Damals - mit 24
Leicht nervös stand Magnus vorm Hunters Moon und rieb seine verfrorenen Finger aneinander. Sein Atem bildete Rauchwölkchen, während er auf Alexander wartete.
Das war ungewöhnlich, denn Alexander war stets überpünktlich. Nur Magnus' Nervosität nach der Ankündigung, sein Freund wolle ihm jemanden vorstellen, hat ihn dazu gebracht, noch vor ihm da zu sein.
Er sah auf seine Uhr und seufzte. Noch zehn Minuten bis zum vereinbarten Treffen. Er ging hinein und informierte Alexander, wo er saß. Dann ließ er den Kopf in die Hände sinken. „Ich möchte dir jemanden vorstellen" war immerhin ziemlich eindeutig. Andernfalls hätte es geheißen „Ich bringe einen Kumpel mit". Und andererseits sagte man nicht, man wolle jemanden vorstellen, wenn man nur Dates hatte, oder? War Alexander bereits mit jemandem zusammen und hatte Magnus nichts von den bisherigen Begegnungen erzählt?
Die mechanische Glocke kündigte das Öffnen und Schließen der Tür an, Magnus setzte ein Lächeln auf. Alexander trug ein ganz ähnliches Lächeln zur Schau, es lag hauchzart auf seinen Lippen, als würde es jeden Moment herunterfallen. Die blonde, junge Frau hinter ihm strahlte dagegen über das ganze Gesicht.
Innerlich verdrehte Magnus die Augen. Ausgerechnet so ein aufgehübschtes Blondchen? Alexander hatte er immer mit einer natürlicheren Person gesehen, jemand, der vor Allem eine liebevolle Persönlichkeit zu bieten hatte. Sie sollten sich ergänzen, nicht wie das Bilderbuchpaar aus einer Vorabendserie aussehen.
„Magnus, hey." Kurz wurde das Lächeln auf seinem Gesicht wärmer, aber Alexanders Hand zitterte leicht, als der dem Freund bei der Umarmung auf den Rücken klopfte. Seit wann klopfte er Magnus bei Umarmungen auf den Rücken?, fragte er sich selbt. Sie hatten nie Probleme damit gehabt, sich richtig zu umarmen, wo sie sich doch so nah waren wie Brüder.
„D-das ist Lydia.", erklärte er und zeigte vage in die Richtung des Mädchens. „Hey.", erwiderte Magnus an sie gewandt und kriegte tatsächlich einen freundlichen Ausdruck zustande.
Sie schlüpfte auf den Stuhl, den Alexander ihr zurückzog - was im Hunters Moon wirklich fehl am Platz wirkte. Dann griff sie nach einer der Servietten und wischte damit über die Tischplatte vor sich. Magnus beobachtete mit erhobener Augenbraue ihr Treiben, während Alexander sich peinlich berührt von innen auf die Wange biss. Himmel, die Frau war schlimmer als seine Mutter.
„Magnus!", tönte Lydia dann langgezogen. „Alexander spricht praktisch über niemand anderen, wenn er mal den Mund aufkriegt. Wie schön, dir endlich zu begegnen." Alexander errötete bei ihren Worten. War er wirklich so schlimm? Ihm war ja bewusst, dass er praktisch an niemand anderen dachte, aber zeigte er das so offensichtlich? Und wieso hatte Lydia dann den nächsten logischen Gedankensprung nicht geschafft und war noch hier?
Magnus Augenbrauen schoben sich nur noch weiter in die Stirn. „Endlich?", fragte er misstrauisch. „Seit wann kennt ihr euch?"
Gespielt erbost boxte Lydia Alexander auf den Arm. „Was, du hast mich nicht mal erwähnt?", kicherte sie.
Alexander versuchte, sich mit einem Blick bei Magnus zu entschuldigen. Er hätte ihm zumindest schreiben können, dass er sie traf. Er räusperte sich. „Unsere Eltern sind zusammen im Stadtrat. Wir haben uns vor sechs Wochen auf einer Gala kennengelernt." Sechs Wochen! Magnus knirschte mit den Zähnen, nickte dann verstehend. Doch ehe er Alexander einen entsprechenden Spruch drücken konnte, fiel Lydia ihm mit ihrer krächzenden Stimme ins Wort.
„Also, deine Eltern sind Bestatter, ja? Das ist ja so... ungewöhnlich! Erzähl mal!", plapperte sie los. Magnus lachte freudlos auf. Das Thema schon wieder? Er fühlte sich zurückversetzt in die High School. „Warte, Alexander hat so viel von mir gesprochen, aber du fragst zuerst nach dem Geschäft meiner Eltern?", wich er aus und hob in Alexanders Richtung eine Augenbraue, der mittlerweile nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschte. „Das hat mich einfach am meisten interessiert.", gab sie mit funkelnden Augen zurück und Magnus erkannte die Kampfansage sofort. So interessant bist du, dass ich nur nach dem Job deiner Eltern frage, sagte sie ihm damit und klimperte unschuldig mit den Wimpern. Magnus verengte die Augen und wollte gerade zum Gegenschlag ansetzen, als eine Bedienung nach ihren Wünschen fragte und sie bestellten.
Suchend blickte Magnus in Alexanders Gesicht. Was wollte er von dieser Schnepfe? Und wieso sagte er nichts, wenn sie so mit ihm sprach? Alexander blickte jedoch gebannt in die Getränkekarte und schämte sich unglaublich. Er wusste einfach nicht, was er tun sollte. Er wollte seiner Begleiterin die Meinung sagen, dass sie es nicht wagen sollte, Magnus zu verhöhnen, aber er konnte ihr auch keine Szene machen. Immerhin brauchte er sie noch.
Hitze wanderte in seine Wangen und machte sich dort breit, bei dem Gedanken. Wie falsch das klang, sie zu brauchen. Und wie schade, dass er nicht einmal sich selbst etwas anderes einreden konnte.
Gleich darauf ging es natürlich weiter: „Und wie kommt es, dass du mit 24 gerade erst studierst?" An der Stelle verdrehte Magnus tatsächlich die Augen, Alexander konnte es ihm nicht verdenken. Er schluckte den Impuls herunter, seinem Freund zur Seite zu stehen. Lydia war zu ihm sehr freundlich gewesen, von Anfang an. Er verstand nicht, wieso sie Magnus nun so angiftete.
„Ich habe zuerst eine Ausbildung abgeschlossen, um jetzt neben dem Kunststudium bei meinen Eltern aushelfen zu können."
Lydia hob eine Augenbraue. „Mit Toten zu arbeiten... Ist das nicht irgendwie etwas vereinsamt? Da wird man irgendwann bestimmt ziemlich sonderbar." Magnus knirschte mit den Zähnen. Sie konnte ihn beleidigen, wie sie wollte – auch wenn es ihm noch immer einen Stich versetzte, dass Alexander es zuließ -, aber niemand sprach schlecht über seine Eltern.
„Nun, der Beruf des Bestatters erfordert wesentlich mehr Empathie und Kontakt mit Lebenden, als du in deiner ganzen Karriere als Betriebswirtin je haben wirst.", meckerte er ungehalten, was ihm einen warnenden Blick von Alexander einbrachte.
Bitte versau mir das nicht, dachte der an seinen besten Freund gerichtet. Magnus jedoch wurde bloß noch wütender, dass Alexander sich ausgerechnet jetzt entschied, sich auf die Seite seiner neuen Freundin zu stellen.
Lydia spitzte pikiert ihre Lippen und ihre eisblauen Augen schossen Pfeile auf ihr Gegenüber. „Woher willst du wissen, dass ich Wirtschaftswissenschaften studiere?" Magnus lachte trocken auf. „Ich bitte dich.", sagte er nur und ließ einen auffälligen Blick an ihr hinabgleiten. Erbost schnappte sie nach Luft. „Alec!", fauchte sie schließlich, worauf der siegessichere Ausdruck von Magnus Gesicht verschwand.
Genervt stand Alexander vom Tisch auf und deutete mit seinem Kopf in Richtung des kleinen Ganges, der zu der Küche und den Kundentoiletten führte. Er hatte nicht erwartet, dass die beiden sich direkt streiten würden, und hatte keinerlei Lust darauf, den Schlichter zu spielen. Doch ihm war auch bewusst, dass er vor Allem Magnus Unrecht getan hatte mit dieser Überrumpelung.
„Lass uns mal kurz reden, Magnus.", brummte er und ging in die angedeutete Richtung, ehe sein Freund sich überhaupt erhob. Lydia gab ihm noch ein hinterhältiges Grinsen mit, dann gesellte er sich zu Alexander, sah es aber keinesfalls ein, ihn das Gespräch beginnen zu lassen.
„Sechs Wochen, Alexander?", keifte er. „Du gehst seit sechs Wochen mit dieser Tussi aus und sagst kein Wort?" Alexander blickte betreten zu Boden. „Es ist irgendwie nicht so richtig wie Ausgehen, Magnus. Unsere Eltern sind befreundet. Sie ist nett."
Magnus fiel aus allen Wolken. „Nett!? Also zuerst mal sagen sich Freunde, wenn sie jemand kennenlernen, der sie interessiert. Und du findest sie nett? Ich weiß gar nicht, was ich dir dazu sagen soll. Ganz abgesehen davon, dass dir offenbar nicht aufgefallen ist, was sie da gerade abgezogen hat, ist dein Argument, sie zu treffen, tatsächlich, dass sie nett sei? Du könntest jede haben, Alexander und du hast so niedrige Ansprüche, dass jeder sie erfüllt, der vermeintlich nett ist?"
Magnus spürte beim Reden, dass es ihm nicht wirklich darum ging, dass Lydia furchtbar war. Eigentlich hätte Alexander mit jeder Frau ankommen können, es wäre vielleicht sogar schlimmer gewesen, wenn Magnus sie gemocht hätte. Aber es war doch so: Er war auch nett. Sehr sogar. Alexander fand ihn schließlich nett genug, um seit zweiundzwanzig Jahren mit ihm befreundet zu sein. Nicht seit mickrigen sechs Wochen. Wieso konnte er dann jetzt nicht auf der anderen Seite des Tisches sitzen und Alexander vorschicken, um mit irgendjemandem in seinem Namen zu streiten?
Alexander schluckte sichtbar, fuhr sich mit der Hand durch sein wunderbares Haar. „Du hast Recht, Magnus. Es tut mir Leid, dass ich dir nichts von ihr gesagt habe und sie dir direkt vorstelle. Das war nicht fair von mir." Magnus nickte, die Arme vor dem Körper verschränkt. Das reicht nicht, sagte seine Haltung Alexander und der seufzte auf. „Und es tut mir Leid, dass ich sie dich habe ärgern lassen. Ich weiß, dass das ein sensibles Thema ist seit der High School."
„Verdammt richtig.", fuhr Magnus dazwischen. „Um nicht zu erwähnen, dass du geschworen hast, sowas nicht einfach zuzulassen." Er wusste, er verhielt sich wie ein trotziges Kind, das an einem uralten Versprechen festhielt, obwohl es längst einsah, dass die Zeiten sich geändert hatten.
Früher wäre es anders gewesen. Beziehungen in der Schulzeit überdauerten nur selten die Freundschaften, die man parallel führte, und eine Freundin in der High School hätte Magnus sicherlich eingeschüchtert, aber nicht auf die gleiche Weise, wie Lydia es jetzt tat. Bei ihrem Anblick war ihm schlagartig bewusst geworden, dass die Zeit vorbei war, in der er sich einreden konnte, für Alexander neben seiner Familie der wichtigste Mensch auf der Welt zu sein. Es würde eines Tages – oder vielleicht begann es sogar jetzt – jemanden geben, den er mehr lieben und brauchen würde. Eine Frau, eine eigene Familie. Und irgendwann würde Magnus nur noch ein am Rande stehender Beobachter dieses Lebens sein, an dem er einst so großen Anteil gehabt hatte.
Alexanders Augen weiteten sich geschockt bei der Anschuldigung. Magnus hatte Recht. Da war dieser Schwur, den sie geleistet hatten. Und auch, wenn es zwischen zwei naiven Kindern geschehen war, hatte Alexander nie im Sinn gehabt, das Versprechen zu brechen. Dass er es in Magnus Augen nun getan hatte, schnürte ihm die Kehle zu. „Es tut mir so leid, Magnus." Vorsichtig streckte er die Hände aus und streichelte über Magnus' Oberarme. Er wusste, dass Lydia sie vom Tisch aus zwar nicht hören, aber sicherlich genau beobachten würde, doch es war ihm egal, was sie sah. „Ich hab' nicht dran gedacht, dass dich das an damals erinnert. Ich werde ihr das später erklären, damit sie sowas nicht nochmal sagt."
Später. Magnus wusste, was das bedeutete, und Alexander griff den Gedanken auf. „Und ich kann verstehen, dass sie nicht den besten Eindruck bei dir hinterlässt, aber sie ist wirklich nett zu mir und ich werde sie weiter treffen.", erklärte er mit fester Stimme. Magnus presste die Lippen aufeinander und nickte. Er wusste, dass er Alexander nicht davon abhalten konnte, sich zu verlieben und zu binden, nicht einmal, wenn das einem alten Schwur widersprechen würde. Doch es zu wissen, tat nicht weniger weh.
Kurz darauf saßen sie wieder am Tisch und aßen weitgehend schweigend. Nach ein paar Bissen schaffte Magnus es, ein freundliches Lächeln zu zeigen und wandte sich erneut an Lydia.
„Tut mir Leid, dass wir uns auf dem falschen Fuß erwischt haben. Erzähl mir doch einfach was von dir, damit wir uns kennenlernen können."
Lydia legte misstrauisch ihren Kopf schief, schien dann jedoch zu merken, dass Magnus sich ehrlich bemühte, und ging auf sein Friedensangebot ein. Beschwichtigt atmete Alexander auf und lauschte den Kennenlerngesprächen der beiden. Ein wenig staunte er, dass sie sich tatsächlich ein wenig ähnlich waren. Verbissen, ehrgeizig, trotzig. Zwei Plappermäuler. Und kurz bildete Alexander sich ein, dass alles seinen Lauf nehmen würde. Nichts kam ihm komisch daran vor, an diesem Tisch zu sitzen mit seiner Freundin und dem Mann, den er liebte.
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