Kapitel 13 ~Der Junge vom Schulflur~

>>Ich weiß ich hätte das nicht sagen sollen. So etwas stand mir nicht zu. Vor allem nicht in dieser Situation. Ich weiß, dass sie in dieser Zeit sehr zu kämpfen hatte. Diese Scheidung war keine leichte Entscheidung für sie.<<

>>Glaubst du, dass sie dir in diesem Moment böse war? Dass du diese verbotenen Worte gesagt hast.<<

>>Es waren keine verbotenen Worte. Sie waren echt und ich habe sie auch so gemeint. Für mich war jeder gestorben. Selbst ich. Selbst ich war so am ertrinken, dass ich glaubte sterben zu müssen. Es gab absolut nichts mehr, was mich am Leben hielt. Das Band war gerissen und ich hatte keine Chance mehr es irgendwie zusammenzuflicken.<<

>>Warum nicht?<<

>>Hope wollte nicht mehr kämpfen. Und wir alle wussten, dass sie ohne diese Chemotherapie nicht überleben würde. Meine Mutter zog einfach aus und verschwand somit auch irgendwie aus meinem Leben. Mit meinem Vater redete ich fast kein Wort mehr. Und ich wollte es auch nicht.
Ich hatte ihr versprochen, dass alles wieder gut werden würde. Ich habe es mir fest vorgenommen. Und ich habe versagt.<<

>>Du hast nicht versagt. Du hättest diese Scheidung nicht aufhalten können.<<

>>Doch, das hätte ich vielleicht. Ich hätte so viel anders machen können. Trotzdem habe ich Hope enttäuscht. Ich hätte ihr keine leeren Versprechungen machen sollen. Von Anfang an. Vielleicht wäre so viel anders gelaufen. Vielleicht wären wir somit alle noch am Leben.<<

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,,Ana? Ana ich bins, Julia. Ich komme jetzt rein.", sie klopfte leise, bevor sie dann endlich die Klinge hinunterdrückte und in mein dunkles Zimmer kam.

,,Du meine Güte, du verrottest ja fast in diesem Zimmer. Wie lange hast du deine Fenster schon nicht geöffnet?", fing sie sogleich an zu reden und lag mir schwer in den Ohren.

Ich hatte mich in den letzten Tagen nicht blicken lassen. Ich habe weder mit jemanden gesprochen, noch war ich zu den Essenszeiten anwesend. Von der Schule wollte ich erst gar nicht anfangen zu reden. Ich verließ mein Bett wirklich nur, um meine Blase zu entleeren.
Meine Brüder kamen einige Male am Tag in mein Zimmer, um mir Essen und trinken zu bringen. Sie versuchten auch auf mich einzureden, doch dann drehte ich mich einfach auf die andere Seite und ignorierte sie komplett, bis sie dann endlich mein Zimmer verließen.

Das Essen ließ mich kalt, ich hatte es bis jetzt noch nicht angerührt. Nur das Wasser oder die Säfte trank ich, um nicht wirklich zu verrotten, wie es Julia zu sagen pflegte.

Julia riss die Vorhänge beiseite, grelles Licht erfüllte den Raum und ich brauchte einige Zeit, um mich daran zu gewöhnen. Dann öffnete sie beide Fensterflügel und ließ die frische, klare Nachmittagsluft in mein Zimmer. Anfangs fühlte sie sich eisig in meinen Lungen an, doch wenige Minuten später genoss ich diese Kälte, die mich seit langem wieder einmal wach fühlen ließ.

Sie stand mitten im Raum, musterte mich und hielt dann grinsend eine Papiertüte in die Luft.
,,Ich hab dir die guten Donuts mitgebracht. Die mit der Schokofüllung. Die magst du doch so gerne.", meinte sie grinsend, hüpfte dann auf mein Bett und machte sich auf meinen Füßen breit.

,,Aua!", jaulte ich auf, als sie mich mit ihren Gewicht fast zu zerquetschen drohte.

,,Ach, sie kann ja doch noch sprechen. Ich dachte schon, du wärst komplett verstummt.". meinte sie Augen verdrehend, während sie die Donuts aus der Tüte holte.

,,Haha, das ist nicht witzig.", maulte ich genervt zurück und zog die Decke ein Stück höher.

,,Nein, ist es auch nicht. Weißt du was auch nicht witzig ist? Dass du dich zwei Tage nicht in der Schule blicken lässt und ich dich ganze verdammte vier Tage nicht mehr gesehen habe. Das, meine Liebe, ist wirklich traurig.", sie zeigte mit dem Finger auf mich und hob ihre Augenbrauen.

Ich hingegen murrte nur einmal und spürte, wie mir wieder die Tränen kamen. Ich war ihr keiner Erklärung schuldig. Also schloss ich meine Augen und tat so, als wolle ich schlafen.

,,Ach komm schon. So kenne ich dich gar nicht. Wann lässt du dich bitte von so einer Kleinigkeit unterkriegen?! Nie. Also bitte reiß dich zusammen und komm wieder zurück.", ich konnte sie laut ausatmen hören, bevor sie sich zu mir nach vorne beugte. 

Langsam öffnete ich meine Augen, um zu sehen, warum sie so still geworden ist. Bedrückt saß sie vor mir und hielt mir einen Schokodonut vor die Nase. Ich sah sie und den Donut einige Sekunden nachdenklich an, bevor ich mich dann doch aufsetzte und ihr den Donut aus der Hand zu nehmen. 

,,Also, was ist passiert?", fragte sie ganz vorsichtig, während sie ihre Hände mit einer weißen Papierserviette abwischte.

,,Haben sie es dir nicht erzählt?", meinte ich erstaunt. Dann nahm ich den ersten Bissen und ließ die Schokolade auf meiner Zunge zergehen.

,,Doch. Natürlich. Aber ich möchte es von dir hören.", sie strich mir einmal über den Arm und faltete dann ihre Hände auf dem Schoß.

Ich strich mir einmal über die Stirn und atmete laut aus. Ich hatte keine Ahnung was genau und wie viel ihr erzählen sollte. Also entschied ich mich für die kurze Variante. 

,,Ich hab zu ihr gesagt, dass sie für mich gestorben ist."

,,Okey wow. Und wie hat sie reagiert?, Julias Augen waren weit aufgerissen, sie war sichtlich schockiert über meine Worte.

Ich zuckte kurz mit den Schultern.
,,Keine Ahnung. Bevor sie auch nur irgendetwas sagen hat können, bin ich die Tür hinaus und weg.", ich machte eine wegwerfliche Bewegung mit meiner Hand.

,,Wie soll sie schon reagiert haben? Stell dir vor, deine Tochter würde so etwas zu dir sagen.", ich senke meinen Kopf, starrte auf meine bleichen Hände.

,,Und jetzt?", fragte Julia neugierig, lehnte sich seitlich auf mein Bett und machte es sich bequem. 

,,Nichts.", wieder zuckte ich mit den Schultern.
,,Ich kann ihr für einige Zeit nicht in die Augen sehen. Was sie getan hat, will und kann ich ihr einfach nicht verzeihen. Zumindest ist es dafür jetzt noch zu früh. Ich bin froh, dass sie längst ausgezogen ist, so muss ich ihre Gegenwart nicht ertragen.", fügte ich noch hinzu und atmete schwer aus.

Einige Sekunden herrschte komplette Stille. Anscheinend wusste selbst Julia nicht, was sie dazu sagen sollte.

,,Hmm, ja, ich kann eigentlich sehr gut verstehen, was du denkst.", meinte sie dann doch und setzte sich dann wieder auf.

,,Dennoch, ich will, dass du versuchst das einigermaßen zu vergessen. Ja, das ist schwer, aber es bringt auch nichts den ganzen Tag Trübsal zu blasen. Ich weiß, dass du stark genug bist, das zu schaffen.",  sie boxte mir einmal gegen meinen Oberarm und sah mich erwartungsvoll an.

,,Stimmt.", ich musste lächeln, obwohl mir gar nicht danach zumute war. Aber trotzdem munterten mich ihre Worte auf und ich dankte ihr dafür, dass sie mich aus dieser Phase gezogen hatte.

Dann stand sie auf, joggte zu ihrem Rucksack und fischte ihr Smartphone raus.

,,Und damit das auch so bleibt, habe ich eine tolle Mission für dich.", warf sie aufgeregt in den Raum. Ich runzelte die Stirn, wartete, was da wohl auf mich zukam.

,,Ich war nämlich, im Gegensatz zu dir-", sie sah mich vorwurfsvoll an.
,,-keine vier Tage lang faul.", sie fing an auf ihrem Display herumzuwischen.

,,Okey?", meinte ich nur. Langsam wuchs auch bei mir die Neugierde.

,,Ich war bei Ben und hab mich nach David erkundigt.", sie war aufgeregt, das konnte ich deutlich spüren.

,,Du hast was?!", stieß ich hervor, wurde von ihr aber unterbrochen.

,,Jetzt hör mir doch mal zu! Du solltest mir dankbar sein. Also, du hast David schon viel früher getroffen. Nicht im Park und auch nicht in der Bibliothek.", lächelte sie stolz und hielt mir ihr Handy hin.

Vorsichtig nahm ich es in die Hand, starrte auf das Bild, welches sich mir bat.

,,Das gibt's nicht.", mir viel die Kinnlade runter.

,,Der Junge vom Schulflur.", gaben wir gleichzeitig von uns und ich sah sie schockiert an. Dann widmete ich mich wieder dem Foto, um es genauer zu betrachten. 

,,The fuck. Wie sehe ich denn da bitte aus.", meinte ich dann peinlich berührt und zoomte noch näher in das Bild hinein.

Genervt stöhnte Julia auf du riss mir das Handy aus dem Händen.

,,Jetzt. Das war ja auch Sekunden, nachdem du in David reingelaufen bist. Auf jeden Fall weißt du jetzt, wo du hinmusst. Also würde ich vorschlagen, wir, oder besser gesagt du, machst dich auf den Weg dorthin.", forderte sie mich auf.

Ich schnappe mir mein Handy vom Nachttisch und kontrollierte die Uhrzeit.

,,Es ist fast sechs Uhr und Sonntag. Warum sollte die Schule offen haben. Und vor allem. Warum sollte ich David dort treffen. Warum sollte er genau heute, fünf Tage nach seiner letzten Nachricht in der Schule auf mich warten?", fragte ich misstrauisch, aber auch dafür hatte Julia eine Antwort parat.

,,Sonntag trainiert immer die Football-Mannschaft. Du solltest dass doch wissen. Deine Brüder spielen doch.", fragte sie, doch ich schüttelte nur den Kopf.

,,Wie ich erfahren habe, spielte er damals in der Mannschaft, also ist es sehr wahrscheinlich, dass er es jetzt wieder tut. Und wenn nicht...naja, ich habe gehört, dass die Schule auch ein beliebter Treffpunkt für...nicht ganz legale Dinge sein soll.", setzte sie vor und fing an, ihre Sachen zu packen.

,,Na gut, lass es uns versuchen." ich rappelte mich aus dem Bett, zog mich schnell um und machte mich fertig, als mein Handy plötzlich läutete.

,,Ben.", meinte ich kurz zu Julia bevor ich abhob und auf Lautsprecher stellte.

,,Na endlich. Warum gehst du nicht an dein Telefon? Ich versuche dich schon den ganzen Tag anzurufen. Kannst du bitte vorbeikommen? Ich muss dich dringend sprechen. Beeil dich.", rief er nervös und bevor ich irgendetwas sagen konnte, hatte er auch schon wieder aufgelegt. 

Ich sah Julia fragend an, doch sie zuckte nur mit den Schultern. Also machten wir uns auf den Weg, vorbei an meinem Dad, der mich zuerst komisch ansah und dann sogar nach mir rief. Ich ignorierte ihn gekonnt und verließ mit Julia das Haus.

~~~~~~~~

Keine zehn Minuten später standen wir vor Bens Haus und ich klingelte einmal an dem kleinen Knopf neben der Tür. Als hätte Ben schon geahnt, dass wir da waren, öffnete er zwei Sekunden später die Tür und bat uns herein. Als er Julia erblickte, sah er sie kurz finster an, so meinte ich zumindest.

,,Gut, dass ihr beide gekommen seid.", meinte er und ging vor uns voraus in den Wohnbereich. Es sah mir sehr nach Umbau aus, denn an manchen Wänden fehlten Möbel, es roch nach frischer Farbe und vereinzelt standen Kartons herum.

Ich sah Ben fragend an und er wusste sofort, auf was ich anspielte.

,,Ich hab dir ja erzählt, dass mein Bruder wieder einzieht. Beziehungsweise ziehen wir um, aber er bleibt mit seiner neuen Freundin hier. Deshalb die ganzen Kartons. Das sind ihre Sachen.", erklärte er, seine Hände in den Hosentaschen vergraben.

Ich nickte kurz und sah mich weiter um. Auf einer Kommode standen bereits einige Schmuckstücke und zwischen all den schimmernden Ketten und Armbänder, nahm ich ein kleines Stofftier war. Ich könnte schwören, es zu kennen, denn genauso eines hatte Hope von Mum zu ihrem 5. Geburtstag geschenkt bekommen.

Unmöglich, dachte ich dann. Sie hätte es nie weggegeben. Und außerdem gab es von diesem Stofftier unzählige Exemplare.

,,Ich hätte mir eigentlich gleich denken können, dass du die Informationen aus irgendeinem Grund wissen willst.", fing Ben dann an und sah Julia böse an, so als hätte sie etwas falsch gemacht.

Sie jedoch hob nur abwehrend die Hände und meinte nichts weiter dazu.

Dann drehte sich Ben zu mir und faltete seine Hände.
,,Was ich damit sagen will. Ich halte es für keine gute Idee, David zu treffen. Du kennst ihn nicht. Du weißt nicht, mit welchen Leuten er es zu tun hat."

,,Und du schon?", platze ich hervor.

,,Niemand weiß, was er in diesem einem Jahr getrieben hat. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er keinen Dreck am Stecken hat. So war er schon immer und ich will nicht, dass du da in etwas hineingezogen wirst.
Alleine das mit den gelben Zettelchen, zeigt doch, was für ein Stalker er ist und dass er total von dir besessen ist.", er klang wirklich besorgt und ich wusste nicht wieso, aber ich konnte fühlen, wie die Angst in ihm hochkroch. Seine Augen waren groß und er kaute nervös an seiner Lippe.

Ich trat einen Schritt näher, wollte gerade etwas sagen, als ich hinter ihm auf einer Kommode ein, in Silber gerahmtes Foto entdeckte. 

Erschrocken blieb ich stehen, die Hitze schoss mir in den Kopf und gleichzeitig spürte ich die Kälte, wie sie sich auf meine Haut legte.
Mit fast schon zittrigen Händen umfasste ich das Bild, hielt es zwischen meinen Fingern fest und konnte es einfach nur anstarren.

Jetzt trat auch Julia neben mich, um das Bild besser sehen zu können und schlug die Hände vor den Mund.

,,Oh shit!", presst sie hervor, drehte sich dann zu Ben, als dieser fragte, was los sei.

,,Diese Frau da, dass ist ihre Mutter", antwortete sie leise. Und dieser Satz fühlte sich an, wie ein Schlag in mein Gesicht. Sie hatte es ausgesprochen, dadurch fühle es sich noch realer an, als es auch ohne schon war.

Meine Kehle schnürte sich zu, es viel mir schwer zu atmen. Ich wollte nicht wissen, wer der Mann auf dem Foto war, ich wollte es wirklich nicht. Und dennoch, bevor ich es auch nur irgendwie hätte stoppen können, waren die Worte ausgesprochen. Kalt, kratzig und rau.

Ben schien verwirrt zu sein. Er sah abwechselnd mich und Julia an. Erst dann begann er langsam zu sprechen.

,,Das ist James. Mein älterer Bruder."

Ich stellte das Bild zurück. Mit einem Schlag wurde mir richtig heiß, mein Speichel begann immer mehr zu werden.

,,Ich muss hier raus!", presste ich hervor, dann rannte ich los, vor die Tür und die paar Steinstufen hinunter, bevor ich mich auf der grünen Wiese übergab.

,,Ana?! Alles in Ordnung?",erst gefühlte Minuten später, konnte ich wieder klar denken. Der Anblick dieses Bildes hatte mich in Schrecken versetzt. Und es machte mich verdammt wütend.

,,Nein, natürlich nicht! Meine Mutter hatte einen verdammten Verlobungsring an ihrer Hand! Sie heiratet irgendeinen fremden Typen. Und er ist der Bruder meines besten Freundes.", schrie ich verzweifelt los. Wieder einmal hatte ich die Kontrolle über meinen Körper verloren. Ich wusste nicht, ob ich vor Wut platzen, oder Tränen ersticken sollte. 

Hysterisch schnappte ich nach Luft und raufte mir die Haare.

,,Ich werde Ben nie wieder so ansehen können."

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