Damals - mit 9

„Okay, es ist ganz einfach. Erst du und dann ich, ja?" Alexander hielt Magnus das Küchenmesser hin, doch der zögerte, es ihm abzunehmen. Bis eben war ihm das noch wie eine gute Idee vorgekommen, doch nun wog das Messer schwer in seiner Hand und die Schneide sah so gefährlich aus. „Aber es könnte was Schlimmes passieren.", hauchte er und wagte es nicht, seinem mutigen Freund in die Augen zu sehen. Er wollte das ja, er wollte das unbedingt. Aber sich in den Finger zu schneiden, mit Absicht...

Alexander nickte verstehend und lief aus der Küche. „Warte.", rief er Magnus zu und kam kurz darauf mit einem Päckchen Pflaster und einem Verband zurück. „Wenn einer sich wehtut, dann können wir uns direkt verarzten." Magnus dachte an damals – so kam es ihm vor, auch wenn es sicherlich maximal drei Jahre her war -, als er und Alexander den alten Verbandskasten aus dem Auto von Magnus Eltern stibitzt und Arzt gespielt hatten. Sie hatten ziemlichen Ärger gekriegt, aber es war so lustig gewesen, Alexander die weiße Gaze um den Kopf zu wickeln und über sein Auge und dann hatte er ausgesehen wie ein zu sauberer Pirat. Magnus wurde in eine knisternde Decke gewickelt, die schön glitzerte, und bekam Pflaster überall auf seine Arme und das Gesicht geklebt. Er hatte sich nie schöner gefühlt.

Doch jetzt machte der Medizinkram ihm nur noch mehr Angst. Hieß das also, dass sie wirklich etwas Gefährliches taten? „Komm schon, Winnetou hat sich das auch getraut." Magnus nickte tapfer und setzte das Messer an seinem linken Daumen an. „So?", fragte er zögerlich und Alexander nickte. Sie wussten beide, wer von ihnen in der Metapher der Indianer und wer der mutige Old Shatterhand war. Magnus schluckte, drückte die Klinge ein wenig herunter, doch es passierte nichts.

„Wir können aufhören, wenn du Angst hast.", sagte Alexander verständnisvoll, aber Magnus schüttelte den Kopf. „Ich bei dir und du bei mir?", fragte er und sah auf in Alexanders bunt gemusterte Augen, die liebevoll strahlten. „Na klar.", erwiderte der und hielt Magnus seine Hand hin.

Bei Alexander war es ganz leicht. Er fuhr mit der Schneide über seinen Daumen, wie wenn er eine Banane in Stücke schneiden wollte. Oder vielleicht ein bisschen fester, bis die ersten Blutstropfen hervorquollen. Das genügt, dachte er sich, und reichte Alexander das Messer zurück, der nicht einmal gezuckt hatte.

Der Größere griff nach der Hand seines Freundes und sah ihn fragend an. War Magnus bereit? Er würde ganz vorsichtig sein, wollte er ihm doch nicht wehtun. Er legte das Messer an und zog es zaghaft über Magnus Fingerabdruck.

„Ich bin zuhause!", brüllte eine erwachsene Stimme plötzlich aus dem Hausflur. Alexander fuhr erschrocken herum – er wusste genau, dass sie etwas strikt Verbotenes taten – und hörte zu seinem Schreck Magnus aufschreien.

Schnell wandte er sich wieder seinem Freund zu, der geschockt auf seinen Daumen blickte, der innerhalb der kurzen Zeit bereits rot getüncht war. „Magnus!", stieß Alexander hervor und griff nach dem Verband, um zum ersten Mal im Ernstfall eine Wunde zu verbinden. „Nein!", presste Magnus zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er zog Alexanders Daumen zu sich und presste die Wunden mit einem zischenden Schmerzlaut aufeinander. Stolz betrachtete Alexander seinen verletzten Freund, dem es so wichtig war, die Sache zu Ende zu bringen.

Dann stürmte auch schon Maryse in die Küche und legte dem Jungen geistesgegenwärtig einen Druckverband an. „Was habt ihr euch nur wieder gedacht?", schrie sie ihren Sohn an. „Euch kann man nicht alleine lassen. Wolltest du ihn umbringen?" Alexander wusste, dass sie Recht hatte. Und obwohl er ihr Geschrei hasste und wusste, dass sie Magnus nicht besonders leiden konnte, war er froh, dass sie da war und sich um ihn kümmerte.

Bald saß Magnus auf der Rückbank von Maryse' Auto, seine Eltern waren informiert und Maryse hatte angekündigt, dass die Wunde genäht werden müsste. Magnus hatte ängstlich gewimmert. Er hasste Nadeln, mehr noch als Messer. „Und du hast Hausarrest, Alexander! Es ist besser, wenn ihr euch mal zwei Wochen nicht seht!" Alexanders Unterlippe hatte gebebt. „Aber wir sind jetzt Blutsbrüder, Mom!", hatte er erklärt und Magnus hatte seine verbundene Hand von innen an die Autoscheibe gelegt. Wäre Alexander im Stande gewesen, Lippen zu lesen, hätte er gewusst, dass Magnus „Für immer" antwortete.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top