Kapitel 9

Lisa

„Mom", sagte ich erschrocken, als meine Mutter mir entgegen kam. Ich hatte noch nicht mal meine Schuhe richtig ausgezogen, da stellte sie sich mitten in meinen Weg.

„Wieso kommst du erst so spät?" sie sah mich vorwurfsvoll an. Mist, ich hatte vergessen ihr Bescheid zu sagen.

„Tut mir leid, ich habe in einer Kneipe gearbeitet."

„Du hast was?" Sie sah mich ungläubig an.

„Ich habe mir einen Job gesucht."

„Wieso das denn?" Sie hatte sich immer noch kein Stück auf Seite bewegt. Seit mein Dad gestorben war, übertrieb es meine Mutter etwas in ihrer Fürsorge. Dabei konnte ich es ihr noch nicht mal übel nehmen, sie hatte einfach Angst davor, noch einen Menschen in ihrem Leben zu verlieren. Mir ging es in gewisser Weise ja genauso, trotzdem fühlte ich mich manchmal etwas unbehaglich, vor allem in den letzten Jahren, in denen ich nun wirklich alt genug war, um bis nach 24:00 auszugehen.

„Da ich jetzt wieder bei dir wohne, wollte ich dich finanziell unterstützen", erklärte ich.

„Ach, das ist doch nicht nötig, Schatz." Sie wirkte jetzt etwas versöhnlicher, kam auf mich zu und legte einen Arm um meine Schulter. „Ich möchte, dass du das in deinem Leben machst, was dir Spaß macht. Außerdem bist du ja nur zwei Monate hier, das halte ich schon aus." Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn.

Angesichts der Tatsache, dass ich ihr nicht davon erzählt hatte, dass ich nicht mehr so schnell in die USA gehen werde, fühlte ich mich ganz schuldig.

„Nein, das ist schon in Ordnung, Mom. Der Job ist mal eine gute Ablenkung." Ich befreite mich aus ihrem Griff und stapfte in die Küche, die gleich neben dem Wohnzimmer lag. Dann gab es noch drei weitere Zimmer, meins, das Schlafzimmer meiner Mutter und das Bad, mehr gab es nicht in unserem Haus, mehr brauchten wir auch nicht zum Leben. Seit mein Dad nicht mehr unter uns weilte, hatte sich paradoxerweise die Beziehung zu meiner Mutter gebessert. Wir unternahmen mehr zusammen, teilten unser Faible für Liebesfilme und gingen jeden Mittwoch zum Italiener, von dem mein Dad immer so geschwärmt hatte. Sein Lieblingsessen war Pizza Quatro Formaggi, die ich jedes Mal wieder bestellte. Obwohl meine Mutter das nicht verstehen konnte, fühlte ich mich dadurch meinem Vater wieder etwas näher, mir fiel die Vorstellung leichter, dass er neben mir saß und mir etwas über die italienische Kultur erzählte. Seine Geschichten hatte ich so sehr geliebt, auf die hatte ich mich oft den ganzen Tag lang gefreut bis er endlich von der Arbeit gekommen war.

„Lisa, Mäuschen, du musst das wirklich nicht tun. Es gibt doch viel schönere Dinge, die du in deinen Ferien machen möchtest?" Meine Mutter holte mich aus meinen Gedanken, trat neben mich und sah mich eindringlich an. „Da bist du jetzt extra die 6 Wochen gekommen, da muss dich nicht irgendeine Arbeit zusätzlich belasten." Sie strich mir eine Strähne hinters Ohr, und ich schloss bei der Berührung die Augen, zog langsam die Luft ein. Mein Vater hatte diese Bewegung immer dann getan, wenn ich traurig war, wenn mich ein Junge in der Schule mal wieder geärgert hatte. Er war der stärkende Pol in meinem Leben gewesen, der mich zum Weitermachen ermuntert hatte.

Ich blickte meine Mutter an, von der ich diese dunklen grünen Augen geerbt hatte, ließ meinen Blick an ihren ebenso blonden Haaren hinabgleiten, versuchte mir ein Lächeln auf ihrem wunderschönen Gesicht vorzustellen, was ich schon längst aufgeben hatte. Wenn ich nach dem Tod meines Vaters nicht so egoistisch und kindisch gewesen wäre, dann hätte sie jetzt ein glücklicheres Leben. Mein damaliges Verhalten konnte ich nicht mehr gut machen, doch ich konnte das Zusammenleben mit mir besser gestalten. Nachdem ich jeden neuen Mann in ihrem Leben vergrault hatte, diese die Flucht ergriffen hatten, musste ich mich dafür entschuldigen. Doch Worte waren weitaus nicht genug, da musste ich schon Taten sprechen lassen.

„Mom", Sie sah mich fragend an. „wann hattest du eigentlich dein letztes Date?" Ihre Augenbrauen schnellten nach oben.

„Ich weiß es nicht mehr, das ist schon so lange her. Wieso willst du das wissen?" Ich trat nachdenkend einen Schritt zurück.

„Ich finde du solltest es noch einmal versuchen."

„Lisa, das Thema hatten wir doch schon abgehakt." Sie wandte sich von mir ab, tat so, als wäre das Gespräch damit beendet, doch ich wollte nicht schon aufgeben.

„Dieses Mal wird es anders sein, das verspreche ich dir, Mom." Ich folgte ihr in die Küche, sie blieb vor der Spüle stehen und drehte sich zu mir um.

„Ich denke nicht, dass das so eine gute Idee ist."

„Es gibt so viele nette Männer auf der Welt, da wird ein passender für dich dabei sein. Du könntest dich doch bei so einer Dating-App anmelden, das würde bestimmt Spaß machen." Ich legte so viel Überzeugung in meine Stimme, da musste sie mir einfach zustimmen.

„Nein." Sie ging an mir vorbei.

„Nein?" Ungläubig starrte ich ihr hinterher, wie sie auf ihr Schlafzimmer zu lief.

„In diesem Haus ist kein Platz für einen anderen Mann." Ich zuckte bei ihren Worten zusammen. Einen anderen Mann. Wie ich mir schon gedacht hatte, war sie noch nicht über den Tod meines Vaters hinweg, hatte noch nicht damit abgeschlossen, dass er nicht mehr in unser Leben treten würde.

„Mom, ich möchte doch nur ..."

„Es ist schon spät. Wir sollten schlafen gehen." Somit war sie hinter der Tür verschwunden und ließ mich alleine in der Küche zurück. Frustriert schlurfte ich über die kalten Fliesen, schaltete über all die Lichter aus und machte mich dann auch auf den Weg in mein Bett. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie auf stur schaltete, mich einfach abwies. Da musste ich mir mehr einfallen lassen, damit sie ihre Meinung änderte. Bevor ich mich unter die Decke kuschelte, schrieb ich Vani noch eine SMS. Mit dem Inhalt, dass ich den Job in der Kneipe bekommen hatte, das komische Auftreten ihres Bruders ließ ich dabei lieber weg. Ich wusste selbst nicht, was ihn geritten hatte, mich nach Hause zu fahren. Zumal er die ganze Zeit über nicht wirklich nett zu mir war, da musste etwas anderes dahinter stecken, bloß was?

Erschöpft legte ich mich hin, schloss die Augen. Ich war wieder auf dem gleichen Stand wie vor vier Jahren, als ich versuchte die Beweggründe dieses Mannes zu verstehen. Ohne Erfolg, und da brauchte ich nicht schon wieder meine Energie an ihm zu verschwenden. Ich musste mich auf die Menschen in meinem Leben konzentrieren, für die ich ein wichtiger Bestandteil war, die mich nicht ohne mit der Wimper zu zucken verletzt hatten. Joint gehörte definitiv in die hinterste Ecke meines Gehirns verbannt, sodass er mir nicht mehr schaden konnte.

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