Liebe über alles!
Ich höre praktisch durchgehend Günthers begeistertes Schwärmen von Hitler und zwischendurch auch von Goebbels. Sogar in meinem Zustand (ich hyperventiliere schon) gelingt es mir die Augen zu verdrehen. Wenn sie ihm so gut gefallen, soll er sie sich doch austopfen lassen und nebens Bett stellen!
Siegfried versucht währenddessen wieder mal mit seinen großen Kriegserfolgen anzugeben, auch, wenn ich nicht weiß, mit wem genau er spricht. Verträumt sieht er in die Luft. "Ich habe so viel erreicht, damals als die deutschen Panzer vorrückten... 50 Bierflaschen habe ich gestapelt!"
Moment was? Das waren seine ganzen Erfolge? Na kein Wunder, dass er sich auf die Art die meisten Orden und Auszeichnungen an die Schirmmütze stecken könnte!
Allerdings wirkt der SS-Mann neben ihm durchaus beeindruckt, was mich auch an seinem Verstand zweifeln lässt. "Ganze 50! Herr Hauptsturmführer, Sie gehören zu den Helden, die das Vaterland braucht!"
Jetzt dachte ich, hier einmal ein paar "normalere" Nazis kennenzulernen und dann ist das normalste, was diese Zeit zu bieten hat doch tatsächlich Hitler, der hier als einziger einigermaßen vernünftig erscheint?
Ach du lieber Himmler! Wie haben die es mit solchen Pfeifen überhaupt zum Weltkrieg gebracht? Die haben hier doch alle einen Dachschaden! - oder viel eher... nein, daraus sollte ich besser mal keinen Nazi-Witz machen....der Zug ist bereits abgefahren.
Kurz bevor wir nun also unsere Plätze einnehmen müssen, wird der noch nicht einmal begonnene Dreh wieder mal aufgehalten. "Du? Hier?", fragt Klaus überrascht einen der 1000 SS-Männer, die an den verschiedensten Orten Posten bezogen haben, um entweder Hitler zu schützen (was in Anbetracht von Günthers Schwärmereien vielleicht sogar gut ist) oder um einfach bedrohlich wie ein Sturmgewehr durch die Gegend zu starren.
"Guten Tag, Brüderlein, guten Tag", einer der Männer bewegt sich nun auf Klaus zu.
Er hat einen Bruder? Ich glaub mein Göring - äh Verzeihung, mein Schwein pfeift! Mir war ein Klaus schon mehr als genug!
Etwas griesgrämig mustert Klaus seinen Bruder, der ihm optisch schon ziemlich ähnlichsieht. "Was machst du hier, Sturmhart?"
Der wendet sich allerdings an die anderen Anwesenden und stellt sich uns vor. "Sturmbannführer Sturmhart Führer." Das ist jetzt ein Witz oder?! "Sturmbannführer", wiederholt er sein erstes Wort nochmal und ich ziehe eine Augenbraue hoch.
Also hat er beim Sprechen auch so eine schräge Macke? Klaus hat ja diesen merkwürdigen Akzent, oder was auch immer das darstellen soll (sein langgezogenes Kaffeeeee, wär hier ein hübsches Beispiel).
"Jetzt hast du's also tatsächlich von Wien bis nach Berlin geschafft, Klaus! ... Jetzt." Okay, damit hätten wir die Erklärung für den Akzent.
"Hast du hier nicht auch etwas zu tun, Sturmhart?", erwidert Klaus kalt und nachdem sein Bruder fröhlich seiner Wege marschiert ist, beginnt er wieder zu sprechen.
"O ja, mein Bruder. Schon als wir klein waren, wollte er immer der bessere von uns zweien sein...", er erzählt seine halbe Lebensgeschichte wie in einer ziemlich schlechten Film-Rückblende. Der Job als Regisseur aka Filmführer scheint ihm echt nicht gut zu tun...
Schließlich geht es ohne weitere Unterbrechungen weiter... Naja fast, der zum Ketenraucher mutierte Johann zündet versehentlich sein Skript an und versucht unauffällig das Feuer zu löschen. Aber bis ihm das gelungen ist, ist das Papier schon verkohlter als der Reichstag.
Endlich wir nehmen unsere Plätze ein. Leider gehört zu den heutigen Szenen... nun ja, die Kuss-Szene, die ich mit Johann schon einmal geübt habe. Dadurch werde ich noch mal um einiges panischer.
"Klappe die erste! 3, 2, 1... Vorwärts Marsch!", gibt Klaus seine schräge Anweisung, wie immer.
Und schon geht es los.
Noch mal kurz zur Erklärung des Films. Johann Blitz und Helena Adler (diese Namensänderung treibt mich immer noch zur Weißglut!) treffen sich das erste Mal auf einer Rede Hitlers. Er verliebt sich sofort in sie, während sie ihre Gefühle nicht zugeben will. Dann kommt der typische Liebesfilm-Kitsch gemischt mit einem Haufen Propaganda. Schließlich muss Johann in den Krieg und verabschiedet sich von Helena (die Szene, die wir jetzt drehen) und... naja am Ende treffen sie sich wieder: Sie ist Krankenschwester, er verwundeter Soldat und er stirbt in ihren Armen dramatisch für das Reich.
Melodramatisches blabla eben. Völliger Quatsch, wenn ihr mich fragt...
Aber gut, zurück zum Dreh!
Johann ergreift meine Hände und sieht mich mit einem intensiven Blick an. "Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf, seit ich dich das erste Mal gesehen habe... du warst anders als alle anderen Mädchen."
Ich schüttle den Kopf. "Nein, du wirst mich vergessen müssen!" Ich stecke alle meine Gefühle in diesen Satz, was im Moment vor allem Panik und Angst wären.
"Helena, ich muss morgen in den Krieg. Vielleicht gehe ich für Tage, vielleicht für Monate oder Jahre. Vielleicht aber auch für immer. Ich will..." Die schon so gut geübte dramatische Pause. "Ich will nicht gehen, nicht für mein Vaterland und meinen Führer sterben ohne es von dir einmal gehört zu haben. Sag, dass du mich liebst!"
Mittlerweile weiß ich nicht mehr ob mir von dem kitschigen Text oder von den gefühlt Tausend Augenpaaren, die auf uns gerichtet sind, schlecht wird. Das ist heute wirklich zu viel des Rechten! "Johann, ich kann nicht... ich kann einfach nicht..." Das trifft sogar in echt zu. Ich kann das hier nicht! Gerne würde ich ja sowas rufen wie "Ich bin ein Teenager aus 2016 - holt mich hier raus!"
"Dann lass mich wenigstens nicht ohne einen einzigen Kuss gehen... Helena..."
O Gott, der Augenblick der Wahrheit ist gekommen! Mir wird schwarz vor Augen, aber wenigstens muss Johann mich in dieser Szene sowieso halten. Und dann passiert es - der Kuss, während dem ich schon halb ohnmächtig bin. Vorsichtig zieht er mich näher und küsst mich dann ganz sanft. Ich spüre, wie mich meine gesamte Kraft verlässt und ich mich vollends auf Johann konzentriere. Der leichte Geruch von Tabak und -
"Schnitt!", erklingt irgendwann Herberts Stimme. Innerlich sterbe ich gerade und verfluche Herbert, da wir die Szene dann nochmals drehen müssen.
"Hach, das ist ja so romantisch!", ruft Günther begeistert von seinem eigenen Drehbuch aus, wieder mal ist er Landser... äh Feuer und Flamme. Und auch unseren Gästen scheint es gefallen zu haben.
Da gibt's nur ein Problem... Johann lässt mich immer noch nicht los.
"Äh... du kannst aufhören sie zu küssen, Johann...wir sind fertig...", höre ich einen etwas verwirrten Klaus.
Keine Reaktion. Je länger das so weitergeht, desto wackliger werde ich auf den Beinen.
"Ist die Liebe nicht schön!", meint Günther noch begeisterter und ich hätte ihm gerne widersprochen... geht nur leider nicht.
"Lassen Sie sie jetzt endlich los, Blitz!", höre ich Engelberts Befehl.
Er gehorcht augenblicklich, lässt mich plötzlich los und salutiert. "Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!" ... und ich lande auf dem harten Boden. Na schönen Dank auch!
Überraschenderweise läuft sonst alles glatt. Irenka ist zur vollendeten Dame mutiert und schließlich begleiten wir Hitler und Goebbels hinaus. Endlich!
"Meine Damen, es wäre mir eine Ehre Sie beide morgen zum Essen einzuladen", meint Goebbels schließlich noch.
O Gott... nein!
"Es wäre uns eine große Ehre vom Reichspropagandaminister persönlich eingeladen zu werden, allerdings können wir keine freie Minute erübrigen, wenn wir unser Projekt rechtzeitig abschließen wollen, damit Sie und der Führer ihn schon bald in voller Länge sehen können. Wir bitten Sie also vielmals um Verzeihung", antwortet Irenka für mich und wieder klappt mir die Kinnlade runter.
"Wie schade", doch Goebbels gibt sich damit zufrieden und wir verabschieden uns. Na Odin sei Dank...
Wie hat Adolf das nur hingekriegt? Ohne jede Vorwarnung (wahrscheinlich, weil ich gerade einfach zu erleichtert und beeindruckt bin) entkommt mir ein "Adolf, ich liebe dich!" Leider sehen gleich zwei verdutzte Gesichter zu mir. Hitlers und Heils.
Dann bildet sich kurz so etwas wie ein geschmeicheltes Lächeln auf Hitlers Lippen, jedenfalls zuckt sein kantiges Bärtchen kurz nach oben. "Ich freue mich schon, Sie auf der Leinwand zu sehen, Fräulein Adler." Mir weicht jede Farbe aus dem Gesicht... Das ist doch nicht wirklich passiert oder?
"Alter, Ell, du stehst aufm Führa!?", ruft Irenka schockiert aus, plötzlich wieder ganz die Alte, wodurch ich so rot werde wie die Fahne an den Fassaden des Gebäudes.
Ich weiß nicht ob er es gehört hat, aber ich glaube, Goebbels in der Ferne lachen gehört zu haben...und so etwas wie „Ach ja du hast es also doch noch drauf" ...beunruhigend wenn der „Player" des Reiches stolz auf seinen Führer ist...
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