Kapitel 10

Joint

Als ich in meine Straße einbog, betrachtete ich das große Haus, das in mir immer wieder schlechte Erinnerungen hervorbrachte. Langsam schnallte ich mich ab, hob meinen Blick, wanderte von einem Fenster zum nächsten. Das Zimmer meiner Schwester war dunkel, entweder war sie nicht zu Hause oder sie schlief schon. Ich schaute nach rechts und atmete erleichtert aus, als auch das Fenster meiner Mutter nicht beleuchtet war. Mir fiel es schon tagsüber schwer ein vernünftiges Gespräch mit ihr zu führen, da hatte ich mitten in der Nacht noch ein schlechteres Gefühl dabei. Mit den Schlüsseln in der Hand machte ich mich auf den Weg zur Haustür. Dort angekommen konzentrierte ich mich auf die Geräusche hinter der Tür, die immer lauter wurden. Bevor ich begriff was geschah, wurde die Tür auch schon vor meiner Nase aufgerissen. Meine Mutter sah mich mit großen Augen an.

„Georg! Da bist du ja endlich!" Mit zuckenden Schultern zwängte ich mich an ihr vorbei ins Haus.

„Da bin ich", sagte ich tonlos zu ihr. Sie war mir dicht auf den Fersen, folgte mir in die Küche, wo mich das blanke Chaos erwartete. Benutzte Töpfe, Lappen, Handtücher, an denen Essensreste klebten und lauter Lebensmittel verteilten sich wirr im Raum. Als ich mich umdrehte, schloss ich dabei mit dem Ellenbogen den offenen Kühlschrank.

„Ist hier etwa eine Bombe eingeschlagen, oder was ist hier passiert, Mom?" Ihre Augen weiteten sich bei meinem strengen Ton.

„Ich...ich wollte Pfannkuchen machen", stammelte sie als Antwort und als würde das dieses Chaos rechtfertigen.

Ich breitete meine Arme aus, schloss den ganzen Raum damit ein. „Und dafür musst du so ein Durcheinander veranstalten?" Obwohl meine Frage sarkastisch gemeint war, nickte sie aufgeregt mit dem Kopf.

„Sie müssen perfekt werden. Nur das Beste für meine Kinder", nuschelte sie vor sich hin, streckte die Hand nach mir aus, doch ich wich ihrer Berührung aus, schüttelte den Kopf und legte beide Hände an meine Schläfen. Wieso musste sie mir das antun?

„Mom, es ist mitten in der Nacht. Pfannkuchen isst man zum Frühstück." Sie wirkte verletzt von meiner Abweisung, drückte ihre dünnen Hände an die Brust und schluchzte laut auf. Oh nein, wenn sie jetzt anfing zu heulen, würde ich mich sofort wegen meiner Worte schlecht fühlen.

„Wieso bist du denn jetzt sauer auf mich? Ich habe das doch nur gut gemeint." Sie sank wie in Zeitlupe in die Knie, hielt sich dabei an einem Stuhl fest, der gefährlich kippte.

„Bitte, lass das, Mom." Sie schaute mit Tränen in den Augen zu mir auf.

„Ich wollte euch doch nur etwas Gutes tun!" Ihre Stimme zitterte leicht, was für mich ein Anzeichen war, sie zu beruhigen, bevor ihr Zustand noch schlimmer wurde.

„Bitte, steh auf." Ich reichte ihr meine Hand, die sie schwach aber bestimmt wegschlug.

„Du bist genauso wie er! Nichts ist gut genug für dich!" Zu diesem Zeitpunkt war ihr Gesicht durchnässt von Tränen. Frustriert seufzte ich auf, ließ mich ebenfalls auf die Knie sinken und sah ihr direkt in die Augen. „Mom, bitte..."

„Geh weg!" schrie sie mich plötzlich an, sodass ich sie verwirrt anschaute. Vorsichtig streckte ich die Hand aus, wollte sie zur Vernunft bringen, doch sie riss die Augen erschrocken auf, rutschte ängstlich auf allen Vieren in die Ecke. Hatte ich mich nur getäuscht oder hatte sich ihr Ausdruck in den Augen zu Ungläubigkeit verändert, als würde sie mich nicht wieder erkennen.

„Lass mich in Ruhe!" Ihre Augen huschten unruhig hin und her, suchten eine Fluchtmöglichkeit. Ich wollte ihr doch aber nichts tun!

„Mom, ich bin nicht Dad", versuchte ich es noch einmal, zu spät nahm ich wahr, dass sie nach einem Gegenstand gegriffen hatte, da schmiss sie auch schon einen Topfdeckel nach mir, der mich schmerzhaft an der Schläfe traf. Fuck! Ich richtete mich sprunghaft auf. „Du wirfst mit Sachen auf mich?!" entsetzt sah ich sie an, konnte nicht fassen, was sie gerade getan hatte. „Mom, komm schon." Meine Stimme war leise, verletzt über ihre Angst vor mir.

„Hau ab!" Sie hatte sich in ein einziges nervliches Bündel in die Ecke gekauert, mied meinen Blick, starrte nur die kahle weise Wand an. Scheiße! Enttäuscht fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare. Meine Schläfe pochte so schnell wie mein Puls, der mich immer weiter in den Wahnsinn trieb. Ich musste dieses Haus so schnell wie möglich verlassen, bevor die Situation noch eskalierte. Ohne einen weiteren Blick stürmte ich aus der Küche, durchquerte den Flur, riss meine Jacke vom Haken und rannte zur Tür. Mit einem großen Schwung öffnete ich diese, versuchte dabei meine aufsteigende Wut unter Kontrolle zu bringen, lief an meinem Auto vorbei und die dunkle Straße entlang. Ziellos erhöhte ich mein Tempo, den Asphalt unter meinen Füßen, kämpfte ich gegen den Schmerz, der in mir wütete an.

Das war nicht das erste Mal, dass meine Mutter mich mit ihm verwechselt hatte, jedes Mal, wenn es geschah, hatte ich sie beruhigen können, hatte sie ihren Irrtum erkennen lassen, doch heute war ich machtlos gewesen. Das hatte ich an ihrem Ausdruck in den Augen gesehen. Nachdem sie den Deckel nach mir geworfen hatte, wusste ich, dass es zu spät war. In ihren Augen war ich derjenige, der sie regelmäßig verletzt hatte und nichts anderes nahm sie in diesem Moment noch wahr. Diese Zustände waren erst nach dem Tod meines Vaters aufgetreten, häuften sich jedoch in den letzten Wochen zunehmend. Ich hegte immer den Verdacht, dass es vielleicht ihre Art war, mit dem Verlust umzugehen. Anders konnte ich mir ihr Verhalten nicht erklären.

Eine abrupte Bewegung im Augenwinkel ließ mich innehalten. Hatte ich mir das nur eingebildet?

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