XIII - Floraler Rauch
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Nothing brings to life again a forgotten memory like a fragrance.
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„Du sahst gut aus als Lady Macbeth". Manuela ließ die Luft aus ihren Lungen, ungläubig sah sie die Ältere an, welche den Kopf wieder in den Nacken legte, die Augen schloss, „Diese Rolle stand dir fast noch besser als der liebestrunkene Romeo". Ein leiser Seufzer verließ ihre Lippen, während sie ihre Schultern spielerisch bewegte. Der zarte Stoff ihrer Robe glitt dabei von einer Schulter und enthüllte die zarte, weiße Haut darunter. Die Blicke der beiden Frauen trafen sich. „Die Kaiserin muss dich wirklich sehr gemocht haben", stellte Manuela fest, versuchend die Spiele der Älteren zu ignorieren. Wieder kicherte Elisabeth, griff in die seidene Tasche ihrer Robe und holte ein silbernes Etui heraus. Es war verziert mit floralen Ornamenten. Vergissmeinnicht, Narzissen, Lavendel, konnte Manuela erkennen. Geprägt mit größter Sorgfalt erkannte sie die Initialen E.v.B. am unteren Rand des Etuis. „Sagen wir es so...", begann sie und öffnete es, „Ich habe sie immer sehr bewundert und sie schien in mir etwas zu sehen". Noch während sie sprach glitt Manuelas Blick von ihren Augen zu dem Etui und zu dessen Inhalt. „Mir war nicht bewusst das du rauchst.", sagte sie. „Verdanke ich wohl auch der Kaiserin.", lächelte sie und nahm eine der Zigaretten heraus. Sie hatten eine sehr spezielle Prägung. Ähnlich dem Etui waren Blumen darauf zu sehen. Ganz von allein griff Manuela in die Tasche ihres Rockes und holte ein Feuerzeug hervor, welches sie normalerweise zum Anzünden der Lampen nutzte. Die Oberin lächelte nahm die Zigarette zwischen die Lippen und lehnte sich vor zu Manuela, welche das Zippo mit einem metallischen Klicken öffnete und die Flamme entzündete. Sie sahen sich tief in die Augen, als Elisabeths Zigarette langsam zu qualmen begann. Der Rauch stieg langsam gen Decke auf. Man hörte Elisabeth einen tiefen Atemzug nehmen bevor sie sich wieder an die Bühne lehnte, die Augen schloss und den Rauch in den Raum entließ. Manuela wusste nur zu gut wie Tabak roch und als Kind hatte sie es gehasst, doch dieser Tabak roch anders. Er roch nicht so herb, so raumdominierend, er roch milder, hatte schon fast etwas florales an sich, etwas süßes und sanftes. Manuela sank auf die Treppen, den Blick an der Älteren haftend, wie sie dort lehnte, ein Bein über das andere geschlagen, einen Arm unter der Brust, den anderen darauf stützend. Locker hielt sie die Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger, hatte die Augen genießend geschlossen. Es war ein erotischer Anblick zusammen mit der schwarzen Seidenrobe. Es juckte Manuela in den Fingern, doch sie blieb sitzen. „Du machst zumindest einen sehr kaiserlichen Eindruck", sprach sie. Elisabeth atmete aus. „So wie du. Auch dir merkt man ihre Führung an, meine Teure.", wieder zog sie an der Zigarette. Die Spitze leuchtete auf, bevor sie mit einem sanften Tippen die Asche zu Boden schickte. Verdutzt blickte Manuela sie an, welche auf den Gesichtsausdruck nur mit einem wissenden Lächeln zu antworten wusste. „Wie unschuldig du doch bist", scherzte sie und grinste durch den Rauch hindurch. Manuela sprang von ihrem Platz auf. „Ich glaube nicht, dass man mich als unschuldig bezeichnen sollte.", widersprach sie. „Ist das so?", fragte Elisabeth, ihre blauen Augen funkelten wie die dunklen Diamanten, welche an jenem Abend vor drei Jahren ihren Hals geziert hatten. Langsamen Schrittes trat Manuela auf sie zu, sah ihr fest in die Augen und als sie vor ihr war, der Abstand nur noch eine Armlänge betrug, griff sie nach dem seidenen Stoff der Robe zwischen ihren Brüsten und zog sie ruckartig zu sich heran. „Da ist sie ja", hauchte Elisabeth, legte einen Arm um Manuela und lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken zurück und blies den Rauch nach oben, „Meine Lady", damit schloss noch den zweiten Arm um sie. Manuela schloss ihren Arm fest um die Taille der Älteren, sie sog den sanften Geruch des Tabaks ein, welcher an Elisabeth haftete und küsste sie mit all der Intensivität, welche ihr zu Verfügung stand. Sie drückte sie nach hinten bis wieder sie an die Bühne stieß und hob sie auf diese.
Elisabeth lächelte in den Kuss hinein, ließ sich gern auf die Bühne heben und darauf ausbreiten. Bald lag sie schon auf ihrem Rücken, die Robe verrutschte und entblößte sie. Und auch, wenn sie faktisch in der Öffentlichkeit waren, störte es sie nicht, denn wenn sie ein was liebte, dann war es wie ein Künstler etwas betrachtete, wenn er es als Kunst sah. Manuela sah sie als Kunst, sie sah es in ihrem Blick, wie sie gestoppt hatte, als der Stoff zur Seite glitt, wie sie sich Zeit nahm ihren Körper zu betrachten, als habe sie ihn noch nie gesehen, wie ihre Hände sanft ihre Konturen entlang fuhren, wie ein Skulpteur über sein Handwerk. Sie genoss diesen intensiven Blick, welcher sie jung und begehrbar fühlen ließ, wie ein Kunstwerk, ausgestellt auf einer Bühne. „Du hättest es verdient gesehen zu werden", sagte Manuela und verstärkte ihren Griff an Elisabeths Hüfte, „Angestrahlt von goldenem Licht, so schön, so anmutig bist du. Ein Verlust für den Blick der Herren, ein Gewinn für den der Damen" Elisabeth lächelte bei diesen Worten und führte die Zigarette wieder an ihre Lippen, der markante Geruch stieg zwischen ihnen hoch auf, umhüllte sie. „Wie ein Ausstellungsstück?", fragte sie. Manuela beugte zu ihr vor, ihre rechte Hand griff nach Elisabeths linkem Handgelenk, welches neben ihrem Kopf ruhte und sah auf sie herab. „Wohl eher wie ein Kunstwerk. Unbezahlbar selbst für den Kaiser und seine Gattin." Das Lächeln auf Elisabeths Lippen wurde weiter als ihnen langsam der Rauch entwich. „Du hast ja keine Ahnung wie recht du damit hast." Eine kurze Weile war es still zwischen den Frauen, dann drückte sich Elisabeth hoch, ließ Manuela es ihr gleichtun. Sie nahm einen letzten Zug von der Zigarette und drückte sie dann auf der Bühne aus. „Du hattest Tanzunterricht bei Hof. Zeig mir was du gelernt hast, Manuela."
Etwas widerwillig stand Manuela auf und sah zu wie Elisabeth wissend lächelnd an ihr vor ging, die Robe wieder um ihren Körper schlingend und elegant von der Bühne tretend. „Du bist eine Sirene, Elisabeth von Bernburg", flüsterte Manuela. Nur wenig später spielte das Grammophon eine Melodie, erwartend füllte sie den Raum. Kein Walzer, wie Manuela bereits an den ersten Tönen erkannte. Kein Tanz, den man bei Hof lehrte. „Das lehrt man nicht bei Hof", stellte sie schmunzelnd fest und trat auf Elisabeth zu, welche ihre Hand bereits erhoben hatte. „Vielleicht nicht, nein. Und trotzdem kannst du es, hab ich recht?" Der Arm der Älteren schloss sich um Manuelas Taille und zog sie ein gutes Stück weiter an sich ran. Sie standen leicht versetzt. Es wäre gelogen, wenn Manuela sagen würde, sie fühle nicht wie ihr die Röte in die Wangen stieg bei dem Gedanken mit Elisabeth einen Tango zu tanzen. Dieser Tanz war aus guten Gründen nicht beliebt bei Hof. Er war wohl zu erotisch als das es noch angemessen wäre. Manuela hatte ihn von einem ehemaligen Liebhaber gelernt. Ein Kollege im Theater, eben jener welcher, wie der Zufall es wollte, Macbeth gespielt hatte, als das Fräulein im Theater gewesen war.
Der Tanz begann, wie für einen Tango üblich, sanft und ausdrucksstark und Manuela konnte nicht anders, als die Anspannung der vergangenen Tage fallen zu lassen, etwas schon fast notwendiges bei einem solch intensiven Tanz mit ausladenden, fließenden Figuren und Drehungen, welche einen so nah zusammen bringen. Noch mehr als bei allen anderen Tänzen galt hier: Er führt, sie folgt oder wie in diesem Fall: Elisabeth führte mit nie gesehener Eleganz und Sicherheit und Manuela folgte. Doch hatte der Tango auch andere Momente. Ocho. Manuela löste sich aus Elisabeths Armen und tanzte um sie herum, es folgte eine Drehung beider um die eigene Achse. Tango war einer der anspruchsvollsten Tänze, welche Manuela gelernt hatte und gleichzeitig wohl der Schönste, Einzigartigste und Intimste. Kein Walzer der Welt konnte dagegen anhalten. „Woher kannst du das so gut?", fragte Manuela und erhielt ein leichtes Grinsen von Elisabeth, während sie sie in die nächste Figur führte. „Eine nette Bekanntschaft", gab sie an und entließ Manuela ein weiteres Mal aus ihren Armen.
Der Tanz flog nur so dahin und bald schon kam er zu einem Ende. Beide sahen sich in die Augen, etwas aus der Puste, aber lächelnd. Wer hätte ahnen können, dass das beliebte Fräulein von Bernburg einen besseren Tango tanzen konnte, als die meisten Männer einen einfachen Walzer.
Mit einer so ausführlichen Nacht wie dieser, fiel es der jungen Lehrerin nur schwer rechtzeitig zur Andacht am nächsten Morgen im Saal zu erscheinen, um die Anwesenheit ihrer Schülerinnen zu überprüfen und nach schwerer fiel es ihr nicht ständig die Oberin zu ihrer Rechten anzusehen, welche, professionell wie immer, mit einem sanften Lächeln ihre Schülerinnen in den Tag begrüßte. „Meine Lieben, heute ist es soweit, heute dürft ihr mir und euren Müttern, sowie hoffentlich Heimgekehrten, das Schauspiel präsentieren". Applaus brach in der Halle los und es brauchte etwas seitens der Oberin, die Kinder zu beruhigen. Natürlich waren ihr auch nicht die Blicke jener Kinder entgangen, deren Brüder und Väter vielleicht nicht zurückgekehrt waren, doch hoffte sie, sie könnten heute trotzdem etwas Freude haben. „Gemach, gemach Kinder. Ihr wisst sehr gut, dass ihr vorher noch Unterricht habt. Nichtsdestotrotz erwarte ich euch alle heuten punkt 18 Uhr im Theaterraum" „Jawohl, Frau Oberin!" Es folgte das Morgengebet. Manuela verkniff sich ein Grinsen, während ihre Lippen das Vater Unser verließ. Keiner würde ihr glauben, dass die, das Gebet leitende, Oberin vor wenigen Stunden noch nahezu vollkommen entblößt auf der Bühne des Stifts gelegen hatte mit einer Zigarette zwischen den Fingern und der Sünde in den Augen.
Eiligen Schrittes durchquerte Manuela die Korridore zu ihrem Klassenzimmer. Die Tür öffnend erhaschte sie einen Blick auf eine Traube Mädchen, welche eng beieinander standen und tuschelten. Als sie hörten, wie die Tür sich öffnete, stoben sie auseinander wie ein Schwarm verschreckter Fische. Manuela kniff die Augen leicht zusammen, während sie die Tür hinter sich zuzog und beäugte die Mädchen mit Skepsis. „Guten Morgen, Mädchen." Alle erhoben sich hastig. „Guten Morgen, Fräulein von Meinhardis." Sie knicksten höflich und nahmen Platz. Normalerweise waren sie alle ruhig und aufmerksam, doch heute schienen sie unruhig, sie unterdrückten alle ein Grinsen und Kichern, wann immer Manuela ihren Blick von ihnen abwandte. Nach 15 Minuten, in welchen sie versuchte die Unruhe zu ignorieren, da sie vermutete es läge an dem Schauspiel, doch nun begann es sie zu nerven. Sie nahm eine tiefen Atemzug. Der Schlafmangel machte sie selbst unruhig. „Vangerow". Das Mädchen sprang nahezu von ihrem Stuhl, so erschrocken war sie über den ungewohnt rauen Ton der jungen Lehrerin. Manuela ob ihren Blick von ihren Notizen, ihre Hände lagen flach links und rechts von ihrem Büchlein, als würden sie sie erden. „Sei so gut und erkläre mir warum ihr heute so unruhig und unaufmerksam seid" Vangerows Blick wanderte für den Bruchteil einer Sekunde zu Ingrid Bourscheid, welche am Tisch rechts von ihr saß und die Lippen zusammenpresste. Alexandra von Vangerow begann nervös mit dem Rock ihrer Uniform zu spielen als sie sagte: „Wir freuen uns so sehr auf das Theater, Fräulein." Manuela faltete die Hände. Die Stimmung im Raum war angespannt. „Ist das so?", fragte sie nach. „Ja, Fräulein.", Vangerow machte einen förmlichen Knicks, um ihre Aussage zu untermalen. Manuela glaubte ihr nicht wirklich. Sicherlich sah sie es als Möglichkeit an, aber für dafür waren sie doch etwas zu sehr unruhig. Sie beließ es aber dabei und ließ Vangerow sich setzen. Ihr Blick wanderte kurz zu Bourscheid, welche noch immer die Lippen zusammendrückte, den Blick auf die Bank vor sich geheftet. Sie griff nach ihrem Stift und machte sich eine Notiz am Rand ihres Heftes: ‚Tornow'. Anschließend fuhr sie normal mit dem Unterricht fort und auch wenn es merklich ruhiger war als nur kurz davor, so musste sie zwingend einsehen, dass eine vollkommene Ruhe heute wohl nicht zu erreichen war.
Etwas frustriert vom Unterrichtsverlauf, begab sich Manuela zur Pausenaufsicht in dem Hof. Ihren dicken braunen Mantel, mit Fellkragen zuknöpfend, lief sie die Treppe der Eingangshalle hinab und bereits beim Hinaustreten, sah sie Maria von Tornow und Ingrid Bourscheid ganz aufgeregt miteinander tuscheln und es brauchte nicht länger als fünf Minuten um andere Mädchen um sie herum zu versammeln. Manuelas Blick fiel auf Fräulein Ehenheim, welche mit ihr gemeinsam Aufsicht hatte und großen Schrittes sich auf die Mädchen zubewegte, um zu sehen was los war. Es reizte Manuela sich zu ihr zu gesellen und herauszufinden, was genau heute los war, aber sie brauchte es nicht, denn noch bevor sie sich ihre Handschuhe fertig anziehen konnte, stoben die Kinder bereits auseinander und nur Ingrid und Maria blieben stehen und schienen eine Ansage von Ehenheim zu bekommen. Seit Madame Dumais' plötzlicher „Kündigung", hatte Fräulein Ehenheim ihre Klasse übernommen und in dieser war Maria.
Manuela atmete tief durch und trat auf Ehenheim zu, welche gerade beide Mädchen wegscheuchte. Sie wandte sich Manuela zu und schloss kurz seufzend die Augen. „Sie fallen in alte Muster zurück.", sagte sie genervt, „Sie haben den Mädchen gerade von etwas erzählt, was sie gestern Abend wohl gesehen haben. Sie haben sich wieder einmal rausgeschlichen. Das kann so nicht weiter gehen!" In Manuela keimte etwas. „Ich werde mich dessen annehmen, Katerina.", versicherte Manuela und blickte den beiden Mädchen hinterher.
Es klopfte. Manuela sah von ihren Heften auf, welche sie grade zu korrigieren versuchte, bevor sie eine weitere Stunde hatte. „Herein". Die Tür öffnete sich und Maria von Tornow trat ein, zusammen mit Ingrid von Bourscheid. Beide standen sie nervös an der Tür und sahen auf den Boden. „Was bring euch hier her, meine Damen", fragte Manuela höflich und legte den Stift weg. „Fräulein von Ehenheim schickt uns", erklärte Bourscheid, „Sie sagte, sie wöllten mit uns beiden sprechen". „Ah ja, genau", sagte Manuela erfreut und deutete auf die Stühle vor ihrem Schreibtisch, „Bitte, nehmt Platz ihr beiden". Mit langsamen Schritten schlichen die Beiden schon fast zu den Stühlen und setzten sich hin. Für einen Augenblick herrschte Stille im Raum. Diese Gelegenheit nutzend, betrachtete Manuela beide Frauen ausführlich und ließ die Spannung im Raum mit Absicht ansteigen. „Fräulein von Ehenheim teilte mir mit ihr beide wäret wieder einmal des Nachts im Stift unterwegs gewesen?", richtete sie schließlich die Frage an beide Mädchen, betrachtete sie streng und zog ein weiteres kleines Buch hervor, schlug es auf und drehte es den Damen zu. „Das sind eure Verfehlungen", das Buch zeigte mehrere Einträge, „ Sollte das so weiter gehen, werden eure Eltern informiert werden müssen und ich bezweifle, dass ihr das wollt und ich kann euch versichern, dass auch ich nicht den geringsten Wunsch verspüre euch vor euren Eltern bloß zu stellen". Die Mädchen sahen sich kurz an, dann sagte Tornow: „Es tut uns leid, Fräulein von Meinhardis. Es wird definitiv nicht mehr vorkommen." Manuela drückte angespannt ihren Rücken durch. „Ja, Fräulein, es tut mir leid, dass ich Ihr Vertrauen in mich missbraucht habe, es wird nicht mehr vorkommen", entschuldigte sich Bourscheid. Manuela nickte, sie hatte die Mädchen schließlich wegen etwas anderem hergebeten. „Schon gut. Ich gehe davon aus, dass ihr den Ernst der Lage versteht, daher werde ich von einer Korrespondenz mit euren Eltern absehen.", sie lächelte in Richtung der Mädchen, welche erleichtert die Luft aus ihren Lungen ließen. Es schellte. „Geht zurück in eure Klassen", sagte Manuela, doch bevor beide verschwinden konnten, „Tornow". Das Mädchen blieb schlagartig stehen. „Bleib noch einen Moment", Manuela sah in Ingrids entgeistertes Gesicht, „Du kannst gehen, Bourscheid. Sag den Mädchen, ich komme einen Moment später." Das Mädchen knickste höflich und verließ, sichtlich angespannt, den Raum. Bourscheid konnte sie nicht befragen, sie würde nie reden, aber Maria... Manuela faltete erneut an diesem Tag die Hände und beschloss direkt zu sein. „Sag mir Tornow, was ist es, was so spannend ist, dass es euren ganzen Jahrgang in Unruhe versetzt". Das Mädchen zog sichtlich stark die Luft ein und verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Manuela stand auf, stützte sich auf dem Tisch ab und lehnte sich vor. „Ihr werdet doch wohl keine Lügen verbreiten?" Sie zuckte etwas zusammen: „Nein, nein, Fräulein von Meinhardis. Niemals. Es ist nur so, das...", sie machte eine kurze Pause und überlegte. Manuela lächelte freundlich dem Mädchen entgegen. Sie sah zu Boden, zupfte an ihrer Uniform herum und biss sich auf die Unterlippe. „Wir verbreiten keine Lügen, Fräulein. Ingrid und ich waren gestern Abend außerhalb unserer Schlafsäle und wir kamen an dem Theaterraum vorbei...", sie machte eine kurze Pause, um Manuelas Reaktion zu sehen, welche ruhig und gelassen nach Außen hin blieb. „Wir sahen hinein, weil die Tür offen war und das Licht an, was vorher nie der Fall gewesen war...", wieder eine kurze Pause. Manuelas Gesicht blieb regungslos. „ Wir haben Sie und die Frau Oberin gesehen, wie sie eng beieinander standen..." Manuela biss sich kurz auf die Unterlippe und verfluchte ihre Unvorsichtigkeit, die Tür musste nicht richtig geschlossen haben..., dann nahm sie wieder Platz. „Danke, Maria, du kannst gehen", das Mädchen wandte sich zum gehen und Manuela griff scheinbar ruhig nach ihrem Federhalter, „Aber bitte", das Mädchen blieb wieder stehen, „Seht davon ab Dinge weiterzuerzählen, welche ihr falsch verstanden haben könntet." Die Tür schloss sich und Manuela blickte sie starr an. Natürlich hatten die Mädchen nichts falsch verstanden, aber ihnen das zu sagen, war, Gott weiß, zu gefährlich.
Elisabeth seufzte und zog ihr Korsett noch etwas enger. Etwas nervös war sie doch, auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte. Sie griff nach ihrem Unterrock und zog ihn über ihren Kopf. Gerade in diesem Moment klopfte es an ihrer privaten Tür. „Wer da?", fragte sie laut. „Ich bin es", ertönte Manuelas Stimme. „Herein", sagte Elisabeth mit einer viel sanfteren, schon fast erotisch anmutenden Stimme. Die Tür öffnete sich und Manuela trat ein. Sie war gekleidet in ein dunkelblaues Damastkleid, welches einen schlichten Schnitt aufwies. Die Spottdrossel über ihrem Herzen glänzte aufwendig im Schein des Lichtes. Als Manuela sah, das Elisabeth eben jenes beige-farbene Kleid anzog, welches sie damals zu Manuelas Zeit getragen hatte, musste sie lächeln. „Da werden Erinnerungen wach", sprach sie und trat hinter die Ältere, half ihr die Knöpfe zu verschließen. Elisabeth lächelte verträumt. „Du siehst wunderschön aus, Manuela". Manuela lächelte und schloss ihre Arme fest um das Fräulein, welche leicht summte. „Sag, meine Teure, was liegt dir auf dem Herzen?" Manuela verstärkte ihren Griff. „Ich merke doch, das dir etwas auf der Seele lastet, ich sehe es in deinen Augen." Die Ältere drehte sich in der Umarmung der Jüngeren. Kurz standen sie so da, teilten einen Kuss. „Ich möchte dich nicht beunruhigen.", sagte Manuela und griff nach der Perlenkette, welche Elisabeth in den Händen hielt. Langsam legte sie das teure Stück um den eleganten Hals der Älteren. „Ist es wegen dem Stück?", fragte sie und drehte sich wieder um, um in den Spiegel zu sehen. Ihr kritischer Blick wanderte ihren Körper auf und ab, gefolgte von ihren Händen, welche über ihre Taille strichen. „Nein, das ist es nicht." Elisabeth beugte sich vor und seufzte leise, als sie ihr Gesicht und die leichten Falten am äußeren Rand ihrer Augen betrachtete. „Sei nicht so kritisch mit dir", hauchte Manuela und sah sie mit verträumten Augen an. Sie war so wunderschön. „Älter zu werden ist nicht einfach...Genug davon, sag schon, was ist los?". Manuela schluckte schwer. „Man hat uns gestern Abend gesehen". Schlagartig wurde der Gesichtsausdruck der Oberin ernst. Sie richtete sich auf. „Wie bitte?" „Bourscheid und Tornow wandelten gestern Abend des Nachts". Elisabeth zog scharf die Luft ein. „Ich habe mit Tornow gesprochen und habe sie drauf hingewiesen, dass man nicht über Dinge sprechen sollte, welche man falsch verstanden haben könnte." „Hoffen wir, lieber, dass die Mädchen schlau genug sind, es bei sich zu behalten." „Ich denke, das tun sie", versicherte Manuela und küsste Elisabeths Hand, um sie zu beruhigen. „Sie wissen ja selbst, welche Konsequenzen das nach sich zieht und mal ganz abgesehen davon...Glaubst du die Mütter der Mädchen glauben ihnen?" Elisabeth nickte angespannt und strich den Rock ihres Kleides glatt. Manuela entschied, es war wohl besser, ihr nicht zu erzählen, dass die Mädchen wahrscheinlich bereits ihre gesamte Altersklasse eingeweiht hatten, in was sie ihrer Meinung nach gesehen hatten. „Lass uns hinunter gehen", beschloss Elisabeth und befestigte selbst, seit langer Zeit einmal wieder, die Spottdrossel über ihrer Brust.
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