Kapitel 22
Joint
Ich konnte meine Wut kaum zügeln, als Lisa mich mit diesem vorwurfsvollen Blick ansah. In ihren Augen führte ich mich wie ein Irrer auf, dabei hatte ich mir echt Mühe gegeben, gelassen und freundlich zu sein, wäre da nicht Markus an ihrer Seite aufgetaucht. Verdammt, er war der kleine Bruder von Nik, ich sollte nicht auf ihn eifersüchtig sein. Das war doch dumm.
Trotzdem erwischte ich mich dabei, wie ich die beiden beobachtete, wie er sie vertraut berühren konnte, ohne, dass sie ihn wegschob. So war sie auch mal mit mir umgegangen, doch dann hatte ich es vermasselt. Und jetzt drohte der Abend wegen mir auch noch zu scheitern.
Vanessa, schoss es mir durch den Kopf. Ich durfte mich nicht meiner Wut hingeben, noch nicht. Zuerst sollte ich Vanessa den Abend geben, den sie wollte. Dafür war ich mitgekommen, für sie und nicht um auf einen Blondie eifersüchtig zu sein.
Etwas beruhigt drehte ich mich um, und sah genau in dem Moment, Markus auf mich zu kommen. Wenn man vom Teufel sprach.
„Hey", sagte er locker, während er zwei Becher auf den Küchentresen abstellte. Was fand Lisa nur an ihm?
„Hm", brummte ich ihm entgegen, wollte schon gehen, da hielten mich seine nächsten Worte auf.
„Du solltest es ihr sagen."
Widerwillig wandte ich mich ihm zu. „Was meinst du?"
„Dass du noch Gefühle für sie hast."
Drohend schritt ich auf ihn zu. „Pass auf, was du sagst."
„Dein ganzes" er deutete auf meine geballte Faust. „aggressives Verhalten verrät dich nur."
Verwirrt runzelte ich die Stirn.
„Ich meine, wenn du sie von dir stoßen willst, kannst du ruhig so weiter machen. Aber wenn du sie wirklich magst, solltest du vielleicht etwas netter zu ihr sein."
Schnaubend stützte ich mich am Tresen ab. Mögen? War er ein Weib oder was?
„Warum solltest du mir helfen wollen?"
„Weil Lisa eine gute Freundin für mich ist. Und ich nicht will, dass sie ihr Herz an einen Vollidioten verschenkt, der sie nicht zu schätzen weiß."
Seine Worte machten mich wütend, doch diesmal galt die Wut mir. Ich wusste sie zu schätzen, das...das hatte ich ihr nur noch nie gezeigt, oder?
„Sie hält mich aber für einen Mistkerl. Womit sie auch Recht hat." Warum ich ihm das sagte, wusste ich nicht, vielleicht, weil er so ehrlich interessiert war? Keine Ahnung.
„Du warst aber nicht immer so, und die alte Version mochte sie anscheinend, sonst würden deine Worte sie nicht so verletzen."
Verdammt, ich wollte sie nicht verletzen, ich wollte einfach nur, dass sie ...ja, was eigentlich? Dass sie aufhörte mit dem Jungen zu flirten, der mir jetzt half? Ich war so armselig, dass es schon verboten gehörte.
„Was soll ich deiner Meinung nach denn tun?", fragte ich ihn, versuchte jedoch meine Verzweiflung zu verstecken.
„Wie wäre es mit einer Entschuldigung?" Er schenkte mir ein aufrichtiges Lächeln. „Das wäre ein guter Anfang." Beim Vorbeigehen schlug er mir fest auf die Schulter, was ich ihm nicht zugetraut hätte. Tja, man lernte schließlich nie aus.
„Also, zieh endlich deinen Kopf aus'n Arsch und verschließ deine Augen nicht mehr vor der Wahrheit." Perplex blieb ich stehen, sah ihm nach, wie er zu den anderen ging. Seine Worte beschäftigten mich noch den ganzen Abend.
Ich wusste, dass ich mich bei Lisa entschuldigen musste, für schon so vieles, doch das war leichter gesagt als getan. Ich konnte mich gar nicht daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal aufrichtig bei jemandem entschuldigt hatte. Und das hieß, dass es schon sehr lange her sein musste.
„Hey, Joint, ich denke wir sollten jetzt aufbrechen.", Nik kam auf mich zu, Vanessa im Arm. Konnte ich mich jemals an diesen Anblick gewöhnen? War ich denn besser als er? Mit der besten Freundin seiner Schwester zu schlafen, war jetzt auch keine Glanzleistung von mir gewesen.
Scheiße! Ich durfte mir wirklich kein Urteil über ihn erlauben, wenn ich selbst nicht anders gehandelt hatte.
Ich nickte ihm zu, schenkte meiner Schwester ein Lächeln, das sie nur zögerlich erwiderte und zog meine Jacke an. Als alle aufbruchsbereit waren, liefen wir los in Richtung Klub. Die ganze Zeit überlegte ich mir die passenden Worte, die ich zu Lisa sagen wollte, doch da sie den ganzen Weg über so tat, als würde ich gar nicht existieren, konnte ich mich nicht wirklich auf meine Gedanken konzentrieren.
Im Klub angekommen, kamen mir hauptsächlich nur schwarz gekleidete Menschen entgegen. Hatte ich mein Missfallen gegenüber dieser Farbe schon einmal ausgedrückt? Wie wandelnde Leichen stapften sie durch den beleuchteten Raum, der genauso düster wirkte. Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Schwester mit ihrem schwarzen Kleid und der Netzstrumpfhose perfekt in diesen Laden passte. Auch Nik schien sich auszukennen, als er uns in der Menschenmenge zu einer Bar lotste. Bei dem Gedanken, was die zwei hier schon alles getrieben haben mussten, kam es mir unwillkürlich hoch.
Ich unterdrückte ein Würgen und bestellte mir schnell ein Bier, um die aufsteigende Galle hinunterzuspülen. Die Musik hämmerte hart in meinen Ohren, der Bass ging durch meinen Körper, sodass ich nichts anderes als das rockige Lied wahrnahm. Am Eingang hatte Markus eine Studiumskollegin getroffen, und war mit ihr tanzen gegangen, worüber ich mich sehr freute. Wenn er auch noch angefangen hätte, eng mit Lisa zu tanzen, wäre mir wahrscheinlich endgültig der Kragen geplatzt.
„Wollen wir tanzen?", rief Vani Lisa ins Ohr, sodass es jeder hören konnte. Lisa nickte ihr zu und ehe sie auf die Tanzfläche stürmten, gab Nik meiner Schwester einen Kuss auf die Wange. Lisas Augen legten sich in diesem Moment auf meinen Mund. Sehnte sie sich wohl danach, dass ich dasselbe tat?
Nein, sie hätte mir sicherlich eine Ohrfeige verpasst, wenn ich ihr zu nahe gekommen wäre. Also sah ich tatenlos zu, wie die beiden in der Menge verschwanden, nur um sie dann am Rand der Tanzfläche wieder ausfindig zu machen.
Sie stach mit diesem blauen Kleid aus der Menge heraus. Schimmernd strahlte das Blau in verschiedenen Facetten, als die Scheinwerfer Lisa für einige Sekunden trafen. Ihre anmutigen Bewegungen, der Hüftschwung, der jeden Mann zum Sabbern bringen konnte, brannte sich in meine Netzhaut. Rhythmisch ließ sie sich in der Musik gehen, schloss gelassen die Augen, sodass ich sogar mit dem Gedanken spielte, zu tanzen, nur um sie aus der Nähe bewundern zu können. Wow, ihr Anblick fesselte mich so sehr, dass ich mich wortwörtlich davon losreißen musste.
„Wer hatte eigentlich die Idee in diesen Schuppen zu gehen?", fragte ich Nik, um mich von Lisa abzulenken.
„Vanessa wollte es so", sagte er, während sein Blick ihren suchte.
„Seit wann bist du so ein Weichei, Nik."
Belustigt sah er mich an, kein Funke von Ärger über meine Beleidigung lag in seinem Gesicht.
„Seit wann lässt du dich von einem Mädchen, so um den Finger wickeln?"
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst", behauptete ich, obwohl mir bewusst war, worauf er anspielte.
„Wenn du sie weiter so anstarrst, geht dir gleich der Knopf auf", bemerkte er belustigt. Um einer Antwort zu umgehen, trank ich schnell einen Schluck von meinem Bier. „Und wir wissen beide, dass deine Augen das einzig blaue Kleid in diesem Klub fixiert haben."
„Na, und. Man darf sich wohl mal umschauen", warf ich ihm entgegen, woraufhin er mich nur skeptisch musterte.
„Ich weiß, dass da mehr dahinter steckt, Joint. Auf der Party damals, hast du dich genauso komisch aufgeführt wie heute Abend."
„Du hast doch keine Ahnung, Nik", schnaubte ich verärgert. Als könnte man die heutige Lisa mit der früheren vergleichen.
„Wie du meinst", lachte er auf und bestellte sich ebenfalls ein Bier.
„Was soll das denn schon wieder heißen?", wollte ich von ihm wissen.
„Bei dir ist es doch immer das Gleiche mit den Frauen. Kaum entwickeln sich Gefühle, sägst du sie ab und holst dir die Nächste. So hast du es schon immer getan, tust es noch immer, also wieso solltest du dann auf mich hören." Mit einem Schulterzucken beobachtete er meine Schwester, wie sie sich stürmisch im Rhythmus der harten Musik bewegte.
„Vergleich Lisa nie wieder mit diesen Flittchen", presste ich hervor, doch er gab keine Reaktion von sich.
„Und wann erfährt sie von ihrem Glück?", fragte er, immer noch das Gesicht abgewandt. Kontrolliert versuchte ich einzuatmen, um meinen Puls zu beruhigen, der nur so gegen meine Haut pochte.
„Ich weiß nicht, was du mit dieser Masche erreichen willst. Aber lass es einfach!", damit drehte ich mich zur Bar, zwinkerte der Barkeeperin zu, die mir gleich darauf ein neues Bier brachte.
„Hier, Süßer", säuselte sie, beugte sich leicht nach vorne, sodass ich direkt in ihren Ausschnitt schauen konnte. Vielleicht sollte ich ihrer Einladung nachgehen und mich mit ihr vergnügen? Sie wäre ganz mein Typ gewesen, trotzdem konnte ich mich nicht dazu aufraffen ihr gekünsteltes Lächeln zu erwidern.
„Dann sage ich es ihr, wenn du es nicht tust", kam es plötzlich von Nik und ehe sich die Worte in meinem Verstand vervollständigt hatten, lief er auch schon in Richtung Tanzfläche davon.
Ohne ein Wort zur Barkeeperin, hechtete ich ihm hinterher, wollte ihn an der Schulter fassen, da drehte er sich geschickt nach rechts, sodass ich ins Leere griff.
„Lass den Scheiß, Niklas", rief ich, während ich immer noch versuchte ihn einzuholen.
„Ich finde sie hat die Wahrheit verdient", sagte er, ohne Halt zumachen.
„Welche Wahrheit denn?" ich verstand beim besten Willen nicht, was er mit dieser Aktion erreichen wollte. Eins jedoch wusste ich: Lisa durfte nicht von ihm erfahren, dass sie mir nach den Jahren immer noch durch den Kopf spukte. Zuerst musste ich herausfinden, wie sie zu mir stand, bevor ich mich ihr schutzlos auf einem Silbertablett servierte.
Plötzlich stolperte Nik gegen einen breitschultrigen Mann, der ihm in dem Moment entgegen gekommen war. Das war meine Chance! Mit schnellen Schritten beschleunigte ich mein Tempo bis ich die Mädchen erreichte. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, irgendetwas zu erklären oder stehen zu bleiben, ignorierte Lisas geweitete Augen, als ich sie am Arm packte und mit an die frische Luft zerrte.
„Joint, was soll das?", fragte sie aufgebracht, doch ich konnte nur ihre weiche Haut unter meiner wahrnehmen. Auf einmal ebbte meine Wut ab, und als ich langsam meine Hand in ihre gleiten ließ, meine Finger sich mit ihren verschränkten, beruhigte sich sogar mein rasender Puls. Sie keuchte auf, versuchte sich aus meinem Griff zu winden, während ich sie weiter hinter mir herzog bis ich einen freien Platz im vorderen Hof gefunden hatte.
Mit genügend Abstand zu den anderen Leuten, blieb ich stehen, wandte mich ihr zu, ließ sie jedoch nicht los.
„Ich muss mit dir reden." Ihre grünen Augen trafen auf meine, als sie nach Atem rang.
„Ich will aber nicht mit dir reden!" Sie war erzürnt. „Du kannst dich nicht einfach den ganzen Abend wie ein Arschloch verhalten, mich beleidigen, wie es dir gefällt und dann noch erwarten, dass ich dich sprechen will." Obwohl sie mich mit diesen wütenden Augen anschaute, ihre Lippen aufeinander presste, entzog sie sich doch nicht meiner Hand.
Das gab mir einen Ruck, auf sie zu zugehen, ihre Hand fest umschlossen. Sie wich nicht zurück, schob ihr Kinn stur in die Höhe, während ich dicht vor ihr stehen blieb.
„Darüber möchte ich ja mit dir reden." Sie wollte schon protestieren, da legte ich ihr meine Hände an die Wangen, woraufhin sie schlagartig verstummte. Mit dieser Berührung konnte ich meine Gefühle kontrollieren, konnte mich voll und ganz auf meine nächsten Worte konzentrieren.
„Ich hätte dich nicht als billig beschimpfen dürfen, das weiß ich. Und allgemein, hätte ich mich dir gegenüber besser verhalten sollen", sachte strich ich mit dem Daumen über ihre erhitzte Haut. „Es... es tut..." ich schluckte, „es tut mir..." weiter kam ich nicht, als mich eine männliche Stimme mit englischem Akzent unterbrach.
„Lisa?" rief derjenige, und im nächsten Moment war diese auch schon einen guten Meter von mir gesprungen. Sie blickte nicht mal in meine Richtung, während ein gut aussehender, groß gebauter Mann mit dunkelblonden Haaren auf uns zuschritt.
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