Damals - mit 12

„Eh, Totengräber! Kommst du zur Halloweenparty?", rief Maureen quer durch die Klasse der Papierkugel hinterher, mit der sie Magnus am Kopf getroffen hatte. Genervt blickte der gerade aus und hoffte, dass endlich die Lehrerin erscheinen würde. Obwohl Elaine ziemlich nett war und die Schüler sie sogar mit Vornamen ansprechen durften, hatten alle genügend Respekt vor ihr, um in ihrer Anwesenheit solche Bemerkungen sein zu lassen.

Ein Lachen schallte durch die Klasse. „Du brauchst dich auch nicht verkleiden!", brüllte Sebastian. Magnus verdrehte die Augen, beachtete sie aber noch immer nicht. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich über den Job seiner Eltern lustig machten, und es war ihm egal. Er war bloß froh, dass sie nicht alles wussten.

Magnus half seinen Eltern nämlich gerne. Beim Kundenkontakt durfte er natürlich nicht dabei sein, und darüber war er auch froh. Doch er beobachtete gerne Gretel dabei, wie sie die Toten für die Beerdigungen mit offenem Sarg vorbereitete. Zugegeben, die Leichen sahen schon ziemlich gruselig aus mit der fahlen Haut und den eingefallenen Wangen. Aber nachdem die junge Angestellte mit ein paar Farben über ihr Gesicht gepinselt hatte, hatten sie ihre Würde zurück und man könnte meinen, sie schliefen nur.

Magnus hatte an manchen Tagen mit Gretel geübt, hatte ihr Gesicht schminken dürfen. Seit einem Jahr half er aus, wenn sie krank war, und stellte sich ganz passabel dabei an. Er wusste, seine Eltern erwarteten, dass er eines Tages im Geschäft mithelfen und es vielleicht sogar übernehmen würde, und er hatte seinen Zugang gefunden. Er war früh dran mit zwölf Jahren, aber er wusste, er würde eines Tages eine Ausbildung zum Kosmetiker machen, um seinen Eltern zu helfen. So könnte er das vereinen, was er tun sollte, und das, was er gerne tat.

Hätte Sebastian das gewusst, wären die Beschimpfungen sicher wesentlich schlimmer ausgefallen.

Alexander ließ sich neben seinen Freund fallen und griff nach der Papierkugel. „Sebastian?", fragte er mit mitleidigem Ausdruck, der Magnus ein wenig verletzte. Natürlich wollte Alexander nur für ihn da sein, aber sein Mitleid erinnerte ihn doch immer wieder daran, dass Alexander beliebt war und sogar Sebastian ihn fürchtete, während ihn selbst niemand leiden konnte.

„Maureen.", widersprach Magnus und Alexander nickte. Er war so wütend auf die Mitschüler, die Magnus piesackten. Er konnte nichts dafür, was seine Eltern beruflich machten, und man sollte auch bedenken, wie wichtig dieser Job für die Gesellschaft war. Ohne genau hinzusehen, pfefferte Alexander das Geschoss zurück in die Richtung, aus der es gekommen war. Elaine betrat den Raum, bedachte ihn mit einem strengen Blick, und wandte sich schnell zur Tafel um.

Alexander mochte seine Klassenlehrerin. Sie war als Frau des Bürgermeisters mit seinen Eltern befreundet, doch weit weniger abgehoben als die anderen Politiker in der Stadt. Ihr Sohn Simon, der ihn noch im Kindergarten geärgert hatte, war nun in der Parallelklasse und mittlerweile etwas braver geworden.

Als es klingelte, stand Sebastian mit seinen Anhängern hinter dem Tisch der Freunde und er beugte sich gerade mit hämischem Grinsen vor, um Magnus etwas ins Ohr zu flüstern. Alexander reagierte sofort und stieß Sebastian gegen die Brust, sodass er rückwärts gegen die Wand taumelte. Mit dem Unterarm an seinem Hals drückte er ihn weiter dagegen – so hatte er es in Filmen gesehen – und sah ihm drohend in die Augen.

„Du überlegst dir besser gut, wie du mit Magnus sprichst! Überleg mal, wenn du plötzlich sterben solltest und deine Familie sich am Grab verabschieden will, schminkt er dir vielleicht ein Clownsgesicht. Dann behalten dich alle als das in Erinnerung, was du bist."

Verblüfft blickte Sebastian ihn an und nickte ergeben, damit Alexander ihn gehen ließ. Magnus stützte das Gesicht in die Hände. War das Alexanders Ernst? Konnte er ihn diesen Kampf nicht vielleicht auf seine Weise austragen lassen, mit der simplen Technik des Ignorierens?

Sebastian dackelte davon, drehte sich aber an der Tür noch einmal herum und fixierte Magnus. „Wieso kommst du nicht morgen geschminkt zur Schule, Tunte?", feixte er.

Alexander machte Anstalten, ihm hinterher zu jagen, doch Magnus hielt ihn mit einigem Kraftaufwand am Arm zurück. „Lass das einfach, Alexander. Ist doch egal.", bat er genervt. Alexander schüttelte entschlossen den Kopf und legte seine Hände auf Magnus Schultern ab. „Ganz sicher nicht. Ich bin für dich da, Magnus. Ich lasse die nicht so mit dir reden."

Magnus biss sich auf die Lippe und versuchte, nicht wegzusehen, während Alexanders Augen ihn mit diesem liebevoll-besorgten Blick bedachten. Irgendwie fühlte es sich ja auch gut an, dass Alexander ihn beschützen wollte. Er hatte es geschworen, vor drei Jahren, und hielt sich seitdem daran.

Alexander drückte Magnus kurz an sich und ärgerte sich, dass er einfach nicht wusste, was er gegen die fiesen Sprüche der Mitschüler tun sollte. Sie zu bedrohen funktionierte einfach nicht. Sie achteten ihn zwar, aber nicht genug, um es sein zu lassen.

Er sah nach vorne zur Tafel, wo die Lehrerin das Treiben offenbar gar nicht mitgekriegt hatte. Oder wollte sie die Jungs das bloß auf ihre Weise regeln lassen?

Alexander stellte fest, dass es auf seine Weise nicht genug war, also ließ er von Magnus ab und ging zu ihr nach vorne. „Elaine?", fragte er. „Ich brauche deine Hilfe."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top