehe ihn verzweifelt an. Ich bin mir sicher, dass er genau das vorhat. Weder Tyler noch Klaus sind die Arten von Mann, die sich im Griff haben. Egal, was vorgefallen ist, sie wollen sich immer sofort am anderen rächen und ihn umbringen. Aber auch wenn Tyler wirklich ein Arschloch ist, möchte ich nicht schuld an seinem Tod sein.

„Das werde ich nicht.", antwortet er mir nur ruhig und ich mustere ihn mit großen Augen.

„Das werden Sie... Das wirst du nicht?", frage ich noch einmal nach, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht verhört hatte.

„Nein, das werde ich nicht. Zumindest nicht, weil er sich an mir rächen will. Soll er es doch versuchen, er wird es eh nicht schaffen. Der einzige Grund, warum er den Tod verdient hätte, ist, dass er dich an so einem Abend versetzt hat. Aber ich weiß, dass sein Tod dich nur unglücklich machen würde, also musst du dir keine Sorgen machen. Ich werde Tyler nicht töten."

„Danke.", flüstere ich erstaunt und lege meinen Kopf leicht schief, während ich ihn betrachte. „Eigentlich liebe ich ihn gar nicht mehr.", füge ich hinzu. Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe, aber jetzt, wo ich es ausgesprochen habe, wird mir klar, dass es die Wahrheit ist. „Ich liebe ihn nicht mehr und ich habe ihn auch schon vor heute nicht mehr geliebt. Ich habe damit aufgehört, als er vor Monaten einfach plötzlich weg war, ohne ein Wort zu sagen. Die letzten Wochen waren... verkrampft. Er hat ständig nur über sich selbst und seine Pläne geredet. Und ich kam in seinen Plänen nicht ein einziges Mal vor. Wahrscheinlich war es sogar das Beste, das mir passieren konnte, dass er sich gegen mich entschieden hat."

„Das war es mit Sicherheit.", stimmt Klaus mir zu und lächelt mich sanft an. „Du bist diesen Idioten losgeworden, du bist frei von jeglicher Verpflichtung ihm gegenüber. Siehst du, es gibt keinen einzigen Grund, an diesem Abend traurig zu sein."

„Es ist der Tag der Liebe und ich bin seit heute Single, das ist immer noch deprimierend.", widerspreche ich seufzend, kann mir ein kleines Grinsen aber nicht verkneifen. Er hat ja recht, eigentlich trauere ich gar nicht Tyler hinterher, sondern nur meinem Traum von einem klischeehaften, romantischen Date am Valentinstag. „Ich sollte gehen.", stelle ich fest, als er nichts mehr antwortet. In der Sekunde, in der ich aufstehe, fängt jedoch plötzlich alles an, sich zu drehen. Das waren wohl einige Gläser Bourbon zu viel an diesem Abend. Ich versuche, den Ausgang scharf zu erkennen, aber vor meinen Augen verschwimmt alles. Wenige Augenblicke später verliere ich mein Gleichgewicht und mache mich schon einmal seelisch darauf gefasst, gleich den peinlichsten Sturz meiner gesamten Existenz zu erleben. Der einzige Trost ist, dass immerhin niemand außer Klaus da ist, der mich auslachen könnte. Obwohl er der letzte ist, der mich so sehen soll. Er soll nichts Schlechtes von mir denken. Mit zusammengekniffenen Augen warte ich darauf, auf dem Boden aufzuschlagen, doch bevor das passieren kann, spüre ich warme Hände an meinem Rücken, die mich auffangen. Sofort breitet sich ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen aus. Klaus versucht, mich wieder auf meine Beine zu stellen, aber ich falle sofort wieder hin. Auch wenn ich es dieses Mal absichtlich getan habe. Ich möchte jetzt einfach nicht alleine nach Hause laufen, ich möchte, dass er bleibt. Wenn er nicht gekommen wäre, wäre ich jetzt wohl immer noch dabei, mich zu betrinken und selbst zu bemitleiden. Ich habe zwar nicht vergessen, dass er schon sehr viel Schlimmes getan hat und die Hälfte meiner Freunde umbringen wollte, aber das ist mir in diesem Moment egal. Wir haben alle schon schlimme Dinge getan, ich selbst auch. Ich habe nicht das Recht, über ihn zu urteilen. Und obwohl alle in ihm nur das Böse sehen, weiß ich, dass er immer noch menschlich ist. Zumindest bei mir. Er liebt mich, das hat er heute nur noch ein weiteres Mal bewiesen. Er würde vermutlich alles für mich tun. Die meisten meiner Freunde würden es nicht verstehen, dass ich so denke, nur weil er einen Abend mit mir geredet hat. Aber für mich ist das einfach ein ganz besonderer Abend und dank ihm sogar einer der schönsten Valentinstage in meinem Leben. Ich könnte es auf den Alkohol schieben, aber eigentlich muss ich einfach nur zugeben, dass ich etwas für diesen Mann empfinde, der mich über alles andere stellt. Und meine Freunde sollten mich nicht dafür verurteilen, es ist schließlich mein Leben und nicht ihres.

Noch ganz in Gedanken versunken bemerke ich, wie er mich sanft hochhebt und mit mir die Bar verlässt. Als wir draußen sind, kuschele ich mich näher an seinen warmen Körper und er drückt mich schützend an sich. Tyler würde mich hassen, wenn er das hier sehen würde, aber eigentlich ist mir das vollkommen egal. Klaus hat recht, Tyler hat mich nicht verdient. Blinzelnd öffne ich die Augen, als wir nach einiger Zeit stehen bleiben und Klaus mich vorsichtig wieder runterlässt. Kurz sehe ich mich um und krame dann in meiner Tasche, als ich meine Haustür entdecke. Nach einiger Mühe finde ich den Schlüssel und schließe auf. Bevor ich jedoch eintrete, drehe ich mich noch einmal zu Klaus um. Lächelnd sehe ich zu ihm auf und lege meine Hand an seine Wange. Einerseits, weil ich ihn gerne noch einmal berühren möchte und andererseits, damit ich mir sicher bin, dass er auch wirklich vor mir steht und das nicht nur an meinem verschwommenen Blick liegt. Einige Sekunden lang sehe ich einfach nur lächelnd in seine Augen.

„Danke, Klaus.", flüstere ich leise und stelle mich auf meine Zehenspitzen. Langsam kommt mein Gesicht seinem immer näher und ich kann schon seinen warmen Atem auf meinen Lippen spüren, als er mich plötzlich sanft von sich schiebt. „Du willst nicht?", frage ich leise. Verletzt sehe ich zu ihm auf. Er weist mich zurück? Gerade er? Gerade jetzt, gerade heute? Das ist doch das, was er immer wollte. Er liebt mich doch. Oder etwa nicht?

„Doch, natürlich will ich. Ich liebe dich, Caroline, ich möchte nichts lieber als dich zu küssen. Aber du bist betrunken, du weißt nicht, was du tust. Ich werde diese Situation jetzt nicht ausnutzen, dafür bist du mir zu wichtig. Ich möchte, dass du dich nur positiv an diesen Abend erinnerst und später nichts davon bereuen musst."

Sprachlos blicke ich ihn an und sehe mit einem Schlag sofort klar. Er nimmt so unglaublich viel Rücksicht auf mich. Noch nie war ein Mann so bemüht darum, dass ich glücklich bin. Er ist nicht der Böse, da bin ich mir ganz sicher. Niemand, der böse ist, kann so einfühlsam und fürsorglich sein.

„Ich werde jetzt gehen. Gute Nacht, Caroline.", sagt er leise und dreht sich dann um.

Bevor ich ins Haus gehe und die Tür schließe, flüstere ich ihm noch leise etwas hinterher. Er dreht sich nicht mehr um, aber das ist auch gar nicht nötig. Ich weiß, dass er es gehört hat und ich kenne seine Antwort darauf. „Ich liebe dich auch, Klaus."

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