Ein neues Kapitel
,,Also. Was ist gestern Nacht passiert?"
Die Freundinnen waren mittlerweile im Schlafsaal angekommen. Sophie schloss gerade die Türe und Care schloss Lizzi in den Arm, da sie wieder angefangen hatte zu weinen. Beruhigend strich sie über den Rücken ihrer Freundin, während sie ihr T-Shirt vollweinte. Doch das war ihr egal. Und dafür war sie ihr dankbar. Für alles. Dass sie für sie da waren. Dass sie sich noch bei ihnen ausheulen konnte. Anscheinend hatte sie es noch immer nicht verkraftet. Lizzi fühlte sich deswegen schwach. Wie ein kleines Kind. Ein kleines, unreifes Kind.
,,Hey, Lizzi. Alles ist gut"
Care strich ihr beruhigend auf den Rücken, während Sophie und Lou die beiden buchstäblich zum Bett diktierten.
,,Liz? Willst du darüber reden?"
Sie sah hoch und blickte in Sophies besorgtes Gesicht. Sie nannte sie selten Liz. Nur, wenn es ziemlich schlimm war. Wenn es ihr oder Lizzi ziemlich schlecht ging. Und das war jetzt der Fall. Lizzi fühlte sich schlecht. Mies. Sie hatte das Gefühl alles im Leben falsch zu machen. Sie hatte sich nicht richtig von ihrer Familie verabschiedet, was falsch war. Sie war davongerannt, als sie es erfahren hat, was ebenfalls falsch war. Und als sie sich schlussendlich von den Jungen mit den Narben hat trösten lassen. Ihr größter Fehler. Sie fühlte sich wie eine Verräterin. Eine dreckige Verräterin. Sie hatte sich von einem Jungen, den sie kaum kannte, trösten lassen, statt von ihren Freund.
Lizzi schüttelte nur langsam den Kopf. Warum sollte sie darüber reden wollen? Über den Tod ihrer Familie? Man konnte es nicht mehr ändern. Sie waren fort. Weg. Einfach so. Von heute auf morgen. Getötet von Todessern. Von schwarzen Zauberern und Hexen, welche Muggel als Parasiten sahen. Welche sie als Parasit sahen. Sie und alle muggelgeborenen Hexen und Zauberern.
,,Hast du Hunger?", fragte sie einer ihrer Freundinnen vorsichtig. Sie konnte anhand der weichen Stimmer erkennen, dass es Lou war. Erneut schüttelte sie den Kopf. Sie hatte keinen Hunger. Lizzi konnte nicht mal an Essen denken. Sie konnte nur an ihre tote Familie denken und was jetzt mit ihr geschehen würde.
,,Geht ihr nur. I-Ich will euch nicht aufhalten"
Die Brillenträgerin hatte aufgesehen und zwang sich zu einem Lächeln. Glücklicherweise schienen sie zu denken, dass Lizzi jetzt Zeit für sich brauchte. Was auch wahr war. Sie mochte zwar die Gesellschaft ihrer Freundinnen, jedoch konnte sie sie im Moment nicht brauchen. Sie wollte alleine sein.
,,Wir sind so schnell es geht wieder da, Liz"
Sophie sah sie besorgt an und Lizzi schüttelte wieder den Kopf. Zum dritten Mal.
,,Lasst euch nur Zeit. Ihr braucht euch um mich keine Sorgen zu machen."
Ihre Freundinnen sahen sie etwas skeptisch an, beließen es aber dabei. Schweigend verließen sie den Schlafsaal und ließen Lizzi alleine. Alleine in diesen Schlafsaal. Auf diesen Bett. Sie legte sich langsam auf das Bett, nahm ein Kissen und drückte es sich ins Gesicht. Mit dem Rücken zur Tür weinte sie ins Kissen. Es erstickte förmlich ihre Schluchzer. Sie wollte, dass es niemand mitbekommt. Sie wollte nicht angeschaut werden. Sie wollte einfach alleine sein. Alles rauslassen. Ihre Trauer, ihre Wut, ihre Verzweiflung. Dieser Schmerz, fraß sie förmlich von innen auf. Es tat ihr weh and ihre tote Familie zu denken. Doch sie konnte an nichts anderes denken. Sie konnte nur an die beschützerische Umarmungen ihres Vaters denken. Sie konnte nur an das liebevolle Lächeln ihrer Mutter denken. Sie konnte nur an das belebte Lachen ihres kleinen Bruders denken. Und sie konnte nur an die weisen Worte ihrer Großmutter denken. Sie konnte nur an das denken. Nicht an die Zukunft. Nicht an die Freuden und das Glück im Leben. Nicht an das Licht. Nur an die Dunkelheit. Nur an den Krieg. Nur an den Tod.
Während sie ihr Gesicht in ein Kissen versteckt hatte und über ihr Leben nachdenkt, bemerkte sie nicht, wie ein vierbeiniges, liebevolles Leben auf ihr Bett sprang und sie beobachtete. Sie spürte die Blicke des kleinen Wesens. Langsam hob sie ihren Kopf und erblickte ihren Kater. Das einzige, was ihr von ihrer Familie geblieben ist. Es zerbricht ihr ohnehin schon gebrochenes Herz erneut. Die Tatsache, dass diese schwarz-weiße Katze, welche sie mit ihren liebevollen, blauen Augen ansah, das Letzte war, was sie noch hatte.
,,Oh Bommel", flüsterte sie. Sie sprach oft zu ihren Kater. Oftmals um mit jemanden zu reden, wenn sie alleine war. Und der Kater hörte ihr aufmerksam zu. So wie immer. Jedes Mal, wenn sie zu ihm sprach, sah er sie aufmunternd an, seine Ohren waren steif und seine Aufmerksamkeit galt nur ihr. Als würde Bommel sie wirklich verstehen. Doch diesesmal blieb er nicht einfach sitzen. Er ging auf sie zu, begann zu schnurren und legte sich neben sie ihn. Vorsichtig legte Lizzi ihre linke Hand auf Bauch des Katers und spürte die leichten Vibrationen. Sie hatte es schon unzählige Male erlebt, wenn eine Katze schnurrt. Diesesmal jedoch war sie aufmerksam. Sie spürte jede noch so kleine Vibration, hörte jedes noch so leise Schnurren sowie jeden noch so leisen Atmen der Katze. Noch nie war Lizzi ihn zu dankbar gewesen. Lizzi beugte sich über sein Ohr und flüsterte leise ein Wort. Sie wusste, dass er es nicht verstehen würde. Immerhin war er ein Kater und sie ein Mädchen. Jedoch flüsterte sie es zu ihm.
,,Danke"
Mit diesen Worten legte Lizzi ihren Kopf neben dem des Katers ab, legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke.
Und so lag sie da. Auf den Rücken, ihre linke Hand auf den bereits schlafenden Kater und mit dem Blick an die Decke gerichtet. Lizzi wusste nicht, was sie da tat. Dachte sie nach? Wenn ja, über was? Sie wusste es nicht. Wie so vieles nicht. Lizzi war jung, unerfahren und in manchen Augen ein kleines Mädchen mit keinerlei Sorgen. Doch wie oft man über sie urteilen mag, der Schein trügt fast jedes Mal.
,,Hey Liz. Wir haben eine Brief für dich"
Lizzi schreckte auf, obwohl sie die Schritte ihrer Freundinnen gehört hatte. Sie hatte nicht erwartet, dass sie das Mädchen anreden würden. Lizzi blickte auf und sah zu ihren Freundinnen. Sie konnte sie nicht richtig erkennen, da ihre Brille komplett krustig von den Tränen war. Sie setzte sich auf und lehnte sich an das Bettende.
,,Von wem?"
Lou, welche den Brief in der Hand hatte, ging auf sie zu und reichte ihn ihr.
,,Keine Ahnung. Sie kam nur mit der Post."
Lizzi nahm den Brief entgegen und betrachtete ihn näher. Es war eigentlich ein einfacher Umschlag, welcher etwas unleserlich beschriftet wurde. Vermutlich war die Person in Eile, die den Brief verfasst hatte? Aber wer sollte ihr schreiben? Ihre Eltern waren tot und sie hatte niemanden mehr. Zumindest niemanden an den sie sich erinnern konnte. Vorsichtig öffnete sie den Brief und es sprang ihr sofort die Anrede ins Auge:
Liebe Elizabeth,
ich weiß, dass du dich vermutlich nicht an mich erinnerst. Kein Wunder, du warst ja noch klein, als ich auszog und meine Ausbildung begann.
Ich habe es gehört, was passiert ist und ich wollte dir mit diesem Brief nur sagen, dass du bei mir leben kannst, wenn du willst. Ich habe eine kleine Wohnung in London und ich würde es dir gerne anbieten bei mir zu wohnen. Aber nur, wenn du willst. Du musst nicht zwingend bei mir einziehen. Aber ich würde mich gerne über eine kurze Nachricht freuen. Und auch über ein Wiedersehen.
Mit lieben Grüßen,
deine Tante Anne
Lizzi las sich den Brief mehrmals durch. Es gab jemanden, bei dem sie leben könnte! Sie hatte jemanden. Ihre Tante, welche sie ewig nicht gesehen hatte. Oder noch nie. War der Brief echt? Wusste Dumbledore Bescheid? Oder war es nur ein Trick? Ein Trick um sie auf dem Bahnhof in Londo blöd da stehen zu lassen? Lizzi wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sollte sie glücklich sein? Oder doch traurig, das sich ihre Tante erst nach dem Tod ihrer Familie bei ihr gemeldet hatte.
,,Lizzi?", fragte Lou vorsichtig, während sie sich neben sie aufs Bett setzte.
,,Was steht drinnen?"
Lizzi blickte zu Lou, welche sie besorgt ansah.
,,Der Brief ist von meiner Tante. Sie will, dass ich bei ihr wohne", antwortete das Mädchen mit der Brille auf die Frage. Schweigen entstand. Niemand wagte etwas zu sagen. Was sollten sie auch sagen? Ihr gratulieren, da sie nicht ins Waisenhaus muss? Vermutlich nicht.
,,Und was willst du?"
Lizzi blickte auf und sah zu Care, die sie abwartend ansah. Lizzi zuckte bloß mit den Schultern und überlegte. Was wollte sie? Wollte sie in Hogwarts bleiben oder ihre Tante treffen, die sie noch nie gesehen hatte?
,,Ich will zu ihr", antwortete sie schließlich.
,,Ich will ein neues Kapitel beginnen."
Ihre Freundinen nickten zustimmend.
,,Dann wünsche ich dir schöne Ferien, Liz."
Lou umarmte ihre Freundin und strich über ihren Rücken. Lizzi nickte bloß und schloss ihre Augen. Sie genoss diese Wärme, welche von ihrer Freundin ausging. Es war angenehm und warm. Es war anders...
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