Damals - mit 17
„Was machst du am Samstagabend, Alexander?" Magnus schob sich eine Gabel voll Ofengemüse in den Mund und schaute lächelnd über den Tisch zu seinem besten Freund. Noch immer waren Robert und Maryse nicht besonders begeistert davon, wenn Magnus zu Besuch kam und mit ihnen zu Abend aß, doch irgendwann war ihnen die Energie ausgegangen, jedes Mal mit Alexander darüber zu streiten.
Alexander sah mit verengten Augen von seinem Teller auf. Er hatte den Nachmittag nicht nur mit Magnus, sondern auch mit seiner Schwester verbracht, die sich in seinem Zimmer einfach zwischen sie aufs Bett gesetzt hatte. Die gemütlich geplanten Stunden mit seinem Freund – auch wenn er ihn sicher zweimal die Woche sah und sie meistens alleine waren – hatte er so vergessen können.
Magnus allerdings hatte sich daran nicht merklich gestört. Er hatte ausgelassen mit Izzy herumgealbert und immer wieder waren sie an ihren Schulten beim Lachen zusammengestoßen. Irgendwann hatte Alexander nur noch mit den Zähnen geknirscht, doch sie hatten seine Verstimmung gar nicht bemerkt. Nun saß Magnus auch noch am Esstisch neben Isabelle und sicherlich füßelten die beiden zwischen den Stuhlbeinen.
In seiner derzeitigen Lage hatte Alexander also wirklich keine Lust, einen solchen Nachmittag am Samstag schon wieder über sich ergehen zu lassen.
„Sebastian kommt vorbei, wir wollten zocken.", erfand er also einfach. Zwar hatte neben Magnus auch seine Familie ihn gehört, doch er könnte Sebastian ja tatsächlich einladen oder behaupten, er habe ihn versetzt.
Magnus blickte enttäuscht auf die Reste seiner Mahlzeit herab. Es war lange her, dass Alexander versucht hatte, zwischen ihm und seinen beliebten Freunden zu vermitteln. Damals, als die anderen Schüler ihn geärgert hatten, war Alexander ganz klar auf seiner Seite gewesen. Doch irgendwann hatten die Sprüche nachgelassen und einige von ihnen wollten plötzlich mit Alexander befreundet sein. Nur mit Alexander, wohl bemerkt. Der hatte zu Anfang oft versucht, die anderen und Magnus zusammen zu bringen, doch jedes Mal war es äußerst unangenehm ausgegangen. Nun schluckte Magnus jedes Mal, wenn Alexander eine Verabredung mit einem von ihnen erwähnte, denn jedes Mal war ihm bewusst, dass sein Freund sich gegen ihn entschieden hatte.
Es half nichts, dass sie sich nach wie vor oft sahen: Es tat Magnus einfach weh, dass Alexander noch andere Freunde hatte, und offenbar überhaupt kein Problem damit, dass die Magnus immer noch hassten. Als Magnus sich im Gegenzug mehr mit Raphael angefreundet hatte, war das etwas ganz anderes gewesen. Immerhin verstand der sich auch mit Alexander gut und so war es da nie zu einem Entweder-Oder gekommen.
„Schade.", murmelte Magnus. Eine kleine Hand legte sich auf seinen Unterarm und Isabelle blinzelte durch ihre dichten dunklen Wimpern zu ihm empor. „Wenn du Lust hast, können wir zusammen ins Shopping-Center gehen am Samstag.", bot sie an und Magnus kicherte augenblicklich über ihren Einfall. Es war ja süß, dass sie ihn über Alexanders Abfuhr trösten wollte, aber Shoppen war da wirklich nicht das Richtige. „Oder wir schauen einen Film?", erwiderte er fröhlich und überlegte, dass er, wenn sie im Lightwood'schen Wohnzimmer säßen, Alexander bestimmt wenigstens zu Gesicht bekommen würde.
„Au ja!", quietschte Izzy und so war es besiegelt. Magnus bemerkte verwundert Alexanders eisigen Blick und widmete sich eingeschüchtert wieder dem Gemüse. Was war denn nun los?
Magnus erfuhr es, als er aufgegessen und brav Mama Lightwood dabei geholfen hatte, das benutzte Geschirr in die Küche zu räumen. Alexander zog ihn am Ärmel hinter sich her die Treppen hinauf und in sein Zimmer, in dem er sogleich die Tür zudrückte und zuspertte. Nanu?
„Ich kann dich nicht anders behandeln, nur weil du mein bester Freund bist.", fing Alexander durch zusammengebissene Zähne an und Magnus' Augen weiteten sich vor Schreck. Er musste wirklich etwas Schlimmes ausgefressen haben, dass Alexander so wütend war. Und dass er noch nicht einmal einen blassen Schimmer hatte, was es war, machte es nur umso gravierender.
„Also sage ich dir jetzt, was ich Sebastian und Andrew auch schon gesagt habe." Okay? Was hatten die nun damit zu tun? Magnus wusste wirklich nicht mehr, was das Ganze sollte und wurde langsam seinerseits wütend, dass Alexander nicht endlich Klartext sprach. Doch mit den nächsten Worten tat er das.
„Ich weiß, Izzy ist schön und interessant und so, aber du bist mein Freund und du kannst dich nicht in sie verlieben, ist das klar? Ihr sollt euch nicht alleine treffen oder Nummern austauschen oder sowas. Du bist lieb, Magnus, aber du bist auch ein Mann und ich lasse nicht zu, dass du ihr wehtust."
War Magnus zuvor verwirrt gewesen, so hatte sich das nicht gelegt, nachdem er verstand, was Alexander so wütend machte. Denn wie zum Teufel hatte er es geschafft, diesen Verdacht zu erwecken? Und wie kam Alexander von der Annahme, Magnus könne in seine Schwester verliebt sein, auf die Idee, er würde ihr schlussendlich unabwendbar wehtun?
„Alexander?" Magnus bemühte sich, ruhig zu bleiben und das auch an Alexander zu vermitteln. Er hob ihm seine bloßen Handflächen in einer Geste der Unschuld entgegen und fixierte seine Augen. „Ich bin nicht in Isabelle verliebt. Und das wird auch nicht passieren. Versprochen."
Alexanders Brauen schoben sich zweifelnd zusammen und er schüttelte den Kopf. „Wie kannst du dir da so sicher sein?"
Magnus lachte auf, auch wenn er nicht viel Komisches an der Situation fand. „Sie sieht aus wie du, nur in weiblich.", bemerkte Magnus scherzhaft. Und ich mag eben das Original, fügte er in Gedanken hinzu.
Als Alexander noch immer grimmig dreinblickte - gut, vielleicht hatte ihn Magnus scherzhafte Äußerung, er könne sich nicht in ein Mädchen verlieben, das aussah wie er, auch ein wenig verletzt – hakte Magnus nach: „Glaubst du mir nicht?" Alexander schüttelte den Kopf.
„Beweis es." Magnus lachte humorlos auf. Was sollte das denn nun von Alexander, seit wann reichte ihm sein Wort nicht mehr? „Und wie stellst du dir vor, soll ich dir beweisen, dass ich nicht in sie verliebt bin?"
Alexander verschränkte die Arme vor der Brust. Wütend darüber, dass Magnus seine Sorge nicht ernst und ihm mit der blöden Frage den Wind aus den Segeln nahm. Konnte er sich nicht selbst überlegen, wie er es beweisen konnte? Dann kam ihm ein Gedanke.
„Wenn man in jemanden verliebt ist, will man die Person küssen. Also küss die Person, in die du verliebt bist, und wenn es nicht Isabelle ist, dann bin ich zufrieden.", entschied er kurzerhand. Dabei musste er sich im Stillen eingestehen, dass er in keinem Fall zufrieden wäre, wenn er einen Kuss zwischen Magnus und einer anderen Person mitansehen müsste. Aber zumindest wäre er dann von der Sorge, es könne seine eigene Schwester sein, befreit.
Magnus immitierte Alexanders Geste, beide standen sie mit vor der Brust verschränkten Armen einander gegenüber. „Und wenn ich in niemanden verliebt bin?", konterte er.
„Dann küsst du halt irgendwen, ist mir doch egal.", erwiderte Alexander genervt und übersah das schalkhafte Funkeln, das durch Magnus' Augen ging.
Der löste seine Arme aus der abwehrenden Haltung und stemmte sie selbstbewusst in die Hüften. „Das hast du irgendwie nicht ganz zu Ende gedacht, oder?", feixte er. „Wieso?" Magnus überging die Nachfrage. „Und wenn ich das tue, dann bist du glücklich und wir vergessen das Ganze?" Alexander verdrehte die Augen. „Wenn mir danach ist.", gab er patzig von sich. „Alexander!", ermahnte Magnus ihn und der drohende Ton ließ dann auch den Größeren seine Abwehrhaltung aufgeben. „Schon gut. Wenn du's tust, ist wieder alles gut zwischen uns."
„Versprochen?", fragte Magnus noch einmal nach, denn irgendwie war er sich doch nicht so sicher, ob das, wie er sich vorstellte, Alexander den Beweis zu erbringen, die allerbeste Idee war. Der nickte entschlossen. „Versprochen."
Und dann ließ Magnus einfach keinen zögernden Gedanken mehr zu. Er packte in den Stoff von Alexanders Shirt und zog ihn hart zu sich heran, ließ ihre Lippen unsanft aufeinanderprallen. Die erste Berührung war grob und erschreckte ihn selbst, aber da war auch sofort dieser Geschmack an seinen Lippen, der ihn an Herbst erinnerte und ein bisschen an einen Baumarkt. Alexander war noch immer wie erstarrt, als Magnus begann, seine Lippen zaghaft zu bewegen.
Alexander konnte nicht denken. Ihm war, als wäre etwas in seinem Gehirn explodiert, und alles, was die Prozessoren noch hergaben war: Magnus! Viel zu lange stand er reglos da, doch bevor sein Verstand zurückkehrte und ihn darauf hinwies, dass er diese Situation auf der Stelle unterbinden musste, grätschten seine Instinkte dazwischen. Ganz automatisch fuhr seine Hand in Magnus' Nacken und umfasste dessen Hinterkopf, sodass er ja nicht zurückweichen konnte. Die andere glitt an seinen Rücken und zog ihn noch näher heran. Magnus' Lippen waren weich und drängend und sobald Alexander eine Reaktion zeigte, öffneten sie sich und ließen seine warme Zunge hervorfahren. Magnus duftete nach Apfelblüten im Frühling und schmeckte nach Geborgenheit.
Erst als ihm beinahe ein Stöhnen entwich, fuhr Alexander zurück und blickte den Freund erschrocken an. Da war sein Verstand, der ihn zur Ordnung rief und ihm vorhielt, dass Magnus doch lediglich seiner lächerlichen Forderung nach einem Beweis nachgekommen war. Er hatte das wohl schnell hinter sich bringen wollten, denn ansonsten war ja niemand in der Nähe gewesen. Aber sein eigener dummer Körper hatte auf den bedeutungslosen Kuss ganz intuitiv reagiert und Magnus seine Gefühle unzweifelhaft offengelegt. Wie sollte er da nun wieder rauskommen?
„Tut mir Leid! Oh Gott, das... I-ich wollte nicht... Ich hab nicht gewusst, dass Küssen sich so anfühlt." Verdammt, was redete er denn da?
Fassungslos starrte Magnus seinen besten Freund an. Ja, er hatte ihn küssen wollen, hatte ganz bewusst die verquere Situation so gedreht, dass sie ihm eine Möglichkeit schaffte, Alexander zu küssen – endlich – ohne ihm gleich seine uralten Gefühle für ihn zu offenbaren. So könnte Alexander denken, dass es nichts bedeutete und es würde nur halb so sehr wehtun, wenn er ihn von sich drückte. Magnus hatte ja nicht geahnt, dass Alexander den Kuss erwidern könnte. Und Himmel, wie er ihn erwidert hatte!
Und jetzt? Jetzt entschuldigte er sich und stammelte vor sich hin, als habe Magnus ihm soeben seinen ersten Kuss gestohlen.
Er musste sich ein wenig schütteln, um wieder in der Lage zu sein, eine Reaktion zu zeigen. Zu verzaubert war er noch von der Erinnerung an Alexanders Lippen, seine Bewegungen, seinen Geschmack. Und verdammt, diese drängende Hand von ihm an seinem Nacken. „D-du musst dich nicht entschuldigen. Ich hab' dich doch geküsst.", winkte er gespielt entspannt ab. Fast so, als hätte das alles keine Bedeutung für ihn gehabt.
Alexander atmete hörbar ein und aus. Einerseits war er erleichtert, dass Magnus ihm die Möglichkeit gab, so zu tun, als wäre nichts passiert und als hätte er nicht auf diese Berührung reagiert, als würde er jede Nacht davon träumen. Aber andererseits legte sich ein unsichtbarer Arm schwer um seine Brust, erschwerte das Atmen, als ihm klar wurde, dass es genau das für Magnus gewesen war: Nichts.
„U-und, ist jetzt alles wieder gut?", fragte Magnus zittrig nach. Wieso hatte Alexander ihn zurückgeküsst? War das tatsächlich auch für ihn der erste Kuss gewesen? Hatte er nur wissen wollen, wie es sich anfühlte? Üben für den Ernstfall? Aber was war dann mit dieser Catarina, von der er im vergangenen Jahr erzählt hatte? Das passte doch nicht zusammen...
Alexander versuchte noch immer, seinen Atem zu beruhigen. Was sollte er sagen? Dass überhaupt nichts gut war, wenn Magnus ihn so küsste und dann entschied, dass es nicht wieder passieren würde? Dass für ihn nur alles gut sein könnte, wenn sie sich jeden Tag so küssten? Und sich umarmten? Und... so viel mehr? Dass er gleich nur zustimmen würde, weil er so viel lieber Magnus' bester Freund war und so viel Zeit mit ihm verbrachte, wie möglich, als dass der ihn von sich stieß?
Zögerlich und dann immer entschlossener nickte Alexander. „Ja. Alles wieder wie immer."
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