Kapitel 23
Lisa
Was machte Sean denn hier? Stocksteif sah ich zu, wie er immer näher auf uns zukam. Seine Haare hatte er zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden, auf seinem Kinn lag ein dunkler Bartschatten, seine Augen waren von lila Ringen unterlegt. Ansonsten sah er mit seiner schwarzen Hose, mit der Lederjacke und den Boots wie in meinen Erinnerungen aus.
Was wollte er? Obwohl mir Joints Nähe nur zu bewusst war, schritt ich Sean entgegen. Er sollte nicht wissen, dass ich hinsichtlich der Beziehung gelogen hatte. Meine Haut prickelte immer noch wohlig, schien an Hitze zugenommen zu haben und das nur wegen einer kleinen Berührung. Oder lag es auch daran, dass sich Georg Schwarz bei mir entschuldigen wollte? Bei mir? Entschuldigen? Meine Abwehr fing an zu bröckeln, sobald er mich berührte. Wie gerne hätte ich die gesamten Worte aus seinem Mund gehört, doch da war Sean dazwischen gefunkt.
„Lisa?", sagte er noch einmal mit diesem unverwechselbaren Akzent.
Ich blieb vor ihm stehen. „Sean, was machst du denn hier?", sprach ich leise zu ihm, doch er hatte nicht die Absicht unauffällig zubleiben. Mit einem Nicken deutete er auf Joint, der sich immer noch hinter mir befinden musste.
„Ist er der Grund, warum du mich verlassen hast?", seine Stimme klang messerscharf, trotzdem konnte ich die Traurigkeit darin erkennen.
„Nein, ist er nicht", versicherte ich ihm. „Sean, lass uns woanders reden, ok?"
Er zuckte zusammen, nachdem ich seinen Namen ausgesprochen hatte, als hätte ich ihn geschlagen.
„Warum bist du gegangen, Sweetie?" Seine grauen Augen blickten mich gekränkt an. Schuldgefühle machten sich in mir breit, nahmen meine ganzen Gedanken ein.
„Es tut mir Leid", stammelte ich, während Tränen in meine Augen schossen.
„Hey", sagte er sanft, streckte die Hand aus um mich zu trösten, doch ich wich aus, konnte nicht glauben, dass er nach allem so nett zu mir war. Das hatte ich nicht verdient. Ihn hatte ich nicht verdient.
„Sean, ich weiß, ich hätte schon eher mit dir sprechen sollen, aber ich... ich konnte nicht."
„Das macht nichts, jetzt, wo ich dich gefunden habe, kannst du wieder mit mir kommen." Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, was mich nur noch mehr belastete.
„Nein, ich werde nicht mit dir kommen, ich...ich bleibe hier."
Er schüttelte entgeistert den Kopf. „Das glaube ich nicht." Seine Hand legte sich an meine Wange –wie zuvor Joints- doch ich spürte nichts, nicht einmal ein kleines Kribbeln, das durch meinen Körper strömte. Es war das Richtige, wenn ich ihn wegschickte.
Mit einigen Schritten entfernte ich mich von ihm, strengte mich an, ihm in die Augen zu schauen.
„Sean, ich habe dich verlassen und das aus einem guten Grund."
„Du hast nur einen Zettel da gelassen", erwiderte er und eine Träne bahnte sich einen Weg an die Oberfläche.
„Ich konnte es dir nicht ins Gesicht sagen, weil ich feige bin, Sean."
„Nein, Sweetie, du bist alles, nur nicht das." Oh Gott, wie sollte ich das hier nur überstehen?
Ich schluchzte kläglich auf. „Ich liebe dich nicht. Nicht mehr." Er zuckte unter meinen Worten zusammen, wich meinem Blick jedoch nicht aus.
„Das glaube ich nicht. Wir gehören zusammen, Lisa." Er machte einen weiteren Schritt auf mich zu.
„Nein", flüsterte ich, während ich ihm weiter auswich, bis ich gegen etwas Hartes stieß. Ich brauchte mich nicht mal umzudrehen, um zu erkennen, an wessen Brust ich mich gerade lehnte.
Seans Augen verengten sich zu Schlitzen, als er mich betrachtete. Sofort richtete ich mich auf.
„Heißt das, dass es aus ist? Einfach so?", er ballte die Hände zu Fäusten.
Ich konnte ihn nicht noch länger quälen, musste endlich ehrlich zu ihm sein. Also nickte ich ihm zu, woraufhin er noch wütender wurde. Ich konnte es ihm nicht verübeln, schließlich war ich einfach abgehauen.
„Sean. Es tut mir leid", versuchte ich ihn zu beruhigen, da fixierten seine Augen auch schon den Mann hinter mir.
„Du bist das asshole, das mir meine Freundin ausgespannt hat oder?" Ich spürte, wie sich Joint versteifte, blieb jedoch stumm.
„Sean", setzte ich an, um ihn abzulenken, doch er ignorierte mich völlig, starrte nur Joint an, dessen Brust nun schneller gegen meinen Rücken drückte.
„Lisa, ich denke wir sollten wieder nach drinnen gehen", sagte er und überraschte mich damit. Dass er so gelassen reagierte, hätte ich nicht erwartet.
„She's going anywhere", Seans Gesicht hingegen zuckte nur so vor Zorn. „Sie gehört zu mir, also lass gefälligst deine nasty Fingers von ihr!"
Joint regte sich immer noch nicht, und ich traute mich auch nicht mich zu ihm umzudrehen.
„Sie ist schon groß, sie kann ihre Entscheidungen alleine treffen." Und das aus seinem Mund? Ich dachte gerade wirklich, ich wäre im falschen Film.
„Sean, bitte, lass uns noch einmal in Ruhe reden, ok?", sagte ich, doch er blickte mich nur böse an.
„Fuck you!", rief er zornig und das brachte das Fass zum Überlaufen. Ehe ich's mich versah war Joint auch schon an mir vorbei gestürmt, packte Sean am Kragen seiner Lederjacke und schleuderte ihn gegen die kalte Backsteinmauer.
„Nimm das zurück!" Für einige Sekunden verharrte ich an Ort und Stelle, unfähig auf diese Situation zu reagieren. Dann begegnete ich dem Blick eines Security-Mannes, der die Szene ebenfalls beobachtete, bereit jeden Moment einzuschreiten.
Hastig lief ich auf die beiden zu.
„Joint, lass ihn los!" redete ich auf den muskulösen Rücken ein, der Sean immer noch gefangen hielt.
„Erst soll er seine Worte zurück nehmen!", sagte er ohne seine Position zu verändern.
Sean starrte ihn nur angriffslustig an und da dämmerte es mir. Er wollte, dass Joint ihm eine rein haute. Er wollte eine Prügelei anfangen, um sich dem Schmerz, den ich ihm zugefügt habe, zu entziehen.
„Georg", wandte ich mich daher an Joint. „Bitte, lass ihn runter." Er blickte bei meinen Worten kurz über die Schulter, jedoch ohne seine Hände von ihm zu nehmen.
Ich atmete kurz ein, bevor ich ihm eine Hand an den Rücken legte. „Georg, der Security-Mann hat schon ein Auge auf euch geworfen." Er zuckte unter meiner Berührung zusammen. „Bitte", setzte ich daher schnell hinterher, um ihn vollends zu überzeugen.
Und tatsächlich entspannten sich seine Muskeln und mit einem Plumps fiel Sean auf den Boden.
Besorgt kniete ich mich zu ihm hin, wollte ihm aufhelfen, da schlug er meine Hände von seinem Arm.
„Nicht." Ich gehorchte, stand auf und vergrößerte den Abstand. Joint befand sich neben mir, den Blick abgewandt.
Sean blieb auf dem Boden sitzen, stützte sein Gesicht in seine Hände. Der Anblick bekümmerte mich so sehr, dass ich meine Tränen nicht mehr aufhalten konnte.
„Ich hoffe..."ich wischte mir mit dem Handrücken über die Wangen. „ich hoffe, dass du mir irgendwann verzeihen kannst, Sean. Es tut mir so leid." Damit rannte ich den gepflasterten Hof hinauf. Tränen nahmen mir die Sicht, sodass ich meine Schritte vorsichtshalber verlangsamte.
„Lisa, warte!" Joints Stimme drang an mein Ohr, und ich musste automatisch aufschluchzen. Wegen ihm hatte sich in meinem Kopf diese Verwirrung gebildet, wegen seiner Berührungen hatte ich von Sean genau dasselbe erwartet, hatte gehofft, dass mein Körper ebenso empfindlich auf ihn reagieren würde. Doch das tat er nicht. Nur bei einem einzigen Mann, und das schon seit vier Jahren, was mir gerade überdeutlich bewusst wurde.
„Warte!" Mit seinen langen Beinen hatte er mich schnell aufgeholt, überholte mich und stellte sich mir in den Weg. „Wohin gehst du?"
„Nach Hause", meine Stimme zitterte. Seine Hand kam meinem Gesicht so nah, dass mir ein Schauer den Rücken hinunter lief, trotzdem konnte ich die Berührungen nicht mehr zulassen. Dieses ewige Hin und Her mit ihm, laugte mich total aus. Die Gefühle, die er in mir hervorrief, verursachten mir Kopfschmerzen, sodass ich nicht mehr klar denken konnte. Und dabei hatte ich mir geschworen, mich nicht mehr von einem Mann wie ihm, so beeinflussen zu lassen. Mein Herz war immer noch nicht richtig verheilt und ich hatte Angst, dass die Wunden wieder aufreißen würden, je mehr ich mich seiner Nähe hingab.
„Lass mich dich begleiten", seine dunklen Augen sahen mich bestimmt an. Viel zu oft, hatte ich mich in dieser geheimnisvollen Dunkelheit verloren. Das musste sofort aufhören, ich musste einmal in meinem Leben standhaft bleiben.
„Nein, ich will dich nicht in meiner Nähe haben", sagte ich schroff und schob ihn auf Seite. „Ich brauche dringend Abstand von dir, brauche Zeit für mich." Entgegen meiner Erwartungen ließ er mich gewähren. Hielt mich nicht auf, als ich wieder zu rennen begann und auf der Straße verschwand.
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