Kapitel 2

Lisa

Heute war die Beerdigung vom Vater meiner besten Freundin. Die Zeremonie der Kirche, die Reden am Grab, die bedrückte Stille, die sich auf dem Heimweg um die Anwesenden legte und die Beileidsbekundungen der Gäste kamen mir nur zu vertraut vor. Als ich noch ein kleines Kind war, starb mein eigener Vater an Lungenkrebs, nichts hätte mehr geholfen, die Ärzte hatten den Tumor zu spät erkannt. Von da an gab es nur noch meine Mutter und mich. Kein anderer Mann in meinem Leben hatte mehr Bedeutung gehabt wie mein Vater. Wenn meine Mutter einen neuen Typen mit nach Hause brachte, ärgerte ich ihn so sehr, dass er spätestens nach einer Woche unser Haus wieder verließ. Nach weiteren gescheiterten Versuchen, gab meine Mutter auf und wir hatten unser Zuhause wieder für uns zwei. Damals dachte ich noch, dass es der einzige Weg war, um meinen Vater in Ehren zu halten, doch heute erkannte ich erst meinen fatalen Fehler, den ich begangen hatte. Wegen mir, konnte meine Mutter nicht mit dem Tod abschließen, auch wenn sie es versuchte hatte, doch das hatte ich als kleines Kind noch nicht verstanden. Und jetzt obwohl sie immer wieder das Gegenteil behauptete, wusste ich, dass sie unter meinen Taten litt, aber es war zu spät.

Dasselbe Schicksal wollte ich meiner besten Freundin ersparen, und unterstütze sie deshalb, wo ich nur konnte. Einer jedoch hatte einen völlig anderen Plan geschmiedet und brachte mit seinen unangebrachten Auftritten immer wieder einen Keil in meine Pflichten als Freundin. Vanessas vier Jahre älterer Bruder setzte alles daran, den heutigen Tag in ein Desaster zu verwandeln. Und das musste ich verhindern, um Vanessas Willen. Die gemeinsame Geschichte, die ich mit ihm teilte, spielte dabei keine Rolle, ich tat das alles nur für meine beste Freundin. Jetzt lief sie mit hängenden Schultern an mir vorbei, nachdem sie mit Joint gesprochen hatte.

„Und wie ist es gelaufen?" hielt ich sie auf.

„Was denkst du denn?", sagte sie bedrückt. „Er kann nicht aus seiner Haut raus, und es war dumm von mir zu glauben, dass er es für mich versuchen würde."

„Das tut mir Leid, Süße." Tröstend drückte ich ihr den Arm, daraufhin schenkte sie mir ein kleines Lächeln.

„Ich werde mal nach meiner Mom sehen. Sie war ziemlich aufgebracht." Damit ließ sie mich stehen, ich schaute ihr noch eine Weile hinter her, dann konzentrierte ich mich wieder auf die Person, die sich endlich benehmen musste. Er stand mit beiden Händen in seinen Hosentaschen im kleinen Garten und starrte vor sich hin. Im Gegensatz zu allen anderen trug er ein rotes Shirt und eine hellblaue Jeans. Warum er nicht schwarz gewählt hatte, spielte keine Rolle. Er tat es wahrscheinlich nur um seine Mutter zu ärgern, das musste seine Absicht sein. Dabei sollte er die Trauer einfach zulassen, dann würde es ihm bestimmt besser gehen.

Mit kleinen Schritten näherte ich mich ihm, bedacht darauf einen Sicherheitsabstand zu ihm zu halten. Sicher war sicher. Wer weiß, was er dieses Mal vorhatte, und ich durfte mir bei ihm nicht noch einen schwachen Moment leisten, das würde mein Herz nicht noch einmal verkraften. Also blieb ich gute zwei Meter vor ihm stehen. Im gleichen Moment, in dem ich den Rasen betreten hatte, bemerkte er mich. Ok, es konnte losgehen.

„Hey," ich setzte ein Lächeln auf. „Du bist ja ganz alleine. Wo ist denn deine Freundin?" Warte was? So wollte ich den Versuch, ihn zur Vernunft zu bringen, nicht beginnen. Mist, die Worte konnte ich jetzt nicht mehr zurück nehmen. Er richtete seinen Blick auf, seine dunklen Augen fixierten mich misstrauisch.

„Sie hat mich genervt." Als wäre es ihm gleichgültig, zuckte er mit den Schultern. Ich war überrascht darüber, dass er auf meine Frage überhaupt einging. „Genau wie du jetzt!" Überrascht? Wut traf es eher. Damit verdrehte er demonstrativ die Augen. Und ich hatte wirklich gedacht, dass er sich mit der Zeit verändert hatte. Krampfhaft versuchte ich mich zurückzuhalten, um ihm nicht irgendeine Gemeinheit an den Kopf zu werfen. Obwohl er mich immer noch abwertend musterte, hatte er es dann doch nicht verdient, in diesem Moment angeschnauzt zu werden. Also schluckte ich meinen Ärger hinunter.

„Wenn du jemanden zum Reden brauchst, bin ich für dich da. Ich wollte nur, dass du das weißt." Das hörte sich doch erwachsen an.

„Nein, danke! Da fresse ich lieber alles in mich hinein, bevor ich mit dir  über meine Gefühle rede!" Sein abschätziger Blick offenbarte alles. Ok, Lisa, lass dich nicht provozieren. Du hast von der Vergangenheit gelernt, er will dich bloß aus der Fassung bringen, doch du weißt es besser, denn im Gegensatz zu ihm, hast du dich mit der Zeit weiter entwickelt, versuchte ich mich irgendwie davon abzuhalten, an die Decke zu gehen. 

Ich war schon seit gute zwei Jahren nicht mehr das schüchterne Mädchen, dass bei jeder aufkommenden Konfrontation klein bei gegeben hat.

„Mein Angebot steht trotzdem noch. Ich kann warten bis du bereit dazu bist. Nachdem mein Vater gestorben ist, wollte ich auch zuerst für mich sein, doch nach einiger Zeit hat mir das Mitteilen an Jemanden, mir über den Schmerz hinweg geholfen", versuchte ich ihm deutlich zu machen, dass er trotz unserer Vorgeschichte, auf mich als Freundin zählen konnte.

„Ist das gerade irgendeine Psychokacke, die du bei mir abziehst?" Verärgert sah er mich an. „Das zieht bei mir nicht, also kannst du dir die Mühe auch sparen."

Ich hatte immer mehr Schwierigkeiten nachsichtig mit ihm zu sein. Egal was er gerade durchmachte, so ließ ich nicht mit mir reden. Frustriert über seine abweisende Haltung, ballte ich die Hände zu Fäusten. Ich sollte mich nicht ein zweites Mal auf diesen Kerl einlassen, schon einmal hatte mein Verstand bei ihm nicht richtig funktioniert.

„Ich schaue mal nach deiner Schwester.", sagte ich und wandte mich von ihm ab, bevor ich noch meine guten Manieren vergaß. Er folgte mir nicht ins Haus, was ich eigentlich auch nicht erwartet hatte, trotzdem wurde mir bei dem Gedanken, dass er gerade alleine im Garten stand, ganz anders. Vielleicht sollte ich ihn doch noch nicht so schnell aufgeben. Ich wollte mich gerade zu ihm umdrehen, da hörte ich ihn leise vor sich hin murmeln.

„Hier wimmelt es ja nur so von Idioten! Die interessieren sich doch einen Dreck um uns!" Augenblicklich änderte ich meine Meinung, ihn noch einmal zu überzeugen. Ich sollte lieber zu jemanden gehen, der meinen Beistand dringender brauchte und auch benötigte. Und das war ganz offensichtlich nicht er!

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