Kapitel 35
Ich sehe Marco an, der Oscar enttäuscht hinterher sieht. "Was hast du erwartet? Mein Gott, Marco! Du kannst ihm das doch nicht einfach an den Kopf hauen. Er ist acht Jahre! Ich komme ja schon nicht damit klar, dass du plötzlich quicklebendig hier vor mir sitzt." Er reibt sich mit seinen Händen über sein Gesicht. "Darf ich mit ihm reden?", "Nein, darfst du jetzt nicht. Wahrscheinlich wird er jetzt erstmal seinem toten Vater einen Brief schreiben, wo drin steht, dass hier ein Verrückter sitzt, der behauptet, sein Vater zu sein." Marco presst die Lippen aufeinander. "Ich würde mal sagen, dass wir uns jetzt alle beruhigen und dann gehen wir.", mischt Wiebke sich ein. "Ich soll mich beruhigen? Meine Welt bricht gerade erneut zusammen. Und du bist mit schuld daran. Immerhin hast du genau das, was ich mir seit Jahren wünsche. Marco als Ehemann.", sage ich kalt zu ihr und stehe auf, um meine Tasse in den Geschirrspüler zu stellen. "Ich kann ja nichts dafür, dass du dich aus dem Staub gemacht hast." Wütend drehe ich mich um und funkle sie böse an. "Ich habe mich nicht aus dem Staub gemacht! Ich wollte einen Neuanfang, weil mein Verlobter, den ich nach meinem Abschluss heiraten wollte, gestorben ist. Und das nur wegen mir. Hätte ich ihn nicht damals bei Oscars Geburt dabei haben wollen, dann wäre Marco nie ins Koma gefallen und wir wären vielleicht noch glücklich." Sie presst verärgert ihre Lippen aufeinander. "Du gibst dir die Schuld an meinem Unfall?", fragt Marco etwas entsetzt. "Natürlich gebe ich mir die Schuld dafür.", sage ich leise. Schon wieder laufen mir Tränen über die Wangen. "Ich möchte, dass ihr jetzt geht. Ihr könnt euch überhaupt nicht vorstellen wie schlimm das alles hier gerade für mich ist." Ich schniefe und wische mir die Tränen weg. "Außerdem muss ich jetzt meinen Sohn beruhigen." Ich stoße mich von der Arbeitsplatte ab. "Miley, ich möchte so gerne etwas mit Oscar unternehmen.", hält Marco mich auf. Ich seufze. "Ich werde mit ihm reden. Aber wenn dann alleine, verstanden?", sage ich mit einem gereizten Blick auf seine Ehefrau, die daraufhin ihre Augen verdreht. "In Ordnung.", sagt Marco zu meiner Überraschung sofort, was Wiebke ihn entsetzt ansehen lässt. "Wieso lässt du das zu, Schatz? Wir sind doch eine Familie!" Ich lache spöttisch. "Ihr seid keine Familie. Ich habe eine Familie. Nämlich meine Mama und meinen Papa, meinen Bruder mit seiner Frau und meinen Sohn. Wir sind eine Familie. Ihr nicht. Ihr zwei seid lediglich ein Ehepaar und mit meinem Sohn zusammen seid ihr keine Familie, denn du bist nicht seine Mutter!", "Wieso sagst du nichts dagegen?", beschwert sie sich bei Marco. Dieser seufzt und sieht sie an. "Ich möchte bitte einfach etwas Zeit mit meinem Sohn verbringen, okay? Bitte akzeptiere das, Schatz." Schatz. Ich könnte kotzen. "Das hier sind unsere Flitterwochen, wenn ich dich daran erinnern darf.", "Das ist richtig aber ich habe jetzt die Chance bekommen, meinen Sohn kennenzulernen. Du weißt ganz genau, dass ich ihn sehr vermisst habe.", "Du wusstest nicht mal ob du einen Sohn hast.", "Es reicht mir jetzt langsam, Wiebke! Hör auf so eifersüchtig zu sein, okay? Oscar ist mein Sohn, also werde ich Zeit mit ihm verbringen. Und es ist mir egal, ob dir das passt oder nicht." Sie seufzt. "Na gut. Ich gehe dann ins Hotel. Bis später." Sie gibt ihm einen Kuss und geht endlich. "Sie ist sonst anders.", nimmt Marco sie in Schutz. "Was bist du doch für ein Glückspilz.", gebe ich ironisch von mir. "Wie auch immer. Kannst du mit Oscar reden?" Ich nicke und gehe die Treppe hoch in sein Zimmer. "Ozzy?", frage ich vorsichtig und öffne die Tür. Er sitzt an seinem Schreibtisch und liest sein Tagebuch. "Ist er wirklich mein Papa?", fragt er mich schniefend. "Ja, er ist dein Papa.", antworte ich ihm ehrlich. "Aber du hast gesagt, dass er tot ist. Wieso hast du mich angelogen?" Ich schüttle den Kopf und gehe neben ihm in die Hocke. "Ich habe dich nie angelogen, mein Schatz. Ich dachte selbst, dass er gestorben ist. Aber die Mutter vom Papa, also deine andere Oma, die scheint gelogen zu haben. Sie hat nie die Geräte abschalten lassen, die den Papa am Leben hielten. Und deswegen lebt er jetzt noch. Das wusste ich aber nicht." Er steht von seinem Stuhl auf und klettert in sein Bett. "Und jetzt? Muss ich jetzt hier weg?" Ich schüttle den Kopf. "Wie kommst du denn da drauf?", "Ich weiß nicht. Will Papa mich mitnehmen?", "Nein, das wird er nicht. Er will nur etwas mit dir machen.", "Ist Wiebke auch dabei?", "Willsst du, dass sie dabei ist?" Er schüttelt seinen Kopf. "Dann wird sie auch nicht dabei sein. Versprochen." Er nickt und kuschelt mit seinem Teddy. "Hat den wirklich Papa gekauft?", "Ja, den hat er gekauft, als du noch in meinem Bauch warst. Nimm ihn mit nach unten. Vielleicht erinnert der Papa sich an den Teddy. Er freut sich sicher, wenn er sieht, dass du den noch immer hast." Er nickt und rutscht mit seinem Teddy die Rutsche an seinem Bett herunter und läuft nach unten. Lächelnd sehe ich ihm hinterher. Hoffentlich geht das alles gut. Ich wünsche mir für Oscar, dass er glücklicher ist. Ich werde jedoch nicht glücklicher sein. Wie denn auch? Marco hat jetzt Wiebke. Ich bin nicht mehr interessant. Aber es kotzt mich an, dass diese doofe Hexe von Mutter mich in dem Glauben gelassen hat, dass er sterben wird! Wie konnte sie das nur tun? Wir hätten so glücklich sein können und dann das!
Marco und Oscar sitzen sich in der Küche gegenüber und erzählen über irgendwas, während ich Essen koche. Man könnte beinahe meinen, dass wir eine normale Familie sind und es schon immer waren. Dass wir aber keine Familie sind, wird mir wieder klar, als Marco eine Nachricht von seiner Frau bekommt. "Darf ich heute Nacht hier schlafen?" Ich sehe ihn verwirrt an. "Naja, Wiebke hat geschrieben, dass ich draußen schlafen kann, wenn ich jetzt nicht zum Hotel komme. Ich möchte aber gern noch Zeit mit euch verbringen und mit euch essen." Ob das wirklich so gut ist? "Wird schon okay sein. Was sagst du, Ozzy?", frage ich den kleinen blonden Zwerg. "Du kannst bei mir im Zimmer, bei Mama im Zimmer oder im Gästezimmer schlafen.", antwortet dieser und malt weiter auf seinem Blatt herum. Marco lächelt ihn an, wobei mir schon wieder das Herz aufgeht. Dieses Lächeln habe ich so sehr vermisst. Ich stelle die Reispfanne auf den Tisch und stelle Teller und Besteck dazu. "Piep piep piep, guten Appetit.", kichert Oscar und schaufelt sich Essen auf seinen Teller. "Füll dir bitte nicht wieder mehr auf als du schaffst.", ermahne ich ihn. Er nickt und beginnt zu essen.
"Schlaf gut, Schatz.", "Gute Nacht, Mama.", erwidert Oscar und gibt mir einen Kuss. Ich decke ihn zu und schalte das kleine Nachtlicht an. "Gute Nacht, Papa.", sagt er zu Marco und kuschelt sich in seine Decke. Marco lächelt ihn liebevoll an und gibt ihm noch seinen Teddy. "Gute Nacht, Sportsfreund. Morgen gehen wir zusammen Eis essen, okay?" Oscar nickt wild. "Okay, aber jetzt wird erstmal geschlafen.", lache ich und ziehe Marco aus Oscars Zimmer. "Braucht er immer Licht zum schlafen?", "Ja, er hat oft Albträume und dann ist wenigstens das kleine Licht an, wenn er aufwacht.", erkläre ich ihm. "Was hälst du davon, wenn wir es uns mit einer Flasche Wein auf der Couch gemütlich machen und etwas reden?" Ich nicke zustimmend. "Rotwein? Halbtrocken?", frage ich und halte den Wein hoch. Marco nickt grinsend und entkorkt sie. "Dann lass uns mal in die Stube gehen.", lächle ich und gehe voraus.
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