Die Aura des Schreckens

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Es ist einer dieser grauen, schneestürmenden Wintertage, der selbst die immer schummrige Dunkelheit Mordors noch düster macht. Der eiskalte Wind pfeift laut jaulend durch die Felsspalten und vermag es sogar in unsere geschützte Höhle vorzudringen. Vervada und ich liegen dicht beieinander, uns gegenseitig beschützend im Angesicht der Kreaturen, deren Abscheulichkeit in den vergangenen Monaten noch mehr anwuchs, auch wenn ich es nie für möglich gehalten hätte. Selbst der kleinste und schwächste Funke Wohlgestalt kann in ihren hässlichen schwarzen Leibern keinen Nährboden finden. Seitdem die Neun ausgezogen sind, scheint es zudem so, dass eine dunkel-wabernde Aura sie umgibt wie ein undurchdringlicher Nebel. Der ihre Gemüter noch hassender, ihre Stimmen noch heulender und ihre Augen noch niederträchtiger macht.

Deshalb habe ich Sura auch eine kleine abgelegene und für die Kreaturen unerreichbare, da zu enge, Höhle zugewiesen, wenn sie sich vor dem Schrecken Mordors flüchten möchte. Denn ich habe regelrecht Angst, dass die Brut des Bösen sie verschlingt. Ich kann es nicht erklären und noch weniger verstehen, aber irgendetwas bindet mich an dieses eigentlich hassenswerte Geschöpf und mein jahrhundertelang gereiftes Bewusstsein versucht mir unaufhörlich einzureden, dass sie für das Schicksal meiner Tochter und meines noch eine große Rolle spielen wird.

Trotz meiner geschlossenen Augen und dem leichten Schlaf, ist der Geist und Instinkt eines Raubtieres fortwährend wachsam. Drachen hören und riechen und sehen erstaunlich gut, besonders in der Dunkelheit und Stille einer Höhle und so entgeht mir auch nicht die kleine Veränderung der Verlassenheit um uns herum. Sie ist kaum wahrnehmbar, aber jagt blitzartig einen Feuersturm aus Grausen und Entsetzen durch meine Glieder. Und ehe ich mich dessen bewusst werden kann, dröhnt eine Welle aus dunkler Macht durch unsere Unterkunft und lässt die Wände erzittern, sodass sich sogar tiefe Risse in ihnen bilden und Gesteinsbrocken von der Decke fallen.

Ich versuche mich zu erheben, aber die Stärke eines Maiar ist unüberwindlich für weltliche Kreaturen und die dieses Einen noch um ein hundertfaches mehr, denn er wurde von Melkor persönlich mit Hass und Einfluss begünstigt. Das aufgleißend helle Strahlen blendet Vervada und mich und schmerzt unsäglich in den lichtempfindlichen Augen. Und dann strömt es von dort aus durch meinen Körper hindurch wie flüssiges Feuer und die Erkenntnis, was mit mir passiert, schneidet wie ein Messer durch die Eingeweide, denn ich musste diese Qual schon einmal erleiden, und kann mich nur zu gut an die Auswirkungen erinnern.

Schuppen und Haut, Krallen und Flügel scheinen unerbittlich grausam im lodernden Feuersturm zu verbrennen und ich brülle auf, als ich das Wehklagen meiner Tochter höre, die die gleichen Schmerzen zu erleiden scheint. Aber gegen meine hoffende Erwartung ist auch die Stimme schwach und gebrochen und verliert mit jeder brennenden und transformierenden Heimsuchung mehr und immer mehr an Festigkeit.

Und dann ist es vorbei ... genauso schnell wie es begonnen hatte. Ich kaure auf dem Boden, die erneut menschlichen Arme um die humanoid-schwache Gestalt geschlungen und versuche verzweifelt das Zittern aus den Gliedern zu verbannen. Das Schwelen ist noch immer in ihnen und die Kälte des Steinbodens dringt wie unzählige kleine Glassplitter in die schwarze Haut. Das Wimmern meiner Tochter, der eigene heftige Atem und das rauschende Blut durch die Venen und Adern dröhnen betäubend laut in den Ohren. Als ich nach gefühlten Minuten die Willenskraft aufbringen kann die Augen zu öffnen, sehe ich Vervada neben mir. Weinend und zitternd und ebenfalls in einer annähend menschlichen Gestalt gefangen. Schwarz-glänzende Haut, unterbrochen mit wenigen dunkelvioletten Schuppenhaufen ... lange dunkle Haare, strähnig verhüllen sie die zierliche Gestalt ... malvenfarbene Augen, voller Trauer und Furcht ... und sie sieht so dünn und kraftlos und gebrochen aus in ihrer Angst und Fassungslosigkeit.

Und trotzdem die Höhle um mich herum schwangt und meine Glieder schreiend ihren Widerwillen kundtun, richte ich mich auf und funkle durch den verschwommenen und mit nebligen Schlieren übersäten Blick meinen Todfeind an, der sich in seiner feurig-glühenden und mächtigen Präsenz vor uns aufgebaut hat. Aber anders als das letzte Mal, als ich ihn sah, ist seine Gestalt klarer und materieller, so als ob er bereits einen großen Teil seiner Kraft zurückerlangen konnte. „Sauron!", zische ich ... die Stimme hoch und unwillkommen zitternd durch Schmerz und Pein. Meine Beine beben und wollen nachgeben, aber ich zwinge mich dazu aufrecht zu stehen und ihm mit so viel Macht und Stärke entgegenzutreten, die ich aufbringen kann.

„Meine kleine Wölfin ... es freut mich, Euch wiederzusehen", faucht er in der schwarzen Sprache unseres Herren und kommt auf mich zu. Die flammende Existenz ist drückend-heiß und unheilvoll-einflussreich, sie lässt mich kurz zurückzucken und benommen schwanken. „Wie ich sehe, habt Ihr Euch all die Jahre gut um meine Geschöpfe gekümmert", bemerkt er abfällig klingend und streicht einem der Wesen über den schwarzen Kopf, das sich ehrerbietend vor ihm verneigt. Und bei dem abscheulichen Anblick wird mir speiübel.

„So wie Ihr es mir aufgedrängt habt ... und ich hoffe, dass Ihr hier seid, um uns von ihrer Widerlichkeit zu befreien", fauche ich verächtlich und trotzig aus und ziehe meine noch immer zitternde und wimmernde Tochter auf die Beine. Sie darf keine Schwäche vor ihm zeigen, denn Ohnmacht und Wehrlosigkeit macht ihn stärker und mächtiger, ermöglicht ihm, in die Gedanken einzudringen und sie zu manipulieren. Sauron lacht aus ... ein hallend-dröhnender Missklang aus Hohn und Erniedrigung. „Ja das bin ich ..." Und kaum, dass er die Worte gesprochen hat, treten Gestalten aus dem Dunkel. Riesengroß und lichtlos und gepanzert wie ein Drache, eine Aura des Schreckens und des Schmerzes umgibt die Neun ... die Unsterblichen ... die Ringgeister ... die Nazgûl.

Ich schiebe Vervada schützend hinter mich, als der Größte unter ihnen vortritt und ebenfalls einem der Wesen über den Kopf streicht. Zielgerichtet hat sich der Geisterkönig den Erstgeborenen ausgesucht, der von Anfang an der Kraftvollste, Widerwärtigste und Brutalste von ihnen war ... ein Spiegelbild seiner eigenen abscheulich-düsteren Substanz.

Einst war er ein großer Menschenkönig ... herrschaftlich, mutig, stark und edel ... aber als Sauron ihm als Ersten einen der Ringe gab, wurde seine heroische Seele überschattet von der Gier nach Macht und Reichtum ... verdorben durch falsche Versprechungen und niederträchtige Worte. Sein Hinübergleiten in die Finsternis war schmerzvoll für ihn, seine Familie und Untertanen, denn in seiner Besessenheit konnte er zwischen Freund und Feind nicht mehr unterscheiden und folterte, quälte und tötete wahllos und bestialisch. Frau und Kinder starben leidvoll in den Folterkammern seines Reiches, da er seine Macht durch sie gefährdet sah. Sein Wesen ist so voller Ekel, Wut und Raserei, dass er schnell zum Anführer der Ringgeister und damit auch zum höchsten Diener des dunklen Herrschers aufstieg. Und die Macht wächst mit jeder gräulichen Tat, die er oder seine Untergebenen vollbringen.

Als ich wahrnehme, wie sich die Auren der beiden Kreaturen verbinden und zu einer Einheit des absolut Boshaften und widerwärtig Abscheulichen werden, erzittere ich unbewusst. Ich sehe ein Verhängnis auf Mittelerde ... wenn nicht sogar auf ganz Arda ... zukommen. Schwarz und dumpf wie undurchdringlicher dicker Nebeldunst in der finstersten Nacht wabert es auf mich zu und umgibt alle hoffnungsvollen Zukunftsgedanken. Ich schließe kurz die Augen um den hervorgerufenen Schwindel zu unterdrücken, werde aber nur mit einem Bild vom zerstörerischen Fall der zeitlosen Hallen gequält. Auch wenn ich eine Kreatur des Bösen bin, ein Ainur erschuf und Eru akzeptierte mich und dafür schulde ich ihm Dank und Respekt. Hätte ich diese Geschöpfe, die ich meine Nachkommen nennen muss, doch nur getötet, als ich noch die Kraft und Möglichkeit dazu hatte.

Auch die anderen Ringgeister kommen auf uns zu. Unheilverheißend sind ihre glanzlosen Präsenzen, durchdringend ihre Stimmen, schwarz ihre Kleider und Rüstungen, vergiftet ihre Schwerter, Waffen und Schilde. Die geflügelten Wesen verbeugen sich ehrerbietend vor ihnen und sie scheinen fast zahm und gehorsam in der Gegenwart ihrer neuen Herren. Ekel und Abscheu steigt erneut in mir auf und ich nehme die zitternden Finger meiner Tochter an der empfindlichen Haut war. Automatisiert ziehe ich sie näher zu mir heran und lenke damit unglücklicherweise die Aufmerksamkeit des Hexenkönigs auf uns.

Zusammen mit Sauron kommt er auf uns zu und ehe ich reagieren oder auch nur denken kann, werden wir von einer Druckwelle an die steinerne Wand hinter uns gedrückt. Unsere Füße schweben Zentimeter vom Boden entfernt und die Präsenz eines Untiers scheint auf meiner Brust zu sitzen, so schwer fällt es mir weiter zu existieren. Sauron tritt an mich heran und der feurige Atem, der mir ins Gesicht schlägt, riecht nach Verderben, Tod und Zerstörung.

„Macht mit mir was Euer Begehr ist ... aber lasst meine Tochter zufrieden", fordere ich vermessen in der Verzweiflung. „Sie ist so jung und unschuldig ... noch nicht einmal ihr Feuer hat sich entwickelt." Aber Sauron lächelt nur hämisch und umklammert mein Kinn mit gepanzerten Fingern. Die scharfen Spitzen der Handschuhe bohren sich in die Haut und ich spüre, wie das Blut tropfenweise auf die Brust fällt. „Niemand ist unschuldig, wenn er den dunklen Wesen Ardas angehört." Seine Stimme ist wie das Gift einer Schlange in den Ohren und tobt zerstörerisch-ätzend durch alle Glieder. „Oh ich werde noch viel Spaß mit Euch in dieser Gestalt haben, das verspreche ich. Aber Eure Tochter kommt erst einmal mit mir ... als ein Unterpfand für Eure Treue", würgt er aus und mein Atem beschleunigt sich panisch. „Ich bin Euch zu keinerlei Pflichterfüllung ergeben ... einzig Melkor kann mir Befehle erteilen und Gehorsamkeit verlangen", entgegne ich, aber meine Stimme ist noch nicht einmal halb so fest und bestimmend, wie ich es erhofft hatte.

„Dennoch werdet Ihr mir folgen wie eine räudige Hündin ... Euch beugen, wie ich es von meiner Gemahlin verlange!", zischt er, seine Hand wandert zu meinem Hals und der ausgeübte Druck ist Demütigung und Zeichen der Inbesitznahme zugleich. „Ich werde niemals Eure Gemahlin werden", presse ich stockend unter Schmerzen und Anstrengung hervor. „Oh doch!", faucht er und lässt seine glimmende Zunge anstößig der Spur des Blutes folgen. „Ich werde Eure Tochter mitnehmen und in einer meiner netten Kerker einsperren ... meine Diener werden Freude mit ihr haben, aber sie nicht töten. Wenn die Zeit gekommen ist, werdet Ihr um ihr Weiterleben Willen für mich kämpfen bis zum Sieg. Und wenn ich endlich die Herrschaft über Arda erlangt habe, erhebe ich Euch zu meinem Eigentum und Eure Tochter wird die hohe Königin der Nazgûl."

Ich huste vor Schmerz und Qual aufgrund des Drucks und den mein Dasein mit Panik erfüllenden Plan, denn er mir eben offenbarte. Mit unbeschreiblicher Willenskraft schaffe ich es zu Vervada zu sehen und stocke unter der Kälte des Schauers, der mir bei dem mir bietenden Anblick über den Rücken läuft. Er umschließt meine Glieder wie einen Eisblock und lässt mich schier wahnsinnig werden. Der Geisterfürst bedrängt meine Tochter auf schändlichste Weise. Die Spitzen seiner Panzerhandschuhe haben bereits tiefe Wunden auf ihrer Haut hinterlassen und sie fleht ihn verzweifelt und mit feuchter Stimme an seinen Anspruch nicht noch darüber hinaus an ihr zu demonstrieren. Ich beschwöre sie still sich nicht noch weiter in der nur allzu verstehenden Angst zu verlieren und stattdessen standhaft und stolz zu bleiben, so wie es einer Drachin gebührt, und tatsächlich hält sie mit dem Betteln und Flehen inne und der Hexenkönig verliert zusehends die Lust an ihren Qualen.

Ich atme so gut es mir in der immer noch bestehenden Umklammerung möglich ist erleichtert aus und sehe wieder zu Sauron, der mich mit einem wissenden Ausdruck in den schwarz-glimmenden Augen betrachtet. „Die goldene Zunge der Drachen ... auch gedanklich sehr einflussreich", bemerkt er dennoch unbeeindruckt klingend und weißt seinen ersten Diener mit einer einfachen Handbewegung an sich von Vervada zu entfernen. Er schiebt seine Hand noch ein wenig weiter nach oben um mich zu zwingen zu ihm hinaufzusehen und oh, wenn Blicke töten könnten, meine würden ihn gerade gnadenlos erdolchen. „Ihr kämpft für mich, wenn ich Euch rufe, habt Ihr das verstanden?! Wenn nicht, werde ich Eure Tochter den geflügelten Wesen zum Fraß vorwerfen!", verdeutlicht er mir noch einmal seinen Befehl und die Konsequenzen einer Nichtbeachtung dessen und dann lässt er mich plötzlich los und ich sacke kraftlos und von Schwindel und Ekel gelähmt auf dem kalten Steinboden zusammen.

Durch die Schlieren des Unwohlseins und der aufkommenden Tränen kann ich nur hilflos mit ansehen, wie die Nazgûl ihre Reittiere besteigen und ihr Führer meine kleine Tochter mit sich auf den Rücken des Untieres zieht. Und mit aller Kraft, die ich noch aufbringen kann, verspreche ich ihr stimmlos, dass ich sie retten werde.

Keinen Augenblick später sind sie mit entsetzlich-heulenden Lauten verschwunden und die Höhle um mich herum ist leer ... still ... kalt. Erst jetzt erlaube ich mir herzzerreißend klingend und seelenwund aufzuschluchzen und die Tränen brennen unablässig auf der Haut. Die Hände vor das schmerzverzerrte Gesicht schlagend, gebe ich mich der Verzweiflung hin, die sich meinem Leben bemächtigt hat und es zerspringen lässt wie einen Spiegel. Die spitzen Scherben bohren sich sadistisch qualvoll in mein Dasein, hinterlassen Wunden, die so tief und klaffend sind, wie es noch keine vorher war.

Erst als ich eine bedächtige Bewegung neben mit wahrnehme, sehe ich erschrocken auf. Es ist Sura, die aus ihrem Versteck alles mit ansehen musste und nun hervorgekrochen kommt. Sie zittert am ganzen Leib und ihre dunklen Augen sind leer und verängstigt. Sauron in seiner materiellen Präsenz und die Nazgûl kannte sie bislang nur aus Erzählungen und ihr beschränkter Verstand konnte sich die Grausamkeit trotz aller malträtierten Selbsterfahrung nicht einmal ansatzweise erdenken.

Langsam kommt sie auf mich zu und in ihrem Blick liegt so viel ... Furcht, Mitgefühl, Reue, Mutlosigkeit, Sorge, Entsetzen ... und ich schäme mich augenblicklich vor ihr. Nicht nur, weil ich noch immer in dieser hassenswert schwachen Gestalt gefangen bin, sondern weil sie mich so hilflos und gebrochen sehen konnte, ohnmächtig im Angesicht des Bösen. Ich schluchze dennoch erneut auf und breche abgekämpft zusammen, als die Welt über mir einstürzt und mein Dasein gnadenlos zu zerquetschen droht.

Aber dann fühle ich, wie sich Arme um mich legen und sie mich an sich zieht. Kurz muss ich den Würgereflex unterdrücken, der aufkommen will, als ich ihre stinkende Haut so nah an mir wahrnehmen kann, aber dann gebe ich mich ganz und willenlos der Umarmung hin ... die Erste in meinem langen Leben. Und sie fühlt sich so gut und Mut spendend an und ein kleiner Keim der Hoffnung bricht durch die dicke Kruste der Hoffnungslosigkeit, die sich meiner bemächtigt hat.

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