II - Fräulein von Meinhardis

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Like the sun, I'll shine everything needs time and I'll be fine (again).

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Sehr geehrtes Fräulein von Meinhardis,
unser Stift freut sich sehr zu hören, dass Sie sich für die Stelle entschieden haben.
Das neue Semester wird am 30.September 1918 beginnen. Ich würde Sie jedoch bitten zwei Tage vorher anzureisen, so können Sie sich bereits etwas eingewöhnen, ebenso wird eine Vorstellung bei Ihren neuen Kollegen anstehen, sowie einige Vorbereitungen für das Stiftleben.
Ich werde sie am 28.Sepember 1918 vor dem Konventsgebäude in Empfang nehmen.
Bis dahin verbleibe ich mit den freundlichsten Grüßen,

Fräulein Maria von Adelsheim
Stellvertretende Stiftleiterin

Manuela ließ den Brief sinken und sah aus dem Fenster ihrer Kutsche auf die sich verändernde Landschaft. Sie hatten nicht weit fahren müssen, um die Häuserreihen Potsdams hinter sich zu lassen. Sie blickte nun auf weite Felder, welche brach lagen, auf Wälder von Laubbäumen mit feurig roten Kronen. Der Himmel war von hellgrauen Wolken verhangen und es war kälter geworden obgleich es erst kurz nach Mittag war. Seit etwa einer Stunde fuhr sie durch die Landschaft. Sie hatte keine Ahnung, was sie zu erwarten hatte, wusste nicht wirklich etwas von dem Konvent, welchem sie ab heute angehören würde. Dennoch freute Manuela sich sehr auf die Mädchen und den Unterricht mit ihnen. Sie war gut vorbereitet die Mädchen in Literatur zu unterweisen. Einem anderen Brief hatte sie entnehmen können, dass sie wohl eine eigene Klasse bekommen würde, welche wohl zwanzig Mädchen von 14 Jahren beinhalten würde. Es erinnerte sie an ihre eigene Klasse im Stift.
Manuela lehnte sich zurück und versuchte sich etwas zu entspannen, was ihr, gelinde gesprochen, schwer fiel, denn die innere Unruhe und Aufregung ließen sich einfach nicht bändigen. Sie hoffte, dass der Stift moderner in den Erziehungsmethoden war als der indem sie selbst unterwiesen wurde, dass sie dort keine eingeschüchterten, ängstlichen Mädchen vorfinden würde, welche zu hungern hatten, sondern fröhliche, wissbegierige Kinder, welche gut genährt wurden. Natürlich hoffte sie auch auf ein nettes Kollegium und auf eine Oberin, mit welcher man sprechen konnte und welche es nicht für nötig hielt mit eiserner Hand zu regieren.
Während sie ihren Gedanken nachhing, blieb die Kutsche stehen und wartete, dass sich die eisernen Tore des Stiftes öffneten. Manuela blickte aus dem Fenster und war positiv von dem äußerlichen des Konvents überrascht.
Es war ein großes, helles Gebäude, welches Äußerlich mehr an ein Herrenhaus als an eine Schule zu erinnern schien. Es war ein symmetrisches Gebäude, unterteilt in einen West- und einen Ostflügel zu welchem je ein Turm gehörte. Die Fassade sowie die Außenanlage waren gepflegt und in sehr gutem Zustand, nicht so heruntergekommen wie in Manuelas altem Stift. Das Wappen der Schule thronte über dem Haupteingang und zeigte eine Spottdrossel unter welcher sich zwei Rosen kreuzten. Je links und rechts vom Haupteingang, in einigen Metern Entfernung, befand sich noch ein weiteres Portal.
Eine Frau schien Manuela zu erwarten. Sie stand am oberen Ende der Treppe, welche zu den Hauptportalen hinaufführten und hatte die Hände entspannt auf dem steinernen Geländer abgelegt. Wieder stoppte die Kutsche und es war Zeit für Manuela ihr neues Leben im Stift zu beginnen. Langsam trat sie ins Freie und blickte zu der älteren Dame auf, welche sie anlächelte. Ihre weißen Haare schimmerten im schwachen Licht der Sonne, welche ab und zu durch die Wolkendecke brach. Ihre Gesichtszüge waren sanft und freundlich, ihre Figur schlank und sie war gekleidet, wie es sich für eine Lehrerin geziemte. Manuela lächelte zurück und trat die Treppen nach oben. „Es freut mich sehr, dass Sie den Weg hierher gefunden haben, Fräulein von Meinhardis. Ich bin Fräulein von Adelsheim die stellvertretende Stiftleiterin." Sie reichte Manuela die Hand, welche sie annahm. „Ich bin hoch erfreut, Fräulein von Adelsheim." Die ältere Dame machte eine einladende Geste in Richtung des Hauptportals und führte Manuela in das Innere des Gebäudes. „Die Frau Oberin bittet ihre Abwesenheit zu entschuldigen, sie befindet sich derweil außerhalb des Stiftes und wird erst nächsten Monat zurückkehren", erklärte sie laut und fügte dann leisen und an Manuela gewandt hinzu:" Es geht um die Hungerblockade. Wir befürchten für das neue Semester nicht genügend Vorräte zur Verfügung zu haben." Manuela nickte verstehend und bewunderte gleichzeitig den Einsatz des Stiftes für seine Schülerinnen.
Das Innere des Stiftgebäudes war beeindruckend. Eine große Eingangshalle hieß Schüler wie Lehrer willkommen. Die hohen Decken machten den Raum hell und freundlich. Eine Treppe führte in der Mitte der Halle nach oben, um sich auf halben Weg zu teilen und auf die nächste Etage zu führen. Links und rechts konnten Türen gesehen werden, welche in die verschiedenen Flügel des Gebäudes führten. Vasen mit Blumen schmückten die Halle, machten sie einladender. Erstaunt sah Manuela sich um, blickte an die Decke, bewunderte sie filigrane Arbeit an dem Geländer der Treppe. Das Haus strahlte eine gewisse Wärme und Freundlichkeit aus, welche von der älteren Dame vor ihr nur noch verstärkt wurde.
Sie wurde die Gänge entlanggeführt, welche sauber und ordentlich waren, bis sie das Zimmer der Oberin erreicht hatten, welches Von Adelsheim zeitweise als ihr Büro nutzte. Es war ein offenes Büro ohne viel Schnickschnack. Der große dunkle Eichentisch dominierte den Raum mit samt einem schon beinahe thronartigen Stuhl dahinter. Es lag ein gewisser Duft in diesem Raum, welchen Manuela nicht ganz zuzuordnen wusste und doch war er ihr zeitgleich so vertraut. Sie schloss die Augen für einen Moment und nahm den Duft in sich auf, beinahe genießend.
Von Adelsheim nahm hinter dem Schreibtisch Platz und deutete mit einer einladenden Geste auf den Stuhl davor. Manuela nahm Platz und sah auf die Bogen Papier, welchen das Fräulein ihr vor legte. Es war ihr neuer Stundenplan, sowie eine Liste ihrer Schülerinnen. Sie nahm sie an und überflog die Namen, sowie den Stundenplan. Bemerkungen am Rand zeigten ihr die verschieden Zeiten für ihre Aufsichten auf. Sie nickte. „Die Mädchen sind unterrichtet, dass sie nach den Ferien eine neue Lehrerin haben werden, sowie die anderen Lehrkräfte, welche ich Ihnen im Anschluss in der Besprechung vorstellen werde." Sie reichte ihr noch eine Liste, welche den alltäglichen Ablauf des Stiftlebens aufzeigte, sowie ein Buch, welches Manuela von der Aufmachung her bekannt war. „In diesem Buch vermerken Sie bitte sämtliche Verfehlungen ihrer Schülerinnen. Ich spreche hier nicht von minimalistischen Dingen, sondern von groben Verfehlungen oder Regelverstößen. Ihnen ist gestattet die Schüler zu ermahnen, doch sollten sie weiterhin Ungehorsam zeigen, so tragen sie es hier ein." Mit einem Stift fuhr Von Adelsheim die Tabelle entlang. Sie zeigte die Verfehlungen eines Mädchen namens Ingrid von Bourscheid, welche mehrfache Einträge wegen Ungehorsams bekommen hatte. Eine Notiz in der letzten Spalte zeigte, dass dieses Mädchen sich des Öfteren Nachts aus ihrem Zimmer geschlichen habe und nach dreimaligen ermahnen an ihrem Verhalten nichts änderte und eine Erklärung ihres Verhaltens verweigerte. Manuela kniff die Augen minimal zusammen. „Wird in diesem Haus Bestrafung praktiziert?", fragte sie die stellvertretende Stiftsleiterin, welche sie etwas überrascht ansah. „Aber nein", sagte sie entschieden und richtete sich auf, „Sie können unbesorgt sein. Die Frau Oberin war sehr entschieden dieser lächerlichen Tradition von Zucht und Ordnung keine Zukunft zu schenken. Diese Notizen dienen lediglich dazu den Eltern mitteilen zu können wie sich ihre Kinder betragen und uns Lehrkräften aufzuzeigen, welche Kinder einer genaueren Erziehung bedürfen." Erleichtert atmete die junge Lehrerin aus. Nach dem Vorfall mit Fräulein von Bernburg hatte sie ganze zwei Monate im Isolierzimmer zubringen müssen, durfte mit keiner anderen sprechen und tat sie es dennoch, so hatte es Konsequenzen für jene, welche mit ihr gesprochen hatten. Yvette war in dieser Zeit sehr oft der Ausgang verweigert worden, da sie mit Manuela sprechen wollte. Auch dann als diese zwei Monate endeten, nutze Fräulein von Racket jede Möglichkeit Manuela zu tadeln und sie zu demütigen oder ihr ihre Fehler vorzuwerfen.
„Ich bin erleichtert das zu hören", sagte Manuela ruhig und nickte leicht in die Richtung von Fräulein von Adelsheim, welche ihr Lächeln wieder aufnahm. „Ein Letztes noch bevor wir der Besprechung der anderen beiwohnen...", sie öffnete eine Schublade und holte ein kleines Kästchen hervor, welches sie Manuela reichte und ihr bedeutete es zu öffnen. Eine Brosche von unvergleichlicher Schönheit war darin. Sie hatte die Form einer Spottdrossel, war aus Silber gefertigt, ein kleiner Saphir in königsblauer Farbe formte das Auge. Jedes kleine Detail dieses Vogels war so schön anzusehen. Unter dem Vogel kreuzten sich zwei Rosen, besetzt mit blutroten Rubinen. Wie viel diese Brosche wohl wert sein musste? „Jede Lehrerin dieses Stiftes trägt eine dieser Broschen", erklärte Von Adelsheim und deutete auf die Brosche über ihrer rechten Brust. „Die müssen ein Vermögen wert sein", flüsterte Manuela. Adelsheim lachte auf. „O, das sind sie. Sie waren ein Geschenk von ihrer kaiserlichen Hoheit, der Kaiserin, als die Frau Oberin hier anfing." „Ach wirklich?", fragte Manuela verwundert und runzelte die Stirn etwas. „Eine große Ehre, ich weiß. Die Frau Oberin wollte das Geschenkt auch gar nicht erst annehmen, doch bestand die Kaiserin darauf", sie lehnte sich etwas vor und flüsterte, „Mich würde es nicht wundern, wenn Ihre Hoheit für die Oberin schwärmen würde. Sie wäre definitiv nicht die Erste und wird, Gott weiß, auch nicht die Letzte sein."
Manuela kicherte. Diese Aussage erinnerte sie an jene, welche über Fräulein von Bernburg an ihrem ersten Tag im Stift getroffen wurden.
Adelsheim erhob sich. „Legen Sie die Brosche an und folgen Sie mir dann." Manuela tat wie geheißen und folgte anschließend Adelsheim in das Nebenzimmer, welches zwei lange Tische beinhaltete, welche in T-Form aufgestellt waren. An der senkrechtgestellten Seite saßen bereits fünf weitere Lehrkräfte, welche sich mit dem Eintreten der anderen beiden Frauen erhoben und neugierigen Blickes auf die neue Lehrerin schauten. Manuela trat an einen der zwei freien Plätze, während Fräulein von Adelsheim sich zu dem großen Stuhl an dem horizontalgestellten Tisch begab, ihre Hefte und Aufzeichnungen ablegte und wartete, bis sie sich der Aufmerksamkeit aller bewusst war.
„Einen wunderschönen Guten Tag, meine Damen. Ich bin erfreut, Sie nach der Sommerpause alle wohlbehalten hier zu wissen. Wie Sie alle wissen, haben wir eine neue Lehrerin zu begrüßen, welche ab sofort das Fach Literatur unterrichten wird", sie deutete auf Manuela, welche freundlich in die Runde schaute und auch ausschließlich wohlwollende Blicke empfing. „Dies ist Fräulein Manuela von Meinhardis. Ich muss Ihnen sicherlich nicht aufzeigen, dass Sie sie bitte höflichst in unsere Reihen aufzunehmen haben", ein weiteres Mal sah sie beschwörend in die Runde bevor sich alle setzten und die Besprechung beginnen konnte.
Manuela fühlte sich wohl in diesem Stift, alle Lehrerinnen waren ihr wohlgesonnen und die Oberin, obgleich Manuela sie noch nicht getroffen hatte, schien eine sehr freundliche, charmante Frau zu sein, welche den Stift mit den richtigen Absichten zu führen wusste. Mit einer der Lehrerinnen verstand sich Manuela auf Anhieb besonders gut. Fräulein Adrienne Dumais, die Lehrerin für Etikette. Eine Französin, welche sie mit ihren blauen Augen und dem aufmunternden Lachen an Yvette erinnerte. Fräulein Dumais erklärte sich im Anschluss an die Besprechung auch sofort bereit Manuela das Stiftsgebäude und ihre eigenen Räumlichkeiten zu zeigen.
„Ich bin so glücklich, dass Frau Oberin mir erlaubte zu bleiben", eröffnete sie als sie die Türen zu Speisesaal öffnete und beide Frauen eintraten. „Wegen dem Krieg nehme ich an?", fragte Manuela während sie den Saal mit seinen hohen Decken, hellen Wänden, dunklen Tafeln und den Kornleuchtern bestaunte. Dumais nickte und seufzte. „Ich befürchte, ich werde meine Familie wohl nie wieder sehen..." Die Traurigkeit in ihrer Stimme bescherte Manuela eine Gänsehaut. In einem Versuch sie aufzumuntern nahm sie die Hände ihrer neuen Kollegin und sprach: „Warum so pessimistisch? Ihrer Familie wird es sicherlich gut gehen, sie werden Schutz gefunden haben. Der Krieg wird vorüber gehen und dann können sie nach Frankreich zu ihrer Familie." Madame Dumais lächelte traurig und drückte Manuelas Hände. „Sie sind eine sehr freundliche Frau, Manuela, doch befürchte ich, dass ich keine Hoffnung hegen kann." Sie machte eine kurze Pause. „Ich komme aus Verdun. Meine Familie lebte dort seit Generationen..." Mehr Worte waren nicht nötig um Manuela klar zu machen, dass sie wirklich wenig hoffen konnte. Die Schlacht von Verdun, welche in die Geschichtsbücher als Die Hölle von Verdun eingehen sollte, war ihr nur zu gut bekannt. Sie senkte ihren Kopf. „Verzeiht Madame, das habe ich nicht gewusst." Die Französin lächelte wieder aufrichtig und schloss Manuela in eine Umarmung. „Schon gut, woher sollten Sie es denn auch wissen? Und nenne mich Adrienne." Sie reichte Manuela die Hand, welche sie annahm und sagte: „Manuela." Beide lächelten und setzten ihren Rundgang fort.
Die Schlafzimmer der Mädchen waren nicht viel anders als sie es gewohnt war, doch erschienen ihr die Betten wesentlich bequemer zu sein, als jene die sie kannte. Gleich war jedoch der große Gemeinschaftsschlafsaal geblieben. Alle Mädchen in einem Raum. Manuelas Mädchen würde den Schlafsaal 5 beziehen. Adriennes Klasse den Schlafsaal 3. Während des Rundganges verfiel Dumais immer wieder in Schwärmereien über die Oberin. Sie sei so nett und großzügig, habe ein Herz höchster Güte. Ein Engel auf Erden.
Wieder konnte Manuela nicht anders als an das Fräulein von Bernburg zu denken. Ihr fiel kaum ein Mädchen ein, welches damals nicht zumindest ein klein wenig für die Lehrerin geschwärmt hatte. Kein Wunder, sie war eine wirklich schöne Frau gewesen, hatte all die anderen um Welten übertroffen.
Der Tag neigte sich dem Ende und als Manuela ihr Zimmer betrat stellte sie erstaunt fest, wie ermüdet sie doch war. Den ganzen Tag auf den Beinen zu sein, war etwas was sie durchaus gewöhnt war, auch viel Bewegung war sie durch die Schauspielerei gewohnt und doch befand sie, dass sie ungewöhnlich müde war. Trotz der Erschöpfung schlief Manuela mit einem Lächeln ein, denn sie war sich sicher hier einen guten Stift gefunden zu haben, welcher weitaus modernere Ansichten vertrat, als deren in dem sie erzogen wurde. Das Kollegium war nett und Fräulein von Adelsheim eine gute Stiftleiterin und was die Oberin betraf, so war Manuela neugierig, sie kommenden Monat kennenlernen zu dürfen.

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