0|Prolog

10 Monate zuvor

Schriftsteller neigen dazu ihren Protagonisten immer wieder neue Probleme aufzudrücken, um die Geschichte interessant zu halten. Aber war mein Leben denn so eintönig gewesen?

Vielleicht hätte ich mein Schicksal verhindern können, hätte ich ab und zu Ärger mit Lehrern gehabt, mir von jemandem das Herz brechen lassen oder irgendeine dumme Regel missachtet. Mit all diesen Konsequenzen wäre ich um einiges besser klargekommen, als mit dem momentanen Stand der Dinge.

Der momentane Stand war nämlich schlicht und einfach unerträglich.

Ich saß auf einem zerrissenen Lederhocker an der Bar dieses Clubs, in den es mich vor über einer Stunde verschlagen hatte. Die Musik dröhnte in meinen Ohren und sandte Vibrationen durch meinen ganzen Körper. Meiner Meinung nach klangen die Songs heutzutage alle gleich. Man konnte nur noch zwischen schnell und langsam unterscheiden. Dass es in einem Club keine Softie Musik spielen würde, war mir von Anfang an klar gewesen. Wahrscheinlich war es sogar besser so, sonst hätte ich noch angefangen zu heulen.

Ich starrte auf das kleine, leere Glas in meiner Hand und drehte es zwischen meinen Fingern, beobachtete wie sich der letzte Tropfen des klaren Tequilas seinen Weg, über dessen Boden bahnte. Ich hasste Tequila, was wohlmöglich daran lag, dass ich ihn heute zum ersten Mal getrunken hatte und meine Zunge noch nicht an den herben Geschmack von Alkohol gewöhnt hatte. Doch ich wollte einfach etwas, das schnell und einfach funktionierte; das mich vergessen ließ, was geschehen war; was ich gesehen hatte. Und da die ganzen Leute in Filmen, die darauf bedacht waren eine wilde Partynacht zu erleben, auch immer Tequila bestellten, hatte ich mir gedacht, es wäre bestimmt kein Fehlgriff. Das war es auch nicht gewesen. Zumindest solange nicht, bis ich nach drei Shots bemerkt hatte, dass mein Geld für ein viertes Glas nicht ausreichen würde.

Tequila ist verdammt teuer, obwohl er nur in so winzigen Portionen angeboten wird. Und solange diese beigelegte Zitronenscheibe nicht von einem Biobauern frisch vom Baum gepflückt worden war, bevor sie hier angerichtet wurde, würde ich auch kein Verständnis für diesen überteuerten Schluck Alkohol haben.

Aber woher sollte ein 17-jähriges Mädchen, das noch nie zuvor irgendeine Art von alkoholischer Substanz zu sich genommen hatte, das auch wissen. Vielleicht hätte ich meinen Dad fragen sollen. Der war schließlich ein Profi, wenn es um das Thema Alkohol und seinen Kummer wegtrinken ging.

Wie war ich überhaupt in diesen Schuppen gekommen? Als ich mich auf die Suche nach einem akzeptablen Club, in dem man zusätzlich auch meine Sprache verstand, gemacht hatte, was nicht so einfach war, wenn man keinen Schimmer vom Pariser Nachtleben hatte, hatte ich nicht darüber nachgedacht, wie ich es überhaupt an jeglichen Türstehern vorbeischaffen sollte. Doch wenn ich mich in diesem Laden umsah, war es kein Wunder, dass hier quasi jeder reingelassen wurde.

Ich drehte meinen Kopf weit genug, um mir einen Überblick von der Tanzfläche zu verschaffen, wobei ich meine Augen angestrengt zusammenkniff. Vielleicht hätte ich doch meine Brille mitnehmen sollen.

Einige wenige Menschen tummelten sich auf dem schwarzen, verklebten Boden, bewegten sich zur höllisch lauten Musik, und ich hätte schwören können, dass gerade derselbe Song zum dritten Mal in Folge gespielt wurde.

Abgesehen davon konnte ich hier fast nur Männer ausfindig machen, was wohl auch dazu beigetragen hatte, dass ich ohne weiteres am Türsteher vorbei gewunken wurde. Auch wenn es bei all dem Farbwechsel und den Nebelmaschinen schwer fiel überhaupt irgendwen im Auge zu behalten. Oder lag es doch am Tequila?

"Hey! Lady!"

Der Barkeeper klopfte vor mir auf den Tresen und zog somit meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich bewegte mich langsam, so als hätte er mich gerade aus einem tiefen Schlaf geweckt. Sein langes, violett schimmerndes Haar hatte er sich hinter die Ohren gestrichen und auf seinem schwarzen Shirt waren, trotz des schwachen Lichtes, Schweißflecken zu erkennen. So viele Leute hatte der Typ gar nicht zu bedienen, dass ihn diese Arbeit dermaßen überanstrengen konnte. Abgesehen davon... Lady? Okay, jetzt lass uns mal nicht übertreiben.

Als meine Gedanken wieder abzuschweifen schienen, zog er mir mein leeres Tequila - Glas aus den Fingern und hielt es direkt vor mein Gesicht. "Du musst den hier noch bezahlen:"

"Ich... Ich habe aber kein Geld mehr", antwortete ich, ohne großartig darüber nachzudenken welche Folgen diese Aussage mit sich ziehen könnte. Dieser verdammte Alkohol.

"Wenn du denkst, du kannst dich hier gratis volllaufen lassen, dann bist du hier falsch, Lady."

Kann dieser Typ bitte endlich aufhören mich Lady zu nennen?

Mit seinen bestimmt Mitte 30 war er ohnehin ein gutes Stück älter als ich.

Ihm entging jedoch nicht, dass ich mit meiner nächsten Aussage zögerte, was wohl daran lag, dass ich noch nicht wusste, wie sie überhaupt lauten würde. Ich sah schon, wie er jeden Moment die Polizei rufen würde und mich aus dem Club, in einen Flieger zurück in die USA verfrachten ließ.

Er machte eine schulterzuckende Bewegung und holte im nächsten Moment ein dickes Buch unter dem Tresen hervor. Die Tatsache, dass er augenscheinlich ein Telefonbuch brauchte, um die Cops zu rufen, ließ mich an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln. Unsicher ließ ich meine Finger durch mein Haar wandern, als er die erste Seite aufschlug und mich erneut mit genervten Augen anblickte. Auch, wenn meine Sinne mehr als bloß ein wenig vom Alkohol getrübt waren, konnte ich nun endlich sehen, dass sich in diesem Buch keine Telefonnummern befanden. Ganz im Gegenteil. Die verschiedenen Zahlen und Buchstaben wurden per Hand und in unterschiedlichen Farben eingetragen.

"Hör zu, ich kann auch einfach den Drink anschreiben und du zahlst ihn in ein paar Tagen, wenn du wieder hier bist.", rief er über die Musik hinweg. Sein Vorschlag setzte ein plötzliches Gefühl von Erleichterung frei, was sich jedoch schneller wieder zurückzog, als erwartet.

"Du musst mir nur deinen Ausweis dafür geben."

Mist.

"Das geht nicht", warf ich schnell ein.

"Und wieso nicht, wenn ich fragen darf?"

"Mein... Freund passt darauf auf, damit er nicht... gestohlen wird... "

"Aha." Der Barkeeper zog eine seiner Augenbrauen hoch. Sein genervter Gesichtsausdruck verwandelte sich in Misstrauen und während er seinen Blick über meinen gesamten Körper schweifen ließ, leuchtete in seinen Augen Erkenntnis auf.

Panik kroch in mir hoch, vermischte sich mit dem Alkohol, der durch meine Adern rauschte und erzeugte genug Adrenalin, um mich von meinem Stuhl springen zu lassen. Ich machte auf meinen Absätzen kehrt und sah gerade noch, wie der Mann hinter dem Tresen nach Luft schnappte, um mir wohl etwas hinterherzurufen, bevor ich den Versuch startete zu flüchten und bereits bei meinem ersten Schritt gegen eine harte Brust lief. Erschrocken blickte ich an dem Körper hoch und stolperte dabei weit genug zurück, um wieder auf meinem Hocker zu landen, der, wenn ich nicht bereits den Rand der Bar in meinem Rücken gefühlt hätte, umgekippt wäre.

Dunkelbraune, fast schwarze, Augen blickten mich intensiv an. Ein junger Mann mit braunen Haaren und einem blanken, weißen T-Shirt stand nun direkt vor mir. Vielleicht hatte der Barkeeper bereits den Sicherheitsdienst gerufen, ohne dass ich es mitbekommen hatte. Der Typ, der noch immer seinen Blick starr auf mich gerichtet hatte, sah auf jeden Fall nicht nach dem typischen "Security Menschen" aus. Seine Schultern waren breit, er war bestimmt einen halben Kopf größer als ich und machte auf den ersten Blick einen etwas einschüchternden Eindruck, doch so wie er hier vor mir stand, die Hände in den Hosentaschen vergraben, ohne auch nur ein Wort von sich zu geben, fragte ich mich ernsthaft, was er von mir wollte.

Instinktiv zog ich meine Jacke etwas enger um meinen Körper. Auch wenn ich nur ein schlichtes, graues Top und eine dunkelgraue Jeans trug, hatte ich das Verlangen, mich verstecken zu wollen.

"Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.", sagte der Typ plötzlich in solch einer Lautstärke, dass ich mich fragte, wie ich ihn überhaupt hatte verstehen können und noch im selben Atemzug erschien ein breites Grinsen in seinem Gesicht.

Ich war sichtlich verwirrt, öffnete meine Lippen, für einige Sekunden, um etwas darauf zu erwidern, doch alle Worte blieben in meinem Hals stecken.

Er sprach mit mir, als wäre es selbstverständlich. Als kannten wir uns bereits. Oder taten wir das sogar? Bei genauerem Hinsehen musste ich zugeben, dass mir sowohl seine Nase als auch einige seiner Gesichtszüge und seine, im Moment verzogenen, Lippen fast bekannt vorkamen.

Als er auch noch leise auflachte, riss es mich endgültig aus meiner Starre und ich wandte meinen Blick von ihm ab, während mir unvorbereitet Hitze in die Wangen schoss. Ich hatte ihn echt verdammt laaange angestarrt.

Ich drehte mich wieder zu dem Barkeeper, der inzwischen so aussah, als würde er jeden Augenblick seine Geduld verlieren und als bereits wieder Hoffnung in mir aufkeimte und ich versuchte doch noch etwas Geld in meiner Handtasche zu finden, spürte ich an meinem Rücken eine fremde Wärme, die mich irritiert in meinem Vorhaben innehalten ließ.

"Ich übernehm' das", rief der fremde Typ dem Barkeeper zu, der ihm nur dankend zunickte und einen fünf Euro Schein entgegennahm, und brachte somit erstaunlicherweise ein fehlerfreies Englisch zum Vorschein. Der Mann an der Bar kümmerte sich bereits um seinen nächsten Kunden, während ich nur still dasaß und nicht wusste, wie ich mich am besten zu verhalten hatte. Einerseits wollte ich mich umdrehen, den Typen hinter mir wegstoßen und einfach nur verschwinden. Andererseits hatte er gerade sein eigenes Geld für mich, ein fremdes Mädchen aus dem Ausland, ausgegeben und verhielt sich dazu auch noch so eigenartig, dass es mich neugierig machte. Ich entschloss mich dazu, trotz alledem, meinem ersten Vorhaben nachzugehen und umklammerte fluchtbereit meine Tasche, als ich seine Stimme erneut hinter mir hörte: "Wenn man es schon schafft sich als Minderjährige in einen Club zu schleichen, dann sollte man zumindest Dramen, wie das gerade eben, vermeiden."

Seinen Atem an meinem Ohr zu spüren, zog eine Gänsehaut über meinen Schultern. Außerdem konnte ich seinen Worten nicht nur einen belustigten Ton entnehmen, sondern obendrein einen amerikanischen Akzent. Und zwar nicht nur irgendeinen Akzent.

Fast musste ich mir verkneifen nicht meinen Mund offen stehen zu lassen, als ich meinen Hocker zu ihm drehte und fassungslos zu ihm hochblickte.

Natürlich kam er mir bekannt vor. Und ich hatte viel zu lange gebraucht, um zu erkennen, wer er war. Im Gegensatz zu ihm, der mich bereits aus der Ferne erkannt haben musste.

"Ich bin Miles", unterbrach er unser Schweigen und reichte mir seine Hand, was mich um einiges mehr verwirrte, als ich es vor wenigen Sekunden noch war. Also wusste er doch nicht, wer ich war? Miles Wyatt erkannte mich nicht?

Ich gebe zu, dass sich ein pubertierender Teenager in 5 Jahren drastisch verändern kann, und dass auch ich meine Zeit gebraucht hatte, um ihn wiederzuerkennen. Doch der Miles, der hier vor mir stand, war längst nicht mehr der 14-jährige Junge, der damals mit seinem Dad nach Frankreich gezogen war. Inzwischen hatte seine Größe meine deutlich überholt und sein dunkles Haar war wild und zerzaust und erinnerte einen nicht mehr an Justin Bieber von 2010. Er sah gut aus. Wirklich gut. Doch, was mich noch viel mehr beeindruckte: Er hatte mit mir gesprochen ohne mich zu beleidigen oder mich schief anzusehen. Er war irgendwie... nett?

"Alyssa", brachte ich mit allergrößter Anstrengung hervor und rutsche sogar von meinem Stuhl, um sie zu ergreifen. Meine Kehle war inzwischen staubtrocken und hätte ich es nicht besser gewusst, wäre ich wohl davon ausgegangen, sie sehnte sich nach einem weiteren Glas Tequila.

"Also gut, Alyssa", wiederholte er meinen Namen und ließ schmunzelnd meine Hand los. Dann sprach er weiter: "Da du so aussiehst, als könntest du noch ein paar Drinks vertragen, biete ich dir hiermit meine Gesellschaft für den Rest des Abends an. Solange dieses Angebot nicht in diesem Club ausgeführt wird."

"Du bietest mir also an, mich, irgendein Mädchen, das genauso gut erst 14 sein könnte, aus diesem Laden zu führen und... was dann eigentlich?"

Als er auflachte, bildeten sich kleine Grübchen an seinen Wangen und, ohne es beeinflussen zu können, musste ich ebenfalls lächeln.

"Hört sich wahrscheinlich ziemlich gruselig an. Aber ich weiß, wie einsam es in so einer Stadt sein kann, also dachte ich mir, ich zeige dir zumindest einen besseren Club als dieses Loch hier", erklärte er mir und machte bereits einige Schritte zurück, was wohl wie eine einladende Geste wirken sollte.

"Und was, wenn du ein Axtmörder bist, der mich jetzt in irgendeine dunkle Gasse lockt?"

"Wer sagt denn, dass nicht du hier der Axtmörder bist und ich dir geradewegs in die Arme laufe, obwohl ich schlicht und einfach versuche ein netter Franzose zu sein."

Daraufhin runzelte ich die Stirn und machte einen Schritt auf ihn zu, was sein Gesicht dazu brachte, für den Bruchteil einer Sekunde, aufzuleuchten.

"Du bist doch niemals ein Franzose", sagte ich und spielte damit auf seinen amerikanischen Akzent an, der sich kaum von meinem Unterschied. Er blickte sich nach der Tür um und machte einige Schritte darauf zu, ohne seine Augen von mir zu nehmen. Meine Beine kribbelten bei dem Gedanken hier stehen zu bleiben und ihm nicht zu folgen. Als ich nur meine Arme vor der Brust verschränkte und ihn herausfordernd ansah, antwortete er schulterzuckend "Komm mit und finde es raus!" und streckte mir erneut seine Hand entgegen, was mich innerlich förmlich strahlen ließ.

Obwohl ich Miles mein halbes Leben lang kannte, schien dieser hier eine neue Version von ihm zu sein, die es sogar geschafft hatte, mich trotz der deprimierten Stimmung, mit der ich diesen Club betreten hatte, doch noch ein Lächeln, ein ehrliches Lächeln, auf die Lippen zu zaubern. Und vielleicht war das, und nicht der Alkohol, der Grund, weswegen ich dem Drang nachgab und ihm folgte. Weil er mir die Chance gab, die Geschehnisse der letzten Tage zumindest für ein paar Stunden zu vergessen. Und diese Chance wollte ich nutzen. Auch wenn diese Nacht nichts weiter bleiben würde als eine Erinnerung. Ein Erlebnis.

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Oh wow jetzt geht's dann wohl los haha.
Ich kann euch garnicht sagen wie nervös ich bin was das veröffentlichen dieses Buches angeht. In diesen Kapiteln und Charakteren steckt zehn mal mehr Arbeit drinnen als in meinen bisherigen Büchern.
Ich habe bereits ein paar Kapitel im voraus geschrieben um nicht so unter Druck zu stehen.
Ich möchte versuche ein Mal pro Woche zu updaten. Also, dass jeden Freitag ein neues Chapter kommt. Falls jemand einen anderen Tag vorschlagen möchte, dann nur zu xd
Ich weiß, dass ein Tag pro Woche ziemlich wenig sein kann, wenn man ein Buch wirklich mag. Ich würde wirklich gerne öfter updaten, aber ich weiß, dass ich dann irgendwann nicht mehr mitkommen würde und vielleicht ne wochenlange Pause einlegen muss und das will vermeiden. Dafür werden die Kapitel auch so gut wie immer bei über 2000 Wörter liegen, was in meinem Fall ziemlich viel ist. (die Kapitel in royal Liar hatten meistens so 1000 - 1700 Wörter). Natürlich könnte ich die Kapitel auch einfach auftrennen und dadurch öfter updaten, aber das möchte ich persönlich nicht.

Ausserdem möchte ich ein DANKE an die liebe marvelous_melodie aussprechen für das wundervolle (nicht mehr aktuelle) Cover und an die liebe midnightstorie
dafür, dass sie mich privat bei dem Buch unterstützt und mir hilft.
<3

Wenn euch das Kapitel gefallen hat, I teilt mir das doch gerne mit und erzählt mir von euren Gedanken und Spekulationen, was die Charaktere und den Plot betrifft :)

LG Ines

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