47 - Matthi

           

Jonathan hatte behauptet, in Warnheim würden sich Gerüchte schneller verbreiten als Magen-Darm. Und in den folgenden Tagen war es Raphaels Gerücht, das langsam durch die Köpfe der Nachbarn sickerte, das von einigen unbeachtet hingenommen und von anderen weitergegeben wurde.

In der Schule drehten sich Köpfe in seine Richtung oder schnell von ihm weg, Flüstern erhob sich oder erstarb in dem Moment, in dem er den Raum betrat. Zumindest bildete er sich das ein. Wenn sie unter dem Dachfirst der Schule im Kunstraum saßen und darauf warteten, dass Frau Dietrich kam. Roberta und Melanie hatten ihren Stammplatz auf der Fensterbank eingenommen und hielten überraschenderweise nicht ihr Handy in der Hand. Dafür redeten sie über irgendetwas, nicht quietschend kichernd, sondern leise und in einem verschwörerischen Ton.

Luisa hatte Ohrstöpsel in den Ohren und setzte das Datum des gestrigen Tages auf ihre unordentlich dahin geschmierten Hausaufgaben. Raphael ließ sich auf seinen Stuhl sinken und hoffte, Frau Dietrich würde ihren Kaffeeklatsch am Kopierer ausnahmsweise einmal ausfallen lassen. Er bückte sich nach seinem Rucksack und legte in Zeitlupe seine Sachen zurecht. Melanie und Roberta redeten immer noch ungewohnt leise in seinem Rücken, ihre Blicke saßen Raphael im Nacken.

Als es schließlich nichts mehr gab, dass er hätte zurecht rücken können, lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und knibbelte an einer eingetrockneten Kleisterspur. Früher hatte er in solchen Situationen sein Handy gezückt und war dahinter verschwunden. Aber die Vision eines neuen Handys war in weite Ferne gerückt und auf die Arbeitskollegin von Junas Mutter würde er jetzt wohl auch nicht mehr hoffen können.

„Stimmt es?" Roberta war diejenige mit der größeren Klappe. Dennoch war es Melanie, die ihn fragte. Raphael drehte sich zu ihnen um. Er musste die Augen zusammenkneifen, durch das Fenster fielen ihm die grellen Sonnenstrahlen ins Gesicht.

Es war das erste Mal, dass ihn das gefragt wurde. Jonathan hatte es einfach irgendwie gewusst. Juna auch, genauso wie seine Eltern. Raphael schirmte sich mit einer Hand gegen die Sonne ab. Ein Kleisterstück löste sich und fiel auf den Boden. „Ja, schon."

Roberta zog prüfend die Nase kraus – wahrscheinlich eine nervige Angewohnheit, wenn man selbst nur zu gerne Halbwahrheiten von sich gab – dann drehte sie sich zu Melanie um. Robertas rot bemalten Lippen glitten mit einem schmatzenden Geräusch auseinander und entblößten ein euphorisches Grinsen. „Et voila, einen Döner für mich!" Melanie seufzte und ließ den Kopf resigniert gegen die Fensterscheibe sinken. „Wehe du nimmst mit extra Soße." Raphael zog die Nase kraus, wartete auf einen abschließenden Kommentar, einen Faustschlag ins Gesicht, eine Reaktion. „Im Ernst, Ruby. Du hast mich diesen Monat schon den Kino-Eintritt gekostet. Dabei war der Film grausig." Roberta zog an einer von Melanies dunklen Locken und lachte, als sie wieder zurück an ihren Platz sprang. Bevor sie weiter sprach, warf sie Raphael einen schnellen Blick zu.

„Nicht, dass du denkst, wir hätten-" „Wetten abgeschlossen?", unterbrach er sie stirnrunzelnd und wusste nicht, ob er verärgert oder belustigt sein sollte. „Keine Sorge, hört sich nicht im Entferntesten danach an."

Vom Gang ertönten die energischen Schritte von Frau Dietrich, das Kommando für Roberta und Melanie synchron von der Fensterbank zu rutschen. Raphael seufzte. „Na hoffentlich schmeckt der Döner", bemerkte er sarkastisch. „Und tu mir einen Gefallen und nimm definitiv mit mehr Soße." Roberta reckte beide Daumen in die Luft. „Mit extra scharfer Soße und ohne Zwiebeln", bestätigte sie und Frau Dietrich sowie ein Hauch ihres Parfums gemischt mit dem Geruch frisch kopierter Blätter wehten ins Klassenzimmer.

„Mittagessen unter Dach und Fach? Dienen die Ohrhörer nur zur Dekoration oder darf ich das dazugehörige Handy vorne auf mein Pult legen? Ja, sehr gut. Dann hat niemand etwas dagegen mit dem Unterricht zu beginnen", sagte sie und zwischen ihren Augenbrauen schossen zwei strenge Falten in die Höhe. Luisa verdrehte die Augen und zog sich ihre Stöpsel aus den Ohren. Melanie betrachtete missmutig den zerknitterten Fünfeuroschein, den sie aus ihrer Jeanstasche gezogen hatte. Für zwei Döner würde der wohl nicht mehr reichen.

Roberta und Melanie ein Gerücht zu bestätigen war in etwa so effektiv wie ein Megafon zu benutzen. Jeder, der es zuvor nicht mitbekommen hatte, wusste spätestens jetzt, dass dieser große braunhaarige Typ aus der elf schwul war.

Die Woche neigte sich dem Ende und immer noch wartete Raphael darauf, das erste Mal Matthis Namen zu hören. Jeden Tag aufs Neue stand Raphael an der Bushaltestelle vor Lissas Haus und fragte sich, wie zur Hölle Matthi es geschafft hatte, so vollkommen unerkannt aus der ganzen Sache herauszukommen. Joshis Suche nach dem Unbekannten war erfolgslos geblieben und Jonathan, der zum einen Juna über Matthi hatte reden hören und dem zum anderen Raphaels Starrerei auf die andere Straßenseite nicht entgangen sein konnte, hatte seit der geschwänzten Mathestunde am Dienstagnachmittag nicht mehr in vollständigen Sätzen mit Raphael gesprochen.

Am Freitagnachmittag war es besonders schlimm. Wie immer stand Raphael neben dem verrosteten Bushaltestellenschild und stierte auf den stumpf in der Sonne glänzenden Asphalt. Er wollte nicht an Matthi denken. Er wollte alles tun, außer an ihn zu denken. Aber eine Stunde vor Lissas Haus verging quälend langsam. Besonders, wenn man keine Musik hatte, mit der man sich an einen anderen Ort denken konnte. Und so konnte Raphael es nicht verhindern, dass seine Gedanken wie ein gespanntes Gummiband immer wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück flitschten.

Die Einfahrt stand leer und im Innern des Hauses rührte sich nichts. Herr Marrlach telefonierte, es ging um seine kranke Schwiegermutter. Magda. Sie hieß Magda und hatte eine Blasenentzündung. Irgendwann verlor sich Herrn Marrlachs monotone Stimme im Rauschen der vorbeifahrenden Autos, in dem immerwährenden Takt der Radiomusik, die aus einem geöffneten Fenster quoll.

Die letzten Nächte waren unruhig gewesen, immer wieder war Raphael aufgeschreckt, hatte sich schwer atmend aufgesetzt und versucht, etwas in der Dunkelheit seines Zimmers zu erkennen, das nicht existierte. Wenn sein Herzschlag sich wieder beruhigte hatte, hatte er sich erneut schlafen gelegt, nur um ein paar Stunden später von denselben diffusen Traumbildern verfolgt zu werden. Jetzt, eingelullt von den surrenden Geräuschen um ihn herum und den wärmenden Sonnenstrahlen auf seiner Haut spürte Raphael, wie ihm die Augen zufielen.

Fast wäre er im Stehen eingenickt und hätte sich in undeutsamen Tagträumen verloren, als plötzlich Autotüren geschlagen wurden.

„Matteo du Dummgesicht, du hast den falschen Ball eingepackt!" Frederiks Stimme drang zu Raphael durch die sommerschwere Luft herüber. „Matthi, Freddie hat Dummgesicht gesagt", beschwerte Matteo sich prompt und kletterte mit trotzig verschränkten Armen von der Rückbank. „Dummgesicht, Dummgesicht, Dummgesicht!", provozierte Frederik seinen Bruder weiter und stieg ebenfalls aus. In den Händen hielt er ein Paar Fußballschuhe.

„Mama hat gesagt du darfst mich nicht mehr so nennen", wehrte Matteo sich und stemmte die Hände in die Hüften. Er erinnerte an ein zu klein geratenes zorniges Rumpelstilzchen. „Mama hat gesagt, ich darf dich nicht mehr Arschgesicht nennen." Triumphierend streckte Frederik die Zunge heraus und lachte. „Du bist selber ein richtiges Arschgesicht!", schrie Matteo und das etwas zu klein geratene, zornige Rumpelstilzchen lief auf Frederik zu und stieß ihn rückwärts. Frederiks Schuhe landeten auf dem Boden, sein Kopf knallte mit einem dumpfen Geräusch gegen den Gartenzaun. Einen Augenblick lang wirkte es so, als würde er anfangen zu heulen, dann griff Frederik sich seine Stollenschuhe und startete, sie wie einen Todesstern um sich schleudernd seinen Gegenangriff.

„He ihr Dummgesichter. Eure Sachen sind noch im Auto!" Raphael biss die Zähne zusammen. Es war Matthis Stimme. Sie klang rauer, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Aber vielleicht waren Stimmen auch das erste, das man vergaß. Matthi hatte ihn noch nicht bemerkt, sein Kopf verschwand im Auto, er stellte eine Sporttasche auf dem Boden ab, hielt einen Ball gegen den Oberschenkel gedrückt und schloss die Tür.

Für den Bruchteil einer Sekunde blieb sein Blick an Raphael hängen, erst dann fiel Matthi auf, dass seine Brüder sich gerade die Köpfe einschlugen. Raphael konnte die Zwillinge nicht mehr auseinanderhalten, aber sie hatten sich ineinander verkeilt und einer der beiden, er tippte auf Frederik, schrie immer noch lauthals „Dummgesicht! Dummgesicht!".

Die an den Schnürsenkeln zusammengebundenen Fußballschuhe hingen in einer Schlinge um Matteos Hals, Frederik suchte offensichtlich nach dem besten Winkel, sie zu zuziehen. Matthi hechtete vorwärts und drängte sie auseinander. Es gab ein wildes Gerangel, Matteo begann wild um sich zu schlagen und erwischte Matthi mit den Stollen am Hals. Rote Striemen zeichneten sich auf seiner Haut ab, Matthi knurrte etwas unverständliches, drehte sich um. Der Fußball glitt ihm aus den Fingern. Mit einem letzten Schritt versuchte Matthi den Ball zu erreichen, Frederik bemerkte ihn ebenfalls, ließ die Schuhe los und machte einen Satz vorwärts. Raphael erstarrte, in letzter Sekunde packte Matthi seinen Bruder an der Schulter und drückte ihn zu Boden. 

Der Ball prallte von der Bordsteinkante ab, ein rostrotes Auto schob sich vorbei, fuhr einen Schlenker um den Ball herum. Der Fahrer gestikulierte wild, bremste nur um wieder zu beschleunigen. Erst als das Auto hinter der nächsten Straßenecke verschwunden war, spürte Raphael, wie die Anspannung von ihm abfiel.

„Sag mal habt ihr sie noch alle!", platzte es aus Matthi heraus. Seine Wangen waren gerötet, der Schock stand ihm auf die Stirn geschrieben. Als Matthi den Arm hob und sich mit dem Handrücken über die Stirn wischte, meinte Raphael seine Finger zittern zu sehen. Unterdessen rollte der Fußball langsam auf ihn zu.

Auf der anderen Straßenseite versicherte sich Matthi, dass Matteo immer noch hinter ihm stand und Frederik auf dem Gehweg sitzen blieb. Raphael folgte dem Ball mit seinem Blick, schätzte die Sekunden wie lange es dauern würde, bis der Ball gegen den Bordstein vor seinen Zehenspitzen stieß. Jonathan hätte das sicherlich berechnen können. 

„Schau mal, Matthi. Da ist Raphael!", rief Matteo plötzlich und hörte damit auf, Matthi Frederiks Schuhe in die Kniekehlen zu rammen. Frederik winkte vergnügt. Der Fußball überquerte die Straßenmitte und stieß sachte gegen die Bordsteinkante. „Oh." Matthis Mund formte sich rund, eine Pause entstand. „Ja", er griff nach Matteos Hand, „stimmt."

Oh, ja. Stimmt. Das war alles, was Matthi jetzt noch zu sagen hatte. Nach einer Woche, die Raphaels komplettes Leben auf den Kopf gestellt hatte, Matthi aber nicht mehr bedeutete als der Dreck zwischen seinen Zehen. Ihm nicht mehr bedeuten musste als der Dreck zwischen seinen Zehen. Einfach weil es ihm egal war, weil es mit seinem Leben nichts mehr zu tun hatte. Weil er, Raphael, nur noch als schweigender Komparse neben einer verrosteten Requisite darin vorkam.

Der Fußball lag immer noch da. Raphael ging langsam in die Knie und hob ihn auf. Er war violett, nicht grün so wie Lissas Ball. Unschlüssig blieb er stehen, die Sonne hatte die Plastikbeschichtung erwärmt. Es war keine breite Straße, er könnte den Ball werfen. Und damit riskieren, dass er nur einen knappen Meter weit kam und der Ball zu Frau Niederbach flog oder sonst wohin.

Damals, bei den Bundesjugendspielen war ihm das auch mal passiert. Einen Meter dreiundfünfzig hatte er geworfen, aus lauter Nervosität den Wurf zu versemmeln. Rica hatte ihm danach eine Urkunde gebastelt, für den schlechtesten Wurf aller Zeiten. Raphael schüttelte die Erinnerungen an Rica ab und zwang sich dazu tief durchzuatmen. Dann drehte er den Kopf zu beiden Seiten und steuerte auf Matthi und die Zwillinge zu.

„Hier", sagte er schnell, ging in die Hocke und drückte Frederik den Ball in die Hand. Jetzt einfach wieder umdrehen und zurück auf die sichere Seite. Als wäre er derjenige, der es verdient hatte fliehen zu müssen. „Danke, Raphael." Frederik grinste breit und wenn er vor wenigen Minuten nicht drauf und dran gewesen wäre seinen Bruder zu erdrosseln, hätte Raphael es ihm sicherlich abgenommen.

Als er wieder aufstehen wollte, hielt Frederik ihn zurück. Er griff nach Raphaels Hand und zog sich an ihr hoch, bis er wieder auf beiden Beinen stand. „Ich kann das jetzt. Mit den Löffeln, weißt du?" Raphael brauchte einen Augenblick, bis er verstand, dass Frederik das Messer-Spiel meinte, dass sie zu einem Löffel-Spiel umfunktioniert hatten. Als er noch mehr gewesen war als ein stummer Statist in einem fremden Theaterstück. „Matthi hat immer noch richtig Angst davor, das ist lustig." Er kicherte und Raphael sah, wie Matthi sein Gewicht vom einen Bein aufs andere verlagerte.

Er trug zerfetzte Sneaker, die vor Jahren einmal weiß gewesen sein mussten. „Das ist cool. Musst du mir irgendwann mal zeigen, hm?", sagte Raphael zögerlich. Frederik nickte so schnell mit dem Kopf, dass seine Haare auf und ab wippten. „Ich kann es dir jetzt zeigen, ich werde auch immer schneller!" Raphael räusperte sich. „Wirklich gerne, aber ich darf meinen Bus nicht verpassen. Der kommt gleich." Gleich in fünfunddreißig Minuten. „Oh." Frederik sah Raphael enttäuscht an und schob schmollend die Unterlippe vor.

„Aber zu unserem Fußballturnier kommst du doch, oder?"

Raphael war versucht, Matthi einen fragenden Blick zuzuwerfen, einfach nur so um zu sehen, ob er auch ein Interesse daran hatte, aus dem Schlamassel wieder heraus zu kommen. Aber Matthi sagte nichts. Dafür übernahm Matteo das Reden.

„Es ist nicht unser Fußballturnier, du darfst noch nicht mal spielen." Frederik stampfte mit dem Fuß auf. „Ich darf wohle spielen", entgegnete er wütend. „Ich spiele viel besser als-" „-als Matthi vielleicht. Oder eine amputierte Ameise." Matteo lachte, Frederik drehte sich um und mit einem Mal war Raphael wieder vergessen. Frederik stieß Matteo den Ball gegen die Brust. „Du Arschgesicht! Ich bin Auswechselspieler, hat Levi gesagt." 

„Wenn ihr jetzt nicht beide euren Schnabel, haltet sperre ich euch zusammen im Auto ein, bis nur ein Dummgesicht lebend wieder rauskommt, klar?"

Matthis Machtwort zeigte Wirkung. Matteo und Frederik verstummten und beschränkten sich auf den Austausch wütender Blicke. Dafür war das entstehende Schweigen nur umso drückender. Raphael hockte immer noch dicht über dem Boden, das einzige, was er von Matthi sah, waren seine ausgebeulten Schuhe. 

„Hältst du den Ball fest, Frederik? Dann nimmt Matteo die Sporttasche." Raphael begann, sich auf Kopfhöhe der Zwillinge fehl am Platz zu fühlen. Und Matthi redete, als wäre er erst gar nicht vorhanden. „Die Tasche ist aber viel schwerer", maulte Matteo leise, trottete Frederik aber in Richtung Haustür hinterher.

Langsam richtete Raphael sich auf, bis er und Matthi kaum eine Armlänge voneinander entfernt standen.

Sie musterten einander mit abschätzenden Blicken. Unter Matthis Augen lagen tiefe Schatten, an seinem Hals verblassten langsam die Schrammen der Stollenschuhe. „Juna meinte, ich hätte dir Blumen schenken sollen. Weil du mir einen Gefallen getan hast." Raphael versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sich seine Eingeweide zusammen zogen, wie ihm heiß und kalt gleichzeitig wurde, einfach nur, weil er vor ihm stand.

Matthi holte Luft, sein Blick irrte suchend umher und fand nichts, an dem er sich festhalten konnte. „Aber es war kein Gefallen." Raphael schluckte. „Und du hättest beschissene Blumen nicht verdient."

Raphael biss sich auf die Zungenspitze, senkte den Kopf und sah zurück auf Matthis dreckige Schuhspitzen. „Tut mir leid. So wollte ich nich-" Er schüttelte den Kopf und das Ende seines Satzes verlor sich im irgendwo im Nirgendwo. „Es ist bloß nicht gerecht, verstehst du?" Matthis Schultern hoben und senkten sich, nur das Flattern seiner Lider verriet, dass er Raphael überhaupt zuhörte. „Es ist mein Leben und es hätte meine Entscheidung sein sollen."

Raphael legte den Kopf in den Nacken, blinzelte und atmete die angestaute Luft geräuschvoll aus. Sekunden, vielleicht waren es auch Minuten die vergingen, in denen er darauf wartete, dass Matthi etwas sagte. Aber seine Lippen blieben fest aufeinander gepresst. Sie wurden weiß, wenn er das machte. Geradezu farblos. Um sie herum erklang die dumpfe Radiomusik, das monotone Rauschen der vorbeifahrenden Autos, Herr Marrlachs Stimme am Telefon.

Bittere Enttäuschung machte sich in Raphael breit, er presste die Kiefer zusammen, als er merkte, wie sie die Überhand gewann. Er wandte sich um, wollte es sich nicht anmerken lassen. Raphael hätte nichts sagen sollen. Er hätte den Ball nicht aufheben sollen. Er hätte auf der anderen Straßenseite stehen bleiben sollen um weiter so zu tun, als würden sie sich nicht kennen.

Matthi machte einen Schritt auf ihn zu, die Hand ausgestreckt. Er berührte Raphaels Unterarm nicht, es war nur der Luftzug, der ihn verharren ließ. „Raphael, es-" Wieder Stille. „Ja?", fragte er und es klang schärfer als beabsichtigt. Matthi blinzelte. „Egal", sagte er heiser. „Nicht weiter wichtig." Er schüttelte den Kopf, die Finger der linken Hand vergruben sich im Fleisch seines Handballens.

Raphael entwich ein ungläubiges Lachen. „Egal also. Gut, dass wir das geklärt haben." „So meinte ich-" Matthi rieb sich über die Schläfen. „Raphael, jetzt-" Raphael schüttelte den Kopf. Weder aufbrausend, noch wütend. „Schon okay." Er blinzelte und verzog die Mundwinkel zu einem matten Lächeln.  „Lass gut sein. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du musst noch nicht mal irgendetwas sagen, wenn du es nicht willst." Raphael richtete sich auf. „Pass einfach auf, dass nicht noch mehr Bälle über die Straße rollen. Dann muss ich auch nicht kommen, um sie wieder zurück zu bringen."

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