Kapitel 32

Joint

Hatte ich mich wirklich gerade damit einverstanden erklärt, Freundschaft mit Lisa zu schließen? Freundschaft? So wie beste Kumpels oder was? Das durfte nicht sein, das würde ich nicht durchhalten können. Dafür machte sie mich einfach zu sehr an. Aber ich hatte ihr auch versprochen nett zu ihr zu sein, und wenn sie mit mir befreundet sein wollte, würde sie das auch kriegen.

Nachdem ich mich mit Max zu einem wirklich harten Training getroffen hatte, ging ich mit schmerzenden Knochen auf mein Haus zu. Er hatte mich wirklich gefordert und ich freute mich eigentlich nur noch auf mein gemütliches Bett.

Ich sperrte die Tür auf, da drang auch schon laute Musik aus dem Haus. Im ersten Moment blieb ich geschockt stehen, konnte nicht definieren, was hier vor sich ging. Dann hörte ich die zarte Stimme meiner Mutter, die zu irgendeinem alten Lied mitsang. Verdattert folgte ich den Tönen, ging in die Küche und sah ihr dabei zu, wie sie fröhlich schwingend durch den Raum flitzte.

War das ein Traum oder hatte sie tatsächlich ein Lächeln auf den Lippen?

„Georg!", sie kam auf mich zu, den Kochlöffel in der Hand. „Setz dich, es gibt gleich Essen." Es roch köstlich, also warf ich meine Sporttasche auf den Boden und ließ mich auf einen der drei Stühle nieder. Hatten wir denn gestern nicht noch vier gehabt? Verwirrt schüttelte ich den Kopf, konnte den vierten aber nirgends entdecken.

„Wie geht's dir mein Schatz?", meine Mutter stellte sich neben mich. Ich hatte mit dieser Frage nicht gerechnet, antwortete deshalb nicht sofort, da fiel ihr Blick auf meine Stirn, an der sich ein langer Kratzer befand. Ich zuckte zusammen, als sie die Verletzung mit dem Finger ungeschickt berührte.

„Was ist passiert?", sie wirkte ehrlich besorgt. Völlig überfordert über den plötzlichen Hautkontakt, konnte ich nur mit den Schultern zucken.

„Hast du dich geschlagen?", ihr Atem ging schneller, ihr Lächeln ebbte mit einem Mal ab. Nein, ich durfte nicht zulassen, dass sie sich meinetwegen aufregte.

„Alles gut, Mom. Ich bin beim Training ausgerutscht und hingefallen." Ich traute mich gar nicht, sie zu berühren, so sehr hatte ich Angst davor, dass sie mich wieder anschreien würde.

„Du solltest vorsichtiger sein, Georg. Das wird eine Narbe geben." Sie löste ihre Hand von meinem Gesicht und wandte sich wieder dem Herd zu. Erleichtert atmete ich aus. Sie schien heute wirklich in einer guten Verfassung zu sein.

„Georg?" sie drehte sich um, sah mich fragend an. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie mich etwas gefragt hatte.

„Hm?", ich setzte ein entschuldigendes Lächeln auf.

„Würdest du mit mir zu dem Grab deines Vaters gehen?" Mir wurde schlagartig heiß und kalt zur gleichen Zeit. Kam das gerade wirklich aus ihrem Mund? Ich konnte nicht...ich war seit der Beerdigung nicht mehr dort gewesen.

„Mom, ich weiß nicht, ob ich das kann..."

„Tu es für mich, Georg." Ihr Lächeln löste in mir die Schuldgefühle aus, die ich seit dem Tod meines Vaters in mir trug.

Ich nickte ihr zu, woraufhin ihr Lächeln breiter wurde. So glücklich hatte ich sie schon lange nicht mehr gesehen, wollte mich deshalb auch nicht über ihre euphorische Stimmung beschweren.

Sie stellte nacheinander verschiedene Töpfe auf den Tisch, eine Schüssel mit Grünzeug und setzte sich mir gegenüber.

„Schlag zu!" Sie starrte mich erwartungsvoll an. Bevor ihre Stimmung noch umschlagen konnte, tat ich mir von allem etwas auf meinen Teller, nahm den ersten Bissen und hätte es im selben Moment am liebsten wieder ausgespuckt. Ich hatte schon vieles gegessen, aber das hier, das war ungenießbar. Doch meiner Mutter schmeckte es anscheinend. Also, versuchte ich das Zeug hinunter zu schlucken, ohne allzu sehr zu würgen.

„Hast du denn gerade eine Freundin, Schatz?" Ich verschluckte mich an einem verkohlten Stück Fleisch, brachte als Antwort nur ein Husten heraus. Sie ließ sich davon nicht beirren.

„Ich finde diese kleine Lisa würde ja hervorragend zu dir passen." Sie sprach so leichthin, dass ich keinen Zweifel daran hegte, dass sie einfach Konversation betreiben wollte.

„Wir sind bloß Freunde, Mom." Das stimmte zwar nicht ganz, aber ab morgen würde ich dieses Vorhaben angehen.

„Freunde?" Sie sah mich – ja schon fast enttäuscht an. „Also, ich dachte immer, dass da mehr zwischen euch wäre. Die Spannung, die in der Luft liegt, wenn ihr denselben Raum betretet, hab dann vermutlich nur ich bemerkt."

Wer war sie? Und wo war meine Mutter, mit der ich seit Wochen nicht ein vernünftiges Gespräch führen konnte?

„Das... ist nicht so einfach zwischen uns." Ich konnte gerade echt nicht glauben, dass ich mit meiner Mutter über meine Frauenprobleme sprach.

„Magst du sie?"

„Ja", da brauchte ich nicht einmal mehr zu überlegen, nicht mehr. Ich wollte sie in meinem Leben haben, egal wie, ob nun als Freundin oder als Kumpelin. Hauptsache ich konnte sie jeden Tag sehen, damit sie mir etwas von meiner Last abnehmen konnte, die schwer auf meinen Schultern lag.

„Und wo liegt dann das Problem?", fragte sie mich. Ob ich sie wohl aufklären sollte, dass es in einer Beziehung um zwei Menschen ging, und nicht nur um den Mann, der alles bestimmte? Nein, das würde sie nur an die schreckliche Zeit mit meinem Vater erinnern.

„Wenn du sie magst, dann solltest du ihr das auch zeigen." Sie stand auf, stapfte auf den Kühlschrank zu. „Lust auf Eis?"

Ihre Worte trafen genau das, was ich schon vor vielen Jahren hätte tun sollen. Ich würde Lisa ein guter Freund sein, das hatte sie mehr als verdient.

Den restlichen Abend genoss ich die Gesellschaft meiner Mutter und langsam hegte ich die Hoffnung, dass unser Leben, unsere Familie wieder in einen Normalzustand zurückkehren würde. Mit der Zeit wären wir wieder eine Familie, wie jede andere auch.

Am nächsten Tag traf ich mich mit Max, um ihm zu sagen, dass ich den bevorstehenden Kampf nicht mehr beschreiten würde. Wie ich vermutet hatte, war er mit meiner Entscheidung nicht wirklich einverstanden.

„Wie du willst nicht mehr kämpfen?" Er warf seine langen Arme in die Höhe.

„Du hast mich schon verstanden, Max. Ich werde mich nicht diesem Defender stellen."

„Joint, das kannst du doch nicht ernst meinen, oder? Nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht haben?"

„Ich kenne dich erst seit ein paar Wochen", merkte ich an und verdrehte die Augen dabei.

„Und doch hast du es schon so weit gebracht. Jetzt aufzuhören, wäre einfach nur töricht, Mann."

Töricht? Er sah gar nicht so aus, als wüsste er, was das Wort überhaupt bedeutete.

„Ich werde meine Meinung nicht ändern." Ich trat an die Straße, auf mein Auto zu.

„Warum willst du auf einmal nicht mehr?"

„Das hat verschiedene Gründe."

„Geht es um ein Mädchen?"

Fragend sah ich ihn an. „Es geht immer um ein Mädchen", erklärte er. „Frauen machen uns Männer nur schwach."

Ich lachte auf. „Hörst du gerade eigentlich selbst, was du da brabbelst?"

„Weißt du, warum der Defender der beste in seinem Gebiet ist?" Er wartete meine Antwort nicht ab, sprach einfach weiter. „Er lässt keinen an sich ran, der ihn schwächen könnte. Seine einzige Schwäche ist sein großer Kämpfergeist, und das heißt was."

„Max" versuchte ich ihn zu beruhigen.

„Nein, du kannst mich jetzt nicht so hängen lassen. Ich habe dieses Mal viel Geld auf dich gesetzt."

„Du hast was? Spinnst du?" wütend sah ich ihn an. So dumm konnte nicht einmal er sein.

„Ich werde viel Geld auf dich setzen, weil ich an dich glaube. Du kannst ihn packen."

Erleichterung durchströmte mich. „Warum ist dir dieser Kampf so wichtig? Was springt für dich dabei raus?"

„Genugtuung."

Verständnislos verzog ich die Augenbrauen.

„Warum kämpfst du dann nicht gegen ihn?"

„Er ist hier oben, und ich bin ganz weit unten, ich werde nie an ihn ran kommen. Aber du, du schaffst es, wirst ihn besiegen."

„Das kann ich nicht."

„Und wie du das kannst. Weißt du eigentlich, wie du dich fühlen wirst, wenn du das größte Arschloch in dieser Stadt K.O geschlagen hast?" Ich malte mir das Szenario aus, konnte nicht abstreiten, dass ich scharf auf diese Auseinandersetzung war. Trotzdem musste ich an meine Familie denken, an Lisa, die mich lebenslang ignorieren würde, wenn ich in einen weiteren illegalen Fight verwickelt wäre. Ich durfte meine Bedürfnisse nicht über die ihre stellen.

„Nein, Max. Es tut mir leid." Ich sperrte mein Auto auf, öffnete die Fahrertür.

„Was ist schon ein weiterer Kampf?" Ihm schien es wirklich wichtig zu sein. „Nach diesem kannst du meinetwegen aussteigen, kannst machen, was du willst. Aber diesen Fight musst du beschreiten. Es geht hier um deine Ehre, die willst du doch nicht in den Dreck ziehen, oder?"

Er übertrieb maßlos, dennoch fühlte ich mich für ihn verantwortlich, nicht weil er so verpeilt rüber kam, sondern weil er mich mit seinem Ehrgeiz und dem eisernen Willen an meinen besten Freund erinnerte. Dessen Lebensziel bestand auch nur darin zu gewinnen, alles für einen Sport zu geben.

„Nur noch dieser Fight, ok? Dann bin ich raus." Hoffentlich bereute ich meine Entscheidung nicht.

Er sah mich dankend an. „Das wird einsame Spitze." Er klatschte in die Hände.

Mit einem Nicken stieg ich in den Wangen und brauste davon. Dass ich mich gerade in einen realen Alptraum hinein katapultiert hatte, wusste ich zu dieser Zeit noch nicht.

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