Kapitel 9 ~Gelbe Zettel und schwarze Botschaften~

Ich hatte noch etwas über eine Stunde, als Julia und ich das gemütliche Café wenige Straßen von der Schule entfernt betraten. Es war klein, aber trotzdem so gemütlich, dass ich am liebsten für immer hier bleiben wollte. Von den Decken hingen gelb schimmernde Lampen auch an den Wänden witzige Bilder, welche ich noch nie sonderlich beachtet hatte. An der hinteren Wand waren fünf Nischen eingebaut, in welche man sich zurückziehen konnte, wenn man, wie in unserem Fall, etwas wichtiges besprechen musste.

Erschöpft lies ich mich auf das helle Leder niederplumpsen, legte meine Jacke und meinen Schal ab und platzierte sie neben mir auf das Sofa. Julia tat es mir gleich und wir bestellten uns erst einmal etwas zu Essen und zu Trinken. Ich nahm wie immer den Schinken-Käse Toast, auf welchen ich mich schon riesig freute.

,,Okey, du musst mir aber versprechen, dass das, was ich dir jetzt erzähle unter uns bleibt und dass du mir ehrlich zur Seite stehst.", fing ich dann schweren Herzens an zu erklären.
,,Und bitte. Keine dummen Sprüche oder Sonstiges.", ich faltete einmal meine Hände und grinste sie an.

,,Hey, ich kann zwar nerven, aber wenn es etwas wirklich Wichtiges ist, dann weißt du doch genau, dass ich die Richtige bin.", sie trank einmal von ihrer Cola und zuckte anschließend mit ihren Schultern.

,,Ja, ich weiß.", meinte ich dann nachdenklich, atmete noch einmal tief ein und fing an zu erzählen.
Ich erzählte ihr von der Party, von der Schlägerei, von David, vom Streit meiner Eltern, von meinen Brüdern und Hope, von Ben und dem Tag als wir im Park waren und dem Typen in der Bibliothek.

Als ich schließlich fertig war, hatten wir bereits aufgegessen und Julia lehnte sich überfordert zurück.

,,Wow.", meinte sie nur und zog ihre Augenbrauen nach oben.
,,Warum hast du mir nicht früher davon erzählt?", fragte sie mitleidig.

,,Ich konnte nicht. Ich war selber damit beschäftigt das alles zu verstehen. Es ist so viel in den letzten Tagen passiert.", ich lehnte mich auch zurück, schlug meine Beine übereinander.

,,Verständlich. Aber, was dein Dad gemeint haben könnte, als er mit deiner Mum gestritten hatte, weißt du nicht?", sie war am Nachdenken, schien selbst nach einer Lösung zu suchen.

,,Nein. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich weiß nicht warum, aber ich möchte sie nicht darauf ansprechen.", ich krazte den letzten Rest des Käses mit meiner Gabel vom Teller.

,,Würde ich auch nicht. Vielleicht findest du noch etwas heraus. Ich würde nicht mit der Tür ins Haus fallen. Und in der Zwischenzeit kannst du dich um das Problem mit David kümmern.", sie nickte mir einmal zu.

,,Was soll es da geben, um das ich mich kümmern sollte? Es ist einfach total verwirrend. Ben hat sowieso anderes zu tun und David...keine Ahnung. Ich finde, ich sollte jetzt einfach mal gar nichts tun.", verzweifelt bließ ich eine Strähne aus meinem Gesicht und wartete auf Julias Antwort.

,,Hmm, ja vielleicht. Aber sag mal. Was stand eigentlich auf dem Zettel, den dir der Junge gegeben hat?", sie hatte sich mittlerweile wieder nach vorne gelehnt.
Ich verharrte kurz in meiner Position, versuchte mich zu erinnern, wo genau ich Diesen hingetan hatte,  kramte dann den gelben kleinen Zettel hervor und faltete ihn auseinander.

'Anastasia Hall' stand mit schwarzen handgeschriebenen Buchstaben in der rechten oberen Ecke.
,,Wir werden uns wieder sehen", sprach ich dann langsam aus und wiederholte die Worte immer wieder in meinem Kopf.

Julia lehnte sich zu mir rüber und zog mir den Zettel aus den Händen, so schnell konnte ich garnicht reagieren. Auch sie las die fünf Wörter mehrmals und drehte den Zettel dann um, um zu sehen, ob auf der Rückseite noch etwas stand. Vielleicht ein Hinweis, von wem er war. Doch da war nichts. Absolut nichts, was darauf hätte hinweisen könne.

,,Das ist alles?", abermals drehte sie den Zettel um, betrachtet ihn einmal genauer.
,,Das kann nicht alles sein. Wer macht sowas?", sie ließ ihre Schultern sinken, gab mir das Stück Papier wieder zurück.
,,Tja, das weiß ich auch nicht.", meinte ich kurz und knapp und ließ den Zettel wieder in meiner Tasche verschwinden. 
Ich trank mein Wasser leer und winkte der Kellnerin zu, welche gerade in der Näher eine Bestellung aufnahm. 

,,Ana?", meine Julia dann etwas irritiert, als ich gerade mein Portemonnaie rausholte.
,,Hm?", meinte ich nur und fing schon mal an, mein Geld zu zählen.
,,Da steht ein komischer Typ draußen. Und ich glaube er starrt uns an.", ihre Stimmt wirkte brüchig und ich riss meine Kopf nach oben. Ich folgte ihrem Blick auf die andere Straßenseite und malte einen Typen in dunklen Klamotten aus. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen, die Hände in den Taschen vergraben. Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Sofort schossen mir die Bilder mit dem Jungen im Park in den Kopf und ich musste mit Bedauern feststellen, dass es sich um den Selben handeln musste. Es konnte nur David sein.

Die Kellnerin nannte nun schon zum zweiten Mal die Summe und brachte mich erst aus meiner Starre, als Julia meinen Namen sagte. Erschrocken fuhr ich zusammen, entschuldigte mich bei der geduldigen Dame und gab ihr das Geld.
Dankend steckte sie es ein und verabschiedete sich lächelnd.
Schnell zogen wir uns an, liefen nach draußen in die kalte Nachmittagsluft und blieben erst an der nächsten Ecke stehen. Von David war keine Spur mehr, er hatte sich bereits aus dem Staub gemacht.

,,Sag nicht, das war David?", sie zog die Luft ein und strich sich ihre Haare hinters Ohr.
,,Leider ja.", meinte ich mit Nachdruck in der Stimme.
,,Ich sollte mir nicht zu viele Gedanken machen. Ich besuche Hope gleich im Krankenhaus. Wie du weißt hasst sie schlecht gelaunte Menschen.", ich zwang mir ein Lächeln ab und rückte meine Tasche auf der Schulter zurecht.

,,Du hast Recht. Vielleicht war es auch nur Zufall, dass er hier war. Oder es war garnicht er?", man merkte, dass sie mich aufmuntern wollte und entlockte mir einen tiefen Seufzer.

,,Grüß Hope ganz lieb von mir, ja?", meinte sie dann, strich mir einmal über dann Arm und umarmte mich dann zur Verabschiedung.

,,Ja, mach ich. Danke Julia.", ich hatte mich ehrlich zu bedanken, denn ich war froh endlich alles losgeworden zu sein.
,,Kein Problem.", rief sie mir noch hinterher, da war sie aber schon in die andere Richtung davonstolziert und verschwand hinter der nächsten Hausmauer.

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Meine Mutter war tatsächlich gekommen. Als ich kurze Zeit später nämlich Hopes Krankenzimmer betrat, saß Mom bei ihr auf dem Bett und sie unterhielten sich lachend. Sofort musste auch ich lächeln und meine schlechte Laune von vorhin war wie weggeblasen.

Leise tapste ich zu ihnen, umarmte meine Mum zur Begrüßung und gab meiner Schwester einen Kuss. Meine Tasche ließ ich auf den Boden gleiten und zog mir den hellgrünen Stuhl heran, auf welchem ich mich zufrieden niederließ.

,,Wie geht's dir, Hope?", fragte ich leicht besorgt und doch glücklich, als ich ihr süßes Lachen bemerkte.
,,Besser. Sie wollen mich aber noch ein paar Tage dabehalten, bis sie sicher sind, dass ich gesund bin.", sie streifte ihre Decke glatt und holte eine Schachtel aus der Schublade zu ihrer Rechten heraus.

,,Das ist schön. Ich soll dir übrigens liebe Grüße von Julia ausrichten.", erinnerte ich mich dann wieder.

,,Dankeschön. Willst du?", grinsend hielt sie mir dann die Schachtel hin und ich erkannte leckere kleine Schokomuffins, welche ich nie widerstehen konnte. Augenblicklich lief mir das Wasser im Mund zusammen, obwohl ich erst vor kurzem gegessen hatte und nahm mir dankend einen heraus.

,,Danke, dass du hier bist.", meinte ich dann zu meiner Mum, welche noch immer am Bett saß und unsere Unterhaltung still beobachtet hatte. Ich biss in den Muffin und ließ den Geschmack auf meiner Zunge zergehen.

,,Hm, soll ich dich dann gleich mitnehmen?", sie wich meiner Bemerkung aus, wusste aber ganz genau, auf was ich eben angespielt habe. Und trotzdem war ich etwas stolz. Alles schien wieder normal und ich war froh, dass ich es geschafft hatte, meine Mum von ihren Zweifeln gegenüber Hope abzuhalten. Es schien das Richtige gewesen zu sein, mit ihr geredet zu haben.

,,Wann fährst du denn los?", fragte ich und schnappte mir eine Serviette vom Nachttisch.

,,In einer Stunde etwa.", sie sah auf ihr Handy, um die Uhrzeit zu checken.

Ich schüttelte den Kopf.
,,Ich muss gleich wieder los", kauend versuchte ich deutlich zu sprechen und fing mir von Hope einen traurigen Hundeblick ein.
,,Tut mir leid Hope, aber ich muss unbedingt nach Hause. Es ist schon spät und die Hausaufgaben machen sich auch nicht von alleine.", entschuldigend legte ich den Kopf schief. Als sie mir noch immer traurig in die Augen schaute, fügte ich noch schnell ein ,,Aber morgen komme ich ganz bestimmt wieder.", hinterher, schob mir das letzte Stück Muffin in den Mund und hielt mir die Hand vor den Mund, um nicht zu bröseln.

Das schien sie wieder zu beruhigen, denn ihr Blick wurde wieder weich und glücklich. Sie griff nach ihrem Becher, zog einige Male kräftig aus dem Strohhalm und lehnte sich zufrieden in ihr Kissen zurück.

,,So.", ich klopfte mir auf meine Oberschenkel. 
,,Ich muss dann mal. Wir treffen uns zu Hause Mum. Mach's gut Hope.", ich stand auf, griff nach meiner Tasche und strich Hope über den Kopf.

,,Macht euch einen schönen Abend.", sagte ich und erhielt ein im Chor gesprochenes 'Du auch' zurück. Ich schob den Stuhl zurück, entfernte mich wieder genauso leise und loss die Tür hinter ihnen.

Auf dem Flur traf ich Dr. Anderson, W
welcher mir freundlich zuwinkte. Normalerweise hätte ich ihn jetzt sofort gefragt, ob er endlich Ergebnisse von Hope habe. Irgendwelche Informationen, die mich besser fühlen ließen. 
Doch ich sparte mir sämtliche Fragen. Er hätte es mir vermutlich nicht verraten und ich konnte im Moment nicht noch mehr schlechte Nachrichten vertragen. Ich brauchte Abstand. Nur wusste ich noch nicht ganz, wie ich das anstellen sollte. 
Ich winkte ihm als zurück, sputete mich aber endlich aus dem Krankenhaus zu kommen.

Draußen ging bereits die Sonne unter und tauchte die Stadt in ein angenehmes Rosa. Entschlossen holte ich erstmal mein Handy aus meiner Tasche. Ich hatte keine Lust mit der Bahn zu fahren, also rief ich meinen Bruder Leo an. Wenn ich Glück hatte, war er sowieso gerade unterwegs und konnte mich mitnehmen.

Nach dem es fünf mal geläutet hatte, ging er endlich ran.
,,Hey Ana. Was gibt's?", er keuchte etwas, im Hintergrund hört man Musik und das Klirren von Metall. Menschen redeten durcheinander. Er war definitiv im Fitnessstudio, wie so oft um diese Uhrzeit.
,,Bist du unterwegs? Könntest du mich abholen, bevor du nach Hause fährst? Ich stehe vor dem Krankenhaus.", fragte ich dann möglichst nett und betete innerlich er würde ja sagen.
,,Ähh...", überlegte er dann. Seine Stimme wurde kurz leise, als ob er sich von seinem Handy wegdrehte.
,,Na gut, ich wollte sowieso gerade los. Du musst aber etwas warten, wenn das für dich kein Problem ist?", meinte er dann.
,,Ja klar, kein Problem. Bis gleich.", antwortete ich fröhlich und legte auf, nachdem ich mich verabschiedet hatte.

Lange musste ich nicht warten, da kam Leo mit seinem rotem Auto um die Ecke gefahren. Er blieb an der Seite stehen, um den Verkehr nicht aufzuhalten und ich schlüpfte schnell hinein.

Zur Begrüßung zog er mich kurz in seine Arme, bevor er den Wagen wieder auf die Straße lenkte. Leo ging aufs College, welches sich nur wenige hundert Meter von meiner High School befand. Mich störte es eigentlich nicht, dass er noch keine eigene Wohnung hatte, meine Eltern auch nicht. Im Gegenteil. Sie liebten es, all ihre Kinder um sich zu haben. An den Wochenenden unternahmen wir gerne etwas gemeinsam. Das war so ziemlich die einzige Gelegenheit, alle Familienmitglieder zu sehen. Unter der Woche war Leo nämlich so gut wie nie zu Hause und kam nur um zu schlafen. Er hing viel mit seinen Jungs ab. Trieb viel Sport. Er war -wie sollte es auch anders sein- im Footballteam.
Vermutlich hatte er auch die ein oder andere Freundin. So genau konnte ich das gar nicht sagen. Er liebte es frei und unabhängig zu sein. Eine feste Freundin wäre nichts für ihn.
Auch Jeremy und Stephan waren so. Sie trieben sich lieber zu dritt irgendwo herum, als zu Hause zu sein. 

Vielleicht war das aber auch besser so, überlegte ich. Ich wusste nicht so recht, was sie so trieben. Es war besser, wenn Mum und Dad nicht alles mitbekamen. Was das für Auswirkungen hatte, hat sich ja eben erst gezeigt, als die Zwillinge mit einem blauem Augen nach Hause gekommen waren.

,,Wie geht es Hope so?", riss mich Leo aus meinen Gedanken und ich widmete mich ihm.
,,Naja. Sie ist ziemlich fertig. Wir warten noch auf die Ergebnisse.", ich faltete meine Hände und schob sie zwischen meine Oberschenkel.

Er kratze sich am Kinn und nickte nur zur Antwort.
,,Wann besuchst du sie eigentlich?", fragte ich ihn dann. Hope war zwar erst den zweiten Tag im Krankenhaus, doch ich fand es trotzdem nicht richtig, sie nicht zu besuchen.

,,Die Tage.", meinte er knapp und parkte vor unserem Haus. Ich atmete hörbar aus, schnallte mich ab und öffnete die Tür.

,,Bald.", flehte ich beinahe und sah ihn eindringlich an. Ich schnappte meine Tasche und schmiss die Beifahrertür wieder zu. Kopfschüttelnd stapfte ich in Richtung Tür und hörte wie Leo hinter mir aus dem Auto stieg. Etwas musste nicht stimmen. Er verhielt sich komisch.

Gerade kramte ich nach meinem Haustürschlüssel, als ich am Boden einen gelben Zettel liegen sah.
Die Hitze schoss in meinen Körper, mein Herz schlug höher und ich musste einmal schlucken. Wie von selbst beugte ich mich hinunter, um den kleinen Zettel mit zitternden Händen aufzuheben.
Ich wollte nicht sehen was darauf stand, wollte ihn am liebsten verbrennen, am Boden zertrampeln. Und dennoch drehte ich ihn um.

Auch diesmal stand Mein Name mit schwarzen Buchstaben in der rechten oberen Ecke. Die restlichen vier Wörter raubten mir den Atem und ließen mein Herz erneut höher schlagen.

~Dort wo alles begann~

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