IV - Frau Oberin
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Even before you touched me, I belonged to you;
all you had to do was looking at me.
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So ging der Monat dahin. Manuela war innerhalb dieser wenigen Wochen zu einer sehr angesehenen und engagierten Lehrerin geworden. Besonders das Fräulein von Adelsheim schien gefallen an der aufgeweckten Frau zu finden und band sie immer mehr mit in höhere Pflichten ein. Von ihren Kollegen wurde Manuela gern gesehen und ihre Freundschaft zu Adrienne war immer tiefer geworden.
Auf ihren gelegentlichen Spaziergängen erzählte Adrienne viel von ihrer Heimat in Frankreich und beschwerte ich über den Krieg. Ihren Unmut konnte Manuela nur allzu sehr nachvollziehen, hatten die Schlachten doch nur allzu viele Leben gefordert. Auf beiden Seiten. Des Weiteren verfiel Adrienne immer wieder in Schwärmereien über die Oberin, welche Manuela immer noch nicht getroffen hatte. Sie erzählte von ihrer Schönheit und ihrem guten Herzen, ihrem zauberhaften Umgang mit den Kindern und wie sehr im Stift um ihre Gunst gekämpft wurde. „Im übertragenen Sinne natürlich", hatte sie damals angefügt und die Hände zu beiden Seiten leicht erhoben.
Die Schülerinnen waren von ihrer neuen Lehrerin sehr angetan. Wie Adrienne angemerkt hatte, waren einige wirklich den Schwärmereien verfallen, was sie selbst so gut es ging zu ignorieren versuchte. Es zwang sie unweigerlich sich zu fragen, ob auch das Fräulein von Bernburg damals gewusst hatte, wie die Herzen der Mädchen bestellt waren. Nicht nur ihr eigenes, sondern auch das von Alexandra von Treskow. Was Bourscheid anbelangte, so verließ sie tatsächlich nicht mehr das Zimmer bei Nacht, oder stellte sich zumindest geschickter an. Manuela bewahrte ihr Geheimnis und behandelte sie nicht anders als alle anderen ihrer Schülerinnen.
Es war der erste Mittwoch des Monats November. Der Wind war rau und das Wetter ungemütlich geworden. Nach dem Unterricht fanden sich alle Lehrerinnen zu einer Besprechung zusammen, um etwaige Neuigkeiten zu besprechen.
„Bourscheids Verhalten hat sich sehr zum Positiven gewandelt", sagte Adelsheim, während sie die verschiedenen Tadelhefte durchsah. „Ich bin sehr positiv von ihren Erziehungsmethoden überrascht, Meinhardis." Manuela nickte anerkennend. „Ich danke, aber letztlich hat es nichts als ein ruhiges Gespräch im Vertrauen gebraucht." „Dennoch. Sie sind die Erste, mit der sie sprechen wollte", warf Fräulein von Ehenheim ein und bedachte Manuela mit einem Lächeln. „Zu weilen reicht es, den Mädchen zu zeigen, dass man ihre Sorgen ernst nimmt."
Die Besprechung fuhr fort und ohne große Vorkommnisse. „Eine letzte Ankündigung habe ich zu machen", meinte Adelsheim, bereits im Begriff ihre Hefte zusammenzupacken, „Die Frau Oberin wird heute Abend in den Stift zurückkehren, weshalb es diese Woche ausnahmsweise zwei Besprechungen geben wird. Ich werde euch mitteilen, wann die zweite stattfinden wird." Bei dieser Ankündigung merkte Manuela, wie Adriennes Lächeln breiter und heller wurde. Sie schien sich wirklich sehr zu freuen, schon bald etwas zu sehr, wenn man das Leuchten in ihren Augen betrachtete. Manuela beschloss es nicht weiter zu beachten und packte ihre Sachen zusammen.
Später am Abend trat Manuel in den Schlafsaal ihrer Mädchen, wo gerade reges Treiben herrschte. Die Mädchen eilten in das Badezimmer, um sich waschen zu gehen. „Kommt, nicht trödeln!", hielt Manuela die Mädchen an und klatschte in die Hände. „Weidenberg, du kannst morgen deinen Brief fertig schreiben. Geh dich waschen, na los." Das Mädchen erhob sich schnell und machte einen Knicks. „Jawohl, Fräulein von Meinhardis." Als alle Mädchen aus dem Schlafsaal raus waren, ging sie ihnen hinterher in das Bad. „Nicht zu viel Wasser verschwenden, schnell hintereinander weg!" Sie griff vorsichtig nach den roten Locken einer ihrer Schülerinnen. „Genauer, Ebersberg, da ist noch Seife drin." „Jawohl, Fräulein von Meinhardis." „Elsenburg, keine Katzenwäsche." „Jawohl, Fräulein von Meinhardis."
„Wenn ihr alle fertig seid, löscht ihr das Licht. Ich komme in 15 Minuten wieder, um euch gute Nacht zu sagen. Bis dahin seid ihr alle fertig." Sie verließ den Schlafsaal. Da es Winter wurde, war es schon längst dunkel draußen und die Gänge dämmrig, gerade hell genug, um zu sehen wohin man ging. Auch die Öllampen an den Wänden spendeten nur mäßig Licht. Auf ihrem Weg zum Treppenaufgang, betrat sie den oberen Gang der Eingangshalle, welcher sie an den Wänden entlang erstreckte. Blickte man hinunter, konnte man von Manuelas Position aus die Haupttreppe zu ihrer linken und das Eingangsportal zu ihrer rechten erkennen. Der große Kronleuchter war erloschen und nur kleine Lampen erhellten spärlich den großen Raum. Eigentlich hatte Manuela einfach nur weiter gehen wollen, ohne das Geländer hinunterzuschauen, doch als sie eine Person auf den Haupttreppen sitzen und warten sah, da blieb sie stehen. In der halben Dunkelheit erkannte sie gerade so die blonden Haare von Adrienne, welche schon immer besonders in schwachem Licht sehr schön golden geleuchtet hatten. Sie saß auf der Treppe, die Hände in ihrem Schoß gefaltet und auf die Tür sehend. Manuela blickte auf die große Uhr. In fünf Minuten war es neun Uhr abends. Was war es worauf sie wartete?
Gerade als Manuela auf sich aufmerksam machen wollte, um ihre Freundin zu fragen, worauf sie warten würde, hörte sie wie sich die Eingangsportale öffneten, gefolgt von dem klackenden Geräusch hoher Schuhe. Eine Person war eingetreten. Sie trug einen Mantel mit Kapuze gegen den peitschenden Wind und den Regen, welcher draußen seit geraumer Zeit wütete. Manuela konnte das Gesicht der Person nicht erkennen, aber befand ihren Schritt für sehr schwungvoll und elegant.
Adrienne erhob sich und lief schnell die Stufen zu der anderen Person hinunter. Sie machte einen tiefen Knicks, wodurch Manuela dämmerte, dass diese Person dort die Oberin des Stiftes sein musste. Die Oberin nahm Adriennes Hände und erhob sie aus ihrem Knicks. Manuela war zu weit weg, um zu verstehen was gesagte wurde, doch sah sie, wie die Oberin ihre Hand für einen kurzen Moment an die Wange von Adrienne legte, bevor an ihr vorbei ging und die Treppen nach oben trat. Dumais folgte ihr mit etwas Abstand.
Die Uhr schlug zur vollen Stunde, was Manuela veranlasste umzukehren und ihren Mädchen eine gute Nacht zu wünschen. Den jungen Frauen fiel allerdings auf, dass ihre Klassenlehrerin etwas zu bedrücken oder zumindest zu beschäftigen schien. Die sonst so frohe, wenn auch strenge Lehrerin, wirkte etwas klamm und in Gedanken versunken. Eigentlich war es Schülerinnen nicht gestattet sich nach dem persönlichen Befinden einer Lehrkraft zu erkundigen, doch war das Verhalten ihrer Lehrerin so ungewöhnlich, dass sich eine von ihnen entschloss nachzufragen. „Fräulein von Meinhardis?", fragte Magdalena von Weidenberg in dem Moment als Manuela im Begriff war das Licht zu löschen. „Ja, Weidenberg, was gib es?" Das Mädchen trat hervor. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung? Sie wirken so ... in Gedanken versunken." Kurz war Manuela etwas überfordert mit der Frage, da sie sie wirklich nicht hatte kommen sehen. Wie sollte sie reagieren? Ausweichend, ehrlich oder doch streng? Sie entschloss sich für einen Mittelweg, auf welchem sie die Frage weder beantworten musste noch ihre eigene unbeantwortet lies. „Ja, mir geht es gut. Aber vielleicht könnt ihr Mädchen mir eine Frage beantworten?" Jetzt machte sich die Arbeit der letzten Wochen bezahlt. Die Mädchen vertrauten ihr und waren bereit ihr zu helfen. Manuela nahm sich also einen Stuhl und nahm Platz. „Die Frau Oberin und Fräulein Dumais, welches Verhältnis haben die beiden zueinander?" Ihr war durchaus bewusst, dass es unprofessionell war, was sie hier tat, doch war ihre Neugierde nicht zu bremsen, vor allem, da ihr die Art und Weise wie die Oberin lief und sich gebar so bekannt vorkam und ihre Interaktion mit Dumais so intim. Die Schülerinnen sahen sich kurz an bevor Ingrid begann zu antworten. „Das ist schwer zu sagen. Die Frau Oberin ist eine sehr private Person. Sie ist zu jedem gleich freundlich, aber manchmal kommt es vor, dass man doch das Gefühl hat, sie könne zu jemanden besonders höflich und freundlich sein." „Madame Dumais steht tief in ihrer Schuld und ist ihr für vieles sehr dankbar, vielleicht fasst sie etwas anders auf als es gemeint ist", mutmaßte Elsenburg. „Meiner Meinung nach ist Madame Dumais definitiv der "Liebling" der Oberin. Man sieht sie häufig zusammen", ergänzte Vangerow. „Ich glaube, das Ganze ist eher einseitig zu betrachten. Das Madame Dumais die Oberin sehr zu mögen scheint, ist offensichtlich, aber ich glaube nicht, dass die Oberin sie bevorzugt, behandelt", gab Auerswald zu bedenken. Manuela hörte sich noch einige weitere Argumente an, bevor sie sich herzlichst bedankte und den Schlafsaal verließ.
Kaum das die Tür geschlossen war, traf sie auf Adrienne, welche aus Richtung der Eingangshalle auf Manuela zu kam. „O, mon dieu", sagte sie, „Ich habe vollkommen die Zeit vergessen!" Damit lief sie schnell an ihr vorbei, blieb an der Tür ihres Schlafsaals stehen, strich sich den Rock glatt und trat ein. Manuela sah noch eine kurze Weile auf die Tür, bevor sie sich auf den Weg in ihr Zimmer machte, wobei ihr auffiel, dass es viertel nach neun war. In den vergangenen Wochen hatte Manuela Adrienne als sehr gewissenhafte und pünktliche Person kennengelernt. Nie hatte sie erlebt, dass sie sich verspätete und jetzt, so kurz nach dem Eintreffen der Oberin, verspätete sie sich um gut 15 Minuten.
Sie konnte nicht sagen, dass sie dieses Verhalten gutheißen konnte, doch ging es sie eigentlich auch nichts an, weshalb sie einfach weiter in Richtung ihrer Räume ging.
Am darauffolgenden Morgen war die Oberin noch nicht zum Frühstück anwesend. Fräulein von Adelsheim entschuldigte sie mit der Angabe, dass sie noch einen letzten Termin bezüglich des Versorgungsthemas hätte, welcher sehr früh stattgefunden habe. Manuela nahm diese Information entspannt zur Kenntnis und verfuhr mit ihrem Tag wie sie es gewohnt war. Zufrieden vermerkte sie in ihren Unterlagen wie gut ihre Mädchen lernen würden und dass auch leistungsschwächere Schülerinnen langsam aufzuholen und Freude an der Lektüre zu finden schienen. Den "Vorfall" der vergangenen Nacht hatte die junge Lehrerin schon beinahe vergessen als Adrienne sich während ihrer Aufsicht auf dem Schulhof neben sie auf eine der Bänke setzte.
Manuela ließ ihr Buch sinken und sah hinüber zu ihrer Freundin, deren Haltung etwas angespannt schien. „Stimmt etwas nicht?", fragte Manuela, während ihr Blick über die mit braunen Blättern bedeckte Wiese schweifte. Der Kälte nach zu urteilen könnte es bald zu schneien beginnen. Adrienne schluckte. „Man hat die Königsfamilie abgesetzt", sagte sie knapp, „Sie sind wohl ins Exil geflohen." Etwas überrumpelt von dieser Information starrte Manuela ihre Freundin einfach nur an. „Wer hat dir das erzählt?", fragte sie nach, die Stirn runzelnd. „Die Frau Oberin." „Sie hat dir das erzählt?" Adrienne nickte. „Sie war sehr gestresst." „Verständlicher Weise, das sind keine guten Nachrichten. Wir müssen hoffen, dass es einen Waffenstillstand geben wird, sonst stehen die Alliertentruppen bald vor Berlin", gab Manuela besorgt zu bedenken und rückte ihren Hut zurecht, welcher von dem Wind leicht verweht wurde. „Glaubst du es wird soweit kommen?" Ein Seufzen verließ Manuelas Lippen und sie tippte nervös mit ihren Fingerspitzen auf den Einband ihres Buches. „Ich kann nicht hellsehen, aber wenn, wer auch immer es nun sein wird, diese Verhandlungen aus Stolz nicht führen will, dann klopft der Krieg an unsere Landesgrenzen und nicht mehr nur an die französische." Adrienne ließ den Kopf etwas hängen. In ihren Augen glänzte Sorge. „Ich mache mir Sorgen um die Frau Oberin. Sie ist so seltsam abweisend, seit sie wieder da ist." Wieder konnte Manuela nur seufzen. „Sie wird, wie schon erwähnt, viel zu tun haben, meinst du nicht auch? Ich glaube nicht, dass es an dir liegt."
Aus dem Schulgebäude heraus trat das Fräulein von Adelsheim, welches zielstrebig die beiden Damen ansteuerte. Die alte Dame war in einen dicken Mantel gehüllt und wie immer zierte ein Lächeln die schmalen Lippen. „Guten Abend, meine Damen", begrüßte sie die Lehrerinnen, welche ihr freundlich zunickten. Adelsheim wandte sich an Manuela. „Fräulein von Meinhardis, die Oberin wünscht sie zu sehen." Verwundert warf Manuela einen Blick auf ihre Taschenuhr. „So kurz vor dem Abendessen?" „Sie wünscht Sie nur schnell persönlich im Stift willkommen zu heißen." Adelsheim machte eine einladende Bewegung in Richtung des Schulgebäudes. „Nach Ihnen."
Einmalmehr fand sich Manuela nervös auf den Gängen des Stiftes vor. Sie fühlte sich wie an ihrem ersten Tag und je näher sie dem Büro der Oberin kamen, desto nervöser wurde sie. Vor der Tür angekommen, straffte sie ihre Haltung und atmete tief ein, als Adelsheim die Tür öffnete und sie beide eintraten. „Frau Oberin, ich bringe Ihnen Fräulein Manuela von Meinhardis."
Mit allem hatte Manuela gerechnet. Mit wirklich allem. Jeden hatte sie auf diesem Stuhl sitzen sehen. Jeden, außer der Person, die sie nun mit ihren leuchtenden blauen Augen ansah. Manuela hörte ihr Blut in ihren Ohren rauschen und von jetzt auf dann schien es ihr unmöglich sich zu bewegen. Das Atmen fiel ihr schwer. Vor ihr in einer weißen Bluse gekleidet, die braunen Haare streng hochgesteckt, die Wangen von einem leichten Rosaton aufgrund des Wetters, saß Elisabeth von Bernburg.
Die Zeit schien still zu stehen. Die Überraschung stand beiden Frauen ins Gesicht geschrieben und für einen Moment konnten beide nicht mehr tun als sich in die Augen zu sehen. Momente der Vergangenheit blitzten vor Manuelas geistigem Auge auf. Erinnerungen, welche ihr Herz zum raßen brachten. Die Augen des Fräuleins schienen sie zu durchbohren als blickten sie in das tiefste Innere von Manuelas Seele und mit jedem Atemzug, den die fähig war zu tun, füllte dieser wunderbare Duft ihres Parfums ihre Lungen, vernebelte ihre Sinne.
Nach einiger Zeit, welche sich anfühlte wie eine Ewigkeit, schien sich die Ältere von Beiden einigermaßen gefangen zu haben, denn sie verfiel einem sanften Schmunzeln und löste den Blick. Elegant erhob sie sich, sah ihr erneut in die Augen. „Ich danke Ihnen, Fräulein von Adelsheim. Sie können nun gehen. Ich würde gern Fräulein Meinhardis unter vier Augen willkommen heißen." Diese Stimme... Manuela fühlte wie ihre Beine zu zittern begangen. Nichts an ihr hatte sich verändert. Sie war noch immer so elegant und graziös, ihr Blick warm und herzlich, ihre Stimme stark und professionell wie vor acht Jahren. Das einzige, was neu war, waren die vereinzelten grauen und weißen Haare an ihren Schläfen, welche ihre Schönheit jedoch nicht zu schmälern vermochten.
Von der anfänglichen Überraschung und dem Schock, schien Adelsheim nichts bemerkt zu haben, denn sie sank in einen respektablen Knicks und verließ dann das Büro, ließ Manuela und Fräulein von Bernburg allein. Kurz wurde es still zwischen den beiden. Manuela war immer noch erstarrt, konnte nichts tun. Nicht sprechen, nicht laufen. Nicht einmal in den Knicks konnte sie sinken. Alles, was sie konnte, war das Fräulein ansehen und versuchen zu erfassen, dass das Wirklichkeit war und kein Traum.
Sie konnte es nicht wissen, aber Elisabeth von Bernburg ging es nicht wirklich anders. Auch sie versuchte Haltung zu bewahren. Als Adelsheim ihr von der engagierten neuen Lehrkraft erzählte, hatte sie nicht damit gerechnet, dass es sich um Manuela von Meinhardis handeln sollte, war ihre letzte Information doch gewesen, sie arbeite in den Diensten der Prinzessin am königlichen Hoftheater. An diesem Stift hatte sie sie nie und nimmer erwartet, dennoch freute sie sich in ihrem Inneren die Frau zu sehen, welche vor ihr stand und so viel reifer und erwachsener war als das Mädchen, welches sie zu ihrem eigenen Schutz zurückgelassen hatte.
Wieder war Bernburg die Erste, welche sich regte. Sie trat um den Schreibtisch herum, lehnte sich an die Tischplatte und lächelte Manuela an, welche ihr Herz hochschlagen fühlte. „Es freut mich sehr dich zu sehen", begann sie zu sprechen. Ihre Gesichtszüge verrieten Stolz. „Es ist lange her, aber du hast dich gemacht, Meinhardis. Was für eine respektable junge Dame du doch geworden bist...", ihr Blick wanderte an ihr auf und nieder, verursachte eine Gänsehaut auf Manuelas Haut, „Fräulein von Adelsheim hat nur Gutes von dir zu berichten. Es freut mich zu hören, dass auch die Mädchen gut unter deiner Leitung zu lernen scheinen." Manuela erwachte aus ihrer Starre und sank in den schon längst überfälligen Knicks. „I-Ich danke Ihnen für das Kompliment, Frau Oberin." Etwas in ihr sträubte sich sie bei ihrem Namen zu nennen, es war als müsse sie dann endgültig akzeptieren, dass ihre Jugendliebe vor ihr stand und nun ihre Vorgesetzte war.
Fräulein von Bernburg sprach weiter: „Hast du dich denn gut hier eingelebt, Manuela?" Vor dem Namen ihrer ehemaligen Schülerin machte sie eine kurze Pause, als habe sie überlegt ihn wirklich auszusprechen. Bei Manuela selbst erweckte ihr Name aus ihrem Mund die letzte Erinnerung, welche sie an das Fräulein hatte. Sie erinnerte sich, wie sie oben am Ende der Treppen stand, wie die Arme ihrer Kommilitonen sie festhielten und wie sich zu wehren versuchte. Erst unter der Aufforderung es Fräuleins von Bernburg ließen die anderen von ihr ab und dann passierte es... Sie hörte, wie ihr geliebtes Fräulein sie beim Namen nannte. Nichts als ein sanftes Hauchen war es gewesen und doch so machtvoll.
Plötzlich und mit einem Mal schien Manuela die Kontrolle über ihre Haltung zu verlieren. Die Schuldgefühle gegenüber dem Fräulein von Bernburg übermannten sie, ihre Beine gaben nach und sie sank auf den Boden. „Es tut mir so leid...", hauchte Manuela, während sie verzweifelt auf sah, „Ich bin Schuld... Sie hatten das nicht verdient. Nur wegen mir haben Sie den Stift verlassen müssen, weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte. Es tut mir so leid..., Fräulein von Bernburg."
Das Fräulein sah traurig zu ihr herab. Ihre Gesichtszüge waren denen von vor acht Jahren so ähnlich, dass Manuela mit den Tränen kämpfen musste. „Ach Manuela...Es nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest", versicherte Fräulein von Bernburg und reichte Manuela die blasse Hand. Diese ergriff sie nach kurzem Zögern und sah wieder auf, direkt in die blauen Augen des Fräuleins.
Wieder fiel ihr die Schönheit der Frau auf. Die porzellanweiße, weiche Haut, die roten Lippen, die blauen Augen in denen goldene Punkte funkelten... „Bitte, Manuela, hänge nicht zu sehr an der Vergangenheit, schaue nach vorn. Ich hätte den Stift früher oder später verlassen, auch ohne diesen einen Vorfall. Die Ansichten der Oberin und die meinen, waren einfach zu verschieden, schon von Beginn an."
Ihr so nah zu sein nahm Manuela den Atem. Lang vergessen geglaubte Gefühle ließen Schmetterlinge in ihrem Bauch fliegen. Verlegen sah Manuela zur Seite. „Dennoch habe ich Ihrem Ruf geschadet." Fräulein von Bernburg lächelte sanft und schüttelte den Kopf. „Bitte mache dir darüber keine Gedanken mehr. Es ist bald über acht Jahre her..." Nach einem Moment der Stille, in welcher Manuela wieder nur die Schönheit der Frau bewundern konnte, sprach sie: „Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit dir" Während sie immer noch die Hand ihrer ehemaligen Schülerin hielt, drückte sie diese leicht und ließ sie dann los. Manuela sank erneut in einen tiefen, aber anmutigen Knicks. „Ich freue mich ebenso, Fräulein von Bernburg."
Der Gong läutete zum Abendessen und beendete das unerwartend anstrengende Gespräch der beiden Frauen. Als sie das Büro verließ, holte Manuela tief Luft und hielt eine Hand an ihre Brust. Es raste und klopfte schmerzhaft stark gegen ihre Rippen. Ihre Beine waren wie Pudding, ihr Kopf schmerzte, doch ihr blieb nicht viel Zeit. Auch wenn Fräulein von Bernburg entspannter war, als die Oberin ihres alten Stiftes, legte sie mindestens genau so viel Wert auf Pünktlichkeit.
Wenige Minuten nach dem Gespräch trat sie in den Speisesaal, ihre Haltung tadellos. Ihr Platz war der neben der Oberin, welche die Schülerinnen nun herzlichst willkommen hieß. Niemand merkte etwas von dem nervenaufreibenden Gespräch, welches nur wenige Minuten davor stattgefunden hatte. Während des Essens selbst, sah Manuela häufiger zu dem Fräulein hinüber, ihre Schönheit und Anmut bewundernd und verstehend, warum die Schülerinnen sie so liebten.
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