Kapitel 26

Lisa

Ich wischte gerade den Tresen ab, als es laut an der Holztür klopfte. Diesen Abend hatte Andi familiäre Verpflichtungen und gab mir den Auftrag, die Kneipe zu säubern und dann zu schließen. Er vertraute mir wirklich schon sein Ein und Alles an. So viel Vertrauen bekam ich nicht häufig, was mich nur noch mehr freute. Wieder ertönte das Klopfen. Wer konnte das denn sein? Wir hatten doch geschlossen. Vielleicht war es Andi, der was vergessen hatte? Dann musste ich ihm natürlich die Tür öffnen.

Mit dem Lappen in der Hand lief ich auf den Eingang zu. Um mich zu vergewissern, dass es mein Chef war, schaute ich kurzerhand durch den Türspion. Doch es waren keine blauen Augen, die mir entgegen blickten, sondern Dunkelbraune. Was wollte Joint denn hier? Waren meine letzten Worte an ihn, wohl nicht ausdrücklich genug gewesen? Es war ein angenehmer Tag gewesen, wollte ich ihn mir wirklich durch diesen Mann vermiesen lassen?

Als er noch einmal mit der Faust gegen das harte Holz schlug, machte ich erschrocken einen Schritt zurück. Unsicher was ich tun sollte, kaute ich nervös auf meiner Unterlippe herum. Nein, ich konnte nicht mit ihm in dieser kleinen Kneipe zusammen sein. Seine Nähe so unvermittelt um mich zu haben, ertrug ich wahrscheinlich nicht. Also richtete ich meine nächsten Worte an ihn.

„Wir haben geschlossen!" Ich hoffte so sehr, dass er meine Stimme durch die Dicke der Tür nicht erkannte.

„Lisa?" Mist! Was sollte ich jetzt tun? „Lisa, komm schon, mach die Tür auf!" Ich hörte, wie er näher an die Tür trat. Wenn ich tat, was er verlangte, gab es kein Zurück mehr.

„Geh nach Hause, Joint. Ich kann dir keinen Alkohol mehr geben." So jetzt, musste er nur noch gehen und ich konnte mich wieder an meine Arbeit machen.

„Das geht nicht, ich bin verletzt. Lass mich rein." Verletzt? Ich regte mich keinen Millimeter. Ich durfte nicht weich werden. „Bitte, Lisa. Du bist mich auch schnell wieder los. Ich brauche nur etwas Eis."

Wieso nur musste er die ganze Zeit meinen Namen sagen? Das brachte mich völlig durcheinander. Obwohl ich der festen Überzeugung war, dass er mich nur reinlegte, öffnete ich die Tür einen Spalt breit. Misstrauisch musterte ich ihn.

„Endlich!" Er stemmte schon die Hand gegen die Tür, wollte sie aufschieben, da hielt ich dagegen, war noch nicht gewillt, ihn rein zu lassen. Dann fiel mein Blick auf seine Schläfe, an der eine rote Kruste klebte. Gleichzeitig fiel mir auch seine aufgeplatzte Lippe auf, aus der es leicht blutete. Verdammt, er hatte nicht gelogen. Seine Verletzungen waren nicht zu übersehen.

„Kannst du mich nicht auch noch drinnen angaffen?" er klang langsam genervt. Ich rollte bei seiner dummen Bemerkung mit den Augen, ließ ihn jedoch eintreten. Sofort füllte er die kleine Bar mit seiner Größe aus. Zudem bemerkte ich viel zu spät, dass er dicht vor mir stehen geblieben ist und ich mich nicht vom Fleck bewegt hatte. Sein Duft nach Leder und Joint stieg mir in die Nase und ich wollte schon genüsslich die Augen schließen, da machte ich mich sprunghaft von ihm los. Egal, wie sehr mir dieser Geruch vertraut war, durfte ich mich nicht davon einlullen lassen. Diese Genugtuung würde ich ihm nicht geben.

„Warte, ich hole dir was zum Kühlen." Dankbar für die Ablenkung flüchtete ich in die Küche und kam nach einigen Minuten mit einer Packung Tiefkühlerbsen wieder. Währenddessen hatte er es sich auf einen der Barhocker gemütlich gemacht und beobachtete mich dabei, wie ich ein Handtuch um die Erbsen wickelte.

„Was ist mit dir passiert?", fragte ich ihn, als ich auf ihn zulief.

„Hmm, warte.", er legte kurz nachdenklich einen Finger ans Kinn, funkelte mich jedoch im nächsten Moment herausfordernd an. „Das geht dich nichts an." War das wirklich sein Ernst? Wenn er immer noch scheiße zu mir sein konnte, konnten seine Verletzungen gar nicht so schlimm sein. Verärgert ließ ich deshalb mit viel Kraft den Beutel gegen seine verletzte Stirn plumpsen.

„Hoppla", sagte ich gespielt, als er zischend einatmete.

„Pass doch auf!" Er langte schon mit der Hand an den Beutel, da konnte ich meine noch rechtzeitig fortreißen, ehe er mich berührte.

„Jammer doch nicht so rum", zog ich ihn auf und wandte mich ab. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie er verdutzt den Kopf schüttelte.

„Du bist manchmal einfach nur so..."

„Hilfsbereit? Nett? Einfach unglaublich?", unterbrach ich ihn, bevor er noch etwas Gemeines sagen konnte.

„Zickig, trifft es am besten." Zickig? Ich? Er hatte ja sowas von keine Ahnung, wie ich wirklich drauf war, wenn ich zickig war.

„Ich kann dich auch wieder vor die Tür setzen, Joint. Gar kein Problem." Er schaffte es wirklich immer wieder, mich auf 180 zu bringen.

„Hab dich doch nicht so. Das war doch nur ein Scherz." Jetzt hob er auch noch unschuldig seine Hände.

„Auf deine Witze kann ich getrost verzichten!" Ich drehte mich demonstrativ weg, ließ mich nicht von ihm täuschen.

„Ok", war alles, was er erwiderte und eine peinliche Stille entstand zwischen uns. Ich nutzte seine schweigsamen Minuten, um weiter sauber zu machen.

„Bist du abends immer alleine hier?", er hatte sich zu mir gewandt, stützte die Ellenbogen am Tresen ab.

„Hmm, warte, das geht dich nichts an", imitierte ich seine eigenen Worte. Sein darauffolgendes Lachen überraschte mich. Er wirkte so ehrlich mit seinen kleinen Grübchen, dass mir ganz warm wurde. Halt! Ich wollte mich doch von ihm fernhalten, und das bekam ich nicht hin, wenn ich über sein Lächeln schwärmte. Ich sollte es besser wissen und mich nicht davon beeindrucken lassen.

Ich wandte mich wieder den Gläsern zu, achtete nicht auf seinen Blick, der mich in jeder meiner Bewegungen verfolgte.

„Macht es dir was aus, wenn ich mich um den Sound kümmere?", fragte er mich nach einer Weile, während ich die einzelnen Tische abwischte.

Mit einem Schulterzucken ließ ich ihn gewähren, wusste nicht, was er vorhatte. Dann hörte ich die ersten Töne meines Lieblingsliedes. Er konnte das unmöglich wissen.

„Und?", er streckte den Kopf vom Laptop hervor, sah mich erwartungsvoll an.

„Passt schon", log ich und ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht.

„Ich weiß zufällig ganz genau, dass du diese Band magst." Backstreet-Boys fügte ich ihm Gedanken hinzu. Nachdem er den Song Quit Playing Games with my Heart laut aufgedreht hatte, schlenderte er mit den Händen in den Hosentaschen auf mich zu.

„Das hast du dir gemerkt?", es war jedenfalls schon vier Jahre her. Sein Lächeln nahm an Größe zu.

„Wie könnte ich den Anblick von fünf nackten Männern je wieder vergessen."

„Halbnackt", korrigierte ich ihn.

Sein tiefes Lachen erfüllte den ganzen Raum, ließ mich ihn fasziniert mustern, wie er mit seinen Schrammen im Gesicht und diesen einfachen Sportklamotten so umwerfend aussehen konnte.

„Gefällt es dir?" Er blieb in einigem Abstand vor mir stehen. Ich konnte nicht anders als sein Lächeln zu erwidern. Was war bloß los mit mir? Nur weil er sich die unnötigste Tatsache über meinen Musikgeschmack gemerkt hatte, durfte ich nicht schon einknicken. Trotzdem erwischte ich mich dabei, wie sich meine Füße automatisch im Takt der Musik anfingen zu bewegen. Als ich seinem Blick begegnete, hielt ich abrupt inne.

„Lass dich nicht von mir stören", sprach er leichthin und bedeutete mir weiter zu machen. Das würde ihm wohl so passen. „Du siehst heiß aus, wenn du deine Hüften so hin und her bewegst."

Mir blieb meine Antwort im Hals stecken. Hatte er mir gerade tatsächlich ein Kompliment gemacht? Schlagartig stieg Hitze in meine Wangen und ich senkte den Blick. Verdammt, mit dem mies gelaunten Joint wusste ich besser umzugehen.

„Was ist? Hat dir das denn noch niemand gesagt?" er kam auf mich zu, blieb jedoch kurz bevor unsere Körper sich berührten, stehen. Mit der Intensität, die in seinen Augen schimmerte, wandelte sich auch die Atmosphäre in eine knisternde aufgeladene Stimmung. Als könnte er die Distanz zwischen uns nicht mehr aushalten, legte er eine Hand an meine Taille und zog mich an sich ran.

„Tanz mit mir", flüsterte er heißer, während ich ihn nur ungläubig anstarren konnte. Er wollte mit mir tanzen? Er?

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