1. Umzug








KAPITEL 1

     „Komm zurück, du Schlampe"

     Augenverdrehend quetschte ich mir mein Handy zwischen die Schulter und hörte meiner kleinen Schwester weiter beim nörgeln zu. Mein Gepäck, dass aus einem großen, grünfarbigen Koffer bestand, zog ich derweilen aus dem Taxi.

     Ich hörte sie am anderen Ende der Leitung seufzen. „Jetzt muss ich mir Mutters Vorwürfe über das Benehmen einer Frau immer alleine anhören ..."

     Oh ja. Einer der Hauptgründe weshalb ich überhaupt aus London verschwand um nach Frankreich zu ziehen. Dabei war ich bereits 25 Jahre alt. Meine Mutter wollte und konnte wahrscheinlich einfach nicht damit aufhören.

     „Sieh es positiv", sagte ich und bedankte mich leise bei dem Taxifahrer der mir half auch meinen roten Koffer aus dem Taxi zu ziehen. „Du darfst die Wand zwischen unseren Zimmern einschlagen und es erweitern. Dann hast du ein Imperium das allein dir gehört."

     „Genau", kam es stöhnend aus Laila. „Damit du hier nie wieder schlafen kannst und eine Ausrede parat hast. Leck mich..."

     Das Handy fiel mir beinahe runter als ich den letzten Koffer aus dem Taxi zog. Es war ebenfalls Rot. Ich wollte in meiner Nachbarschaft nicht gleich als Pipi Langstrumpf abgestempelt werden, denn ich hatte eine Menge Koffer in London zurückgelassen. Und diese trugen jeweils einen ganzen Regenbogen mit sich.

     Der Taxifahrer wartete bereits genervt auf das Trinkgeld und starrte zu meinen Schuhen. Ich trug high heels an diesem Tag. Zugegebener Maßen sie waren die neue Kollektion einer berühmten Designerin weshalb ich es einfach nicht sein lassen konnte. Der lange Mantel mit den gestreiften Strichen kombinierte sich perfekt zu dem gelben Schal.

     Alles in einem. Ich würde nicht drumherumgekommen als Ms Langstrumpf zu gelten.

     „Warte mal kurz", murmelte ich meiner Schwester zu, die im Hintergrund ironisch lachte und steckte das Handy in meine Handtasche, um mein Portmonee rauszuziehen.

     Ich fühlte Unbehagen in mir aufsteigen, als mich der Taxifahrer dabei beobachtete wie ich ihm die ausgemachte Summe und das extra Geld raussuchte. Da meine Eltern aus guten Hause kamen, ließen sie mich nicht ohne mindestens Zehn Scheine welche danach lechzten geklaut zu werden, in dem Flieger.

     Ich sah aus wie eine verwöhnte Göre. Dabei war ich mit den Drei Koffern ziemlich Bodenständig wenn man bedachte, dass ich mein Valentino Kleidchen zurückließ. Und die vielen weiteren Schmuckstücke ...

     „Stimmt so."

     Irgendwas - bestimmt nicht freundliches - murmelnd, entzog mir der Taxifahrer gierig das Geld aus der Hand und verschwand in der Minute wo ich mich in mein Heim umdrehte.

     Meine Stimmung wurde mit einem Mal genervt. Vor mir erstreckten sich mindestens Fünfzehn Stufen. Ich schaute zu meinen Riesen Koffern hinunter und hatte nun keine Ahnung wie ich sie hoch schleppen konnte.

     Als ich mich grade umsah vernahm ich geräusche aus meiner Handtasche. Oh! Die hatte ich ja ganz vergessen.

     „Hör zu Laila", sagte ich, noch bevor ich das Handy an meinem Ohr hielt. Meine Stimme hörte sich nun nicht mehr ganz so geduldig an. „ich muss nun zusehen wie ich meine verdammten Koffer in mein Heim schleppen kann-"

     Sie unterbrach mich. „Wo ist denn der Chauffeur?"

     War ja klar, dass sie mir diese Frage stellen würde.

     Ich zögerte bevor ich sprach. „Ich hab ihm telefonisch gekündigt."

     Meine Eltern bestanden drauf uns immer herumkutschieren zu lassen. Selbst bei einem Weg von Zwei Minuten - einfach weil sie die Gewissheit brauchten, dass es uns gut ging.

     Es waren Zwei Kontrollfreaks. Zwei füreinander bestimmte Kontrollfreaks. Angefangen mit ihrer arrangierten Hochzeit. Bis hin zu ihrem ersten Kind nach nichtmal Zwei Jahren des Zusammenwohnen.

     Ja. Meine Großeltern waren was die Zeit anging noch im Mittelalter. Sie sind im letzten Jahr bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Und um ehrlich zu sein - Laila und mich kümmerte es einen Dreck.

     Die Gesprochene fing lauthals an zu lachen, was mich das Gesicht verziehen ließ. „Mutter und Vater werden dir den Kopf abhacken und ihn wieder zurück nach London nehmen - höchstpersönlich."

     „Wenn sie es erfahren ...", sagte ich warnend.

     Laila verstand. „Indianerehrenwort."

     Ich atmete erleichtert aus und sah mich nach einem Passanten um, der mir möglicherweise helfen konnte. Doch weit und breit war keine Menschenseele.

     „-wenn ..."

     Ich verdrehte die Augen und seufzte. Zu früh gefreut.

     „... ich dein Valentino Kleid bekomme"

     Mein Mund klappte auf. Laila war bösartig. Aber, dass sie so weit gehen würde, hätte ich in Tausend Jahren nicht gedacht. In diesem Moment wusste ich - ich hätte das verdammte Valentino Kleid mitnehmen sollen.

     „Vergiss es.", war meine simple Antwort.

     „Wie du willst ...Mutter!", schrie Laila plötzlich wie aus dem nichts.

     Ich erbleichte und ignorierte den ersten Passanten der grade an mir vorbeiging und mich argwöhnisch betrachtete. Mein Aussehen stammte nicht von hier und das sah man mir mehr als nur an.

     „Pssht! OK, warte!"

     Sie hielt wieder ihren Mund. Im Hintergrund hörte ich unsere Mutter jedoch sagen, dass Laila gefälligst nicht so rumschreien sollte.

     Ich kratze mich angepisst an der Stirn. „Es ist deins."

     Ein kleiner Aufschrei entfuhr ihr. „Danke du verfluchtes Ding! Warum nicht gleich so?"

     „Und tschüss."

     Damit war es getan. Ich legte auf und ignorierte ihre Nachrichten die sie mir direkt zuschickte als ich auflegte.

     Es war nun an der Zeit herauszufinden wie ich diese Stufen hochsteigen konnte ohne mit einem Kaputten Absatz im Krankenhaus zu landen.

     Und dann stand sie da. Eine Frau, eventuell in meinem Alter und meine Rettung. Ich fragte mich warum sie mir nicht vorher aufgefallen war mit ihren blauen Haaren. Unüblich, aber nicht schrecklich.

     „Entschuldigung!" , rief ich.

     Die Frau die am Eingang stand, wo auch mein Apartment seinen Sitz hatte, drehte sich schwungvoll um. Ein freundliches Gesicht. Etwas zu blass aber ich dachte daran, dass es üblich in Frankreich sei. Vor allem in dieser regnerischen Gegend wo die Sonne eventuell bei gutem Karma Einmal im Jahr ihre stärke zeigte.

     Sie sah etwas verwirrt aus, da sie meinen ausländischen Akzent wohl direkt rausgehört hatte, doch dann lächelte sie und ging die Stufen hinunter bis sie dann vor mir stand.

     Ihr Blick fiel auf meine Koffer. „Benötigen Sie Hilfe?"

     Das ging ja mal schnell.

     Ich schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. „Das wäre sehr freundlich von Ihnen. Ja."

     Frankreich hatte ich nicht umsonst bei meinem Umzug ausgewählt. Meine Mutter zwang Laila und mich in den Französisch Kurs der Privatschule. Irgendwann aber als sich ihre grauen Haare vermehrten und sie bemerkte, dass wir uns nicht bemühten um die Sprache zu beherrschen, hatten wir Hausunterricht.

     Und das war die Hölle.

     Als die junge Frau bereits meinen roten Koffer in die Hand nahm, ergriff ich das Wort. „Ich bin übrigens Daiana." Ich wollte ihr meine Hand hinhalten aber da fing sie bereits an den Koffer die Stufen hochzutragen. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, können wir die Höflichkeitsflauseln auslassen."

     Denn um ehrlich zu sein hasste ich sie. In London hatte ich nur eine einzige Freundin mit welcher ich nicht wie die Königin persönlich umging. Und das war meine jüngere Schwester.

     Die Frau grinste. „Ja klar. Ich bin Chloé."

     Den Rest der Zeit verbrachten wir damit die Koffer in mein Heim zu tragen, welches ein Glück gleich am Eingang war. Auf der linken Seite.

     Auch Chloé fiel meine Ungewissheit auf, was die Umgebung und meine Wohnung anging, aber sie fragte nicht nach.

     Es wäre mir unangenehm gewesen, denn wenn ich ehrlich zu mir selbst war, war dieses Apartment ein Notfall. Ich hatte es also nie zuvor einmal von innen gesehen. Ich vertraute auf die Immobilienmaklerin. Und das nicht nur wegen ihres seriösen Aussehens als wir uns in London in einem Café unterhielten.

     Denn ich hätte mich jeden Immobilienmakler anvertraut, bloß um so schnellst wie möglich aus London zu verschwinden. Aus meinem Elternhaus.

     Und nun war ich tatsächlich hier.

     Der Abend brach bereits ein, als Chloé und ich uns verschwitzt im Wohnzimmer hinsetzten. Das Apartment war perfekt. Nicht so groß wie das Anwesen meiner Eltern, aber gemütlich. Und das reichte mir. Ich fühlte mich komischerweise gar nicht eingeengt. Eher frei. Als wäre eine Last von meinen Schulter gefallen.

     Um mich bei Chloé für ihre Freundlichkeit zu bedanken öffnete ich den Wein, den ich mir bei einem Laden gekauft hatte. Ich hatte dafür extra den Taxifahrer um Halt gebeten. Vielleicht war er deswegen so genervt von mir gewesen.

     „Hier", sagte ich und gab der sitzenden Chloé das Weinglas. „Auf die Nachbarschaft."

     Chloé schien ebenfalls glücklich ein neues Gesicht zu sehen. „Auf die Nachbarschaft."

Denn das waren wir von dem Moment an. Nachbarn. Chloé wohnte eine Etage über mir. Ihre Augen strahlten. Doch ich ließ mich von ihrer überglücklichen Art nicht verwirren. Vielleicht war sie einfach nur die ganze Zeit allein und brauchte eine Freundin in der Nähe. Vielleicht.



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