Kapitel 40

Randon Banks

Grübelnd starre ich die Brotdose auf meinem Schoß an. Letzte Nacht habe ich bei Max geschlafen, nachdem wir bis spät in die Nacht einfach nur irgendwelche Videos auf YouTube angeschaut haben, um uns die Zeit zu vertreiben und den Kopf frei zu machen. Heute Morgen hat er mich dann nach Hause gefahren und solange ich mich fertig gemacht habe, war er bei ihr und hat mir mein Frühstück geholt.

Es ist eine der Dosen, die ich immer bekommen habe, bevor ich Anna kennen gelernt habe. Noch ein Beweis dafür, dass Max die Wahrheit gesagt hat und Anna lügt.

Als ich ihr mein Handy im Fitnessstudio gegeben habe, hat sie vermutlich die Nummer geändert und sich selbst den Chat zwischen mir und ihr geschickt, um mich anlügen zu können. Da ist nur noch die Frage, woher sie von ihr gewusst hat. Und natürlich, warum sie das alles gemacht hat, anstatt einfach mit mir zu reden.

>Hast du nicht irgendwann auch Mal die Nase voll davon, dir ständig den Kopf zu zerbrechen?< Seufzend sehe ich von der Dose auf, betrachte den Schulparkplatz direkt vor uns.

>Beantworte die tausend Fragen in meinem Kopf und ich höre auf damit.< Er schnaubt, stellt sich auf seinen üblichen Platz und steigt aus.

>Tu nicht so, als würden die Fragen in deinem Dickschädel jemals weniger werden. Du findest immer wieder neue.< Ich will ihm sagen, dass das alles gar nicht so schlimm ist, folge ihm, doch Anna lenkt mich ab. Sie kommt direkt auf mich zu, lächelt leicht, aber das ist nicht der Grund, warum ich verwirrt bin. Es wundert mich viel eher, dass sie aus derselben Richtung kommt, in der Lesley und Phil auf einer Bank sitzen. Ich kann nicht sagen, ob sie wirklich bei ihnen war, aber das würde durchaus einiges erklären.

>Guten Morgen, ich habe dir heute frische Brötchen-<

>Danke, aber ich habe schon<, unterbreche ich sie, hebe kurz meine Dose du gehe an ihr vorbei. Auch Max schenkt ihr nicht mehr Aufmerksamkeit, als sie nach dieser Aktion verdient hat und wir gehen nach drinnen. Ich weiß, dass Anna mir nach starrt, sehe aber zu Lesley und Phil, die allerdings sehr beschäftigt damit sind, sich gegenseitig die Zunge in den Hals zu stecken.

>Willst du sie einfach ignorieren oder redest du mit ihr?<, fragt Max fast beiläufig, schlägt den Weg zu unseren Schließfächern ein.

>Ich habe heute keinen Nerv für sie, vielleicht rede ich wann anders mit ihr und finde heraus, wer sie dazu angestiftet hat. Von allein konnte sie nichts von ihr wissen.< Er nickt knapp, geht an sein Schließfach und ich warte einfach. Diesmal habe ich mein Essen schon und muss nicht an meines gehen. >Ich werde nachher den Code von meinem Schließfach ändern. Würdest du ihr dann die neue Nummer geben?< Er nickt knapp, holt sich ein Buch aus seinem Fach und schließt die Tür wieder.

>Na klar, gerne. Hast du dir schon etwas für Clara überlegt?< Fragend sehe ich zu ihm und er rollt die Augen.

>Du lernst sie nie kennen und findest heraus, ob du sie wirklich liebst, wenn du sie immer nur in der Schule siehst und zwei Sätze am Tag mit ihr wechselst.< Leider hat er Recht, aber ich habe keine Ahnung, wie ich das mit ihr machen soll. Sie weicht jeder Berührung aus und will sich bestimmt nicht allein mit mir verabreden. Als ich sie das letzte Mal nach der Nachhilfe eingeladen habe, etwas mit mir zu machen, hat sie sich komplett verschlossen, als müsste sie vor mir weg laufen. >Sie ist kein Tresor mit einem fünfzig Stelligen Code. Du warst doch schon Mal bei ihr und ihr habt euch Filme angesehen. Frag sie doch einfach, ob ihr euch etwas bestellt und einen Filmemarathon macht. Wenn es ihr unangenehm ist-< Er unterbricht sich, schlägt sich eine Hand gegen die Stirn. >Vergiss es. Lade sie zu dir ein und lass dir das neue Thema in Mathe beibringen. So hat alles angefangen und zu ihr könnt ihr nicht.< Fragend runzle ich die Stirn, denn da komme ich nicht mit.

>Ich kann das neue Thema und warum können wir nicht zu ihr?<

>Na weil ihre Eltern heute wieder kommen und die sind ein bisschen eigen, was männlichen Besuch von ihrer Tochter angeht. Hat sie zumindest erzählt<, erklärt er, was die Frage aufwirft, ob sie oft männlichen Besuch hat. Allerdings kann ich mir das bei ihr überhaupt nicht vorstellen. Ihren Eltern geht es wohl eher darum, dass sie ihr Tochter beschützen wollen, damit sie nicht noch einmal verletzt wird. >Und Mathe ist nur ein Vorwand, um eine Grundlage zu haben. So kommt ihr vielleicht bessern ins Gespräch. Bei mir ist sie mittlerweile recht locker, aber ich weiß nicht, ob ihr zwei auch schon so weit seid.< Da ist wieder dieser Stich in meiner Brust, der vollkommen unbegründet ist. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum ich schon wieder eifersüchtig bin.

>Mal sehen.< Er brummt etwas vor sich hin, betritt die Klasse und mein Blick schweift von allein zu Clara. Sie trägt die Haare wie immer offen, sieht gedankenverloren aus dem Fenster. Ohne darüber nachzudenken gehe ich auf sie zu, weiß gar nicht, was ich ihr sagen will, doch da dreht sie schon den Kopf. Sie sieht zu mir auf, lächelt aber nicht. Stattdessen sieht sie zu Max, wirkt hilfesuchend und ich weiß nicht, ob ich sauer oder verletzt sein soll.

Mir fehlt die Kraft etwas zu sagen, wende mich ab und setzte mich an meinen Platz. Ich habe keine Ahnung, ob ich überreagiere, oder ob zwischen den beiden doch mehr ist, als Max mir sagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mich anlügt, aber es fühlt sich so an. Sie würde mir nicht ausweichen und bei ihm Hilfe suchen, wenn er nur ein Freund wäre. Schließlich bin ich keine Gefahr für sie, es gibt keinen Grund Angst zu haben, es sei denn, sie hat etwas zu verbergen.

Sagt Max vielleicht die Wahrheit, weil er nicht weiß oder bemerkt, dass Clara in ihn verknallt ist?

Ich habe Angst davor, dass es so ist. Dass ich mich in Clara verliebt habe, aber sie auf Max steht. Das würde nicht gut enden.

>Was hast du?<, will Max leise wissen, lehnt sich zu mir. Ich kann ihn unmöglich fragen, ob sie nicht vielleicht ihn mag und ich mir alles andere eingebildet habe. Dass sie bei mir so verschlossen und zurückhaltend reagiert, könnte daran liegen, dass sie über mich an Max rankommen wollte und ein schlechtes Gewissen deswegen hat. >Hör auf!<, mahnt Max leise, sieht kurz zu meinen Fäusten auf dem Tisch. >Was auch immer in deinem Kopf vorgeht, hör auf damit. Du reimst dir nur irgendetwas zusammen, das vollkommen verrückt ist und an dem nichts Wahres dran ist.< Er scheint es wirklich nicht zu wissen. Mein Blick huscht zu Clara, aber sie wendet sofort den Blick ab.

Das tut weh.

Schnell springe ich auf, gehe zur Tür und als ich noch einmal zurück sehe, spüre ich es. Die Gefühle zwischen den beiden kann ich bis hier her spüren, dabei sehen sie sich nur an.

So schnell ich kann, eile ich aus der Klasse, durch den Flur und in Richtung Ausgang. Max hat versucht es zu verbergen, wollte mich vermutlich schützen oder nicht dazwischen funken, aber das kann er jetzt nicht mehr, ich habe es gesehen. Genau so wenig wie sie. Vermutlich weiß er deshalb, dass ihre Eltern wiederkommen. Er wollte wieder bei ihr vorbeikommen und deshalb hat sie ihm davon erzählt. Diesmal scheint er wohl der Blinde zu sein. Es gibt keinen anderen Weg, wie sie auf das Thema hätten kommen können.

Mit zusammengebissenen Zähnen stoße ich die Tür auf, als ich ihn hinter mir höre.

>Randon, komm runter<, bittet Max, aber das kann ich nicht. Wie Max gesagt hat kenne ich Clara kaum, aber sie bedeutet mir etwas. Ich dagegen bin nur ein Freund für sie, vielleicht nicht einmal das. Vermutlich hätte ich mich doch mehr auf sie konzentrieren sollen, dann wäre es vielleicht nie zu diesem Durcheinander gekommen. >Was ist denn wieder los mit dir?<, will er wissen und legt eine Hand auf meine Schulter, damit ich stehen bleibe. Schulterzuckend warte ich, bis er um mich herumgekommen ist, sehe zu ihm auf. Ich weiß nicht, wie ich ihm all die Dinge sagen soll, die in meinem Kopf herumspuken. Wie ich ihm vermitteln soll, was in mir vorgeht. Ob ich es ihm überhaupt verraten soll.

>Das mit Clara hat sich erledigt.< Ich habe nicht erwartet, dass sich mein Herz so schmerzhaft zusammenziehen würde, wenn ich es laut ausspreche. Obwohl auch der Gedanke weh tut, dachte ich nicht, dass es sich so schmerzhaft anfühlt, wenn man seine Gefühle verleumdet.

>Erzähl keine Scheiße<, entgegnet er, schüttelt knapp den Kopf. >Du hast wieder eine fixe Idee und reimst dir etwas zusammen, das hinten und vorne nicht wahr ist.< Er wirkt so überzeugt, dass er entweder sehr gut lügt, oder er ist wirklich überzeugt davon.

>Was hältst du wirklich von Clara?< Jetzt ist die Frage raus und ich beobachte jede einzelne Regung in seinem Gesicht.

>Ist das jetzt dein Ernst?< Er wirkt perplex und überrumpelt, aber irgendwie nicht so, als hätte ich ihn ertappt oder etwas angesprochen, was er verschweigen will. >Deshalb drehst du wieder am Rad? Clara ist meine, unsere Freundin. Du weißt, dass ich keine Freundinnen habe, Clara ist eine Ausnahme, weil sie kein zickiges, eingebildetes Biest ist, aber das war dann auch alles. Sie ist cool, ein angenehmer, ehrlicher Mensch und deshalb mag ich sie als Freundin, aber mehr ist es nicht. Und sie hat auch keine Gefühle für mich, die über eine Freundschaft hinaus gehen, falls das dein nächstes Hirngespinst sein sollte.< Er hat genau erraten, was in mir vorgeht.

Aber verrät nicht genau das, was er verbergen will? Würde er darauf kommen, wenn er wirklich keine Gefühle für Clara hätte? Hat er mir nur von Anna erzählt, damit ich mich wieder auf sie konzentriere und mich so auch von Clara fern halte?

Bei dem Gedanken mache ich einen Schritt zurück. Mir wäre bis vor ein paar Minuten nichts davon in den Sinn gekommen, weil ich Max vertraut habe. Weil ich jedem schnell vertraue. Aber das bedeutet nicht, dass Max und Phil am Ende dieselben Absichten haben.

Wütend starre ich Max an, will ihm an den Kopf werfen, dass er mich gefälligst in Ruhe lassen soll und mit seinen Spielchen keinen Erfolg haben wird. Dass ich sie finden und Clara vergessen werde, damit er mich nicht mehr anlügen muss, aber er achtet nicht auf mich. Aus irgendeinem Grund starrt er an mir zum Haupteingang und seine Augen weiten sich.

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31.12.2019

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