Fragen

Magnus

Einen Tag nach dem unangenehmen Familientreffen mit den Lightwoods sitze ich in Alexanders Wohnung auf dem Bett. Schon seit ein paar Minuten läuft er im Zimmer auf und ab, räumt irgendwelche Kleinigkeiten hin und her. Ich stützte mich auf der Matratze ab und lehne mich schmunzelnd zurück.

Es ist niedlich, wie nervös er ist, und es macht Spaß, abzuwarten, wann er mir den Grund dafür offenbart.

Übernachtet habe ich nach gestern nicht bei ihm, sondern in dem winzigen, viel zu ordentlich eingerichteten Wohnheimzimmer. Bei dem Gedanken an Gemeinschaftsduschen hat sich mir schon immer der Magen umgedreht, aber der Ekel hat mich tatsächlich effektiv von der Konzentration auf diesen Körper abgelenkt. Statt wie sonst das prasselnde Wasser auf meinem Rücken zu genießen, habe ich mich beeilt und bin schleunigst wieder in ein paar schlichte Klamotten geschlüpft.

Vormittags habe ich mich mit Lydia in meiner Wohnung getroffen, ihr ihre Lernunterlagen gebracht und versucht, sie auf ihren Nachmittag im Geschäft meiner Eltern vorzubereiten. „Komm schon: Ich nehme deine Termine wahr und du meine. Ich war sogar bei den Lightwoods zum Abendessen, das hier ist wirklich nicht so schlimm!", musste ich sie erinnern. Ihr angeekeltes Gesicht hat allerdings Bände gesprochen. „Unter einer Bedingung: Ich muss mir keine Leiche angucken!", hat sie gefordert. Seufzend habe ich mir meinen Kalender aus ihrer Hand geschnappt und sie beruhigt. „Du musst beim Tagesblatt ein paar Anzeigen in Auftrag geben, die ausgesuchten Gedichte sind alle schon im Programm. Ich schreib dir mein Passwort auf, warte. Und dann könnte es sein, dass du eine Lieferung in Empfang nehmen musst, aber das ist einfach." „Lieferung?!" Ihr geschockter Ausdruck war unbezahlbar. „Mein Gott, Lydia. Das sind ein paar Ausstellungsstücke. Urnen. Nichts Totes, klar?"

Als ich ihn am Nachmittag von der Schule abgeholt habe, hat Alexander mich besorgt angesehen. „Geht es dir nicht gut, Lydia? Du siehst so blass aus." Verwirrt habe ich ihr Gesicht befühlt und es in der Innenkamera ihres Handys betrachtet. Mir ging es blendend. Bei dem Anblick der leichten Augenringe und der vereinzelten Pickel auf der Stirn, musste ich lachen. „Alexander, ich bin ungeschminkt.", musste ich ihm erklären.

Wie er nun so rastlos vor mir durch sein Schlafzimmer tigert, scheint er noch immer nicht verarbeitet zu haben, dass er seine Freundin noch nie so gesehen hat.

Endlich bleibt er stehen, fährt sich mit der Hand durch die Haare – seufz – und blickt mich fest an. „Kann ich dir ein paar Fragen stellen? Ich habe plötzlich das Gefühl, ich weiß so vieles nicht über dich."

Unwillkürlich muss ich schmunzeln. Er ahnt schließlich nicht, wie viel er in Wahrheit von mir weiß. Ich nicke auffordernd, auch wenn mir klar wird, dass ich mir die Antworten vermutlich ausdenken werde müssen. Kenne ich Lydia dafür gut genug?

Zufrieden lässt Alexander sich auf den Schreibtischstuhl plumpsen und rollt zu mir heran, sodass sich unsere Knie fast berühren.

„Mit wie vielen Männern warst du vor mir zusammen?", fängt er an, den Blick an meinem Gesicht vorbei auf die Wand dahinter gerichtet. Solche Fragen werden das also. Ich denke nur kurz nach und entschließe mich für eine möglichst unauffällig Antwort. „Mit zweien." „Und mit wievielen hast du..." Er zögert, als mache es ihm Angst, das Wort auszusprechen. Ich erlöse ihn rasch. „Zwei.", antworte ich wieder. Das klingt doch ganz nach Lydia, oder?

Alexander zieht grübelnd die Brauen zusammen. „Die gleichen?", hakt er nach.

Ich lege irritiert den Kopf schief. Mit zweien sei sie vor ihm zusammen gewesen, habe ich behauptet, bezieht die Anzahl der Sexpartner sich auch auf die Zeit vor ihm? Denn so habe ich die Frage nicht verstanden. Und wenn er annimmt, dass es die gleichen sind, wo bleibt dann er in der Rechnung?

„J-ja?", erwidere ich zögerlich.

Ein freches Lächeln erscheint auf Alexanders Lippen. „Und die Wahrheit?"

Ich unterdrücke das Seufzen, das mir entkommen will. Ich kann also immer noch nicht besonders gut lügen. Aber was soll ich jetzt sagen? Die Wahrheit-Wahrheit? Meine Wahrheit? Lydias kenne ich schließlich nicht.

Alexanders eindringlicher Blick fordert mich auf zu sprechen.

„Keine Beziehungen, fünf Sexpartner. Aber keiner hat's wirklich gebracht." Ich bemerke meinen Fehler, als sich sein Blick verdunkelt. „Gefällt dir das besser?"

Langsam schüttelt Alexander den Kopf. „Das macht nicht gerade Mut." Bezieht er sich also doch mit ein? Habe ich ihn gerade beleidigt? Ich muss an diese Sommerurlaubsgeschichte mit irgendeiner Catarina denken, und merke, wie ungünstig das wäre.

„Was haben sie falsch gemacht?", fragt er schließlich nach. Ich muss schmunzeln. Das ist mein ehrgeiziger Alexander, der überall nach Optimierungsmöglichkeiten sucht. Dennoch kann ich ihm keine Antwort geben als die Wahrheit. „Wahrscheinlich gar nichts, aber ohne Gefühle funktioniert es für mich nicht.", gebe ich leise zu.

Den Blick auf unsere Knie gerichtet nickt er und ich ergreife die Initiative. „Ich denke, es ist nur gerecht, wenn ich die Fragen zurückgeben darf. Wie viele Beziehungen hattest du bislang?"

Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, die Antworten zu kennen, interessiert es mich, wie er Lydia antwortet. Dass die beiden in zwei Jahren Beziehung nicht über ihre Erfahrungen gesprochen haben und erst ich in ihrem Körper ihn dazu bringe, die entsprechenden Fragen zu stellen, wundert mich, doch es kommt mir auch zu Gute, dass er sie kaum besser zu kennen scheint als ich.

„Eine.", antwortet er ruhig. Ich schenke ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Diese hier?" Er nickt und senkt den Blick. Er weiß, welche Frage kommt, und ich weiß, ich will die Antwort nicht hören, auch wenn ich sie kenne. Alleine, daran zu denken, beschwört Bilder in meinem Kopf, die ich nicht sehen möchte.

„Und mit wievielen...", deute ich an, ebenso wie er zuvor. Sein Kiefermuskel tritt hervor und ich bemerke, wie seine Finger sich stärker ineinander verkrallen. „Mit keiner.", antwortet er.

Verwirrt lausche ich dem Nachhall seiner Worte, ob ich ihn auch richtig verstanden habe. Wieso sagt er das? Ist ihm die Erinnerung an Catarina so unangenehm? Und wieso hat er dann nie versucht, mit mir darüber zu reden?

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