Abendessen
Magnus
Ich bin tierisch nervös, als ich an der Tür des Lightwood'schen Anwesens klingle. Es ist nur ein Abendessen, beruhige ich mich. Ein Abendessen wie jeden anderen Dienstagabend.
Früher sind es die Donnerstage gewesen. Nach den Pfadfinder-Treffen habe ich noch mit zu Alexander gedurft, bin bis zum Abendessen geblieben. Mit Maryse und Robert am Familientisch zu sitzen ist nicht meine angenehmste Erinnerung, aber Alexander hat mir immer den Rücken gestärkt.
Lydia werden bei den Lightwoods scheinbar die Dienstage eingeräumt. Um es genau zu nehmen, sind die Dienstage wohl aber Alexanders Tage, schließlich ist er bald nach dem Abitur ausgezogen und bewohnt seit kurz vor dem Universitätsabschluss eine eigene Wohnung. Dass Lydia ihn begleitet, muss sich so eingebürgert haben.
Als Maryse mir die Tür öffnet und mich strahlend in ihre Arme reißt, kann ich ihr nur unbeholfen auf den Rücken klopfen. Auch Robert lächelt mich im Esszimmer fröhlich an, sodass ich mir wirklich Mühe geben muss, freundlich zu bleiben. Wenn ich gewusst hätte, dass es so leicht ist, Alexanders Eltern zu gefallen, hätte ich mir natürlich gleich im Kindergarten einen anderen Körper gewünscht.
Dass Alexander noch nicht da ist, macht mich noch nervöser. Wieso holt er seine Freundin nicht ab, wenn sie beide bei seinen Eltern eingeladen sind? Wieso setzt er sie überhaupt alleine seiner Familie aus?
Als Robert mich interessiert zu meinen Klausuren befragt, erinnere ich mich, wieso: Seine Eltern lieben Lydia. Ich verdrehe innerlich die Augen und versuche, den beiden etwas Honig ums Maul zu schmieren. Einmal kichere ich sogar etwas affektiert, und komme mir ziemlich authentisch vor.
Isabelle betritt das Wohnzimmer und mustert mich mit abfälligem Blick. Erleichtert atme ich auf. Hätte ich nicht immer nur Augen für ihren Bruder gehabt, hätte ich mich sicherlich mit Isabelle anfreunden können. Sie ist ungezwungen und lebensfroh, das gefällt mir gut an ihr.
Ohne ein Wort lässt sie sich mir gegenüber fallen, würdigt mich keines Blickes. „Isabelle!", herrscht Maryse sie an und ich zucke zusammen. Sie rollt mit den Augen und schaut in meine Richtung. „Hallo, Lydia.", murmelt sie. Ich schlucke. Da war ja die gezwungene Unterhaltung mit ihren Eltern angenehmer als die Abneigung, die mir jetzt entgegenschlägt. Aber immerhin sind wir uns einig: Schließlich richtet sich diese Haltung gegen Lydia. Zufrieden schmunzelnd über diese Erkenntnis grüße ich höflich zurück.
Schließlich erscheint auch Alexander, drückt seiner Mutter und Schwester je einen Kuss auf die Wange, kommt dann um den Tisch herum, und nähert sich auch meiner Wange mit seinen Lippen. Verwirrt zucke ich zurück und drehe ihm das Gesicht entgegen. Ich kann nicht einmal sagen, was mich zurückweichen lässt, doch irgendwie kommt es mir falsch vor. Er sollte weder seinen besten Freund im Körper seiner Freundin auf die Wange küssen, noch seiner Freundin die gleiche Behandlung zuteilwerden lassen wie den Frauen in seiner Familie.
„Hi.", presse ich hervor. Er hebt überrascht eine Augenbraue und lässt sich dann vor Kopf nieder.
„Hast du eigentlich nochmal was von Sebastian gehört?" Als Isabelle ihrem Bruder gegenüber den Namen erwähnt, horche ich auf. „Nein, wieso das denn?", murmelt er, als sei das Thema ihm unangenehm. Auch ich frage mich, wie Izzy aus dem Nichts auf ihn kommt, doch Alexanders Reaktion ist ebenfalls eine Überraschung. Immerhin waren sie bis zum Schulabschluss miteinander befreundet.
„Ich war letztens in der Gegend, in der seine Eltern wohnen, da ist er mir entgegengekommen und hat gesagt, ich soll dir liebe Grüße ausrichten. Ich glaube, er ist wieder hergezogen." Ich sehe Alexander langsam nicken und schlucke einen Kloß in meinem Hals herunter. Alexanders Freundschaft mit Sebastian ist eines der ersten Dinge, die ihn von mir entfernt haben.
„Der Sebastian, der Magnus früher geärgert hat?", mische ich mich zögerlich in das Gespräch ein, dabei ist mir ja klar, dass es um keinen anderen gehen kann. Die Geschwister mustern mich verblüfft. „Genau der! Alec war damals der Meinung, er könnte Magnus beschützen, wenn er sich mit ihm anfreundet.", erklärt Isabelle und scheint kurz zu vergessen, dass sie mich ja eigentlich nicht leiden kann. Ich kann mich jedoch nur auf ihre Behauptung konzentrieren.
Er wollte mich beschützen? Nur deswegen soll er sich auf die Freundschaft mit dem Idioten eingelassen haben? Ob ich das glauben kann, weiß ich nicht, aber es lässt sich nicht verhindern, dass eine wohlige Wärme aus meinem Bauch in meine Brust aufsteigt, bei der bloßen Vorstellung, es wäre so gewesen.
Fragend mustere ich Alexanders schönes Gesicht, mit den zusammengezogenen Brauen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich dir mal von Sebastian erzählt habe.", erinnert er sich. Erschrocken blicke ich auf meine Finger hinab, die sich nervös ineinander verschlingen. „Ja... Ich glaube, Raphael hat ihn mal erwähnt.", behaupte ich, froh, dass mir auf die Schnelle jemand eingefallen ist, der sowohl Sebastian als auch Lydia kennen muss.
Alexander nickt nachdenklich. „Hat es funktioniert?", frage ich dann, dabei kenne ich die Antwort ja bereits. Fragend richten sich ihre Blicke wieder auf mich. „Ihn dadurch zu beschützen."
Isabelle hebt die Augenbrauen und beginnt zu lachen. „In welcher Welt lebst du denn? Ich hätte nicht gedacht, dass du so naiv sein kannst wie Alec damals."
Später bin ich froh, dass Alexander zeitgleich mit mir aufbricht und ich ihn zu seiner Wohnung begleiten kann. Ich habe das Gefühl, er gehe davon aus, dass ich auch dort übernachten werde. Doch nach dem Schreck, den allein die Existenz von Lydias Verhütungspillen in mir ausgelöst hat, bin ich mir keinesfalls sicher, ob ich das auch möchte.
„Bist du böse?", fragt er nach ein paar Metern, auf denen wir einvernehmlich geschwiegen haben. „Wegen Sebastian?"
Irritiert blicke ich zu ihm auf. „Wieso sollte ich böse sein, weil ein alter Freund von dir wieder in der Stadt wohnt?"
Er wiegt den Kopf hin und her. „Er war nie wirklich ein Freund. Ich hab' das nur getan, damit er sich nicht mehr traut, Magnus zu ärgern." „Was nicht funktioniert hat.", erinnere ich ihn an Isabelles Worte.
Alexander seufzt und nickt verdrießlich. „Ich weiß, du kannst es nicht leiden, dass ich immer auf ihn aufpassen will, aber das war eben schon immer so."
Ich schweige, denn dazu, dass ich das nicht leiden könne, kann ich wirklich nichts sagen.
„Er ist mein ältester Freund. Wenn du einen kleinen Bruder hättest, würdest du dir auch immerzu Sorgen um ihn machen, oder?"
Schlagartig weicht das angenehm behütete Gefühl einer eisigen Kälte in mir. Ich versuche, mein Tempo beizubehalten, nicht zu stolpern. Es ist nicht so, als ob ich das nicht wüsste, aber noch nie, noch nie, hat er es mir gegenüber so explizit ausgesprochen.
„Dann ist er für dich wie ein kleiner Bruder?", hauche ich, bringe keine kräftigere Stimme zustande. Sicher, ja, ich kann froh sein, wenn er mich so liebt wie einen Bruder, wenn er mich überhaupt auch nur liebt. Immerhin sind Geschwister für die Ewigkeit, während Partner wechseln können. Dennoch kann ich den drückenden Schmerz in meinem Brustkorb nicht leugnen, der mir langsam aber sicher die Luft abschnürt.
Alexander jedoch antwortet nicht mehr.
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