Sechs
Ich erstarre sofort. Wie erwartet ist Chris nicht allein als die Tür aufschwingt. Ich weiche automatisch zurück und hebe schützend die Hände. "Bitte nicht..", flehend schaue ich zu Chris. Doch er macht den Weg frei, sodass die schwarz-rot gekleideten Männer zu mir konnten. Wahrscheinlich die selben Söldner die Verá mitgenommen hatten.
Ich versuche Feuer zu bändigen, doch ich konnte es nicht.
Ich hatte es eben nicht unter Kontrolle. Vielleicht hätte ich Chris die Wahrheit sagen sollen, vielleicht hätte er mir beigebracht zu bändigen. So bändige ich nur das Wasser der Waschschüssel schützend vor mich und nehme meine Angriffshaltung ein.
"Man muss wissen man verloren hat, Scar.", meint Chris kalt und emotionlos, desinteressiert.
"Ich habe noch nicht aufgehört zu kämpfen.", erwidere ich fest. Doch er lacht, kalt und gehässig. Es ist als stünde ich vor einem völlig Fremden. Ungewollt zucke ich zusammen.
"Sie muss am Leben bleiben.", meint Chris noch und dreht sich um, verlässt einfach so den Raum und lässt mich mit den Feinden zurück. Diese kommen mir immer näher, wie eine große Rauchwolke, schweigend aber bedrohlich.
Ich forme einen Teil des Wasser zu Eiszapfen und schieße sie auf einen Söldner. Er sackt zusammen, ich habe das Herz schließlich nicht verfehlt.
Dennoch ist mein Sieg unmöglich, nur die Zahl der Toten und Verletzten konnte ich noch heben, doch will ich das? Unschuldige töten?
Sie sind nicht unschuldig, sie haben meine beste Freundin entführt und haben nun das gleiche mit mir vor!
Erneut schieße ich, ein Söldner schießt zurück, jedoch kann ich seinen Schuß mit Wasser abblocken, er hingegen geht zu Boden.
"Du kannst nicht gewinnen, Miststück.", zischt einer von ihnen. Sie sehen alle gleich aus und ich kann unmöglich ausmachen wer von ihnen es sich anmaßt mich derart zu beleidigen.
Wütend verziehe ich das Gesicht und schieße blind in die Menge, doch es war so geplant. Mich unaufmerksam zu machen, mich abzulenken.
Denn ich spüre wie jemand von hinten seine Arme um mich schlingt und mir ein Tuch vors Gesicht hält. Wütend versuche ich mich zu befreien, vergeblich. Unfreiwillig atme ich im Tuch ein und breche bewusstlos zusammen.
-
Als ich endlich mein Bewusstsein wiedererlangt habe, spüre ich zu aller erst Eisenketten um meine Fuß- und Handgelenke. Ich friere und mir wird sofort schwindelig als ich nur den Kopf anhebe. Ich öffne blinzelnd meine Augen, ich sitze in einer engen, dunklen Zelle. In einem Kerker.
Ich stöhne laut vor Schmerz auf als ich versuche mich bequemer hinzusetzten. "Ah, das Miststück scheint wach zu ein. Informiert den Prinzen.", die Stimmen vor der Tür klingen hart und wenig später höre ich schwere Schritte die sich entfernen. Dann wieder nichts, vollkommene Stille.
Ich schaue an mir herunter. Mein Ballkleid verschwunden, ich trug einen abgewetzten Stoff, kein Schnitt war daraus zu erkennen. Meine Haut aufgeschürft und verschmutzt. In meiner Kehle brennt der Durst. Meine Arme, welche über mir in Ketten zur Wand hängen, verhindern eine bequeme Lage. Vollkommen geschwächt schrecke ich nicht einmal zurück als ich das Skelett neben mir sehe. Es lässt mich kalt, sowie mich der Verrat von Chris kalt lassen sollte.
Doch das war natürlich nicht der Fall. Unweigerlich hatte ich Gefühle für diesen Arsch entwickelt, er hingegen hatte mich verkauft an den Feuerkönig. Zumindest vermutete ich, dass ich in seinem Palast gefangen saß. Wie nur hatte ich Chris auch nur eine Sekunde vertrauen können? Er ist und war der Feind, ich bin auf seinen Charme und seine Schauspielkünste herein gefallen wie ein dummes kleines Mädchen.
Ich schlucke die Tränen herunter, doch ich spüre schon das brennen in meinen Augen. Dies alles war umsonst gewesen, warum lief ich vor meinem Vater weg, nur um woanders gefangen und getötet zu werden? Mutter hatte mich beschützen wollen.
Der Brief! Ich trug ihn definitiv nicht bei mir, das heißt alles was ich hätte erfahren können war für immer verloren. Wieso war ich nur so dumm gewesen?
Ich höre wieder Schritte vor der Tür, meine Zellentür wird aufgeschlossen. Doch ich mache mir nicht die Mühe meinen Blick zu heben. "Lasst mich mit ihr allein.", befiehlt eine kalte Stimme. Unmöglich.
"Prinz Christian, es war ausdrücklicher Befehl des Königs euch nicht mit der Gefangenen allein zu lassen.", meint der Soldat standfest. Doch die kalte Stimme des Prinzens scheint ihn umzustimmen. "Lasst mich mit ihr allein, Mr. Clent.", seine Worte gleichen einem Mord Versprechen. Mr. Clent verlässt die Zelle und verschließt die Tür. Noch immer ist mein Blick gesenkt. Ein Prinz ist er also, dabei hatte ich ihn für einen ehemaligen Söldner gehalten.
Schritte die näher kommen, eine Hand die mein Kinn umfässt und mich zwingt hoch zuschauen. Augen so golden wie die Sonne, die mich durchbohren. Doch ich bleibe kalt, verdränge meine Gefühle und starre ihn nur an. "Willst du nichts sagen, Scar?", knurrt er und betont meinen Namen abschätzend. Schmerzhaft drückt er mein Kinn zusammen, ich könnte schwören den Knochen knirschen zu hören.
"Chris...", bringe ich nur hervor doch er hebt seine freie Hand schlägt mich und lässt mit der anderen mein Kinn los. Mein Kopf schnellt zur Seite und ich weiß das die Wange rot wird.
"Prinz Christian oder Euer Hoheit!", brüllt er und weist mich so auf die korrekte Anrede Form hin. Mich überfällt ein Deja-vu-Gefühl. Tyler der sagt, das ich ihn Mr. Leger ansprechen muss.
Mich überläuft ein kalter Schauer. "Was wollt ihr hören?", frage ich ihn dann nur leise. Was erwartet er von mir, einen Kniefall? Unmöglich an diesen Ketten, auch wenn ich auch so zu schwach wäre.
Er erwiderte nichts, ob er nicht wusste was er wollte oder einfach schwieg um mich zu verunsichern, ist mir egal. Ich versuche fest zu ihm zu schauen, zu dem Mann dem ich leichtsinnig vertraut hatte. Bislang hatte ich niemanden so schnell mein Vertrauen entgegen gebracht, denn ich hatte stets mich selbst geschützt. Und bei ihm werfe ich meine Prinzipien von Bord, habe unfreiwillig mein Misstrauen verloren. Doch wie wird es mir gedankt? Mit Verrat. Und das aller schlimmste ist, das ich für diesen Verräter Gefühle entwickelt habe.
Ich bin dämlich, verliebe mich in Männer die unerreichbar für mich sind. Ob sie nun im Adel unter mir stehen oder den Feinden angehören, mein Herz scheint unorientiert. Ich schlucke nur, wie konnte mir das passieren? Mein Herz gehörte stets Tyler und nun bin ich mir dessen nicht mehr sicher.
"Sag' mir warum du gelogen hast.", fordert Chris erstaunlich sanft. Ich blinzel ein paar mal. Sollte ich dieses mal ehrlich sein? Könnte ich es wieder gut machen oder würde ich mich nur noch weiter rein reiten?
Und dann entschied ich mich dazu etwas sehr dummes zu tun.
"Ich musste mich und Verá schützen.", erkläre ich schwach, erstaunt schaut er zu mir. Wahrscheinlich hat er nicht mit einer Antwort gerechnet.
"Du musstest die Prinzessin schützen.", mutmaßt er und ich schüttel den Kopf. "Sie hat die Prinzessin geschützt. Ich wollte meine beste Freundin nicht in den Fängen der Feinde wissen.", sage ich leise, weil mich das Reden anstrengt.
Kurz denkt er nach, seine Miene wie ein offenes Buch. Erst ergibt nichts davon in seinen Augen Sinn und dann nach und nach reimt er sich alles zusammen. Bis zur schlussendlichen Erkenntnis.
"Du bist die Prinzessin.", seine Stimme so kalt wie noch nie. Für ihn scheint sich mein Verrat so wohl nur noch zu vergrößern. "Und dieses Mädchen das alle für die Prinzessin halten, die dir gefährlich ähnlich sieht, sie ist nur ein einfaches Mädchen ohne Rang.", wütend geht er in meiner kleinen Zelle auf und ab.
"Ich musste sie schützen, hätte man gewusst das sie nicht die Prinzessin ist...", beginne ich doch er fällt mir ins Wort. "Hätte sie den Mund aufgemacht und erzählt das sie nicht die Prinzessin ist hätte man dich gesucht und sie geköpft. Nur ist letzteres jetzt unvermeidlich.", seine letzten Sätze klingen wie eine Anklage. So als sagt er: Hättest du mich auf deiner Seite gehabt, hätte ich das verhindern können.
Er hebt erneut mein Kinn und drückt seine Hand daran schmerzhaft zusammen. Es ist fast so als quetscht er die Tränen aus mir heraus, doch sie wären auch so geflossen. "Du wirst alles verlieren, dafür Sorge ich.", dann lässt er mich los, stürmt aus der Zelle und schreit die Wachen zusammen. Er ist definitiv wütend, nur bin ich nicht im Stande zu sagen warum genau.
Irgendwann verklingen alle Stimmen wieder vor der schweren Eisentür und ich bin wieder meinen Schuldgefühle verfallen. Ich hatte mit meiner Ehrlichkeit alles schlimmer gemacht, dabei war ich ehrlich gewesen um meinen Fehler rückgängig zu machen. Doch ich hatte versagt und Verá würde dafür mit ihrem Kopf bezahlen müssen.
-
"Ihr lasst mich jetzt sofort durch!", eine hohe Stimme schallt zu mir und reißt mich aus den Schlaf. Ich brauche ein paar Sekunden bevor ich sie der Prinzessin zu ordnen kann.
"Prinzessin Julé, ich kann sie unmöglich zu ihr lassen. Sie ist gefährlich und der Prinz--", die Wache redet den Text nur so runter, es klingt wie einstudiert. Vielleicht ist es das ja auch.
"Es ist mir vollkommen egal was mein Bruder sagt. Mein Vater hat ausdrücklichen Befehl gegeben. Sie soll aus der Zelle.", ihre Stimme ist mittlerweile einem Befehlston verfallen und die Wache hält inne.
"Der König?", hakt er dann doch noch einmal nach und ich kann förmlich sehen wie die Prinzessin die Augen rollt. "Lassen Sie mich zu ihr.", wiederholt sie, genervt weil die Wache so dämlich ist.
Tatsächlich wird die Tür aufgeschlossen. Dieses mal hebe ich sogar den Kopf. Und dort steht sie, ein großes junges Mädchen. Wie ihr Bruder hat sie goldene Augen und tintenschwarzes Haar. Diese fallen glatt bis zu ihrer schmalen Hüfte. In meinen Augen wirkt sie wie das genaue Gegenstück zu dem Prinzen.
Langsam, bedacht ihr Kleid nicht zu beschmutzen, geht sie in die Knie. Besorgnis und Sanftmut liegen in ihrem Blick. "Prinzessin Scarlett Marie Jackson, ich entschuldige mich im Namen der gesamten Königsfamilie für diese Umstände.", sie lächelt mich aufmunternd an und die Wache löste auf ihren Befehl meine Ketten. Unfreiwillig sacke ich kraftlos zusammen.
Sie schlägt die Hände vor ihre dunkelroten Lippen und schaut dann anklagend zu der anwesenden Wache. "Tragen Sie sie hoch Mr. Leger!", meint sie hart. "Ich werde nach kommen.", mit diesen Worten rauscht sie davon. Ich kann nur zu der Wache starren. Sein Gesicht ist unter einem Helm verborgen. Er macht einen Schritt auf mich zu, doch ich schüttel den Kopf bevor er Anstalten macht mich hoch zu heben.
"Setzten Sie bitte Ihren Helm ab, ich möchte Ihr Gesicht sehen.", bitte ich freundlich, jedoch voller Neugier. Er zögert, wahrscheinlich hat er wie unsere Wachen, strikte Anweisung den Helm stets zu tragen. Doch dann nimmt er seinen Helm ab. Grüne Augen strahlen mir entgegen, auch wenn braune Strähnen sie beinah gänzlich verbergen. Sein Gesicht ist mir gleichzeitig fremd und vertraut. Ohne länger überlegen zu müssen weiß ich, dass es Tylers Bruder ist. Die gleichen Augen, dieses Funkeln was mich damals so fasziniert hatte. Nur der Körperbau war komplett anderes, Tyler der immer als muskulös und beweglich beschrieben wurde und sein Bruder der wohl eher stark ist anstatt schnell.
Ich hatte scheinbar gestarrt denn nun räusperte er sich verlegen und fährt vorsichtig durch sein fast zu langes Haar. "Euer Hoheit, stimmt etwas nicht?", fragt er verunsichert.
"Ihr erinnert mich stark an jemanden.", meine ich noch immer verblüfft von dieser Ähnlichkeit. Kurz denkt er über meine Worte nach, runzelt die Stirn und schüttel dann mit dem Kopf, als wäre es unmöglich was ich dort andeutete doch ich nicke als Bestätigung. "Tyler?", hakt er misstrauisch nach und wieder nicke ich.
Erst reißt er überrascht die Augen auf, doch dann schien ihm etwas klar zu werden und er lächelt nur noch freundlich. "Ich bin der große Bruder, Timothy Leger.", wie es sich gehört macht er eine Verbeugung und ich einen Knicks, soweit das möglich ist. Ich sage nichts, er kennt schließlich meinen Namen. Ich denke über all das nach und tief in mir wird vorerst unergründliches Misstrauen geweckt. Denn warum hatte Tyler ihn nie erwähnt?
Doch dann hilft er mir vorsichtig auf die Beine, legt meinen Arm um seinen Nacken und hebt mich hoch, so wie Chris vor einiger Zeit. Die Gedanken an Chris zerreißen mein Herz ein weiteres Mal und ich lehne meinen Kopf gegen Timothys Brust. In regelmäßigen leichten Schritten trägt er mich raus aus der Zelle und durch das fremde Schloss.
~ K
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