4|dream bean

"Sieh es doch mal positiv", begann Maeve und trommelte zum Rhythmus von Bad Guy auf ihren freigelegten Knien herum. Maeve hatte schon seit dem Beginn der High School ein Faible für zerrissene Hosen. Fast so sehr wie für Billie Eilish, was der einzige Grund dafür war, dass sich in meiner Playlist auch Songs tummelten, die eigentlich nicht in meinen Stil gepasst hätten.
"Jetzt hast du noch ein paar Tage Zeit, um dich zu akklimatisieren und wieder an das alles zu gewöhnen, bevor..."
"Bevor Miles sich einmischt und mal wieder alles zerstört, was ich mir aufgebaut habe?", fragte ich provokant und drückte meine Handflächen gegen das raue Lenkrad. Normalerweise war ich nicht der Typ dafür bissige Antworten zu geben und meine Emotionen an anderen Leuten auszulassen, doch jetzt, wo mein Inneres nichts weiter bewirkte als ein tiefes Brodeln durch meinen Körper zu schicken, konnte ich nicht einfach still dasitzen, so wie ich es sonst immer tat. Ohne etwas zu erwidern zuckte Maeve nur mit den Schultern und holte ihr Telefon aus ihrer Hosentasche hervor. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sie irgendeine App öffnete und unbeholfen durch Social Media scrollte.
Ich klang sauer. Das wusste ich, denn das war ich auch. Jedoch nicht auf Maeve. Für sie musste es so aussehen, als würde sie ihren Teil zu meiner miesen Laune beitragen. Doch das tat ganz allein nur Miles und es fiel mir schwer die richtigen Worte zu finden, um meiner besten Freundin das mitzuteilen.
Auf keinen Fall wollte ich, dass sie sich schlecht, oder gar schuldig, fühlte. Doch ich konnte auch nicht zulassen, dass sie die Wahrheit erfuhr. Die ganze Wahrheit.
Ich fragte mich, wie sie wohl reagieren würde, wenn sie wüsste, was wirklich geschehen war. Wenn sie wüsste, dass Miles und ich uns damals an dieser Bar begegnet waren und was zwischen uns vorgefallen war, nachdem wir den Club verlassen hatten. Welche Energie zwischen uns geherrscht hatte.
"Hey", sagte ich sanft und klopfte mit den Fingern leicht auf ihren Oberschenkel. Ihr Blick wandte sich an mich. Auch wenn ich sie nicht direkt ansah, da ich mich nebenbei auch auf den roten Ford vor mir konzentrieren musste, sah ich ihr an, dass sie versuchte so unbekümmert wie möglich zu wirken.
"Du weißt, das ich nicht böse auf dich bin. Du trägst an nichts von dem die Schuld. Nur bist du unglücklicherweise gerade neben mir, während ich die Wut auf deinen Bruder auslebe."
Seufzend legte sie ihr Telefon in die Mittelkonsole des Wagens, drehte das Radio ein wenig leiser. "Ich dachte nur, mit der Info von vorhin könntest du zumindest irgendetwas Gutes anfangen."
Nachdem Miles nämlich wieder ins Haus verschwunden war und sich in mir die Frage tummelte, wieso er sich nicht für die Schule zurecht gemacht hatte, teilte Maeve mir mit, dass ihr Bruder erst ab nächstem Montag dem Unterricht beitreten würde. Wohl einfach aus dem Grund, dass er werde alle Schulbücher besaß, noch in irgendwelche Zusatzkurse eingeschrieben war und schon gar nicht über die Wildwood High informiert genug war, um sich überhaupt darin zurecht zu finden. Einerseits erleichterte mich diese Information. Andererseits beseitigte sie nicht das Problem. Sie zögerte es nur hinaus.
"Tief in meinem Inneren wünsche ich mir einfach, dass ihr vielleicht doch irgendwann Freunde sein könntet. Oder zumindest Schulkameraden", gab Maeve zu und strich sich ihr kurzes Haar hinters Ohr. Im Sommer trug sie es nur selten offen, weil sie es hasste, wie sich ihre Strähnen bei den schwülen Temperaturen krausten und sogar kleine Löckchen bildeten.
"An mir liegt es nicht. Wenn er sich benimmt, wirst du von meinem Mund keinen Pieps hören", behauptete ich, wusste jedoch selbst nicht, ob ich meinen eigenen Worten Glauben schenken sollte. "Und solange er nicht wieder versucht unsere Freundschaft zu zerstören, werde ich ihm schon nicht den Kopf abreißen."
"Ich würde deinen Hass wirklich liebend gerne mit dir teilen, Allie. Aber Miles ist mein großer Bruder und irgendwas in meinem Gehirn zwingt mich dazu ihn zu mögen."
Als sich ein schmales Lächeln auf meine Lippen stahl, fing meine Beifahrerin an breit zu grinsen und stieß mit ihrer Schulter gegen meine, was dazu führte, dass ich das Lenkrad für einen kurzen Augenblick zu weit nach links drehte. "Maeve!", schrie ich lachend durch den Wagen und versuchte sie mit einer Hand so weit wie möglich von mir wegzuschieben. "Ich versuche hier uns sicher an unser Ziel zu bringen und wenn ich wegen dir einen Unfall baue, bist du mir definitiv keine große Hilfe dabei!"
Mit unschuldiger Miene und erhobenen Händen wich sie ein Stück zur Seite, wobei sie leise in sich hinein kicherte.
Daraufhin folgte ein weiter Moment der Stille. Wie als wolle sie mich darauf vorbereiten unser Gespräch wieder in eine ernstere Richtung zu schieben.
"Ich will mir wirklich nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, ohne dich als beste Freundin aufzuwachsen, Allie."
"Ich mir auch nicht", flüsterte ich.

"Vielleicht..", begann sie und brauchte einige Anläufe um die Worte über ihre Lippen kommen zu lassen, die so tief in ihrer Kehle stecken zu schienen. "Vielleicht wirst du ihm irgendwann verzeihen und ihr werdet Freunde. Eigentlich kommt es nämlich immer anders als man denkt."
Ich zuckte nur kurz mit den Schultern und hielt anschließend vor dem Coffee Shop um unser morgendliches Ritual aus dem letzten Jahr wieder fortzusetzen.
Würden Maeves Worte etwas in mir ändern? Wohl eher nicht. Denn die Wahrheit war, dass mein Kopf das Einzige war, das mich davon abhielt ihm zu verzeihen, denn mein Herz hatte das schon längt getan.

Die Dame hinter dem Tresen füllte gerade das Getränk des Kunden vor uns von einer weißen Tasse in einen Pappbecher um, nachdem ihr dieser unmissverständlich klar gemacht hatte, dass er einen doppelten Espresso zum Mitnehmen bestellt hatte. Er zupfte nervös an seinem Kragen, wobei er die blaue Seidenkrawatte, die auf seiner Brust lag, zurechtrückte. Nach zwei weiteren Blicken auf seine glänzende Armbanduhr, wurde ihm der Becher endlich entgegen geschoben und er stürmte leise fluchend aus dem Laden.
"Einen Moment bitte", sagte die Dame seufzend zu uns und verschwand hinter einer Tür auf der in großen, braunen Buchstaben "Pausenraum" geschrieben stand.
"Vielleicht Schichtwechsel", bemerkte Maeve und betrachtete die schwarze Tafel an der Wand gegenüber von uns. Mit weißer Kreide wurden die verschiedensten Getränke, die der „Dream Bean Coffeeshop" anbot, notiert. Direkt daneben hing eine weitere Tafel, dieses Mal mit gelber Kreide übersät, auf welcher alle möglichen Speisen aufgelistet waren. Maeve folgte meinem Blick und stieß ein aufgeregtes Geräusch aus, gefolgt von den Worten: "Himbeer- Muffin mit weißer Schokolade und Zuckerglasur! Das klingt doch genau richtig, um ins Schuljahr zu starten."
"Das klingt wohl eher nach etwas, um mit Diabetes zu starten." Ich drehte meinen Kopf zu ihr und sah nur wie sie die Augen verdrehte, was mit zum Schmunzeln brachte und sie zum Lachen. "Du klingst schon genauso wie meine Schwester. Dieser Traum von einem Muffin enthält wahrscheinlich die Menge an Zucker, die Paisley in einem Monat zu sich nimmt."
"Wohl eher in einem Jahr", sagte ich und beobachtete wie aus dem Nichts plötzlich eine andere Mitarbeiterin vor uns stand. Ihre pinken Haare waren zu einem tiefsitzenden Pferdeschwanz zusammengebunden und ihre dunkelgrünen Augen waren umrahmt von langen, dichten Wimpern. Ich erinnerte mich daran, dass sie sich uns damals als Callie vorgestellt hatte und arbeitete inzwischen seit zwei Jahren in diesem Shop. Sie hatte Maeve und mich fast jedes Mal bedient, wenn wir hier gewesen waren.
"Guten Morgen Mädels, was wollt ihr bestellen?", fragte sie und lächelte uns beide an, wobei ihr Lächeln bei Maeve noch etwas breiter wurde. Auch Maeve schien das zu bemerken, denn sie wandte, ohne zu zögern ihren Blick ab und konzentrierte sich auf die Speisekarte. Zumindest versuchte sie es.
"Für mich bitte einfach einen dunklen Kakao zum Mitnehmen", sagte ich und stieß mit dem Ellenbogen gegen Maeves Arm, was sie aufzucken ließ. Sie begriff es schnell und antwortete nach einem schnellen Atemzug. "Ich nehme einen mittleren Milchkaffee und diesen Himbeer-Muffin. Auch zum Mitnehmen."
Das Mädchen notierte sich alles auf einem kleinen Tablet in ihrer Hand und las dabei laut vor, was sie eintippte. Ich nutzte diesen Moment und warf Maeve einen fragenden Blick zu, den sie jedoch nur mit einem simplen Schulterzucken unkommentiert ließ.

"Für mich bitte auch so einen Muffin und einen doppelten Espresso."

Maeve und ich drehten uns noch im selben Moment um. Ich musste meinen Kopf ein Stück anheben, da ich im ersten Moment nur gegen ein kahles, weißes T-Shirt starrte, doch im nächsten Augenblick trafen mich die eisblauen Augen von Silas Crawford. Sein hellblondes Haar stand lässig nach oben und sein selbstzufriedenes Grinsen hatte sich in den letzten Monaten in keiner Weise verändert. Neben ihm stand ein zweiter Junge, den ich allerdings noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Er war vielleicht ein paar Zentimeter kleiner als Silas und trotzdem schaffte er es noch mich zu überragen. Sein dunkler Hautton vermischte sich ungewöhnlich gut mit dem hellen Braun seiner Augen und seinem kurz geschorenen Haar, die seine sanften Gesichtszüge unterstrichen.
"Alyssa Davis!", meldete sich Silas wieder zu Wort. Ich mochte es nicht ihm dabei zuzuhören, wie er meinen vollen Namen mit seiner rauen Stimme aussprach. Als wäre mein Name eine Marke. Silas gehörte zu der Sorte Typ, der ich liebend gerne aus dem Weg gehen wollten. Leider sorgten sowohl die Schule und unser Freundeskreis, als auch unsere Familien dafür, dass wir uns mehr als zu oft über den Weg liefen. Seine Mutter war die Direktorin unserer Schule und da die Druckerei von Dad mit so ziemlich allen Schulen im Umkreis von 150 Meilen von diesem Unternehmen beliefert wurden, war es unvermeidlich, das meine Schule da auch dazuzählte. Dazu kam auch noch, dass es lange Zeit Gerüchte um eine vermeidliche Affäre zwischen Dad und Silas' Mom gegeben hatte, nachdem die Krankheit von Mom ihren Zustand verschlechtert hatte.
"Silas... Wie ich sehe hast du dich kaum verändert."
"Und wie ich sehe ist die Lieblingsfamilie der Stadt wieder zurückgekehrt. Du siehst gut aus, wie immer", ergänzte er und drehte sich schwungvoll zu seiner Begleitung.
"Mein lieber Hunter. Das hier ist Alyssa Davis. Tochter von-"
"Nenn mich einfach Allie", unterbrach ich Silas und beobachtete wie in meinem Augenwinkel Maeve ihm einen leichten Schlag gegen die Brust verpasste und ihn warnend ansah.
"Freut mich, Allie." Hunter lächelte breit, als er mir seine Hand reichte und ich einen Schritt nach vorne machte, um sie zu ergreifen. Ich ließ meine Augen unauffällig über seine starken Arme wandern und entdeckte auch einen kleinen schwarzen Plug, der in seinem linken Ohrläppchen steckte. Das blassgelbe Shirt, das er trug, hatte die Aufschrift "Winter is coming" und sah aus, als wäre es für irgendeine TV Show entworfen worden.
Ich hörte wie sich Maeve neben mir räusperte und als ich meinen Kopf zu ihr drehte, hielt sie mir einen ToGo Becher vor die Nase. "Wir müssen los."
Ich nahm den Becher nickend entgegen und versuchte die flaue Enttäuschung zu ignorieren, die sich in meinem Magen bemerkbar machte, als ich mich wieder von Hunter entfernte. Maeve ergriff meine freie Hand und zog mich sanft Richtung Ausgang. Während ich den Jungs zum Abschied zuwinkte, rief sie "Tschau, Crawford. Tschau, Hunter" und drückte die Tür nach draußen auf.
"Wir sehen uns in der Schule, Ladies."

Ich stolperte Maeve einige Schritte hinterher. Erst als wir bei meinem Jeep waren, ließ sie meine Hand los und ging auf ihre Seite des Wagens. Der Versuch die Tür zu öffnen scheiterte, als sie sich daran erinnerte, dass ich diejenige war, der das Auto gehörte. Sie rüttelte etwas am Türgriff.
"Kannst du bitte das Auto aufschließen?"
"Nicht bevor du mir nicht gesagt hast, was da drinnen mit dir los war", forderte ich und hielt die Autoschlüssel klimpernd in die Höhe.
"Was meinst du?", fragte sie, schaffte es jedoch nicht den Augenkontakt mit mir zu halten.
"Ich meine alles! Ab der Sekunde wo Callie aufgetaucht ist, warst du wirklich komisch nervös. Lief zwischen euch was während ich weg war?"
"Was? Nein." Sie lachte laut auf und sah mich mit diesem „Das- meinst- du- doch- nicht- ernst- Blick" an "Du weißt, dass ich nichts von Callie will. Sie ist süß und so aber... nicht meint Typ. Und das weißt du!"
Das stimmte. Maeve hatte schon immer eher was für den natürlichen, südländischen Typ übrig. Keine Tattoos. Nicht zu viel Make-Up. Und erstrecht keine gefärbten Haare. Aber bei Maeve konnte man nie wissen, ob sie nicht vielleicht doch eine Ausnahme machen würde.
„Meinetwegen... und was war das mit Silas und Hunter?", fragte ich dieses Mal. "Würde ich dich nicht kennen, würde ich denken du wärst auf mich eifersüchtig gewesen nur weil ich seine Hand geschüttelt habe."
Lachend und stöhnend zugleich lehnte Maeve ihren Rücken gegen die nach wie vor geschlossene Autotür und warf ihren Kopf seufzend in den Nacken. "Aber du kennst mich und weißt deswegen, dass es nicht so ist. Silas ist einfach unberechenbar. Und auch wenn Hunter einen netten Eindruck macht, vertraue ich ihm noch nicht genug, um ihn dir das Herz stehlen zu lassen."
"Mir das Herz stehlen?", vergewisserte ich mich lachend.
Ach komm schon, Allie. Denkst du mir ist nicht aufgefallen, wie verträumt du ihn angeschmachtet hast? Ich will nur auf Nummer sicher gehen, bevor es zu spät ist. Hunter ist vor einem halben Jahr hier hingezogen. Er und Silas sind schon befreundet seitdem sie im Kindergarten waren. Und wir wissen beide aus welcher Art von Leuten sich Silas' enger Freundeskreis so zusammensetzt. Ich bin da nur zu deinem eigenen Schutz rausgestürmt."
Sie hatte recht. Mit jedem Aspekt, den sie gerade erwähnt hatte. Die Freunde von Silas, die nicht an unsere Schule gingen, trugen meistens die Wörter illegal und gefährlich auf ihrer Stirn geschrieben. Abgesehen davon wollte ich im Moment alles andere, aber keine Beziehung - egal welcher Art - in meinem Leben.
Der Ton meines Wagens, als ich ihn aufsperrte, brachte Maeve dazu in die Hände zu klatschen und mich breit grinsend anzusehen. "Na los, lass uns fahren. Der erste Schultag mit Alyssa Amelia Davis zurück kann beginnen!"

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Hmm hat irgendwer die Serie auf Hunters Tshirt erkannt? XD
Jetzt kommen nach und nach immer mehr neue Charaktere hinzu. Mal sehen was ihr so zu den einzelnen Leuten alles zu sagen habt zukünftig

Wenn euch das Kapitel gefallen hat, I teilt mir das doch gerne mit und erzählt mir von euren Gedanken und Spekulationen, was die Charaktere und den Plot betrifft :)

LG Ines

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