Kapitel 28
6. Teil des Leseabends:
Stumm sitze ich am Küchentisch und warte darauf, dass das Krankenhaus mich anruft. Es soll anrufen und sagen, dass er seine wunderschönen Augen aufgeschlagen hat. Ich habe Kontakt zu den Schwestern der Station, auf der Marco liegt. Immerhin sind Marco und ich verlobt, weshalb das Krankenhaus mir Auskunft geben darf Schrägstrich muss. Schon krass irgendwie. Jeder könnte da hingehen und behaupten man wäre mit jemandem verlobt. Eine Verlobung wird ja nicht schriftlich festgehalten wie es bei einer Hochzeit ist. Aber was rede ich da? Das sollte mein geringstes Problem sein. Ich habe ganz andere. Erstens: ich habe in der Schule einfach mal rausgehauen, dass Marco der Vater meines Kindes ist. Zweitens: Marco hatte einen schweren Unfall. Und drittens: wenn er seine Augen in den nächsten sechs Stunden nicht öffnet, dann wird er sie nie wieder öffnen können. Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll. Seine Mutter hat recht, es ist alles meine Schuld. Hätte ich ihn nicht bei mir haben wollen, dann wäre er einfach im Bett liegen geblieben und hätte seine kleine Grippe auskuriert. Aber ich dachte er wäre gern dabei, wenn unser Sohn das Licht der Welt erblickt. Und so war es ja auch, denn sonst wäre er ja nicht so schnell gefahren, um rechtzeitig bei mir zu sein. Ich verstehe das alles nicht. Was hat das alles für einen Sinn? Ich seufze und fahre mir über mein Gesicht. Ich kann einfach froh sein, dass Oscar so viel schläft. Er muss nicht unbedingt so sehr mitbekommen wie es mir geht. Ich will, dass er friedlich schläft und sorglos ist.
"Dad?", frage ich, da Papa gerade dabei ist einen Tee zu kochen. "Ja, mein Spätzchen?", fragt er mich und lächelt mich leicht an. "Wenn Marco das alles nicht schafft, dann will ich hier weg." Etwas verwirrt legt er den Kopf schief. "Ich würde mein letztes Jahr hier eventuell noch beenden aber dann will ich hier weg. Weit weg." Papa seufzt. "Und was ist mit den Tieren? Mit dem ganzen Hof? Marlene hat hier ihre Praxis.", "Ihr müsst ja nicht mitkommen." Papa schüttelt leicht lachend den Kopf. "Nein, das müssen wir nicht. Aber denkst du wirklich dass wir dich alleine lassen?", "Oh Daddy.", lächle ich traurig und stehe auf, um ihn zu umarmen. "Vielleicht können wir ja deinen Traum wahr machen. Du weißt doch, dass ich auch viel für diese Tiere übrig habe. Ich verdiene sowieso zu viel Geld, als dass ich es ausgeben könnte. Und dann verkaufen wir noch den Hof. Wir haben genug Geld, um die Pferde und die Hunde nach da unten bringen zu lassen. Coop kommt natürlich auch mit. Ich rede mal mit Marlene darüber. Ich kann dich jedenfalls verstehen, Spätzchen. Und so viel steht fest: ich werde meine Tochter und meinen Enkel nicht alleine in die Welt ziehen lassen." Ich drücke mich fest an ihn und genieße den Moment. Es ist gut zu wissen, dass man nie alleine ist. Ich hätte nicht gedacht, dass Papa mitkommen würde. Naja, es hängt ganz von Marlene ab. Und das alles ist noch davon abhängig, ob Marco endlich seine Augen öffnet oder nicht. Mir wäre es lieber, wenn er aufwacht und ich dann mit ihm zusammen glücklich sein kann. Aber was ist, wenn er noch aufwacht, sich aber nicht mehr an mich erinnern kann? Oh Gott, da habe ich ja noch gar nicht drüber nachgedacht. Was ist, wenn das wirklich eintrifft? Ich stehe vor ihm und er lacht mich aus, weil ich ihm erzähle, dass wir verlobt sind, ein Kind zusammen haben, er sich jedoch überhaupt nicht erinnern kann und mich deswegen für bescheuert hält. Nein, ich will das alles nicht mehr!
Mittlerweile sitze ich mit Oscar im Arm auf dem Sofa und wiege ihn vorsichtig. Seine kleinen Fäustchen hängen schlapp herum und ab und zu schmatzt er ein wenig. Papa beobachtet uns liebevoll lächelnd, Marlene häkelt Timo eine Boshi Mütze, da er die unbedingt haben will und Timo sitzt neben mir und tippt auf seinem Handy umher. Als Oscar pupst, sieht Timo ihn belustigt an. "Das war schon mal der Anfang. Pass mal auf wie die in 16 Jahren klingen." Ich kichere und beobachte Oscar wieder. "Du bist eine tolle Mom. Wenn du es nicht schaffst den Zwerg großzuziehen, wer denn dann?" Ich lächle ihn dankbar an und lehne meinen Kopf an seine Schulter. "Wie lange noch?", fragt er ganz leise. "Noch zwanzig Minuten. Mehr Zeit hat er nicht.",flüstere ich erstickt zurück. "Ich werde nochmal im Krankenhaus anrufen.", murmle ich und nehme mein Handy, um die Nummer zu wählen. "Hallo, Frau Green. Sie wollen sicher wissen, wie es ihrem verlobten geht?", meldet sich die gleiche Schwester von vor einer Stunde, als ich angerufen habe. Meine Nummer müssen die schon auswendig kennen. "Ja. Es sind immerhin nur noch zwanzig Minuten.", seufze ich. "Es tut mir sehr leid. Die Eltern von Herrn Reus sind bereits hier und sprechen mit dem Arzt. Die Werte haben sich leider nicht geändert. Ich fürchte, dass es nicht sehr gut aussieht." Stumm laufen mir die Tränen über die Wangen. "Okay, vielen Dank.", "Sollte er aufwachen, werde ich sofort anrufen. Wenn nicht, dann mein aufrichtiges Beileid.", "Dankeschön.", sage ich leise und lege auf. "Ihm geht es noch immer nicht besser. Er wird es nicht schaffen. Seine Eltern sind bereits da.", schluchze ich. Marlene kommt zu mir und nimmt mir Oscar weg, um ihn ins Laufgitter zu legen. "Komm her.", murmelt Timo und nimmt mich in den Arm. "Ich will nicht, dass er stirbt, Timo! Er hat mir versprochen für den Rest meines Lebens bei mir zu bleiben! Ich konnte mich nicht einmal verabschieden! Ich habe gesagt, dass unser Sohn nach mir verlangt und ich habe ihm versprochen gleich wieder da zu sein! Ich habe mein Versprechen gebrochen!", weine ich bitterlich. "Miley, bitte beruhig dich.", fleht Mom. "Ich soll mich beruhigen? Wie soll ich mich denn beruhigen? Meine große Liebe liegt im Koma und wird in nicht einmal mehr als 20 Minuten sterben!", schreie ich meine Familie an, bevor ich weinend zusammen breche und alles um mich herum dunkel wird.
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In 20 Minuten geht es weiter!
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