Kapitel 27

Lisa

Ich hatte ihn noch nie tanzen sehen. Völlig verblüfft über seinen Sinneswandel konnte ich nur nicken. Seine andere Hand fand ebenfalls seinen Weg zu mir und umschloss mit etwas Druck meinen unteren Rücken. Verlangen flackerte in mir auf, doch ich konnte nicht loslassen, blieb immer noch steif stehen.

Er musste es gemerkt haben, denn im nächsten Moment lehnte er sich nach vorne, sein warmer Atem strich über meine Halsbeuge und verursachte mir eine Gänsehaut.

„Entspann dich, Lisa. Ich werde dir nichts tun. Wir werden nur tanzen, ok?" Seine raue Stimme so nah an meinem Körper zu hören, versetzte mich in ganz andere Schwingungen. Gehorsam schmiegte ich mich in seine Arme, schlang meine Hände um seinen Nacken, sodass ich nicht fiel.

Sein Lächeln wurde breiter und seine Grübchen kamen zum Vorschein. Ich war vollends hingerissen von seinem Anblick. Als er dann begann sich geschmeidig im Rhythmus der Musik zu bewegen, seine Hüfte kreisen ließ, sodass ich instinktiv dasselbe tat, schloss ich lustvoll die Augen.

In jedem Moment, in dem unsere Körper aneinander stießen, durchzuckte mich das Verlangen wie ein Blitzschlag. Das war zwar nicht meine Definition von Tanzen, doch es gefiel mir, was er mit seinen Berührungen in mir auslöste.

Das Lied wechselte und wurde noch langsamer. Es glich einer reinen süßen Folter, wie Joint seine Hände immer tiefer wandern ließ, bis sie auf meinem Hintern lagen und fest zudrückten. Mir entfuhr ein Seufzen, was ihn nur noch mehr anspornte. In einem eleganten Schwung drehte er mich einmal im Kreis. Durch die Drehung zog ich mich näher an ihn ran, wurde jedoch gleichzeitig nach hinten gedrückt.

„Du fühlst dich so gut an, Lisa", raunte er und seine Stimme schwang voller Leidenschaft. Sanft drückte er mich nach hinten, strich mit seiner Hand von meinem Hals abwärts, zwischen meine Brust hinunter zum Bund meiner Jeans. Wiederholte diese Bewegung bis mein Körper von selbst anfing zu beben. Gefangen in seinen Armen, in seiner Nähe, in seinen verruchten Worten, verlor ich mich in diesem Augenblick. All die Gefühle, die ich versucht hatte zu unterdrücken, sprangen an die Oberfläche, all die Empfindungen, die er mir beschert hatte, vernebelten meinen Verstand.

Plötzlich zog sich meine Brust zusammen und ich dachte an den Tag zurück, an dem ich alleine in meinem Bett aufgewacht war, beraubt von meiner Unschuld. Mit letzter Kraft richtete ich mich auf, stemmte meine Hände gegen seine Brust, wollte ihn wegschieben, doch er war schneller, hielt meine Arme mit seinen von einem Stoß ab.

„Was machst du da?" Sein Blick war hitzig, seine braunen Augen waren kaum von dem Schwarz seiner Pupillen zu unterscheiden.

„Wir...ich...das geht nicht, Joint", stammelte ich, mein Verlangen ebbte nur widerwillig ab.

„Aber es hat dir doch gefallen, oder nicht? Wieso mit etwas aufhören, was sich so schön anfühlt?"

Seine Worte ließen den Schmerz in meiner Brust verschwinden, schaffte Platz für die wohlige Wärme, die er mir gab. War es denn so schlimm, sich seinem Körper noch ein einziges Mal hinzugeben?
Ja, war es. Ich wusste es besser, wollte ihm eine Abfuhr erteilen, da verschränkte er die Hände mit meinen.

„Lisa?", sagte er meinen Namen, doch ich konnte mich nur auf die rauen Stellen an seinen Knöcheln konzentrieren. Nach dem Grund suchend, hob ich unsere Hände an, zog sie zwischen unsere Körper. Getrocknetes Blut und einzelne Schnitte verteilten sich auf seinen Knöcheln.

„Hast du dich geschlagen?" Mein Blick fiel auf sein Gesicht, das ebenfalls von typischen Verletzungen einer Prügelei gezeichnet war. Er entzog sich nicht, antwortete jedoch auch nicht sofort.

„Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich alles unter Kontrolle habe?"

Als hätte ich mir Sorgen um ihn gemacht. Trotzdem breitete sich bei seinen Worten Erleichterung in mir aus. Er wird sich doch nicht in irgendwelche Schwierigkeiten gebracht haben, oder? Mit diesem Gedanken würde ich nicht leben können. So viel zum Thema keine Sorgen machen. Anstatt ihn auszufragen, nickte ich wieder einmal zustimmend.

„Gut", bestätigte er und streichelte mit dem Daumen über meinen Handrücken. „Also, erzähl mir, was zwischen dir und diesem Amerikaner ist."

Wieso wollte er das wissen? Reichte es nicht schon, dass er das Gespräch miterlebt hatte?

„Wieso fragst du?"

Sein Blick wurde eindringlicher. „Ich kann den Gedanken nicht ertragen, wenn dich ein anderer Mann anfasst." Mit einem Ruck zog er mich näher an sich ran. „Außerdem hinsichtlich unserer Verabredung, wollte ich wissen, ob du in festen Händen bist."

„Joint", seufzte ich und schloss für ein paar Sekunden die Augen. „Du warst dabei, wir sind nicht mehr zusammen." Seinen ersten Satz ließ ich unkommentiert. Er konnte nicht einfach mit diesen lieben Worten und Komplimenten um sich werfen, da kam mein Hirn nicht so schnell mit.

„Also, ist unsere Verabredung hiermit zu einem offiziellen Date geworden?"

„Joint", flüsterte ich, nicht in der Lage ihm zu widersprechen.

„Sag ja." Seine Hände lösten sich von meinen, umschlossen sanft mein Gesicht. Mein Blick fiel auf seine Lippen, aus denen ein leises Stöhnen entwich. „Was stellst du bloß mit mir an, Lisa?" Ich schluckte hörbar, den Mund leicht geöffnet.

Sein Gesicht kam mir immer näher, sein Atem streifte warm meine Wange, seine Finger spreizten sich auf meiner Haut, sodass ich nah dran war unter seiner Berührung aufzustöhnen.

Sein Blick lag sehnsüchtig auf meinen Lippen, brachte mich völlig aus der Fassung. Wieso musste ich mich auf seinen Tanz einlassen? Jetzt war ich nicht mehr in der Lage seiner betörenden Anziehung zu entkommen. Er neigte sich weiter zu mir herunter. Gleich würde es passieren, gleich wären wir wieder an demselben Punkt wie noch vor vier Jahren. Das Band um meine Brust war wieder zurück.

„Bitte, tu mir das nicht noch einmal an." Meine Stimme hatte sich verselbständigt, ich hatte keine Macht mehr über meine Worte.

„Was?", brachte er heißer hervor, seine Brust senkte sich hektisch, um sich in der gleichen Sekunde wieder zu heben.

„Ich...ich", stotterte ich, unfähig einen klaren Gedanken fassen zu können. Seine Hände, die immer noch unverändert an meinen Wangen lagen, erschwerten es zusätzlich. Als würde er etwas sagen wollen, öffnete er den Mund, schloss ihn jedoch ohne einen Ton wieder.

Dann war der intime Moment zerstört, seine Augen weiteten sich, sein zuvor verschleierter Blick war wie weggeblasen, gleichzeitig lösten sich seine rauen Hände von meinem Gesicht.

„Was hast du gerade gesagt?" Seine Stimme klang seltsam belegt, als müsste er sich stark zusammen reißen, um nicht aufzuschreien. Mist, den Blick kannte ich nur zu gut. Er verschloss seine Gefühle vor mir, schottete jede Regung in seinem Gesicht vor mir ab.

„Ich, das..." Gott, mir war echt nicht mehr zu helfen.

„Was soll ich dir nicht mehr antun, Lisa?" Seine Augen fixierten mich dunkel.

Komm schon, ich wollte es ihm sowieso irgendwann mal sagen. Also wieso jetzt nicht?

„Ich will nicht, dass du mich wieder so verletzt wie damals." Mein Blick wich seinem nicht aus, ich musste das jetzt durchziehen.

„Ich dich? Was?" Er entfernte sich von mir. „Dir ist schon klar, dass du mich damals als erstes geküsst hast, oder?". Seine Arme verschränkten sich vor seiner Brust.

„Was tut das denn jetzt zur Sache?" Ich ging ebenfalls einige Schritte zurück.

„Und wie das mit reinspielt. Du hast dich buchstäblich an meinen Hals geworfen und willst mir jetzt die Schuld in die Schuhe schieben!" Aufgebracht wurde er mit jedem Wort lauter. Obwohl ich mich zuvor noch benebelt gefühlt hatte, wurde ich mit der Härte seiner Stimme immer nüchterner.

„Ich habe was?" Wütend sah ich ihn an. Er war derjenige, der sich scheiße verhalten hatte. Da konnte er sich jetzt nicht rausreden. „Du bist einfach gegangen!" Meine Nerven waren wirklich am Ende. „Und hast mich alleine zurück gelassen, nachdem wir miteinander geschlafen haben. Du hättest mir wenigstens Bescheid geben können, irgendwas tun können, nur nicht das!" Der Schmerz war mir anzuhören.

„Ich habe doch, ich bin doch nur gegangen, weil du..." Er brach ab, raufte seine Haare, sodass sie wild vom Kopf abstanden. Vor ein paar Minuten wäre ich gerne mit meiner Hand durch die schwarzen Strähnen gefahren, doch jetzt starrte ich sie nur feindselig an.

„Weil was?" wollte ich wissen, doch Joint hatte sich schon von mir abgewandt auf der Suche nach seiner Jacke.

„Ich gehe jetzt lieber." Er blickte noch nicht mal auf, als er auf die Tür zusteuerte.

„Nein!" Ich hastete ihm hinterher, erwischte ihn noch am Arm. „Du wirst jetzt nicht einfach abhauen. Nicht schon wieder!" Bei meinen letzten Worten drehte er sich um.

„Du!" Ein Schritt auf mich zu, automatisch ließ ich meine Hand von ihm ab. „Du brauchst nicht auf unschuldig zu tun, du hast am nächsten Tag sofort den nächstbesten genommen!" blitzte da etwa Schmerz in seinen Augen auf? Hatte er doch mehr für mich empfunden, als ich angenommen hatte?

Ich konnte es nicht genau sagen, da verschwand der Ausdruck auch schon wieder.

„Das hab ich nicht!"

„Du hast ihm deine Zunge in den Hals gesteckt!" Sein Gesicht ließ nichts außer Wut erkennen.

„Weißt du was, ich brauche mich nicht rechtfertigen, wen ich küsse. Kann dir ja offensichtlich egal sein!" schrie ich ihn an. Der Kerl raubte mir wirklich den letzten Nerv.

„Ist es auch!" seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Mir ist es scheißegal, was du in deinem beschissenen Leben machst!"

Er trat auf die Türschwelle. „Von mir aus, kannst du rumvögeln mit wem du willst!" Das war genug. Mit einem kräftigen Stoß verfrachtete ich ihn nach draußen, schmiss die Tür mit einem großen Schwung zu und ließ mich erschöpft dagegen fallen.

Wenn ich jetzt weinte, hatte er gewonnen. Nein, ich würde meine aufkommenden Tränen zurückhalten. Doch mein Kopf, in dem sich seine Worte in einer Endlosschleife abspulten, machte nicht mit und versetzte mich in die Zeit vor vier Jahren. Warum konnte er nicht einfach zu geben, dass er einen Fehler begangen hatte? Das würde mir schon ein kleines bisschen helfen. Eine dicke Träne rollte meine Wange hinab. Schnell wischte ich sie weg, richtete mich auf und machte mich wieder daran, die Gläser in den Schrank zu räumen. Ich hatte mein Leben erst wieder unter Kontrolle gebracht, das durfte ich mir nicht von ihm kaputt machen lassen.

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