04 - Brechen
Samstag, 14:11 Uhr
Eine Whats-App-Nachricht zu tippen ist wesentlich schwerer, als es allgemein angenommen wird. Jedenfalls muss Yoongi heute diese Erfahrung machen. Er hat seit ein paar Minuten Feierabend (heute war er zur Abwechslung mal in der Frühschicht eingeteilt) und gerade das Aquarium verlassen. Schon in seiner Frühstückspause hatte der minthaarige Junge sein Smartphone pausenlos in der Hand, was eigentlich ziemlich untypisch für ihn ist. Er hat versucht eine Nachricht zu verfassen, wirklich. Hat oft damit begonnen einen kleinen Text zu schreiben, war dann unzufrieden mit der Buchstabenreihenfolge und dem Inhalt und generell und hat das Ergebnis dann doch wieder gelöscht.
Bislang ist der Chatverlauf zwischen ihm und Jimin leer. Vielleicht wäre es leichter, wenn Yoongi nicht die ALLERERSTE Nachricht schreiben müsste. Er und Jimin haben zwar am Donnerstag ihre Nummern ausgetauscht, aber bis heute nicht miteinander geschrieben. Jetzt ist es schon Samstagnachmittag und heute Abend könnten sie sich theoretisch wiedersehen. Daher wäre es sinnvoll, wenn Yoongi nun endlich mitteilen würde, dass er nicht tanzen kann und dass er nicht weiß, ob es sich dann lohnt mitzukommen. Grundsätzlich ist er nicht abgeneigt heute Abend wegzugehen, nur seine Hausfische werden seine Gesellschaft vermissen. Aber die haben ja zum Glück noch ihre Artgenossen und können sich mit denen ihre Zeit vertreiben. Außerdem würde Yoongi Jimin gerne wiedersehen. Bislang hat er sich immer noch nicht getraut den Starbucks erneut aufzusuchen, um sich eine der allabendlichen Performances anzusehen. Er wurde immer noch nicht wieder eingeladen.
Guten Tag Jimin, gerne würde ich deine Einladung annehmen und dich heute Abend zu der Veranstaltung begleiten. Leider ist mein Körper nicht befähigt dazu, sich rhythmisch im Takt der Musik zu bewegen...
Nein, das klingt zu steif. Yoongi löscht den Text und setzt neu an:
Yo Jimin, was geht?
YO WAS GEHT? Zwar schon ein bisschen lockerer, aber vielleicht zu locker. Und zu locker ist so absolut nicht Yoongis Stil. Er löscht die Nachricht wieder. Nächster Versuch.
Lieber Jimin, ich würde dich heute Abend gerne sehen. Wenn's sein muss, dann eben auch auf einer Party. Ich hasse Partys, aber immerhin läuft da keine laute Musik, also werde ich es schon ertragen. Wann und wo treffen wir uns?
Nein, auch das klingt absolut nicht nach ihm. Zu direkt, zu offensiv und dazu noch wenig enthusiastisch. Den Eindruck möchte er eigentlich nicht bei dem schwarzhaarigen Jungen erwecken. Er möchte ihn ja wirklich wiedersehen. Nach einem frustrierten Seufzen gibt Yoongi auf und schiebt sein Handy zurück in die Hosentasche. Er ist bislang noch keinen einzigen Schritt vorangekommen, was bedeutet, dass er immer noch verloren vor dem Eingang des Sea Lifes herumsteht. Ein Milchshake sollte jetzt helfen. Schokokaramell. Zucker gegen die Gedankenloopings. Vielleicht kann er sich damit an den Strand setzen und von roten Farben und roten Lippen träumen und vielleicht hilft das beim Formulieren.
Der Plan ist schnell in die Tat umgesetzt, denn der Starbucks ist nur ein paar Gehminuten von seiner Arbeitsstelle entfernt. Aber mit einer gewissen braunhaarigen Ablenkung, hat Yoongi nicht gerechnet. Und eigentlich hätte er darauf auch lieber verzichtet. Einen Milchshake zu trinken war doch keine gute Idee.
„Hey Yoongi! Wie schön dich zu sehen, was kann ich für dich tun?", zwinkert ihm Jungkook da schon wieder zu.
„Schokokaramellshake", antwortet Yoongi möglichst kurzangebunden, um das Gespräch schnell hinter sich zu bringen. Die Situation ist ihm unangenehm. Er hätte dem Barista doch schreiben sollen, zumindest, dass er kein Interesse an ihm hat. Gar nicht zu schreiben ist doch auch unhöflich, oder? Vielleicht hat sein Gegenüber die ganze letzte Woche auf eine Nachricht von ihm gewartet. Anderseits war Jimin froh darüber, dass Yoongi ihm keine Nachricht geschrieben hat, zumindest sagte er das. Deswegen kann es so falsch nicht von ihm gewesen sein. Und der Barjunge wirkt nicht so, als sei er momentan sauer auf den Minthaarigen. Überhaupt, warum zwinkert er eigentlich ständig?
„Du hast echt einen super Zeitpunkt erwischt, ich wollt gerade Pause machen. Dich störts doch nicht, wenn du mir dabei ein bisschen Gesellschaft leistest, oder?", fragt der Braunhaarige ganz nebensächlich, über seine Schulter hinweg, während er mit der Zubereitung des gewünschten Getränks beschäftigt ist.
„Klar", antwortet Yoongi automatisiert und wird sich erst kurze Zeit darauf bewusst, was genau er da gerade zugestimmt hat.
„Super!", freut sich da auch schon sein Gegenüber und strahlt ihm mit einem gewaltigen Grinsen entgegen. Jimin hat Recht. Seine Schneidezähne erinnern wirklich an einen Hasen. Jungkook sieht trotzdem gut aus, fast schon ein wenig zu gut. Die Sorte von gut, dass man sich selbst daneben ganz unscheinbar vorkommt und überdeutlich an jeden eigenen, kleinen Schönheitsmakel erinnert wird. Eigentlich wollte sich Yoongi doch auf die Nachricht konzentrieren, die er Jimin so unbedingt schicken möchte. Was zieht man eigentlich zu einer Party an? Die letzte Party, die Yoongi besucht hat, war die Geburtstagsfeier von seinem besten Freund Jin. Aber das war keine öffentliche Veranstaltung, deswegen musste er sich nicht so viele Gedanken um sein Outfit machen. Außerdem war Jimin nicht da. Yoongi hätte sich die letzten zwei Tage Youtube-Dance-Tutorials angucken sollen, vielleicht hätte er ein paar Grundschritte in der Zeit lernen können. Er hat immer noch keine neuen Fische für das Salzwasseraquarium gekauft. Langsam sollte genug Zeit vergangen sein. Er besitzt ein geringeltes Shirt, vielleicht könnte das feiertauglich sein. Yoongi sollte sich dringend mal wieder bei Jin melden, er hat schon eine ganze Weile nichts mehr von ihm gehört.
„Hey, dein Shake ist fertig. Wartest du kurz hier? Ich muss nur noch grad meine Schürze ausziehen, dann komm ich sofort. Vielleicht können wir uns an den Strand setzen, oder?", reißt ihn Jungkook aus seiner verqueren Gedankenwelt. In seinem Kopf ist es so laut wie immer. Und weil er sich gerade auf keinen Gedanken fokussieren kann, nickt er nur, um seine Zustimmung zum Ausdruck zu bringen.
Schokokaramell schmeckt wirklich besser als Erdbeere.
„Du und Jimin also?", fragt Jungkook noch bevor er sich komplett im Sand niedergelassen hat.
„Mh?", erkundigt sich Yoongi halbherzig. Eigentlich möchte er nicht mit dem Braunhaarigen über dieses Thema reden.
„Ob zwischen dir und Jimin was läuft, meine ich. Schließlich hast du mir gar nicht geschrieben. Ich hab die letzten Tage auf eine Nachricht von dir gewartet oder viel mehr gehofft", erklärt sich der Jüngere.
„Neee", antwortet Yoongi gedehnt, damit er noch ein bisschen mehr Zeit hat, um seine Gedanken im Kopf zu sortieren, „da läuft nichts zwischen uns."
Jungkook schaut ihn halb überrascht, halb fragend an: „Warum hast du dich dann nicht bei mir gemeldet? Bin ich nicht dein Typ?"
Der Minthaarige kann mit dieser direkten Art nicht so gut umgehen. Sie verunsichert ihn, überfordert ihn. Er neigt doch schon bei leichten Themen dazu, etwas Falsches zu sagen. Wie leicht ist es denn dann, auf eine solche Aussage ungünstig zu reagieren. Dementsprechend viel Zeit lässt sich Yoongi mit seiner Antwort. Und eins haben Jungkook und Jimin augenscheinlich sofort miteinander gemeinsam, sie sind beide geduldig, drängen Yoongi nie mit ihren Blicken zu einer übereilten Antwort.
„Ich wollte dir schreiben, um nach Jimins Nummer zu fragen, aber das kam mir dann falsch vor", antwortet er so ehrlich wie möglich, schlittert damit nur knapp am eigentlichen Thema vorbei. Jungkook bricht in schallendes Gelächter aus, anstatt von dieser Aussage beleidigt zu sein.
„Also läuft nichts zwischen euch, aber du hättest gerne, dass da was läuft?", schlussfolgert er.
Diesmal reagiert Yoongi nicht so zeitverzögert, obwohl die Frage genauso offensiv-direkt ist wie die vorherige: „Ich mag es, wenn er grinst. Und ich mag es, wenn Jimin singt." Und weil ihm die Antwort noch nicht vollständig vorkommt, ergänzt er: „Wir könnten uns heute Abend treffen. Ich wollte ihm noch schreiben."
„Ja, die meisten Leute mögen es, wenn Jimin singt. Ich eingeschlossen. Er ist echt verdammt gut. Klingt zwar wie ne Frau dabei, aber das ist ja egal", erwidert Jungkook und ist dabei wirklich so rotzfrech, wie von ihm behauptet wird.
Es entsteht ein kurzes Schweigen zwischen ihnen, welches keinesfalls unangenehm ist. Yoongi widmet sich seinem Milchshake und beobachtet eine kleine Touristenfamilie dabei, wie sie gemeinsam eine Sandburg bauen. Das Wetter in Busan meint es immer noch gut mit ihnen, es ist immer noch unangenehm warm, aber die frische Meeresbrise mildert die eindringlichen Sonnenstrahlen etwas ab. Yoongi genießt das Gefühl des Windes, der sanft durch seine Haare streicht. Er erinnert ihn daran, wie vorsichtig Jimin mit den Babyschildkröten umgegangen ist. Yoongi sollte auf dem Weg nach Hause endlich die neuen Fische kaufen oder etwas Neues zum Anziehen. Vielleicht auch das.
„Warum schreibst du ihm dann nicht, wenn du doch auf ihn stehst?", hakt Jungkook noch einmal nach. Sein Blick haftet ebenfalls auf den Eltern, die mit ihren Kindern wüste Gebilde aus Sand errichten und das Ergebnis stolz als Burg betiteln. Ein kleines Lächeln umspielt dabei seine Lippen.
„Ich steh nicht auf Jimin", sagt Yoongi sofort verteidigend, obwohl er gar nicht weiß, wie sich das anfühlt, auf jemanden zu stehen. Er stand noch nie auf irgendwen und es stand noch nie jemand auf ihn. Ohne sich von dem faszinierenden Gedankengang einnehmen zu lassen, von dem riesigen Potential, dass sich hinter der Aussage verbirgt, erinnert er sich an die ursprüngliche Fragestellung und ergänzt er etwas kleinlauter: „Ich weiß nicht, was ich schreiben soll."
Jungkook übergeht den zweiten Kommentar und lehnt sich entspannt im Sand zurück. Er liegt jetzt beinah, nur sein Oberkörper wird mithilfe seiner Unterarme aufrechterhalten, sodass er den Überblick über den Strandabschnitt nicht komplett verliert. Seine Haare sind durch den Wind durcheinandergebracht wurden, sodass seine Stirn jetzt offen freiliegt. Er wirkt dadurch noch jünger, als er ohnehin schon ist.
„Mhm", murmelt er, das Grinsen auf seinen Lippen ist noch etwas breiter geworden, „Gut. Wenn du nicht auf ihn stehst, dann hab ich ja vielleicht doch noch Chancen." Er zwinkert dem Älteren erneut zu und diesmal wird Yoongi rot. Rot, weil Jungkooks Zwinkern alarmierend offensiv ist und weil seine Körperhaltung die Muskeln an seinen Oberarmen markant hervorstechen lässt, weil er doch eigentlich jünger ist und deswegen nicht so verdammt frech sein sollte, weil Yoongi als Älterer, als sein Hyung, sich nicht von ihm einschüchtern lassen, sondern ihn selbst durch eine selbstbewusste Haltung zur Räson bringen sollte. Und weil Jungkook dabei so erbarmungslos schön ist, so bedenkenlos jung und sorglos wirkt und weil er mit Yoongi flirtet, immer noch flirtet, obwohl er doch eigentlich bereits einen Korb erhalten hat. Oder vielleicht sogar schon mehrere, denn Yoongi ist sich da nicht ganz sicher, ob die Aspekte aus der Situation flüchten, Jimin das Reden überlassen und sich danach nicht melden als einzelne Absagen gewertet werden oder jede Aktion für sich zählt. Der Minthaarige ist so irritiert von seinen eigenen Gefühlen und Gedanken, so hoffnungslos überfordert von einer Reaktion, dass er das Antworten schlicht und ergreifend vergisst.
„Was möchtest du ihm denn schreiben?", erkundigt sich Jungkook so nahtlos, als hätte er niemals ernsthaft mit einem Kommentar zu seiner vorherigen Aussage gerechnet. Das Grinsen auf seinem Lippen ist keinen einzigen Zentimeter verrutscht und er verlagert sein gesamtes Gewicht auf den rechten Arm, als er sich mit einer unwirschen Geste ein paar freche Haarsträhnen aus dem Gesicht streicht.
„Er hat mich gefragt, ob ich heute Abend mit zu einer Party kommen möchte, aber ich kann nicht tanzen.", antwortet Yoongi bedachtsam. Die langen Pausen erleichtern es ihm ungemein, sich auf das Gespräch zu konzentrieren und die Gedankenloopings sorgsam zu umschiffen. Er merkt, wie sich seine Körperhaltung unterbewusst entspannt hat, seit er bemerkte, dass Jungkook die langen Pausen zwischen ihren Aussagen gar nicht als unpassend empfindet. Zumindest verrät das seine zwanglose Körperhaltung und seine unerschütterliche Geduld über ihn. „Außerdem hab ich nichts Passendes zum Anziehen", ergänzt Yoongi.
„Man muss nicht zwingend tanzen können, damit man auf eine Party gehen kann", erklärt Jungkook geduldig. Sein Blick bleibt erst aufmerksam an dem Gesicht seines Gegenübers hängen, bevor er ihn bewusst zentimeterweise senkt, seine Augenlider halb niederschlägt und den Körper seines Hyungs scannt. „Außerdem hast du doch Etwas an, also hast du auch was zum Anziehen. Nicht, dass mich das Gegenteil davon stören würde", wieder ein Zwinkern, was Yoongi erneut die Schamesröte in die Wangen treibt. Yoongi hat erneut das Thrasher-Shirt an, welches er bereits an ihrem Treffen getragen hat. Er möchte gerne antworten, doch Jungkook macht keine lange Pause, sondern spricht unbeirrt weiter. Sein Blick hat mittlerweile wieder die dunklen Augen seines Gegenübers gefunden. „Mach es dir also nicht so kompliziert. Wenn Jimin dich eingeladen hat, wird er sich freuen, dass du da bist, egal, was du dabei trägst oder wie gut du tanzen kannst. Schreib ihm also einfach, dass du mitkommst und dann hat sich die Sache erledigt."
Für einen kurzen Moment regt sich gar nichts bei Yoongi. Das Rot aus seinen Wangen ist gewichen und hat einem ernsten Ausdruck Platz gemacht, der nur entfernt an seine sonst so desinteressierten Gesichtszüge erinnert. Nachdem unter der Oberfläche die ersten Loopings geschlagen wurden, kramt er im Zeitlupentempo in seiner Hosentasche nach seinem Handy und holt es heraus.
Um 15:32 Uhr schreibt er:
Ich komme heute Abend mit.
Er schickt die Nachricht sofort ab, damit er es sich nicht noch zweimal überlegen kann. Weil ihm die fünf Worte allerdings zu wenig erscheinen, schickt er noch eine zweite Nachricht hinterher.
[15:33 Uhr] Ich kann nicht tanzen.
Danach steckt er das Smartphone zurück und trinkt zufrieden lächelnd den letzten Schluck seines Milchshakes, der mittlerweile schon fast Umgebungstemperatur erreicht hat und dadurch noch pappig süßer ist, als ohnehin schon. Es stört Yoongi nicht. Jetzt ist er sich ganz sicher, dass er gleich noch die neuen Fische kaufen wird. Er hätte so gerne Papageienfische, aber dafür sind seine Aquarien zuhause immer noch zu klein. Stattdessen wird er sich wohl ein paar Falterfische zulegen, die hatte er beim letzten Mal schon im Auge und konnte sich nur schweren Herzens dazu bringen, ohne sie das Geschäft zu verlassen.
„Ach Mist, ich muss wieder rein. Meine Pause ist schon seit ein paar Minuten vorbei", flucht Jungkook und springt zeitgleich leichtfüßig auf.
„Lass dich mal wieder hier blicken, wenn du in der Gegend bist, ja? Und meld dich, wenn das mit Jimin doch nichts werden sollte. Meine Nummer hast du ja", zwinkert ihm der Braunhaarige ein letztes Mal keck zu, bevor er die Hand zum Gruß erhebt und sich umdreht.
„Jungkook?", hält ihn Yoongi noch gerade so auf, bevor er sich außer Hörweite befindet. Der Angesprochene dreht sich über die Schulter hinweg zu ihm herum und schenkt ihm einen fragenden Blick.
„Danke", sagt der Minthaarige, weil er es sich nicht zutraut unter Zeitdruck einen ganzen Satz zu formulieren. Er hofft einfach, dass Jungkook schon verstehen wird, was er damit eigentlich sagen will.
„Gern geschehen", erwidert dieser, bevor er mit zügigen Schritten den kleinen Strandabschnitt endgültig verlässt und an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt.
Jungkook kann wirklich gut zuhören. Vor allen Dingen, weil er wohl mehr hört, als eigentlich gesagt wird.
Zufrieden bemerkt Yoongi, wie sein Handy in der Hosentasche vibriert und damit wohl die erhoffte Antwort von Jimin ankündigt.
[15:41 Uhr] Super! Tae (mein Mitbewohner) und ich freuen uns! Wobei ich mich wohl ein bisschen mehr freue als er... 😊 Wir treffen uns um 21:00 Uhr vor dem Billie Jean am Dalmaji Hill. Weißt du wo das ist oder sollen wir dich abholen?
[15:43 Uhr] Jeder kann tanzen, mach dir keine Gedanken. Und selbst wenn nicht, dann bring ich es dir bei... 😉
Yoongi weiß, wo sich der verabredete Treffpunkt befindet. Deswegen ist er pünktlich, fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit, bereits vor Ort und schaut sich aufmerksam nach dem schwarzen Haarschopf um, der Jimin zuzuordnen ist.
Er hat die Falterfische gekauft und ist seitdem in einer seltsam anmutenden Hochstimmung gefangen. Vielleicht steht diese auch in direkter Kausalität zu seinem Wiedersehen mit dem Straßenmusiker, aber diesen Gedankengang hat Yoongi bislang nicht weiterverfolgt.
Für neue Klamotten war auf dem Shoppingtrip danach allerdings keine Zeit mehr. Deswegen trägt er heute ein einfaches, weißes Shirt und darüber eine dünne, olivgrüne, leicht ausgestellte Bomberjacke, die seinem schmalen Körperbau schmeichelt und ihn etwas breiter erscheinen lässt, als es eigentlich der Realität entspricht. Seine graue Jeans hat er den Füßen zweimal umgekrempelt, weil Jin ihm empfohlen hat, dass das nun modern sei. Yoongi hatte ihn am frühen Abend angerufen, als er ruhelos in seiner Wohnung herumgetigert ist, weil bereits alles erledigt und es immer noch zu früh war, um zu seiner Verabredung aufzubrechen. Außerdem hätte er sich ohnehin mal wieder bei seinem besten Freund melden müssen. Sie haben sich in der kommende Woche für ein Treffen verabredet. Jimin ist auch eingeladen, falls sich Yoongi traut, diesen Umstand laut zu äußern. Als der minthaarige Junge von seiner neuen Bekanntschaft berichtet hat, ist sein Hyung sofort in ein hochfrequentes Quietschen ausgebrochen und hat augenblicklich eine Einladung zum Abendessen, ach was, zu einem 5-Gänge-Menü ausgesprochen, weil er den Jungen unbedingt kennenlernen muss, der die Mauern des Min Yoongi einfach so niederreißt. Jin ist gelernter Koch, was dazu geführt hat, dass nach seiner Ausbildung auch ihre privaten Abendessen stets in dekadente Fressgelage ausarteten. Eine Eigenschaft, die Yoongi an seinem Hyung stets zu honorieren wusste.
Ein honigweiches „Hey", reißt den Jungen aus der intensiven Beleuchtung unterschiedlicher kulinarischer Köstlichkeiten, die ihn potenziell in der kommenden Woche erwarten könnten.
Jimins schwarze Haare fallen ihm sanft in die hohe Stirn, als er mit einem zaghaften, beinah schüchternen Lächeln vor ihm stehen bleiben. Sein schiefer Schneidezahn ist omnipräsent in seiner Wahrnehmung und so bemerkt er nur peripher die andere Gestalt, die seinem Gegenüber gefolgt ist und nun ebenfalls vor ihm stehen bleibt.
Yoongi spart sich eine Begrüßung (unabsichtlich) und spricht den ersten Gedanken aus, der ihm zwischen die Lippen kommt: „Jin hat dich nächste Woche zum Abendessen eingeladen."
Der minthaarige Junge hat kaum Zeit, um verlegen zu werden, noch um den irritierten Gesichtsausdruck des anderen folgerichtig in seine Überlegungen zu integrieren, da schiebt sich bereits ein goldblonder Haarschopf in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeitsspanne und beginnt unverblümt und mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen zu sprechen:
„Ein gemeinsames Abendessen mit neuen Freunden? Oh, wie wunderbar, wir kommen gerne, oder Jiminie?"
Der Junge vor ihm strahlt wortwörtlich wie eine eigenständige Sonne auf ihn herab. Das Zusammenspiel aus dem hellen Farbton seiner Haare, die definitiv gefärbt sind, und trotzdem den mühelosen Anschein von Natürlichkeit vermitteln, der Reihe nahtloser weißer, perfekter Zähne und dem offenherzigen, irgendwie leicht viereckigen Grinsen, macht den Vergleich mit einer Sonne zur einer genuinen Konsequenz.
Yoongi fällt es nicht schwer zu antizipieren, wie viele Herzen im Angesicht dieser offenkundigen Naturgewalt bereits in die Knie gezwungen wurden.
„Ich bin Taehyung", stellt sich der Junge vor, „Jiminie hat bestimmt von mir erzählt. Ich bin sein Mitbewohner" und verbeugt sich gerade so tief vor ihm, wie es der Anstand geradeso noch als angemessen empfindet. Seine braunen Augen, die mit goldenen Sprenkeln durchzogen sind, mustern Yoongi aufmerksam, fast analytisch. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass seine bronzene Gesichtsfarbe von lauter kleinen Sommersprossen durchzogen ist.
„Min Yoongi", erwidert er träge und deutet ebenfalls den Ansatz einer höflichen Verbeugung an.
„Ach, das weiß ich doch schon. Jiminie spricht ständig von dir. Ich bin so froh, dass er jetzt endlich mal den Mut aufbringen konnte, um dich anzusprechen. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben."
Der Schwarzhaarige besitzt den Anstand, um bei dieser Aussage ein wenig rot anzulaufen, bevor er sich unwirsch in das gerade begonnene Gespräch einmischt, bevor es ausufern kann: „Lasst uns reingehen, okay? Wartest du schon lange hier? Wir wären pünktlich gewesen, wenn sich dieser Chaot hier, der sich Mitbewohner schimpft, schneller für ein Outfit hätte entscheiden können."
Jimin selbst ist in die nahtlose Eleganz der Schlichtheit gekleidet, trägt ein weißes, enganliegendes Shirt und wiederum eine schwarze, noch engere Jeans, die an den Knien faustgroße Löcher aufweist. Er sieht fantastisch aus. Yoongi wird unwillkürlich mit dem Gedanken konfrontiert, dass er eine Kamera kaufen muss, sollte es ihm jemals vergönnt sein dieses engelsgleiche Geschöpf vor ihm fotografieren zu dürfen.
„Jiminie?", ist alles, was Yoongi fragend über die Lippen bringt, als sich sein Herz erneut überschlägt, weil Jimin nach seiner Hand greift und ihn einer unbeugsamen Forcierung in Richtung Eingang geleitet.
„Ja, ich kann ihm diesen dämlichen Spitznamen einfach nicht austreiben. Hab es oft genug versucht und bin jedes Mal kläglich gescheitert", wird ihm sofort geantwortet.
„Aber Chim Chim, du liebst meine Spitznamen für dich", unterbricht Taehyung in forsch und klingt dabei viel mehr nach einem kleinen Kind, als nach dem atemberaubenden Erwachsenen, den er in der Realität darstellt.
„Du machst es gerade nicht besser Kim Taehyung"; knurrt Jimin beinah, „erst kommen wir wegen dir zu spät, dann blamierst du mich, aufgrund deiner achtlosen Aussagen und jetzt musst du Yoongi zu allem Überfluss auch noch mit jeglichen dämlichen Spitznamen von mir konfrontieren, den du dir jemals in deinem seltsam-verdrehten Gehirn für mich ausgedacht hast?"
„Aber Chim Chim, ich...", beginnt sein Mitbewohner, doch wird von dem Sicherungspersonal, welche den Einlass streng überwachen, unterbrochen, bevor die Konversation in einen handfesten Streit ausbrechen kann, dessen Grund sich Yoongi bislang noch nicht erschlossen hat.
Im Inneren des Billie Jean herrscht bereits buntes Treiben, welches keinen Platz für eine angespannte Stimmung innerhalb des Trios lässt und sie kurzerhand wieder zerstreut.
Yoongi ist ein bisschen überwältigt von den vielen Eindrücken, die auf ihn niederprasseln. Einzig Jimins warme Hand, die sich unwillkürlich in seine geschoben hat, als er ihn von Taehyung wegziehen wollte und diesen Platz seitdem nicht mehr verlassen hat, hält die Achterbahn in seinem Kopf davon ab, noch wagemutigere Loopings zu drehen und in Folge davon zu überhitzen.
„Wollen wir tanzen?", fragt ihn Jimin mit leuchtenden Augen und lässt Yoongi damit überhaupt gar keine Zeit sich erst einmal mit der ungewohnten Umgebung zu akklimatisieren. Seine Hand verlässt Yoongis nur für die Winzigkeit eines Augenblicks, die es benötigt, die eben ausgehändigten Kopfhörer in seinen Ohren zu installieren.
„Ich kann nicht tanzen", protestiert der Minthaarige schwach, aber weiß schon in dem Moment, als er in die funkelnden Augen vor ihm blickt, dass er mit seiner Meinung auf einem restlos verlorenen Posten steht.
„Na dann wird es dringend Zeit, dass du es lernst", lächelt Jimin ihn aufmunternd zu, bevor er sich doch noch einmal an Taehyung wendet, „kommst du auch mit?"
Dieser schüttelt verneinend den Kopf und deutet in eine Richtung, in der Yoongi in einiger Entfernung mehrere kleine Sitzgelegenheiten ausmachen kann: „Ich muss mich erst an die Atmosphäre des Raums gewöhnen, mich damit vertraut machen und sie in mir aufnehmen, das weißt du doch. Ich hol mir was zu trinken und dann setz ich mich dahinten an. Kommt dann einfach zu mir, wenn ihr euch ausgetobt habt."
Jimin zuckt unbeteiligt mit den Schultern und wendet sich wiederum Yoongi zu: „Ich hab doch gesagt, er ist seltsam." Taehyung ist bereits in die angedeutete Richtung verschwunden.
Jimins Leuchtturmlächeln leitet ihn zielsicher durch die wild tanzende Menge, in dem jedes Individuum seinem eigenen Rhythmus folgt, welcher ihm mithilfe der Kopfhörer unmittelbar in den Gehörgang eingeflößt wird.
Die darauffolgenden Minuten fühlen sich für Yoongi wie eine surreale Erfahrung an, als er sich inmitten der aufbrausenden Masse wiederfindet und den Körperkontakt zu seinem schwarzhaarigen Gegenüber selbst dann nicht verliert, als er sich seine eigenen Kopfhörer in die Ohren steckt und wahllos irgendeinen Sender auswählt. Jimin achtet darauf, den gleichen Kanal für sich selbst auszuwählen und greift forciert und dabei gleichsam unglaublich behutsam nach Yoongis Hüfte, um sie im gleichen Takt zu bewegen, den seine eigene Körpersprache so mühelos vorgibt.
So stehen sie sich eine Weile stumm gegenüber. Der Minthaarige probiert auf seine Fußarbeit zu achten und nicht ständig auf Jimin zu schielen, der mit seiner einnehmenden Aura erneut jedes Quäntchen Konzentration auf sich fokussiert. Im Endeffekt gestaltet es sich wirklich nicht so problematisch, dem Rhythmus zu folgen und sich flüssig dazu zu bewegen, wie Yoongi zuvor befürchtet hatte. Nach einigen Startschwierigkeiten erwischt er sich sogar dabei, den Körperkontakt mit Jimin wirklich und aufrichtig zu genießen. Die fragile Zweisamkeit, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hat, obwohl sie von allen Seiten von lauter Fremden flankiert sind. Nur am Rande bemerkt Yoongi, dass die Lautstärke in seinem Kopf exponentiell abgenommen hat, seit er Jimins zierlichen Hände auf seinen Hüften ruhen weiß.
„Siehst du", formen Jimins vollen Lippen lautlos, „du kannst tanzen."
Dabei ist sich Yoongi sicher, dass er noch nie so tief bewegt von etwas wurde, wie von Park Jimin.
Sie finden den Weg zurück zu Taehyung genauso mühelos, wie sie zuvor auf die Tanzfläche gefunden haben.
„Ich lass dich mal kurz mit dem seltsamen Vogel hier allein und besorg uns was zu trinken", sagt Jimin und ist gleich darauf in der Menschenmasse untergetaucht. Taehyung betrachtet ihn wieder mit diesen aufmerksamen, analytischen Blick und Yoongi fühlt sich beinah dazu verpflichtet etwas zu sagen, als er sich neben ihn auf das kleine Sofa sinken lässt: „Stört dich das nicht?"
„Was denn?", antwortet der Jüngere unbedarft.
„Wenn er dich seltsam nennt."
Sein Gegenüber schaut ihn aus großen, offenen Augen fragend an, als müsste er erst überlegen, warum Yoongi dieses Thema anspricht.
Dann beginnt er langsam und voller Bedacht zu sprechen: „Ich bin seltsam."
Taehyung benutzt das Wort wie ein Abzeichen, dass ihm einst verliehen wurde und dass er seitdem mit vor Stolz geschwellter Brust trägt. Nach einer kurzen Pause ergänzt er arglos: „Was soll denn auch schlimm daran sein?"
„Die Blicke", erwidert Yoongi prompt, erinnert sich überdeutlich an die despektierlichen Blicke seiner Klassenkameraden, die forschenden Blicke der Ärzte und Psychologen, die mitleidigen Blicke des Direktors und seiner Eltern. Er schluckt das Wort Störung verbittert wieder herunter, als es versucht, sich in seinem Kopf breit zu machen. Ein Schauer läuft über seinen Rücken und hinterlässt eine belastende Gänsehaut auf seinem Körper. Die Lautstärke in seinem Kopf schwillt augenblicklich wieder an, als hätte sie nur auf sein Kommando gewartet.
Auch Taehyung schaut ihn jetzt an, mit dem aufmerksamen Blick eines Künstlers, voller Faszination für das vor im stehende Werk, getrieben von dem Drang, es verstehen zu wollen.
„Menschen betrachten Menschen aus Neugierde, aus Interesse. Ein Blick ist keine Bürde, es ist ein Kompliment, weil du ihr Interesse weckst. Wenn sie wegsehen oder dich mit Missbilligung strafen, weil sie dich nicht verstehen, ist das ihre Konsequenz für ihr Nichtwissen, ihr Verhalten, vielleicht auch ihr Fehler. Es sagt mehr über sie aus, als über dich. Du bleibst der gleiche, ansehenswerte Mensch, für den sie vorher hingesehen haben.", spricht Taehyung langsam und dezidiert. In seiner Betonung überdeutlich, keinen Widerspruch zulassend.
Yoongi lässt sich die Worte einzeln durch den Kopf gehen, denkt darüber nach, dass er die Blicke seiner Mitschüler nie auf diese selbst zurückgeführt hat. Er hat sie so hingenommen, immer auf sich selbst bezogen und nie hinterfragt, was es eigentlich über das Wesen seiner Klassenkameraden aussagt, wenn sie hinter vorgehaltener Hand und trotzdem schlecht versteckt über ihn gekichert haben.
„Waren sie gemein zu dir?", fragt der Jüngere mitfühlend und spricht dabei vielleicht absichtlich von keiner bestimmten Personengruppe.
„Manchmal", flüstert Yoongi und sein Herz tut bei den Erinnerungen daran ein bisschen weh. Er weiß gar nicht, warum er mit dem Blonden über dieses Thema spricht, denn sie stehen sich nicht nahe, sind nicht miteinander befreundet, haben sich genau genommen erst vor wenigen Minuten kennengelernt. Taehyung übergeht diesen Fakt mit einer Natürlichkeit, mit der er wohl ebenfalls die Entscheidung getroffen hat, dass er ab sofort seine eigene Sonne darstellt.
„Dann waren es gemeine Menschen", schlussfolgert Taehyung und klingt dabei so aufrichtig gutherzig, dass die schmerzende Gänsehaut auf Yoongis Körper einfach kapituliert. Kurz darauf findet er sich in einer wärmenden Umarmung wieder, die seine kreischenden Gedankenloopings jäh zum Stillstand bringt.
„Du bist ein besserer Mensch", murmelt der Jüngere ganz dicht an seinem Ohr, muss dafür kaum die Stimme heben, weil sie sich so nah sind.
„Woher willst du das wissen?", entgegnet Yoongi und kann sich noch nicht dazu überwinden, die tröstende Umarmung zu verlassen, die irgendetwas in ihm wieder zusammensetzt, was schon so lange in Einzelstücken in ihm herumliegt, dass er ganz vergessen hatte, dass es ursprünglich zusammengehörte.
„Jimin mag dich", erklärt Taehyung und zieht sich ein Stück von ihm zurück, die Arme immer noch fest um ihn geschlungen, jetzt nur weit genug voneinander entfernt, dass er ihm wieder in die Augen blicken kann, „und Jimin hasst gemeine Menschen."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top