Kapitel 11

Joint

Es war schon spät, ich brauchte dringend etwas Schlaf. Trotzdem drehte ich mich zur Seite, lief eine kleine Gasse entlang, die widerlich nach Pisse stank und blieb vor einer kleinen Gruppe von Männern stehen. Sie hatten sich in einem Halbkreis aufgestellt und sahen gebannt in die Mitte. Neugierig näherte ich mich der Masse, da ertönte schon der erste quälende Laut. Es standen sich zwei Männer gegenüber, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Der große von beiden war bepackt mit Muskeln, sein breites Kreuz verdeckte sein Gegenüber. Dieser hielt sich die Hand auf den Mund, aus dem dickes Blut tropfte. Er wirkte mit seinen dünnen Ärmchen so schmächtig, dass er gegen den anderen sicherlich keine Chance hatte. Untätig sah ich dabei zu, wie der Kraftprotz mit dem nächsten Schlag ausholte.

Mein Blick schweifte kurz zu den umherstehenden Menschen, die ebenso nicht in den Kampf eingriffen. Dann landete die Faust des Kräftigen auch schon gegen das Kinn des Kleinen. Das laute Knacken war kaum zu überhören. Obwohl sein Kiefer gebrochen sein musste, blieb der Schmächtige eisern stehen. Respekt, nach so einem Schlag wäre jeder andere schon auf dem Boden gelegen.

Plötzlich wurde ich an der Seite angetippt.

„Hey, willst du deine Wette noch abgeben?" Alkohol drang in meine Nase und ich sah einem pummligen Typen mit Monobraue entgegen. Darum ging es hier also, deswegen sahen so viele Menschen fasziniert diesem Schauspiel zu. Schnell schüttelte ich mit dem Kopf. Ich hatte nicht einmal Geld dabei. Mit einem Nicken zu dem Dünnen, wandte ich mich dem Typen mit den fettigen Haaren zu.

„Der hält das doch nicht mehr lange aus. Ist die unterschiedliche Gewichtsklasse nicht unfair?" Der schmierige Kerl lachte kurz auf. „Im Street Fight gibt es keine Regeln, jeder muss sehen, wie er zurechtkommt."

Er betrachte mich jetzt eingehender, blieb an meiner verletzten Schläfe hängen.

„Ich bin Harry." Er streckte die Hand aus und obwohl ich mir sicher war, dass das nicht sein richtiger Name war, schlug ich ein.

„Joint."

Wieder lachte er auf, zeigte seine gelben Zähne. „Also Joint", er zog meinen Namen übertrieben in die Länge, „interessiert an einem Fight? Jeder kann einsteigen."

Anstatt ihm zu antworten blickte ich zu dem andauernden Kampf, bei dem der Größere eindeutig überlegen war. Der andere lag jetzt schnaufend am Boden, rührte sich nicht mehr viel. Wie weit musste man in seinem Leben sinken, dass man sich so eine Demütigung freiwillig antat?

„Lass es dir noch einmal durch den Kopf gehen. Du weißt ja, wo du mich finden kannst." Damit zog er sich in die Menge zurück, drückte einem Mann mit einem schwarzen langen Mantel Geld in die Hand und verschwand dann endgültig. Ehe ich's mich versah, lichtete sich die Gruppe, alle strömten in verschiedene Richtungen weg, nur der Verlierer lag immer noch stöhnend am Boden.

Langsam ging ich auf diesen zu, ließ mich in die Hocke fallen und stupste ihn an der Schulter an.

„Hey, Mann, geht es dir gut?" Stöhnend rollte er zur Seite, entblößte ein zerschrammtes Gesicht, das von einem blauen Auge geziert wurde.

„Verpiss dich." Knurrte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

„Reg dich ab, ich wollte nur behilflich sein. Kann ich ja nichts dafür, dass du den Kampf verloren hast." Ich wollte mich schon abwenden, da hörte ich sein abfälliges Schnaufen, das die Wut in mir schürte.

„Du hast ja keine Ahnung", blaffte er und richtete sich auf, den Arm vor seinem Bauch gelegt.

Ich konnte nicht anders, und lachte ihm frech ins Gesicht. „Ich hätte auf jeden Fall nicht so schnell den Schwanz eingezogen."

Seine Augen blitzten mich wütend an. „Halt die Klappe!" Ich machte ihm Platz, als er versuchte aufzustehen, fiel jedoch im nächsten Moment wieder auf den Boden.

„Du hättest mehr auf seine Beine zielen müssen, ihn aus dem Gleichgewicht bringen müssen", sagte ich zu ihm, als ich ihm meine Hand anbot.

Nach einem kurzen Zögern nahm er sie an und ließ sich von mir auf die Beine ziehen. Hatte ich schon mal erwähnt, dass er echt schmächtig war? Seine Arme waren halb so dünn wie meine, unter seinem Shirt zeichneten sich deutlich seine Rippen ab, die sich in einem unregelmäßigen Rhythmus anspannten.

„Du hast leicht reden", hustete er, „steh du erst mal so einem Muskelprotz gegenüber." Ich ließ es unkommentiert, da ich nicht scharf auf so eine Begegnung war.

„Warum tust du dir das eigentlich an?" Als er mich verwirrt anstarrte, deutete ich nacheinander auf seine Verletzungen. „Kannst du dir nicht ein anderes Hobby suchen?"

Er zuckte mit den Schultern. „Ich brauche den Adrenalinkick."

„Und dafür lässt du dich verprügeln?", verständnislos starrte ich ihn an.

„Du weißt nicht, wie das ist, wenn man einmal damit angefangen hat." Seine Stimme erholte sich langsam, auch an seinem Körper löste sich immer mehr die Anspannung.

„Bist du an einem Fight interessiert?", fragte er mich, als ich nichts weiter sagte. Hatte er mir nicht gerade zugehört? Ich war doch nicht lebensmüde. „Komm, schon. Ich habe deinen faszinierten Blick gesehen, als die Fäuste geflogen sind."

Er lag falsch. Ich war nur von seinem Mut fasziniert gewesen.

„Wenn du meinst" So langsam nervte mich dieser Typ. „Du solltest auf jeden Fall deine Platzwunde am Kinn nähen lassen." Ich sagte es so beiläufig, dass er meine Aufforderung komplett ignorierte.

„Du kannst jederzeit einsteigen. Ich könnte dir alles zeigen, könnte dich mit den richtigen Leuten bekannt machen."

„Damit ich genauso abloose wie du? Nein, danke." Er lachte ein rauchiges Lachen.

„Du würdest perfekt in diese Szene passen, glaub mir." Ich konnte nur über seine Worte den Kopf schütteln.

„Wie wäre es mit einem Probe-Fight?" er ließ nicht locker.

„Was soll das sein?"

„Wir treffen uns genau in er einer Woche um dieselbe Uhrzeit, hier in dieser Gasse. Und dann wird sich zeigen, ob du so gut bist, wie du vorhin angegeben hast." Herausfordernd wartete er auf meine Antwort.

Ein Kampf, nur aus Spaß? Ich wusste nicht so recht, was er damit bezwecken wollte.

„Oder ziehst du jetzt feige deinen Schwanz ein?" Amüsiert hob er die Augenbrauen. Obwohl ich wusste, was er für eine Strategie abzog, um mich umzustimmen, sagte ich ihm mit einem Nicken zu.

„In einer Woche."

Siegessicher ging er auf mich zu, keine Spur mehr von seinen Schmerzen, klopfte mir beim Vorbeigehen auf die Schulter. „Mach dich auf was gefasst."

Dann stapfte er an mir vorbei und verschwand im Schatten der Straßenlaterne, rief mir jedoch noch seinem Namen entgegen. „Ach übrigens, du kannst mich Bones nennen."

Bones? War das auch einer dieser Pseudonyme, die sich Street Fighter anlegten? Noch zu diesem Zeitpunkt, hatte ich keinen blassen Schimmer, auf was ich mich da mit diesem Bones eingelassen hatte.

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