Kapitel 10b - " . . . " wie "Leerstelle" wie "innere Leere"

Zehn Tage später kommt dann auch Onkel John nach Korea. Jimin freut sich sehr darauf. Gemeinsam holen sie den Onkel vom Flughafen ab und fahren erstmal Eis essen. Es gibt soooo viel zu erzählen. Mit leuchtenden Augen berichten Nuri und Jimin von den Bauarbeiten, den großen Maschinen, den zwei neuen Häusern für die großen Heim"kinder" und die Haushaltsangestellten. Mina erzählt nur kurz, dass Verein, Anwalt und Banken sich so schnell geeinigt haben, dass dann auch das Jugendamt sich nicht mehr gut querstellen konnte. Und so lange sie weniger zahlen müssen, ist denen offensichtlich alles recht. Die Verlegung der Kinder in andere Heime wurde sofort gestoppt, drei Kinder wurden sogar zurück geholt.
Die Familie wohnt jetzt im renovierten und neu eingerichteten Waldhaus, damit im Haupthaus alles so schnell wie möglich gehen kann. Hier hat Jimin zusammen mit Nuri ein eigenes Zimmer. Er gehört jetzt richtig dazu und genießt es. In den nächsten drei Wochen lernt Jimin jeden Tag mit Onkel John Amerikanisch und hat dabei so viel Spaß, dass er richtig schnell vorwärts kommt. Inzwischen versteht er einfache Gespräche und kann auch ab und zu einen Satz dazu sagen.
An einem Tag kommt ein großer Bus und bringt alle Kinderdorfkinder zum Anwesen. So können sie schon mal sehen, wo sie nach den Ferien wohnen werden. Neugierig flitzen sie durch den riesigen Park und lassen sich alles zeigen. Dann treffen sie sich mit dem Architekten und planen gemeinsam den Spielplatz. Jimin ist ein kleines Bisschen stolz, dass sie das ihm zu verdanken haben.

Jetzt ist es schon Anfang August. Jimin hat mal wieder auf dem Anwesen übernachtet. In vier Wochen beginnt in Amerika wieder die Schule. Und Nuri sehnt sich nach zu Hause, nach ihrem Bruder, dem Hund und ihrem Zimmer.
"Mama, wann fliegen wir denn nach Hause? Ich mag wieder mit Hunter und mit meinen Freundinnen spielen."
"Papa und ich sind noch am Planen, wer wann mit wem zurückfliegt. Das Kinderdorf kann in drei Wochen umziehen, aber dann ist in Tucson nur noch wenig Zeit, um sich wieder einzugewöhnen. Ich wäre ja gerne bei der Bauabnahme und beim Umzug dabei, aber wir sind uns einig, dass es wichtiger ist, dass ich den Start vom neuen Schuljahr für dich und vielleicht Jimin begleite. Jimin sollte nicht ohne mich mitfliegen."

Jimin hört dem Gespräch beim Frühstück zu und fühlt sich auf einmal komisch. Ist das Absicht? Haben sie doch ohne ihn entschieden? Sie haben doch versprochen, dass sie ihn fragen werden. Jimin springt auf und rennt raus in den Park, wie immer ins Baumhaus. Dort sitzt er jetzt zitternd und weint und weiß nicht mehr, ob er Tante Mina und Onkel John noch trauen kann. Sie hatten es doch versprochen!

"Jimin, darf ich raufkommen?"
Das ist die Stimme vom Onkel. Erschrocken schüttelt Jimin den Kopf. Es will mal wieder kein Wort raus. Nicht mal ein Nein. Aber Onkel John wartet geduldig unten, bis Jimin wieder Worte findet.
"Ich ... ich weiß nicht."
"Was hat dich denn eben so erschreckt? Was haben wir gesagt, dass du so Angst bekommen hast?"
"Ihr ... ihr habt mir ... ihr habt es versprochen!"
"Was, Jimin. Sag es mir. Keiner ist dir böse. Du weißt, dass du dich schützen darfst, wenn du Angst bekommst. Es ist völlig in Ordnung."
"Ihr ... dass ... ich darf mit entscheiden, ob ich nach Amerika gehe. Aber jetzt ... das klang so, wie ... ihr habt mich gar nicht gefragt!"
"Ach soooo. Da hat der Schreck dir wohl die Ohren verstopft. Wir haben wie immer 'vielleicht' und 'wenn' gesagt. Wir haben das nicht ohne dich entschieden. Bitte glaube mir. ... Darf ich jetzt raufkommen?"
Jimin gibt ein leises "Hm" von sich, und rutscht ein bisschen zur Seite, als Onkel John hoch geklettert kommt.
"Darf ich dich in die Arme nehmen? Du zitterst ja richtig!"
Jimin ist erleichtert, dass Onkel John wirklich nicht böse ist. Schnell rutscht er rüber und lässt sich bekuscheln, bis er sich beruhigt hat.

"Es tut mir leid, dass wir eben so losgeredet haben, ohne auf dich zu achten. Wir überlegen schon seit einer Weile, wann und wie wir mit dir darüber sprechen wollen. Einerseits wirkst du, als hättest du dich an den Gedanken gewöhnt. Auch dein Amerikanisch wird immer besser. Das sieht nicht so aus, als wolltest du hier bleiben. Andererseits wollen wir dich wirklich mit entscheiden lassen. Du darfst, wenn du das möchtest, hier bei Mama Jeri bleiben. Das würden wir sehr, sehr schade finden, aber vollkommen verstehen. Wir wären dir dafür nicht böse, ganz bestimmt nicht. Wir wollen wirklich, dass du genau das bekommst, was du brauchst."
"Hm ... Ich hab euch ja auch ganz dolle lieb. Und eigentlich möchte ich ... glaube ich ... mitkommen. Aber ich habe so Angst vor dem Abschied. Ich weiß nicht, wie ich ohne Mama Jeri leben soll. Sie war immer da. Ich ... kann ich das schaffen? Ohne Mama Jeri?"
Onkel John drückt Jimin einmal vorsichtig und schaut ihm dann direkt in die Augen.
"Das Blöde ist: du wirst es nie erfahren, wenn du es nicht versuchst. Das Gute ist: du bist dort nicht alleine - so, wie du es in den blöden Familien warst. Du wärst in derselben Schule wie Nuri, Tante Mina hat sogar überlegt, ob sie noch eine Weile nicht arbeitet, damit sie wirklich ganz viel Zeit für dich hat. Mein Semester fängt erst wieder an, wenn schon Herbst ist. Ich muss zwar bald zurück, aber ich kann viel zu Hause arbeiten. Wir wollen wirklich ganz, ganz fest auf dich aufpassen. Nur: entscheiden musst du selbst. Und auch nicht jetzt. Jetzt bist du noch zu erschrocken.
Komm, wir gehen zurück und spielen was und reden erst heute Abend oder morgen wieder darüber."

Am Abend bringt Onkel John Jimin ins Bett. Sie singen. Dann entsteht eine seltsame Stille. Jimin weiß nicht, ob Onkel John jetzt die Antwort erwartet.
"Du musst dich nicht jetzt entscheiden, Jimin. Hab keine Angst. Ich fliege mit Nuri in einer Woche, Mina richtet sich nach dir, also musst du dich nicht sofort entscheiden. Bald, aber nicht sofort."
Jimin nickt. Er ist hin und her gerissen. Durch seinen vollen Kopf jagen schon wieder so viele Gedanken, dass er gar nichts mehr kapiert. Jimin fühlt sich leer gekämpft. Sein ganzes Leben lang hat er gekämpft. Dabei will er doch nur seine Ruhe haben. Diese Entscheidung ist die größte und schwerste, die er jemals fällen musste. Vielleicht ist es doch besser, wenn Tante Mina, Mama Jeri und Onkel John entscheiden?
"Was geht grade in dir vor? Magst du es mir verraten?"
Einen Moment zögert Jimin noch, dann sprudelt das ganze Durcheinander aus ihm heraus. Onkel John hört genau zu und streicht ihm dabei sanft über den Rücken. Langsam kann Jimin wieder klar denken. Er fühlt sich wohl so. Geborgen. Nicht allein. Onkel John hat ihn wirklich lieb.
"Ich glaube, ich mag jetzt entscheiden, dass ... dass ich ... mitkomme."
Und dann fängt Jimin herzzerreißend an zu weinen, weil das alles so schwer ist, und weil er nicht mehr ängstlich sein will, und weil er grade einen riesigen Sprung über seinen Schatten gewagt hat.
"Es ist in Ordnung, Jimin. Du bist wirklich stark und mutig. Wenn du das morgen und übermorgen immer noch sagst, dann bereiten wir mit dir zusammen alles vor und nehmen dich mit."
Lange hält Onkel John Jimin fest, bevor er ihn in sein Bett legt und ihm beruhigend über den Kopf streichelt, bis Jimin endlich friedlich eingeschlafen ist.

Die letzte Woche mit Onkel John und Nuri verläuft ruhig. Jimin lernt viel, Nuri läuft nochmal zu all ihren Lieblingsplätzen im Park, und die Scharen von Handwerkern vollbringen Höchstleistungen, um alles in der vorgegebenen Zeit fertig zu bekommen. Auch Mama Jeri kommt jetzt öfter mal her, um nach den Gebäuden zu kucken und sich für spezielle Wünsche mit dem Architekten zu beraten. Jimin ist stolz wie Oskar und führt seine Mama Jeri überall herum. Im Haupthaus ist schon ziemlich viel geschafft. Unter dem Dach und im ersten Stock entstehen jeweils zwei Wohnungen, im Erdgeschoss gibt es einen großen Saal für Feste, und die fünfte Wohnung soll für ein Büro, Besprechungsräume und ein Gästezimmer genutzt werden. Ein Aufzug wird eingebaut. Das Essen soll weiterhin in den Gruppen stattfinden, aber in der alten Küche ist jetzt eine moderne Großküche entstanden. Eine Vollzeitköchin soll in Zukunft die Einkäufe und das Kochen übernehmen. So haben die Mamas und Papas mehr Zeit für ihre Kinder.

Als Onkel John und Nuri nach Hause fliegen, fährt Jimin mit zum Flughafen, damit er dort schon mal alles kennen lernt. Er lässt neugierig seine Augen durch das riesige Gebäude mit den vielen Gängen und Rolltreppen und hunderten von Menschen schweifen. Er staunt über die vielen, vielen Schilder und Pfeile, die unter der Decke hängen. Sie schlängeln sich vorbei an Warteschlangen bei den Check Ins und Passkontrollen, schauen den Koffern nach, die über ein Fließband zum Flugzeug transportiert werden, machen ein paar Fotos an der Kontrolle, wo sie sich trennen müssen. Onkel John hebt Jimin hoch und drückt ihn nochmal.
"In einer Woche bist du bei uns in Arizona. Ich weiß, dass du Angst hast, aber ich weiß auch, WIE mutig du bist. Denk mal an den Tag, wo du deiner Klasse die Funktionsgleichungen beigebracht hast. Du bist viel stärker als deine Angst. Ich glaube ganz fest daran. Weil du Jimin bist. Du schaffst das schon. Okay, Kumpel? Wir sehen uns!"

Tante Mina hat sich in der Zwischenzeit von Nuri verabschiedet, die sich jetzt nur noch auf Zuhause freut.
"Tschüß, Jimin. Bald kommst du zu uns. Wir werden alles ganz toll für dich vorbereiten."
Dann sind die beiden in der Kontrolle und bald hinter einer großen Tür verschwunden.
"Weißt du was, Jimin? Wir beide essen jetzt etwas hier im Flughafen, und anschließend gehen wir auf die Besucherterrasse. Von dort aus können wir das Flugzeug sehen, vielleicht kriegen wir auch mit, wie das Gepäck gebracht und verladen wird. Und wir schauen mit einem Fernglas alle Fenster an. Onkel John will nämlich versuchen, Plätze zu kriegen, die auf dieser Seite vom Gebäude sind. Vielleicht können wir die beiden sogar winken sehen. Wenn wir noch beim Start zuschauen, dann kennst du schon alles ein bisschen, was wir nächste Woche auch erleben, und musst davor keine Angst mehr haben. Hast du Lust?"
Jimin nickt bloß. Der Abschied ist komisch. Ihm wird auf einmal klar, dass er in den nächsten Tagen ganz, ganz viel Abschied nehmen muss. Von allen und allem, was er sein ganzes Leben lang gekannt hat. Es ist sicher gut, wenn er schon mal weiß, wie Fliegen funktioniert. Aber trotzdem macht er das alles zum ersten Mal. Und das macht ihm Angst.

Er hält sich ganz fest an Tante Minas Hand, als sie sich ein Restaurant suchen.
"Du darfst wählen. Möchtest du lieber koreanisches Essen, oder möchtest du was anderes probieren, was es eher in Amerika oder anderswo auf der Welt gibt? Schau mal. Da gibt es Burger und Cola. Da gibt es indisches Essen, chinesisches, japanisches, französisches, sogar afrikanisches Essen. Was ist dir am liebsten?"
Jimin ist ganz hin und her gerissen. Afrikanisch, indisch oder französisch - da weiß er ja nicht mal, wo das ist. Aber koreanisches oder amerikanisches Essen, das ist echt schwer. Er zeigt auf zwei Restaurants.
"Ich kann mich nicht entscheiden zwischen hier und da."
"Dann hab ich eine Idee. Wir essen was Salziges bei den Koreanern, und dann holen wir uns Nachtisch zum Mitnehmen bei den Amis. Damit gehen wir dann auf die Dachterrasse. Passt das?"
Jimin nickt wieder. Und jetzt bemerkt er auch seinen Hunger. Darum entscheidet er sich ganz schnell für sein Lieblingsgericht und isst das mit Genuss auf.

Anschließend kaufen sie sich einen riesigen Familienbecher Eis und suchen sich den Weg zum Besucherdach. Sie setzen sich auf eine Bank direkt an der Brüstung und halten auf dem riesigen Rollfeld Ausschau nach dem Flieger von Onkel John und Nuri. Da Tante Mina das Gate und die Fluggesellschaft weiß, können sie es schnell entdecken. Während sie ihr Eis löffeln, schauen sie zu, wie die Maschine betankt wird, wie kleine Autos mit großen Kofferwagen daran gefahren kommen und die Koffer alle im Bauch des Fliegers verschwinden. Einige Leute kommen mit vollen Müllsäcken und Putzzeug heraus. Dann wird ein Regenwurmgang ausgefahren und an der Eingangstür festgemacht.
"Da gehen jetzt erst die Leute mit dem ganzen Essen rein und packen alles sicher an die richtigen Plätze. Der ganze Passagierraum ist voll mit Türen und Klappen und Schränken, damit nichts einfach so durch die Gegend fliegen kann. Du wirst das sehen, wenn wir dann fliegen. Alles, alles hat seinen festen Platz. Auch unser Handgepäck kommt dann oben in Klappen oder unter unseren Sitz. Dann zeigen die Flugbegleiter, wie wir ganz sicher fliegen können. Sie erklären uns, was wir tun müssen, wenn ein Flug nicht normal ist wegen schlechtem Wetter oder so. Das alles passiert fast nie, da musst du keine Angst haben. Aber wenn doch mal was passiert, dann wissen alle sofort, was sie tun müssen."
Jimin wird ein bisschen mulmig zumute, aber er sagt lieber nichts. Tante Mina ist schon so oft geflogen, sie ist so ruhig dabei - das schafft er schon.

Der Regenwurmgang fängt an zu wackeln.
"Ich glaube, jetzt gehen die ganzen Passagiere rüber und suchen sich ihre Plätze. Deshalb sieht das aus, als ob es wackelt. Aber wenn man da lang läuft, merkt man fast gar nichts davon. Schau mal, ich hab zwei kleine Ferngläser mitgebracht. Damit können wir die vorderen Fenster beobachten."
Jimin schluckt schnell seinen letzten Löffel Eis runter. Kucken ist jetzt wichtiger! Tante Mina hilft ihm, das Fernglas scharf zu stellen, und dann schaut er immer an der Fensterreihe entlang, hin und her. Auf einmal flattern drei Hände hinter einer der winzigen Scheiben.
"Ich glaub, ich hab sie."
Jimin zeigt in die Richtung, und bald hat Tante Mina die wedelnden Hände auch entdeckt.
"Ja, das passt. Etwa da müssen sie sitzen. Schau mal, jetzt drückt Nuri ihre Nase an der Scheibe platt."
Tante Mina fängt auch an zu winken. Jimin findet diese Fenster komisch. Da kann man irgendwie nicht richtig durchschauen, aber er winkt auch und hopst auf und ab, damit die beiden wissen, wo sie stehen. Als nächstes drückt sich eine ganz große Hand gegen die Scheibe. Das ist bestimmt die Hand von Onkel John. Jimin winkt noch doller. Dann ist nichts mehr zu sehen.
"Sie haben sich wohl hingesetzt für die Einweisung. Also schnallen sie sich gleich an. Sicher geht es bald los."

Jimin wird ganz still. Hoffentlich passiert nichts, und die beiden kommen heile nach Hause! Ein paar Minuten später gehen plötzlich die Motoren an, das Flugzeug wird ganz laut und fängt an zu vibrieren. Erschrocken klammert Jimin sich an Tante Mina.
"Hab keine Angst. Die Motoren müssen so stark sein, damit das Flugzeug in die Luft kommt. Aber drinnen ist es nicht so laut wie draußen. Du kannst jetzt ganz genau kucken, wie das Flugzeug losfährt, auf die Startbahn rollt, wie dort Leute mit großen Schildern den Weg zeigen, wie es seine Richtung einnimmt und stehen bleibt. Das ist, damit ein Fluglotse dem Piloten genau sagen kann, wann er starten darf. Die Maschine fährt erst langsam los und wird dann mit einem kleinen Ruck ganz schnell. Schau dir alles gut an, damit du nächste Woche weißt, was auf dich zukommt. Dann musst du keine Angst haben."
Jimin hält sich ganz fest, während er mit kullerrunden, etwas verängstigten Augen auf das riesige Ding starrt. Keine Angst haben? Wie soll das denn gehen? Geht das? Es MUSS gehen. Und Tante Mina wird ja dabei sein. Sie hat keine Angst. Das schafft er schon.

Als das Flugzeug abhebt, gibt es einen Ruck, dann fahren die Räder rein in den Bauch, es fliegt immer höher, und nach einer ganzen Weile verschwindet es hinter den Wolken. Jimin atmet tief durch. Bis jetzt ist nichts Schlimmes passiert. Der Flieger ist auch noch nicht runter gefallen. Das schafft er schon!

Damit Tante Mina noch ganz viel erledigen kann in dieser letzten Woche, sehen sie sich nicht jeden Tag. Jimin lernt mit Feuereifer Amerikanisch und telefoniert dafür oft mit Onkel John. Seine Aussprache wird immer besser, und er kann immer mehr Wörter verstehen und benutzen. Wenn Tante Mina jetzt zu Besuch kommt, versucht er, wie lange er es durchhält, nicht koreanisch zu reden. Und das klappt schon ganz gut.
Mama Jeri und Tante Mina reden ganz viel mit Jimin und versuchen gut herauszuhören, ob und vor was er Angst hat. Sie versuchen, ihn so gut wie möglich auf den Umzug vorzubereiten.
"Weißt du eigentlich, ob dein Zimmer dort schon fertig renoviert ist? Du hattest dir ja ein paar Sachen gewünscht."
"Nö, ich hab gestern gefragt, aber Onkel John hat gemeint, dass ich das noch nicht sehen darf. Er findet es toll, aber er will mich überraschen."
Dass ihn diese Geheimniskrämerei ziemlich nervös macht, sagt er lieber nicht. Er schafft das schon.

Nuri schickt ihm ganz viele Fotos, auf denen sie mit Hunter kuschelt, oder Hunter schläft friedlich, oder er frisst, oder er rennt einem Ball hinterher durch den Garten. Sie hat dazu geschrieben:"Damit Du gar keine Angst haben musst!"
Jimin hat noch keine Ahnung, ob er Angst haben wird. Hunter kann auch ganz schön wild sein. Er scheint immer fröhlich, aber was, wenn Jimin irgendwas falsch macht? Dann rennt der Hund ihn doch einfach über den Haufen! Ganz schnell schiebt Jimin diesen Gedanken wieder weg. Er schafft das schon.

Jimin wird immer stiller in dieser Woche. Er sitzt immer öfter im Baumhaus hier oder da. Da sieht ihn keiner. Aber es wundert sich auch keiner drüber. Die Kinderdorfmütter und -Väter haben jetzt immer mehr mit dem Umzug zu tun. Alle Kinder sind aufgeregt. Jimin hat seine wichtigsten Sachen schon gepackt, und Tante Mina hat sie per Fracht nach Amerika geschickt, damit sie das nicht alles selbst schleppen müssen. Jimin wird nicht mit den anderen Kindern umziehen sondern ab jetzt seinen eigenen Weg gehen. Also ist er lieber aus dem Weg. Er schafft das schon.

Drei Tage vorm Abflug zieht Jimin zu Tante Mina ins Waldhaus. Er winkt den anderen nur zu und verabschiedet sich.
"Bis morgen!"
Zwei Tage vorm Abflug gibt es ein großes Fest auf dem Anwesen. Tante Mina hat einige Zelte gemietet, und Jimin durfte alle seine Klassenkameraden und Kinderdorffreunde einladen. Es gibt tolle Spiele, ganz viel zu essen und sogar eine kleine Zirkusvorführung. Ein paar der Kinder übernachten dann mit Jimin zusammen in den Zelten. Der Tag ist aufregend, alle bleiben ganz lange wach, und schließlich schlafen sie einer nach dem anderen ein. Jimin hat gar keine Zeit, traurig oder ängstlich zu sein. Er schafft das schon!

Am nächsten Morgen werden die Kinder abgeholt. Jimin wird da bleiben. Also muss er sich jetzt doch ziemlich plötzlich von Mama Jeri verabschieden. Und das wird furchtbar schwer. Wie gut, dass sie nicht mit den anderen im Bus fährt sondern noch eine Weile ganz für ihn da ist. Jimin malt ein Bild für sie, und Mama Jeri malt ein Bild für ihn. Sie kuscheln zusammen im großen Baumhaus und singen alle Lieber, die Jimin mag. Aber irgendwann ist der Moment da, und Jimin bekommt so eine Angst, dass er gar nicht mehr denken kann. Er klammert sich an Mama Jeri und weint und weint und weint. Ganz lange stehen sie so vor dem Haus. Mama Jeri versucht, Jimin zu beruhigen. Sie verspricht ihm, dass sie ganz oft telefonieren oder Emails schreiben können, dass er Fotos bekommt, wenn das Kinderdorf umgezogen ist, dass Mama Jeri niemals aufhören wird, Mama Jeri zu sein. Jimin muss dafür versprechen, dass er ganz tapfer und neugierig und mutig sein will, weil er ein toller starker Kerl ist. Ein bisschen beruhigt ihn das. Er nickt und lässt Mama Jeri los. Er schafft das schon.
Hoffentlich. Er will sich jedenfalls ganz viel Mühe geben.

Tante Mina nimmt ihn in den Arm und winkt mit ihm zusammen Mama Jeri hinterher, die in ihr Auto steigt und durch das Tor nach Hause fährt. Morgen ist es so weit. Jimin wird in ein Flugzeug steigen und Korea verlassen, um in Amerika zu leben. Er hat dort seine Familie, ein eigenes, bestimmt schönes Zimmer und hoffentlich bald Freunde. Er schafft das schon.

Tante Mina packt mit Jimin zusammen den Koffer. Damit er nicht an den Flug denkt, hilft Jimin fleißig mit, überlegt, was er hier lassen will für Besuche, und was er mitnehmen will oder muss. Kleidung, Schuhe, Badezimmersachen - daran denkt er ganz automatisch. Schwieriger wird es bei den Sachen, die er aus seinem Zimmer im Heim mitgenommen hat. Die Kuscheltiere gehen natürlich mit. Das Lego soll hierbleiben. Seine Bücher sind schon in der Fracht. Am liebsten würde er auch seine gewohnte Decke und Kissen mitnehmen, aber das wäre ein viel zu dickes Paket geworden. Also warten sie im Waldhaus darauf, dass er mal wieder zu Besuch kommt. Das tolle Fotoalbum, das Mama Jeri ihm gemacht hat mit vielen Bildern, seit er ein Baby ist, das kommt ins Handgepäck, damit sie auf dem Flug darin stöbern können. Da ist bestimmt vieles dabei, das Tante Mina noch nicht weiß. Die Bilder, die ihm die Klassenkameraden und Kinderdorfkinder gemalt haben, sind in einem großen Album und kommen in den Koffer. Jimin hat jetzt ein eigenes Adressenbuch, in dem alle Adressen und Telefonnummern und Mailadressen und Geburtstage von ganz viel Menschen drin stehen. Das Adressbuch kommt in den Koffer.
Die Schäfchen wird er morgen ins Handgepäck stecken, damit sie ihm helfen auf dem Flug. Jetzt braucht er sie noch zum Schlafen. Zum Abendessen kocht Tante Mina ihm wieder gebratenen Reis mit Hühnchen, weil er das so gerne isst. Danach telefonieren sie mit Onkel John und Nuri, bei denen es jetzt ganz früh morgens ist. Sie spielen noch ein bisschen was.
Und dann geht Jimin zum letzten Mal in Korea ins Bett. Tante Mina kuschelt sich zu ihm. Sie singen ganz viele Lieder. Die beiden Schafe unterhalten sich ganz lange über hier und da und kuscheln auch. Ansonsten bleibt Jimin stumm. Er ist damit beschäftigt, sich selbst zu sagen:"Ich schaff das schon."

Es dauert eine Weile, bis sein voll-leerer Kopf zur Ruhe gekommen ist. Dass Tante Mina erst dann rausgeht, merkt er nicht. Ganz fest hält er seine beiden Schäfchen und schläft.
Jimin steht am Flughafen. Sein Koffer verschwindet, sein Handgepäck wird ihm abgenommen. Er bekommt einen Sitzplatz ganz weit weg von Tante Mina. Alle bekommen etwas zu essen, nur er nicht. Er fühlt sich winzig in dem riesigen Flugzeugstuhl so ganz allein.
Jimin steht am Flughafen. Tante Mina muss auf Toilette, Jimin wartet neben einer Säule. Aber Tante Mina kommt nicht wieder. Stattdessen kommen Fremde, nehmen ihn mit und stecken ihn in das Flugzeug. Ohne Tante Mina.
Jimin steht am Flughafen. Auf einmal ist alles ganz dunkel, die vielen Menschen rennen schreiend durcheinander, schubsen ihn und trennen ihn von Tante Mina.
Jimin steht am Flughafen. Sie steigen in ein Flugzeug und fliegen los. Aber plötzlich ist Tante Mina neben ihm verschwunden. Und alle anderen Menschen auch. Jimin ist ganz allein. Er schreit und rennt und schreit und sucht. Aber da ist niemand mehr. Irgendwann landet das Flugzeug, und Jimin steigt aus. Aber hier sehen die Menschen alle ganz komisch aus und reden eine völlig fremde Sprache. Jimin findet seinen Koffer nicht, bleibt einfach mit seinem Rucksack mitten in einer großen Halle stehen und wartet. Bis es dunkel ist. Aber niemand kommt, um ihn abzuholen.
Jimin steht am Flughafen. Immer wieder. Immer wieder. Die ganze Nacht. Mal stürzt das Flugzeug ab, mal fällt Tante Mina aus dem Fenster, mal er selbst. Mal haut ihn der Pilot, weil er weint, mal schläft er ein und vergisst darum auszusteigen. Es hört einfach nicht mehr auf. Die ganze Nacht. Immer wieder.

Jimin wird wach von seinem eigenen Schrei. Er sieht durch den Spalt der Tür das Flurlicht, aber er weiß nicht, welcher Flur das ist. Er ist nicht mehr im Flugzeug, aber er ist alleine. Immer lauter werden seine Schreie. Dann wird es hell, und Tante Mina steht im Schlafanzug neben ihm. Sie hält ihn ganz fest. Jetzt endlich kann er weinen. Vorher hat er nicht geweint. Vorher hat er immer gedacht:"Ich schaff das schon."

"Ach, Jimin. Liebling! Was hast du denn Furchtbares geträumt? Hab keine Angst, ich bin da. Soll ich zu dir ins Bett krabbeln und dich festhalten, damit du merkst, dass ich da bin?"
Jimin weint. Und nickt. Und weint. Und klammert sich an Tante Mina. Aber er kriegt kein Wort raus. Sein Kopf ist voll mit einem einzigen Satz:"Ich will nicht in das Flugzeug!"

Tante Mina bekommt kein Wort aus ihm heraus. Also hebt sie Jimin hoch, trägt ihn rüber ins Elternschlafzimmer und legt ihn in Onkel Johns Bett. Sie fragt gar nicht mehr, sie zieht Jimin zu sich ran, mummelt ihn wieder in seine Decke und summt Schlaflieder. Lange. Sie fängt immer wieder von vorne an. Aber Jimin kann die Augen nicht zumachen. Denn dann ist er wieder im Flugzeug. Also sperrt er die Augen auf, damit er nur ja nicht einschläft.
Sein Kopf ist voll mit einem einzigen Satz:"Ich will nicht in das Flugzeug!"

Irgendwann müssen sie dann doch eingeschlafen sein. Jimin wird davon wach, dass Tante Mina vorsichtig versucht, aus dem Bett zu kommen.
"Nicht weggehen!"
"Ich lass dich nicht allein. Ich muss nur ganz furchtbar doll aufs Klo."
"Nein! Nicht alleine aufs Klo!"
Jimin klammert sich an Tante Minas Arm.
"Ach, du Ärmster. Muss das ein scheußlicher Traum gewesen sein! Komm einfach mit."
Wie ein geölter Blitz schießt Jimin aus dem Bett und hängt sich an Tante Mina. Sie gehen ins Bad, wo Jimin sich nahe bei der Toilette umdreht, damit er nicht zukuckt. Aber Tante Mina muss die ganze Zeit reden, damit er weiß, dass sie noch da ist.
Sie duschen, sie ziehen sich an, sie machen zusammen Frühstück, sie essen zusammen, sie packen die letzten Sachen ein. Jimin redet kein Wort und klemmt immer an Tante Minas Seite. Sie plaudert, singt, geht mit ihm im Park spazieren. Sie kommt nicht an ihn ran. Sie kann nur geduldig sein und immer bei ihm bleiben, damit er nicht schreit und weint.

Sie stellen fest, dass es schon mitten am Vormittag ist, also müssen sie sich jetzt beeilen. Als das Taxi vom Anwesen rollt, muss Tante Mina Jimin festhalten, damit er nicht aus dem Auto springt. Jimin weint leise vor sich hin. Mit einer Hand fischt die Tante irgendwie die Schäfchen aus seinem Rucksack und drückt sie ihm in die Hand. Jimin klammert sich daran wie ein Ertrinkender. Am Flughafen muss der Taxifahrer ihnen einen Gepäckwagen besorgen, weil Jimin so blockiert, dass Tante Mina die Koffer nicht tragen kann. Als am Check In die Koffer über das Fließband davonfahren, fängt Jimin laut an zu weinen. Er sieht die Blicke der anderen Leute auf sich und versteckt sein Gesicht. Er hört, wie Tante Mina Entschuldigungen murmelt und versucht, ihn zu beruhigen. Also hält er die Luft an. Tante Mina setzt ihm seinen Rucksack auf, hängt sich ihre Handtasche um und nimmt ihn auf den Arm. Sie läuft los. Jimin will gar nicht wissen, wohin. Es dauert und dauert und dauert. Endlos viele Rolltreppen und Gänge später sind sie an der Kontrolle. Jimin wehrt sich, als er sein Gepäck auf das Röntgenband legen soll. Er will nicht abgetastet werden. Tante Mina muss ihn dafür festhalten. Bei der Passkontrolle wird Tante Mina nach ganz vielen Papieren gefragt. Dann fragt der Mann, ob es wirklich richtig ist, dass dieses weinende Kind mit ihr mitfliegen soll. Jetzt klingt Tante Mina echt nervös. Aber sie kommen durch.
In ein Restaurant gehen sie nicht. Stattdessen kauft Tante Mina ganz viel Essen und Wasser und setzt sich mit Jimin auf dem Schoß in die Wartehalle am Gate, wie sie es nennt. Es dauert sehr lange, bis sie Jimin dazu bringt, etwas zu essen und zu trinken. Von da an kuscheln sie nur noch. Jetzt weint Tante Mina auch. Jimin spürt ihre Angst. Jimins Kopf ist voll mit einem einzigen Satz:"Ich will nicht in das Flugzeug!"

Eine Lautsprecherdurchsage fordert sie auf, sich an Bord zu begeben. Sofort fasst Tante Mina Jimin fester und zieht ihn an sich. Sie holt tief Luft, schnieft noch einmal und fängt an zu reden.
"Ich liebe dich sehr, Jimin. Und ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du keine Angst haben musst. Aber ich kann nicht machen, dass du keine Angst hast. Du musst mir dabei helfen. Alle anderen Passagiere gehen jetzt durch diese letzte Kontrolle, durch den Gang und ins Flugzeug rein. Das dauert fünfzehn, vielleicht zwanzig Minuten. Und dann MÜSSEN wir auch gehen. So viel Zeit bleibt dir jetzt, dich zu beruhigen und mir zu erzählen, was du heute Nacht geträumt hast, damit ich versuchen kann, deine Angst ein bisschen kleiner zu kriegen. Bitte, bitte nutze diese Chance. Hilf mir, dir zu helfen."

Wie immer schüttelt Jimin erstmal heftig den Kopf. Aber durch den Nebel aus Angst dringt ein neuer Gedanke: Tante Mina wird mit ihm dieses Flugzeug besteigen, ob er will oder nicht. Und dann fliegt er entweder mit oder ohne diese furchtbare Angst stundenlang über den weiten Ozean. Es liegt jetzt an ihm, wie es wird, verhindern kann er das nicht mehr. Also richtet er sich auf, wischt sich sein nass geweintes Gesicht am Ärmel ab, nimmt von Tante Mina ein Taschentuch an und putzt sich die Nase. Eine Viertelstunde, mehr Zeit bleibt ihm nicht.
"I... Ich ..."
Tief durchatmen!
"Ich ... warum ... ich mein' ... warum hast du eben geweint, Tante Mina?"
Sie kuckt ein bisschen erstaunt, aber sie antwortet schnell.
"Weil ich heute Nacht stundenlang einen weinenden Jimin im Arm hatte. Und weil du jetzt so sehr gefangen bist in deiner Angst und so viel weinst und dich so sehr quälst - und ich kann überhaupt nichts dagegen machen! Ich weiß einfach nicht, was du geträumt hast und wovor genau du jetzt Angst hast. Ich möchte nicht, dass du so viel Angst haben musst. Ich will, dass es meinem Jimin gut geht. Aber ich weiß einfach nicht mehr weiter."
Jimin schaut ihr genau ins Gesicht. Gesichter lesen hat er gelernt. Bei Tante Mina sieht er nichts als Sorge.
"Ich ... ich dachte, ... dass du weinst, weil du auch Angst vorm ... Fliegen hast."
Mit Tränen in den Augen lächelt Tante Mina ihn an, und das sieht irgendwie komisch aus.
"Nein, Jimin. Ich habe keine Angst vorm Fliegen. Ich glaube, dass uns da nichts passieren wird. Ich habe nur Angst um dich. Und ein schlechtes Gewissen für keine Ahnung was. Und die Angst, dass du mich hassen wirst dafür, dass du jetzt in dieses Flugzeug steigen musst. Bitte, bitte sage mir, was du geträumt hast. Wovor hast du Angst, Jimin?"

Jimin muss schlucken. Es fällt ihm so schwer, das auszusprechen. Er klammert sich an die Schäfchen, bis ihm die Hände weh tun.
"Ich ... Als ... du letzte Woche ... von den Sicherheitssachen gesprochen hast. Da ... da hab ich zum ersten Mal gedacht, dass auch was schief gehen kann. Und heute Nacht ..., da hab ich ... geträumt, WAS alles schief gehen kann. Alles. Alles kann schief gehen. Es war so viel. Und so oft. Und jedes Mal ist was anderes schief gegangen. Und ... und ... und das ... halte ich einfach nicht aus!"
"Na los. Ein paar Minuten haben wir noch. Was war das Schlimmste?"
"Du bist immer wieder verschwunden. Vom Klo. Im Gewühle. Im Dunklen. Dauernd warst du weg! Dann ist das Flugzeug runtergefallen. Oder in einer anderen Stadt gelandet. Und niemand hat mich abgeholt. Oder jemand hat mir mein Gepäck weggenommen. Oder du bist aus dem Fenster gefallen. Oder ... Und das hat immer wieder von vorne angefangen. Und das halte ich einfach nicht aus!"
"Ach, Jiminie. Das tut mir so leid. Da habe ich letzte Woche wohl einen Fehler gemacht. Hoffentlich kannst du mir das hinterher verzeihen. ... Lass mich kurz nachdenken."
Tante Mina schaut zu dem Kontrollpunkt, wo jetzt nicht mehr viele Menschen in der Schlange stehen. Ein paar Nachzügler kommen noch, und die Durchsage kommt noch mal.
"Hm. Schaffst du es, hier bei unserem Gepäck auf mich zu warten? Schhhhhh. Ich gehe nur die paar Schritte zu der Kontrolle. Ich gehe ohne dich nicht weg. Ich möchte fragen, ob wir etwas machen dürfen, was dir vielleicht hilft."
Jimin rutscht von Tante Minas Schoß, klammert sich an ihre Handtasche und hält die Luft an. Dann nickt er ganz vorsichtig.
"Ich ... versuchs."
"Du siehst mich die ganze Zeit. Es sind nur die paar Schritte. Ich höre dich auch. Ich hab dich lieb."

Als schließlich die ganze Schlange abgearbeitet ist, geht Tante Mina rüber zu den beiden Frauen und redet mit ihnen. Die eine kuckt ziemlich böse und zeigt auf Jimin. Da schrumpft er zusammen auf seiner Bank und versteckt sein Gesicht hinter Mama Schaf. Die andere sieht netter aus und hört auch richtig zu. Erst beraten sich die beiden Frauen. Dann greift die Nette zum Telefon und ruft jemand an. Jetzt legt sie auf und lächelt Tante Mina an. Nach wenigen Worten entspannt sich die Tante auf einmal, bedankt sich und kommt schnell zu ihm zurück.
"Es hat geklappt. Ich habe den beiden erklärt, wovor du Angst hast. Und dass wir gerne erst nach den Sicherheitseinweisungen ins Flugzeug gehen würden. Ich bin ja schon so oft geflogen und weiß genau, was ich machen muss. Also hören sich die anderen das an, dann erst steigen wir ein, und ich selbst erkläre dir alles, was du wissen musst. Dann kann ich nämlich aufpassen und merken, wenn es zu viel für dich wird. Klingt das besser?"
Jimin macht große Augen und fällt Tante Mina um den Hals.
"Danke! So kann ich das glaube ich ... vielleicht ... schaffen."

Tante Mina holt einige Papiere aus ihrer Handtasche und die Pässe, hängt sich ihre Handtasche um, setzt Jimin den Rucksack auf und hebt ihn wieder hoch.
"So. Hast du die Schafe noch in der Hand? Dann wollen wir mal. Wir sitzen nicht hinten, wo die vielen Leute sind, sondern vorne. Da sind nur wenige Leute, da sind die Sitze bequemer, da ist viel mehr Platz. Da ist es leiser, und die Toilette ist auch größer. Wenn wir gleich geholt werden, beeilen wir uns, damit das Flugzeug pünktlich starten kann. Okay? Zusammen schaffen wir das."
Jimin weiß nicht, ob er das glauben kann. Aber so lange Tante Mina nicht vorm Fliegen Angst hat sondern um ihn, kann das ja vielleicht gehen.
Es dauert noch eine Weile, dann kommt die nette Frau zu ihnen, kontrolliert die Papiere und bringt sie bis ins Flugzeug. Da vorne sind tatsächlich nur so ungefähr fünfzehn große Sitze. Zwei sind besonders nah beieinander, da werden sie hingeführt. Tante Mina setzt ihn ab, schiebt ihre beiden Gepäckstücke in einen Schrank an der Seite, setzt sich hin, schnallt sich an und zieht Jimin auf ihren Schoß.
"So. Bis du dich auch anschnallen musst, können wir noch kuscheln. Magst du ein Kaugummi haben? Nimm dir eins. Das hilft nämlich auch gegen die Angst. Klingt komisch, ist aber so."
Endlich kann Tante Mina wieder lachen. Das ist das allerbeste gegen die Angst.

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1.10.2021    -    16.8.2022

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