Kapitel 35
Joint
Während ich hinter der Bar stand und ein Getränk nach dem anderen mixte, konnte ich den Anblick von Lisa nicht aus meinem Kopf bekommen. Trotz meiner Entschuldigung war sie buchstäblich zusammengebrochen und ich konnte mir nicht erklären, warum.
Ich musste mich vergewissern, dass es ihr gut ging. Musste herausfinden, was sie so aufgewühlt hatte.
Nachdem mich Andi endlich entlassen hatte, machte ich mich schnurstracks auf den Weg zu ihrem Haus. Mir stieß es immer noch sauer auf, dass Luis und nicht ich sie heimgefahren hatte. Vor dem wildbewucherten Weg blieb ich stehen und starrte auf eine breite Holztür. Es war schon weit nach Mitternacht, die Fenster des Hauses waren dementsprechend dunkel. Trotzdem wollte ich nicht eher heim, bevor ich mit Lisa gesprochen hatte. Doch wie sollte ich das anstellen ohne ihre Mutter aufzuwecken?
Wage erinnerte ich mich daran, auf welcher Seite des Hauses ihr Zimmer lag. Es musste nach hinten raus, in den Garten zeigen. Dort konnte ich mich unter ihr Fenster platzieren und sie klischeehaft mit Steinen aus dem Schlaf holen. Langsam öffnete ich das Tor, das mir den Weg versperrte und marschierte durch das hohe Gras im Garten. Als ich an der richtigen Stelle anhielt, konnte ich mir ihr verschlafenes Gesicht vorstellen, dass mich überrascht bemerkte. Ein Grinsen breitete sich in der Vorstellung sie wieder zu sehen auf meinem Gesicht aus, da stellte ich fest, dass mir das wichtigste Werkzeug in meinem Plan fehlte. Die Steine.
Suchend wanderte ich mit meinem Blick durch den Garten, konnte jedoch nur Grün und eine Menge Moos entdecken, was mir in meinem Vorhaben nicht weiter helfen konnte. Es war nicht einmal ein anderer Gegenstand zu finden, mit dem ich gegen die Fensterscheibe schlagen konnte.
Frustriert raufte ich mir die Haare. Sie war so aufgelöst gewesen, ich wollte trotz dieser späten Stunde bei ihr sein, ihr Trost spenden.
Vielleicht sollte ich doch einfach das Risiko eingehen und die Klingel betätigen. Als ich mich schon zum Gehen abwenden wollte, vibrierte mein Handy in der Hosentasche. Zögerlich nahm ich es in die Hand. Ich hatte keine Lust auf ein Gespräch mit meiner schrägen Mutter, geschweige denn mit meiner glücklich verliebten Schwester.
Das Display zeigte Unbekannt an, was mich nur noch mehr verwunderte. Mit einem Seufzen drückte ich den grünen Hörer und wartete gespannt auf die Stimme an der anderen Leitung.
„Bist du jetzt zu einem Stalker mutiert oder warum schleichst du schon seit einer halben Ewigkeit um mein Haus herum?" Ich musste dreimal hinhören, bis ich Lisas warme Stimme erkannte. Mein Blick schoss nach oben und tatsächlich konnte ich einen Schatten hinter der Fensterscheibe ausmachen. Hatte sie mich denn die ganze Zeit beobachtet?
„Können wir reden?" Wieso um den heißen Brei reden?
„Joint, es ist mitten in der Nacht. Normale Menschen versuchen um diese Uhrzeit zu schlafen!" Obwohl sie sauer klang, spürte ich eine große Erleichterung durch meinen Körper fließen. Anscheinend ging es ihr schon etwas besser, wenn sie sich über mich aufregen konnte.
„Machst du mir die Tür auf?", ignorierte ich ihre sarkastische Bemerkung.
„Hast du mir gerade überhaupt zu gehört? Ich möchte schlafen!" Eine abrupte Bewegung ließ mich wieder nach oben schauen. Sie hatte sich näher an die Scheibe gestellt, sodass ich sie nun besser wahrnehmen konnte.
„Bitte, Lisa", flehte ich sie an, während sie bei meinen Worten scharf die Luft einzog. Stille war alles, was mir als Antwort von der anderen Seite entgegen geworfen wurde.
Nach einigen Minuten, stöhnte sie genervt auf und entfernte sich vom Fenster. Ich kam ihr gleich, und wandte mich dem vorderen Teil des Hauses zu.
„Du hast eine Minute, um deinen nächtlichen Besuch zu erklären", sagte sie und legte in der nächsten Sekunde auf.
Während ich mich ziemlich nahe vor die Tür platzierte, konnte ich ihre Schritte von drinnen wahrnehmen, die immer lauter wurden. Dann riss sie die Barriere zwischen uns mit einem Ruck auf und starrte mich finster an.
„Hi."
Sie rollte mit den Augen. „Joint, hör auf mit dem Quatsch!" Ihre Hand glitt auf die Türklinge, umklammerte sie fester als nötig. „Wenn du nur gekommen bist, um mich zu verarschen, dann lass es gut sein. Ich bin nicht in der Stimmung für deine Spielchen."
„Warte." Ich legte die Hand auf den Türrahmen und hinderte sie daran, die Tür wieder zu schließen. „Darf ich denn erstmal rein kommen?"
Skeptisch hob sie den Blick, ließ ihn über mich wandern, bis sie schließlich nickte. Dankbar schenkte ich ihr ein Lächeln und trat ein.
„Also?" sie schlang ihre Arme um den Körper, als müsste sie sich beherrschen, mich nicht wieder raus zu schmeißen.
„Ich wollte mich vergewissern, dass es dir gut geht."
„Ich dachte, du scherst dich einen Dreck um mich." Ok, wahrscheinlich hatte ich diese Feindseligkeit verdient.
„Das war doch nur ein blöder Spruch", winkte ich lässig ab.
„So wie alles bei dir, nicht wahr?", sie machte einen Schritt rückwärts, lehnte sich gegen die kahle, weiße Wand.
„Lisa, merkst du nicht, dass ich mich hier wirklich bemühe?"
„Du bemühst dich?" ihre Augen funkelten mich streitlustig an. „Auf einmal ja? Liegt es daran, dass ich heute geheult habe oder hast du Angst, dass mich jemand vor dir wegschnappt?"
„Nein, ich mache mir keine Sorgen um Luis", spielte ich es runter.
„Ich brauche dein Mitleid nicht Joint."
„So meinte ich das auch nicht."
„Wie dann?!", sie hob frustriert die Arme.
„Habe ich doch schon gesagt", ich schritt auf sie zu. „Ich möchte mich für dich bessern, Lisa. Und als ich mich heute bei dir entschuldigt habe, hast du völlig die Fassung verloren. Verdammt, da ist es doch normal, dass ich mir Sorgen um dich mache."
Sie starrte mich stumm an.
„Du...du musst mir nicht sagen, warum du geweint hast", auf einmal nervös geworden, steckte ich meine Hände in die Hosentaschen. „Ich habe mich nur gefragt, ob es daran lag, was ich zu dir gesagt habe..." der letzte Satz war mehr eine Frage, die mir plötzlich sehr wichtig erschien.
Nachdem ich geendet hatte, löste sie ihre verschränkten Arme und ein versöhnlicher Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht.
„Nein, du hast nichts falsch gemacht", ihre Stimme klang erschöpft.
„Woran lag es dann?" Sie antwortete nicht sofort, woraufhin ich einfach weiter prappelte. „Ich möchte dich einfach nur verstehen."
Sie machte schon den Mund auf, da ließ uns eine quietschende Tür zusammenschrecken.
„Lisa?", kam es aus einer der unteren Zimmer.
Hektisch deutete Lisa mir, die Treppe hinauf zu gehen. Als ich mich nicht gleich darauf in Bewegung setzte, schob sie mich grob in die Richtung. Ich hatte ja keine Ahnung, wie stark sie war. Gegen diese Kraft kam ich unmöglich an.
„Geh! Ich komm gleich nach", flüsterte sie mir zu, bevor sie in die entgegengesetzte Richtung verschwand.
Obwohl ich wirklich neugierig war, was sie ihrer Mutter für eine Lüge auftischte, stieg ich geräuschlos wie möglich die Stufen hinauf.
In ihrem Zimmer ankommend, setzte ich mich vorsichtig auf ihr Bett, schaltete die kleine Lampe auf ihrem Nachttisch an und betrachtete die mir vertraute Einrichtung.
Hoffentlich würde sich mich nicht gleich rausschmeißen, nachdem sie angehört hatte, was ich ihr zusagen habe.
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