Damals - mit 16
„Also los, kennt jeder die Regeln?" Sebastian klatschte in die Hände, während Maureen vor jeder Person im Kreis ein Shotglas positionierte. Ohne, dass irgendjemand antwortete, sprach Sebastian weiter. „Wer an der Reihe ist, sagt etwas, das er noch nie getan hat. Jeder, der es schon getan hat, trinkt seinen Shot und füllt ihn wieder nach. Wer am Ende nicht betrunken ist, hat verloren. Und Aussagen beziehen sich natürlich immer auf beide Geschlechter, damit niemand im Vorteil ist."
Genervt verdrehte Magnus die Augen. Wieso war er noch gleich hier? Sebastian konnte ihn nicht einmal leiden und hatte nur aufgehört, ihn zu ärgern, weil Alexander sich mit ihm angefreundet hatte.
Richtig: Um auf Alexander aufzupassen, war er hier. Und auf Isabelle, die es irgendwie geschafft hatte, ihren großen Bruder zu überreden, dass sie mitkommen durfte. Es war fahrlässig, dass sie alle mit gerade sechzehn Jahren die Alkoholvorräte von Sebastians Vater plünderten, doch die vierzehnjährige Izzy sollte wirklich nicht hier sein.
Zwar stand auch vor Magnus ein Shotglas, doch er war sich relativ sicher, als einer der Verlierer aus dem Spiel hervorzugehen. Als nach einer eher harmlosen halben Runde Simon an der Reihe war, bestätigte sich Magnus' Verdacht. „Ich hab' noch nie jemandem einen Handjob gegeben."
Magnus kniff angeekelt die Augen zu. Nicht nur, dass er sich Simon nun unwillkürlich in einer solchen Situation vorstellte, er fand auch die Ausdrucksweise absolut respektlos gegenüber einer Tätigkeit, die genau das Gegenteil beinhalten sollte.
Alexander starrte auf seinen Shot, von dem er noch immer nicht getrunken hatte. Er hatte sich mit Sebastian und den anderen angefreundet und sie hatten endlich aufgehört, Magnus zu ärgern. Doch er war sich keinesfalls sicher, dass das so bleiben würde, verlöre er dieses Spiel. Er konnte doch jetzt nicht als Weichei dastehen. Oder als Romantiker.
Geschockt stellte er fest, dass Izzy neben ihm ihr Glas geleert hatte. Seine gerade frisch in die Pubertät eingetretene Schwester... Alexander setzte das Glas an die Lippen und trank. Es war nur eine halbe Lüge, denn Simon hatte „jemand" gesagt und das bezog ihn selbst doch mit ein?
Neugierig linste er nach Magnus Glas gegenüber im Kreis und stellte mit seltsamer Erleichterung fest, dass es noch randvoll gefüllt war. Und dann fiel ihm ein, dass nicht nur die anderen ihn aufgrund seiner Reaktion – Trinken oder Nicht-Trinken – bewerten würden, sondern auch sein bester Freund. Wie sollte er ihm das später erklären?
Es folgten ein paar weitere Aussagen, die in eine ähnliche Richtung gingen, und Alexander konnte es mit sich vereinbaren, das neu gefüllte Glas unangerührt zu lassen.
„Ich habe noch nie etwas gestohlen.", erklärte Magnus gelangweilt. Sicher war das den anderen nicht prekär genug, doch er konnte sie kaum leiden, was interessierte es also ihn? Tatsächlich kippten ein paar der Jungs ihre Gläser herunter. Ein blondes Mädchen aus der Parallelklasse, dessen Namen Magnus nicht kannte, war als nächstes an der Reihe. „Ich war noch nie verliebt.", flüsterte sie.
Irritiert betrachtete Magnus ihr Profil, dann sah er verblüfft auf seine Finger, die sich um das kühle Glas legten. Er könnte es einfach stehen lassen, ganz nüchtern bleiben, doch es lag ihm nicht besonders, zu lügen. Als er trank, spürte er Alexanders Blick auf sich, der nun seinerseits das Gals anhob.
Magnus wandte den Blick ab und schlug die Beine übereinander. Fuck, das war doch nicht mehr normal! Erregte es ihn nun schon, wenn Alexander ihn nur ansah, während er zugab, mal verliebt gewesen zu sein? Immerhin, gestand Magnus sich ein, befeuerte es seine Fantasie. Und wenn er später diese grässliche Feier verlassen würde und alleine wäre, würde er sich daran erinnern und sich einfach einbilden, es würde etwas bedeuten. Dann würde er in seiner Vorstellung mit seinem Finger Alexanders Lippen nachmalen, die ganz weich waren.
Fast war er erleichtert, als Sebastian ihn aus seinen Gedanken riss, weil er erneut an der Reihe war. „Ich habe noch nie jemanden mit meinem Mund befriedigt.", warf er in den Raum und als er dann mit einem selbstherrlichen Grinsen als allererster trank, dachte Magnus, dass Sebastian seiner Partnerin da aber ziemlich auf den Leim gegangen sein musste. Eine Frau oral zu befriedigen war schwer, hatte er sich sagen lassen.
Alexander biss sich bei der Aussage fest auf seine Unterlippe. Unwillkürlich war ihm eine vielfach abgespielte Erinnerung eingefallen und er sah zu Magnus herüber. Trink, dachte er, als der keine Anstalten machte. So gesehen hatte Magnus nicht das getan, was Sebastian andeutete. Doch es war nur zwei Jahre her, dass er mit seinem Mund an Alexanders Handfläche diesen ganz eindeutig befriedigt hatte. Was Magnus zu Alexanders Glück nicht wissen konnte, war, dass alleine die Erinnerung an Magnus' Mund ihm noch immer regelmäßig Befriedigung verschaffte.
„Oh Magnus, hast du noch deinen ersten Drink da stehen? Nicht mal Izzy ist so eine brave Jungfrau wie du.", feixte Sebastian. Magnus war es egal, er hörte lange nicht mehr hin, wenn der Junge etwas sagte, doch Alexander bedachte den neuen Freund mit einem bösen Blick, sodass er verstummte. An Izzy hatte er nicht einmal mehr gedacht und auch jetzt konzentrierte sich seine Sorge viel mehr darauf, dass er bei der nächsten Aussage keine andere Wahl hatte, als zu trinken, wenn er die Bande nicht brechen wollte. Er musste Sebastians Gunst bewahren, wenn er Magnus beschützen wollte.
Als jemand rausposaunte: „Ich hab' noch nie mit jemandem geschlafen.", trank der Großteil der Leute in der Runde, sogar das schüchterne, noch-nie-verliebte Mädchen neben Magnus. Magnus trank nicht. Izzy auch nicht. Alexander schon. Vielleicht würde es niemandem auffallen, dachte er noch, als er Magnus undeutbaren Blick bemerkte. Und Isabelle losquietschte: „Oh Mann, Alec! Mit wem?"
Alexander spürte, wie er knallrot anlief, als alle Aufmerksamkeit sich auf ihn fokussierte. „Äh...", wandte er sich mit gedämpfter Stimme nur an Isabelle. Dennoch konnten ihn alle hören. „Erinnerst du dich noch an Catarina?", nannte er den ersten, halbwegs unverfänglichen Namen, der ihm einfiel.
„Cat, aus dem letzten Sommerurlaub?", hakte sie nach und Alexander nickte langsam. Isabelle grinste. „Mann, du hast Geschmack, Brüderchen!"
Niemanden außer den beiden interessierte es, als Magnus sich erhob und den Kreis verließ. Zögerlich ging Alexander ihm schließlich hinterher, fand ihn eine Etage höher in einem leeren Schlafzimmer auf dem Bett sitzend.
„Wieso hast du mir das nicht erzählt?", fragte Magnus tonlos, noch bevor Alexander die Tür hatte schließen können.
„Ähm, ich..." Alexander wusste nicht, was er tun sollte. Würde er die Wahrheit sagen, dass er nur wegen Sebastian und seinen Freunden gelogen hatte, würde Magnus das verstehen. Aber würde er nun zurückrudern und gestehen, dass er im Grunde gänzlich unerfahren war, dann würde Magnus auch begreifen, was das bedeutete. Wieso der Morgen im Zelt vor zwei Jahren Alexanders einzige Erinnerung war, die so etwas wie Sex auch nur im Entferntesten nahe kam.
Er musste sich nicht entscheiden, denn Magnus fiel ihm mit traurigem Blick ins Wort. „Wie war es denn?"
Magnus merkte selbst, wie heiser seine Stimme klang. Wollte er das wissen? Dumme Frage: wollte er nicht. Aber Alexander war sein Freund und Freunde redeten über solche Dinge.
„Naja, ich..." Alexander räusperte sich nervös und setzte sich neben ihn. Wie war das nochmal mit den Lügen? Details. So viele glaubwürdige Details wie möglich. Und Emotion. Das würde er schon schaffen, oder? „Es war ganz gut. Also für mich zumindest. Ich hab' mich wahrscheinlich nicht besonders gut angestellt, zumindest hat Cat das ziemlich direkt gesagt." Das klang doch realistisch, oder? Für ein erstes Mal.
Magnus Augen weiteten sich besorgt. „Das tut mir Leid. Hast du mit jemandem darüber gesprochen? Mit deiner Mom oder so?" Alexander schüttelte sich angewidert. „Spinnst du? Wieso sollte ich das Mom erzählen?"
Magnus seufzte auf. „Normalerweise spricht man mit seinen Freunden über sowas. Das war eine wichtige Erfahrung für dich und ihre Reaktion hat sicher auch etwas bei dir ausgelöst. Wenn du mir nichts erzählen magst, dann vielleicht jemand anderem.", erklärte er ruhig.
„Nein, Magnus, ich will mit keinem sonst darüber reden. Ich weiß, dass ich dir sowas erzählen kann.", widersprach Alexander schnell und hatte ein schlechtes Gewissen. Nicht nur wegen der dicken Lüge, die er nun auch seinem besten Freund auftischte, sondern auch, weil er ihn innerhalb dieses Gebildes aus nicht stattgefundenen Handlungen enttäuscht hatte. Natürlich fühlte sich Magnus nun zurückgelassen, weil er nichts davon erfahren hatte, und selbstverständlich hätte Alexander sofort mit ihm darüber geredet und mit niemandem sonst, wäre etwas in der Art tatsächlich passiert.
Innerlich verdrehte er über den Gedanken die Augen, denn wenn sowas jemals passieren sollte, wäre es kaum nötig, Magnus davon zu erzählen. Alexander wollte doch nur ihn.
In einer tröstenden Geste legte Magnus seine Hand auf Alexanders Knie. „Es war sicher nicht so schlimm, wie du denkst. Du musst dich deswegen nicht schämen, okay? Es war das erste Mal und da..." Er brach ab. „Es war doch das erste Mal, oder verheimlichst du mir noch was?"
Alexander schüttelte eilig den Kopf. Das war ja auch wirklich schon schlimm genug. Und plötzlich verspürte er den Drang, tatsächlich mit Magnus über die Erfahrung zu reden, nur dass sie sich ja niemals ereignet hatte und es wirklich nicht nötig war, ihm noch mehr erfundene Details aufzutischen.
Alexander lehnte seufzend seinen Kopf an Magnus Schulter, der überrascht ein Keuchen unterdrückte. Wieso machte ihn bloß jede kleine Berührung so verrückt? Verstärkte der Alkohol das – und war das von einem kleinen Drink überhaupt möglich? Er hatte sich schon zurückhalten müssen, Alexander nicht anzubieten, vor dem nächsten Mal gemeinsam zu üben. Woher kamen diese eindeutigen Gedanken?
„Danke Magnus.", murmelte Alexander an Magnus' Hals und der warme Atem bescherte diesem eine Gänsehaut. „Dass du mir nicht böse bist."
Magnus lächelte. Trotz dem Schmerz, den es ihm bereitete, dass Alexander mit einem Mädchen geschlafen und es ihm dann auch noch verschwiegen hatte, war er für den Moment einfach glücklich, dass zwischen ihnen alles wie immer war.
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