Kapitel 8 ~Eine Krankheit verändert Leben~
,,Ich weiß es nicht.", traurig strich ich mir über die Nase. Ich wollte sie nicht im Glauben lassen, die Welt stünde gegen sie, also stand ich auf, hob ihre Decke und legte mich zu ihr ins Bett. Sie hob ihren Oberkörper und ich legte meinen linken Arm unter ihren Kopf.
Die Stille legte sich erneut über das Zimmer und ich genoss es einfach mit Hope hier zu liegen und die Gedanken schweifen zu lassen. Ich atmete den angenehmen Duft ihrer Haare ein, so wie ich ihn schon immer kannte. Der Duft von Fröhlichkeit und Frieden. Es war ein kurzer Moment, bevor sich vielleicht alles ändern könnte. Sie ließ das alles natürlich nicht in Ruhe, denn sie nahm meine Hand, spielte mit meinen Ring, bevor sie sich etwas zu mir drehte.
,,Ich war erst 13.", den Blick hatte sie starr nach vorne gerichtet, während sie ihren Kopf schüttelte.
,,Die zwei Chemotherapien waren mehr als grausam für mich. Niemand, wirklich niemand von euch kann sich das vorstellen.", ihre Augen fingen an zu glänzen.
,,Hope, ich bin immer für dich da, das weißt du. Es wird alles wieder gut.", ich wusste genau, dass ihr das im Moment nicht viel helfen würde. Sie hasste leere Versprechungen, die man sowieso nicht einhalten würde.
Aber in diesem Moment nahm ich mir fest vor, mein Versprechen zu halten. Hope würde wieder gesund werden, selbst wenn ich mein Eigenes dafür riskieren müsste.
Hope drehte sich nun komplett zu mir um und legte eine Hand auf meinen Oberkörper.
,,Ich schaffe keine weitere Chemo, Ana.", der Satz zerschnitt die Luft und hinterließ Angst in meinen Adern. Meine Augen weiteten sich, zu spät verstand ich, was Hope damit sagen wollte.
,,Dafür ist es noch zu früh. Ich weiß, du hast Angst. Aber bitte, lass sie nicht gewinnen.", meine Worte reichten, um sie zum Weinen zu bringen. Sie stütze sich mit ihren Händen auf, hielt den Kopf nach unten gesenkt.
,,Ich muss alleine sein. Bitte lass mich alleine.", ihre Tränen färbten die grüne Bettdecke dunkel, dann sah sie zu mir hoch. Es war keineswegs eine Anschuldigung. Eher ein Hilferuf, den ich ohne eine weitere Geste verstand. Ich wartete noch einen Moment, um zu sehen, ob sie sich wieder beruhigen würde. Doch sie nah mich flehend an.
,,Bitte!"
Als ich aufstand nahm ich ihr Gesicht in meine Hände und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn und entfernte mich von ihrem Bett. Vor der Tür drehte ich mich dann noch ein letztes Mal um und sah sie schweigend an.
,,Ana.", ich hatte die Hand bereits am Türgriff, stockte aber dann.
,,Wenn ich nach Hause komme, wird nichts mehr so sein, wie es war. Aber vergiss nie, dass ich dich liebe.", sie hatte die Worte mit so einer Leichtigkeit gesagt, als wären sie etwas Belangloses, bevor sie ihre Augen schloss. Später sollten sie mir viel mehr bedeuten, als angenommen.
Mit einem leisen 'Ich liebe dich auch' verabschiedete ich mich von ihr und verließ ihr Zimmer.
Meine Eltern warteten bereits vor der Tür, als ich heraustrat. Meine Mom schnappte sich ihre Tasche und wollte an mir vorbei in Hopes Zimmer, doch ich hielt sie an der Schulter zurück.
,,Sie will alleine sein.", wiederholte ich Hopes Worte. Mom wollte etwas sagen, schloss aber dann wieder ihrer Mund, als sie meine geröteten Augen sah.
Wir verließen das Krankenhaus, nachdem wir uns von Dr. Anderson verabschiedet hatten. Ich versprach ihm, morgen wieder zu kommen, was er dankend entgegennahm.
Als wir draußen auf dem Parkplatz ankamen, war es bereits dunkel und die Straßenlaternen schienen hell über den Platz. Dads dunkelblauer Wagen stand in den hintersten Reihen und es dauerte etwas, bis wir endlich einstiegen und Dad ausparkte. Immer wieder schossen Hopes Worte in meinem Kopf und ich schloss meine Augen, um alles um mich auszublenden. Meine Eltern waren still, niemand traute sich etwas zu sagen.
~~~~~~~~
Zu Hause angekommen, packte ich zuerst meine Sachen für den nächsten Tag, bevor ich ein Bad nahm. Anders als Viele, bevorzugte ich die Badewanne, da mir das kalte Gefühl unter der Dusche nicht gefiel und ich es hasste auf nassem Untergrund zu stehen. Ich war mit der Badewanne aufgewachsen und in diesem Moment mehr als froh, einfach für einige Minuten still im Wasser liegen zu können.
Nachdem ich im Bad fertig war, beschloss ich noch einmal hinunter in die Küche zu gehen, um mir unauffällig einen Überblick zu verschaffen.
Es passte mir gar nicht, dass meine Eltern sich anscheinend stritten, trotzdem hoffte ich irgendetwas zu erfahren. Die Ungewissheit machte mich rasend. Ich wollte einfach, dass etwas passierte, nur um mich zu vergewissern, dass ich mich nicht verhört hatte. Doch stattessen war mein Dad gar nicht hier und meine Mutter stand gespannt vor dem Kühlschrank. Als sie mich bemerkte, schloss sie ihn und drehte sich zu mir um.
,,Sag mal, was soll ich morgen kochen?", sie stemmte sie Hände in die Hüfte und sah mich nachdenklich nach. Sie war weder traurig noch bedrückt und ich schüttelte kaum merklich meinen Kopf. Ich füllte ein Glas mit Wasser und nahm einen großen Schluck daraus, bevor ich antwortete.
,,Also, ich werde morgen nach der Schule Hope besuchen. Wegen mir brauchst du nichts machen."
Sie starrte einige Sekunden vor sich auf die Theke und nickte dann.
,,Hmm. Na gut. Dann brauche ich wohl für euch nichts machen.", sie zuckte mit den Schultern und ging dann ins Wohnzimmer, um noch ein bisschen fernzusehen. Die Jungs aßen für gewöhnlich nach der Schule oder nach dem Training, was morgen der Fall war.
Ich stellte mein Glas in die Spüle und blieb noch einmal hinter der Sofalehne stehen.
,,Du kommt doch morgen mit, oder?", es kostete mich viel Überwindung und ich wünschte mir sehnsüchtig sie würde ja sagen, obwohl ich ihre Antwort bereits kannte.
Mums Blick schellte nach oben und ihre Augen schweiften durch den Raum. Dann räusperte sie sich und sah mich nervös an.
,,Also, ich muss morgen länger in der Arbeit bleiben. Es wird schwierig.", sie faltete die Hände in ihrem Schoß und wich meinem Blick aus.
Ich atmete hörbar laut aus, blickte kurz zu Boden.
,,Du weißt schon, dass ich dir das nicht abkaufe?", ich verschränkte meine Hände vor der Brust, während ich mit einer zu gestikulieren anfing.
,,Rede mit ihr, Mum.", ich ging um das Sofa herum und ließ mich sanft neben ihr nieder. Sie schien darüber nachzudenken und fuhr sich einmal mit den Handflächen über ihr Gesicht.
,,Ich weiß nicht wie. Es ist so schwer an sie ranzukommen. Ich habe das Gefühl, sie garnicht mehr richtig zu kennen. Und ich mache mir Vorwürfe, nicht genug bei ihr gewesen zu sein. Ich habe immer versucht ihr alles zu ermöglichen. Sie hat immer alles bekommen, was sie wollte. Und trotzdem ist sie traurig.", sie stützte ihren Kopf in ihre Hände. Ihre Stimme klang nun doch verzweifelt und ich hatte das Gefühl, dass sie dieses Gespräch schon dringend gebraucht hatte.
Ich legte meine linke Hand auf ihren Rücken und strich ihr behutsam darüber.
,,Sie ist wahrscheinlich krank Mum. Natürlich ist sie traurig. Alles was sie jetzt braucht, sind Menschen um sie, die sie lieben. Sie braucht deine Zuneigung, sonst schafft sie das nicht.
Nimm dir Zeit, sei einfach bei ihr. Sie liebt dich und du sie.", ich lehnte meinen Kopf an ihre Schulter.
,,Wir schaffen das. Gemeinsam.", fügte ich dann noch hinzu. Mum hob ihren Kopf und legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel.
,,Danke Ana.", flüsterte sie und zog mich in eine innige Umarmung. Ich schloss die Augen, war nicht breit sie loszulassen. Und so verharrten wir einige Minuten in dieser Position, ließen uns von nichts stören, selbst das Klingeln ihres Handys hinderte uns nicht daran einfach sitzen zu bleiben. Für sie musste das alles sehr schwer sein. Sie hatte fünf Kinder großzuziehen. Sie hatte einen tollen Job, welcher leider aber auch stressig war. Trotzdem gab sie ihr Bestes und das merkte man auch. Für mich gab es keine bessere Mutter. Alles was sie für uns getan hatte. Sie war immer für einen dar, vor allem für Hope, als sie krank war. Ich liebte sie einfach und da ging es den Anderen genauso.
,,Was auch immer ihr gerade für eine schwere Zeit habt. Du und Dad. Bitte bringt das wieder in Ordnung. Macht es für Hope.", flüsterte ich in ihre Halsbeuge und sie nickte einmal leicht mit dem Kopf, bevor ich mich dann von ihr löste.
,,Überleg es dir bitte nochmal, Mum. Sie braucht dich jetzt.", sagte ich dann mit einem flehenden Ton, ohne auf eine Antwort zu warten. Ich stand auf und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf, drehte mich dann um und verließ den Wohnzimmerbereich.
Ich machte mich auf den Weg nach oben in mein Zimmer, als mir im Flur etwas auffiel. Einige Familienfotos an den Wänden fehlten. Ich blieb abrupt stehen und sah mich genauer um. Auch das wunderschöne Palmenbild an der Wand fehlte und ließ den Eingangsbereich auf den zweiten Blick einsam und kahl wirken.
Ich versuchte diese Details zu ignorieren, so hoffte ich zumindest, dass sie nicht weiter wichtig wären.
Trotz allem ging es mir das alles nicht aus dem Kopf, auch nicht, als ich mich eine halbe Stunde später noch immer in meinem Bett herumwälzte. Ich beschloss noch ein wenig Musik zu hören. Ich schloss meine Kopfhörer an und ließ meinen Gedanken endlich freien Lauf.
Ich genoss diese Art von Verarbeitung, welche ich mir vornahm nun öfters anzuwenden.
Irgendwie musste alles zusammenhängen. Nicht ohne Grund hatte Hope erwähnt, dass alles anders werden würde, sobald sie wieder zu Hause sei. Das bedeutet sie musste etwas wissen. Und auch die verschwundenen Fotos hatten etwas auf sich, nicht zu vergessen das seltsame Verhalten meiner Eltern. Ich ermahnte mich, nicht zu viele Fragen zu stellen, obwohl ich das Recht dazu hatte. Trotzdem hatte ich das böse Gefühl, dass mehr dahinter steckt, als ich dachte.
Ich musste herausfinden, was da passierte. Auch Ben und die seltsame Geschichte mit David fiel mir plötzlich wieder ein, und sorgte dafür, dass ich auch die nächsten beiden Stunden nicht richtig schlafen konnte. Als ich mir aber dann sagte, dass die Welt morgen wieder ganz anders aussehen würde und ich mir nicht zu viele Gedanken machen sollte, schlief ich dann doch ein.
~~~~~~~~
Für den Semestertest in Französisch am nächsten Tag hatte ich mich so gut wie gar nicht vorbereitet, was dazu führte, dass ich freiwillig den Bus nahm, um noch den restlichen Stoff in mein Gehirn zu ballern. Kurz vor der ersten Stunde gab ich es jedoch auf und ließ den grausamen Test über mich ergehen. Meine Lehrerin sah mich zwei mal schräg an, und gab mir zu vergewissern, dass ich mich besser beeilen sollte, wenn ich mein fast leeres Blatt noch schaffen wollte. Ich zuckte lediglich mit den Schultern, starrte abermals aus dem Fenster, während ich mir weiter über Hope und meine Eltern den Kopf zerbrach. Am Ende der Stunde gab ich dann meinen Umschlag ab, und freute mich jetzt schon auf meine negative Note. Wie sollte ich das wieder meinen Eltern erklären? Ich konnte und wollte mir eigentlich keine schlechte Note leisen und obwohl ich eigentlich eine gute Schülerin war, war ich manchmal sehr faul und verschaffte mir dadurch nicht selten nur durchschnittliche Noten.
Es kam nicht oft vor, dass ich durch Geschehnisse in unserer Familie derart abgelenkt wurde, dass ich mich nicht auf die Schule konzentrieren konnte. Doch zurzeit lag ich Nachts wach im Bett und konnte schlecht schlafen. Und in der Schule saß ich meist gedankenverloren herum und bekam so gut wie nichts vom Unterricht mit.
Ich strich mir einmal kurz über mein Gesicht und verließ dann schnell den Raum, damit mich niemand danach fragen konnte, wie es mir während dem Test ging. Suchend sah ich mich immer wieder nach Julia um, während ich zu unseren gelben Schließfächern schlenderte.
Im Gegensatz zu mir hatte Julia einen anderen Zweig gewählt, was dazu führte, dass wir in einigen Unterrichtsstunden nicht in der selben Klasse sind. Während ich mich für Sprachen entschieden habe, wählte Julia Physik, Chemie und Naturwissenschaft.
Zu meinem Glück hatte ich weniger Wochenstunden als sie, da ich im Gegensatz zu ihr nur zwei Fächer mehr hatte: Französisch und Italienisch. Auch heute hatte ich eine Stunde früher aus als sie und entschied mich die eine Stunde auf sie zu warten, bevor wir uns im Café verabredeten.
Ich beschloss die Zeit zu nutzen, um mich in der Schulbibliothek umzusehen. In der Abteilung für Gesundheit kramte ich dann einige Bücher über Krebs hervor und setze mich dann zu einer der Tische und begann zu lesen. Wenn es um wichtige Themen ging, verließ ich mich generell nie auf das Internet und deshalb waren mir Bücher lieber. Ich hatte schon früh begonnen mich mit Krebs und dessen Leidensgeschichte auseinanderzusetzen. Trotzdem hatte ich noch immer nicht das Gefühl, alles darüber zu wissen. Ich wollte alles tun, um Hope zu helfen. Und eine Krankheit kann man eben nur besiegen, wenn man vorbereitet ist. Wenn man stark ist und wenn man mehr darüber weiß als einer selbst.
Soweit zumindest die Theorie. In Wahrheit strengten mich die ganzen Fremdwörter und Erklärungen so an, dann ich nach etwa 40 Minuten beschloss es bleiben zu lassen. Ich suchte das Bücherregal auf, aus dem ich die Bücher genommen hatte und stellte sie wieder an die selbe Stelle zurück, als mein Handy laut klingelte. Fluchend nahm ich so schnell wie möglich ab, als ich die mahnenden Blicke der Bibliothekarin bemerkte.
,,Ana? Wo steckst du? Ich bin vor der Schule, kann dich aber nirgends sehen.", sie klang etwas aufgebracht.
,,Sorry, ich bin noch in der Bibliothek. In fünf Minuten bin ich da.", antwortete ich dann schnell und legte auf. Ich schnappte meine Tasche, steckte mein Handy wieder in meine Hosentasche und ging Richtung Ausgang.
,,Du hast da etwas verloren", erschreckte mich plötzlich eine tiefe Stimme und ich drehte mich um.
Ein Junge, etwas älter als ich, hielt mir einen kleinen Zettel entgegen. Etwas verwirrt starrte ich ihn an, blieb bei seinen zerzausten Haaren stehen. Kurz lächelte ich, als ich dann das Papier in seinen Händen betrachtete.
,,Das ist nicht Meins.", meinte ich dann sicher, da ich ganz bestimmt keine losen Blätter mit mir rumschleppte. Ich zog die Stirn in Falten und schüttelte meinen Kopf.
,,Da steht aber dein Name oben.", er zog das Papier wieder zu sich zurück und legte den Kopf schief, um die kleinen schwarzen Buchstaben darauf zu lesen.
,,Anastasia Hall. Stimmt doch, oder?" las er vor und sah mich wieder an. Mein Mund klappte kurz auf, ich wollte etwas sagen, doch ich wusste nicht was. Woher kannte er meinen Namen? Und vor Allem, was war das für ein Blatt? Vielleicht gehörte er zu Bens Freunden, denn anders konnte ich es mir nicht erklären. Ich versuchte mich selbst daran zu erinnern, dass mich unmöglich alle Schüler kennen konnten, da ich so unscheinbar war, wie niemand sonst es sein konnte.
Es war die einzige Erklärung, die ich darauf finden konnte, und bevor er noch etwas sagen konnte, nahm ich ihm das Papier aus der Hand und steckte es in meine Tasche.
,,Danke.", murmelte ich leise und drehte mich schnell um, ohne ihm noch einmal in die Augen zu sehen.
,,Ken Ding.", hörte ich ihn noch sagen, als ich bereits durch die Tür hinaus in den Flur trat.
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