Kapitel 32

Randon Banks

Müde gähne ich, halte mir eine Hand vor den Mund, reibe mir die Augen. Max sitzt neben mir, summt ein Lied im Radio mit. Ich weiß überhaupt nicht, warum er schon wieder so gut drauf ist und das um die Zeit.

>Bist du nicht müde?< Er schüttelt knapp den Kopf, hebt die Schultern.

>Im Gegensatz zu dir bin ich nach dem Training ins Bett und habe nicht noch ewig mit Anna geschrieben.< Bei dem Gedanken daran muss ich Lächeln. Wir hatten tatsächlich ein paar Anlaufschwierigkeiten, weil es einfach komisch war mit ihr zu schreiben und jetzt auch zu wissen, wer sie ist, aber es war auch schön. Wir haben uns über einige Sachen ausgetauscht und sie ist jetzt auch offener als vorher.

>Lass mich einfach in Frieden<, gebe ich zurück, höre aber nicht auf zu Lächeln. Er freut sich für mich, das weiß ich. Natürlich kann er es aber auch nicht lassen, mich damit aufzuziehen.

>Habt ihr euch schon verabredet?< Eben habe ich eine Nachricht bekommen, darum sehe ich auf mein Handy.

>Wir essen in der Pause zusammen. Heute haben wir keine Mittagspause, aber immerhin die nach der zweiten Stunde.< Er boxt mir gegen den Arm und ich schreibe meiner Schwester zurück, dass ich sie von der Schule holen kann, da unsere Eltern offenbar heute beide lange arbeiten müssen.

>Du bist schon wieder dabei, dir die rosarote Brille aufzusetzen<, mahnt er. >Ich werde mich dann zu Clara setzten. Sie ist immer allein und bei euch beiden wäre ich nur im Weg.< Er hat schon Recht, es wäre auch ganz schön, sich zu Clara zu setzten, aber irgendwie auch komisch, wenn ich Anna mitbringen würde. Ich will Anna erst besser kennen lernen.

Er parkt auf seinem üblichen Platz und wir steigen aus, laufen Richtung Haupteingang, wo Lesley grade für Phil die Tür auf hält. Er kommt mit Krücken auf sie zu und geht nach drinnen, dicht gefolgt von ihr. >Offenbar hat Clara ihm wirklich den Fuß verstaucht. Ich dachte, dass es nichts Ernstes ist. Sie ist so zierlich, ihr sieht man echt nicht an, dass sie so eine Kraft hat.< Schulterzuckend gehe ich nach drinnen, wo wieder jede Menge los ist.

>Scheiße<, entfährt es mir, als mein Schließfach in Sicht kommt. Max sieht fragend zu mir, ich reibe mir das Gesicht. >Das ist jetzt peinlich. Ich habe sie „Pausenbrotmädchen" genannt.< Verständnislos mustert er mich.

>Hä?<

>Die Tüte von gestern. Ich habe ihr doch was gebacken und einen Zettel geschrieben und darin habe ich sie „Pausenbrotmädchen" genannt.< Er schmunzelt, hebt die Schultern.

>Ich wusste doch, dass du sie für sie gebacken hast. Aber da wusstest du ja auch noch nicht, wer sie ist. Abgesehen davon gibt es echt schlimmere Kosenamen.< Strafend sehe ich zu ihm, bevor ich mein Schloss öffne. Tatsächlich steht heute eine andere Dose darin, als die übliche, aber der Inhalt sieht lecker aus. Max sieht mir über die Schulter, während ich mir das Käsebrot gleich nehme und rein beiße. Es ist lecker, genau wie immer. >Jetzt, wo wir wissen, wer sie ist, kannst du sie nicht fragen, ob sie mir auch welche macht? Ich würde sie auch bezahlen.< Kopfschüttelnd schließe ich die Dose wieder, packe den Rest ein und laufe mit ihm in Richtung Klassenzimmer.

>Du kannst sie ja selbst fragen.< Er rollt die Augen, dann sieht er mir weiter dabei zu, wie ich das leckere Brot genieße.

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Die ersten beiden Stunden haben wir Mathe, was mich an die Nachhilfe mit Clara erinnert. Ich kann noch vor mir sehen, wie sie mir das Blatt abgenommen hat, um mir eine Formel umzustellen. Dabei hat sie jeden Schritt einzeln aufgeschrieben, wodurch ich das Ganze viel besser verstanden habe. Seitdem vergesse ich die Formel auch nicht mehr oder den Weg, wie man sie umstellt.

Aus einem Impuls heraus sehe ich mich nach ihr um, unsere Blicke begegnen sich. Ihre Wangen röten sich und sie lächelt, dann sieht sie zur Tafel. Offenbar ist es ihr unangenehm, dabei habe ich genau so zu ihr gesehen, wie sie zu mir. Trotzdem lächelt sie weiter, selbst dann noch, als sie den Kopf senkt, um etwas aufzuschreiben. Offenbar hat sie heute einen guten Tag, genau wie ich.

>Randon, würdest du die Aufgabe bitte lösen?< Sie hebt den Kopf wieder, sieht zu mir, doch ich muss mich jetzt auf Herr Tibet konzentrieren. Mit einem knappen Nicken gehe ich nach vorne, löse die Gleichung. Zum Glück habe ich aufgepasst und weiß, was ich alles beachten muss, gebe ihm die Kreide zurück. >Sehr gut. Wie ich sehe, hat das mit der Nachhilfe gut geklappt<, freut er sich, sieht von mir zu Clara, nickt ihr knapp zu. Sie nickt zurück, sieht dann aber verlegen bei Seite.

Es ist schon erstaunlich, wie schüchtern sie sein kann.

Zurück bei Max bekomme ich einen komischen Blick von ihm, woraufhin ich nur die Schultern hebe.

>Ich habe dir doch erzählt, dass sie gut erklären kann.< Er mustert mich noch kurz, dann sieht er an mir vorbei zu ihr.

>Du hast mir aber nicht erzählt, dass sie-< Er stoppt, wirkt verwirrt. >Egal.< Fragend sehe ich zu ihm, dann zu ihr, doch sie ist damit beschäftigt etwas aufzuschreiben.

>Was denn?<, er schüttelt nur den Kopf, deutet zu Herr Tibet, der uns mahnend ansieht. Ergeben widme ich mich wieder dem Unterricht, versuche mich nur darauf zu konzentrieren.

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Kopfschüttelnd begleitet mich Max in die Kantine. Normalerweise machen wir in der ersten, großen Pause nichts Besonderes, gehen zum nächsten Raum und unterhalten uns einfach, aber heute nicht. Ich freue mich, Anna zu sehen und sie ein paar Dinge zu fragen. Zum Beispiel würde ich gerne wissen, woher sie Clara kennt und warum sie nie bei ihr sitzt.

In der Kantine angekommen sitzt Anna mit zwei Freundinnen zusammen an ihrem Tisch, lacht mit ihnen. Sie trägt ihre Haare offen über ihren Schultern und ist doch ziemlich hübsch, muss ich zugeben, obwohl mir das bisher nie aufgefallen ist.

>Lass die Brille doch wenigstens weg, bis ihr zusammen seid<, beschwert sich Max und ich rolle die Augen.

>Es läuft doch gar nichts zwischen uns.<

SPECIAL

Maximilian Brown

Der Junge ist anstrengend, wenn er verknallt ist. Und ganz egal, wie sehr er es versucht zu verbergen, ich merke es ihm an. Vielleicht hat er es selbst noch nicht bemerkt, aber er steht auf Anna.

Ich bin mir nicht ganz so sicher, ob sie wirklich das Pausenbrotmädchen ist, er allerdings lässt sich davon nicht mehr abbringen. Für ihn passt irgendwie alles zusammen. Er hat viel mehr Infos darüber als ich, deshalb akzeptiere ich es einfach und lasse ihn machen. Wenn er aber heute noch mit ihr zusammenkommt, werde ich ihm den Kopf waschen.

Selbst, wenn sie es ist und sie schon seit ein paar Tagen miteinander schreiben, kennt er sie kaum. Irgendwann muss er lernen, dass es nicht so schnell gehen kann und nicht immer alles perfekt ist. Er muss sich angewöhnen, sich das ganze Bild anzusehen und nicht nur die kleine Ecke, die ihm gefällt.

>Alles in Ordnung bei dir?< Verwirrt sehe ich zu Clara herunter, die an ihrem üblichen Platz sitzt. Ich bin wie geplant zu ihr gegangen, habe aber zu Randon und Anna gestarrt, anstatt mich zu ihr zu setzten.

>Ja, klar<, winke ich schnell ab, setzte mich ihr gegenüber an den Tisch. Sie hebt kurz die Schultern, beißt ein Stück ihrer Karotte ab. Mein Blick huscht zu der Dose, die vor ihr auf dem Tisch steht.

Irgendwoher kenne ich diese Dose.

Sie schiebt mir die Dose entgegen, ich sehe zu ihr auf.

>Nimm dir ruhig welche<, meint sie freundlich, doch anstatt genau das zu machen, sehe ich zu Randon. Der sitzt lächelnd bei Anna, unterhält sich prächtig.

Hier stimmt was nicht.

Wieder sehe ich zu Clara, versuche das Rätsel zu lösen, doch ihre Aufmerksamkeit liegt auf Randon. Sie sieht nicht einfach nur zu ihm rüber, selbst ich kann ihr ansehen, dass sie verletzt ist und ich bin echt nicht gut darin, in Gesichtern zu lesen.

>Du bist es, oder? Die mit den Broten.< Sie wollte grade wieder die Karotte an ihren Mund führen, hält aber mitten in der Bewegung inne.

Ganz egal, was sie jetzt sagt, es die Wahrheit ist offensichtlich.

Langsam dreht sie den Kopf zu mir, mustert mein Gesicht. >Ich werde es ihm nicht sagen, wenn du es nicht willst.< Sie schweigt noch immer, in ihrem Gesicht spiegeln sich Angst und Unbehagen. Woher die Angst kommt, verstehe ich nicht, aber das Unbehagen kann ich nachvollziehen. >Anna hat ihm erzählt, dass sie die Brote für ihn macht, seitdem ist er komplett von der Rolle. Ich glaube, er hat sich in dich verknallt und das richtet sich jetzt auf sie.< Sie schnappt nach Luft, ihre Augen werden groß. Mir wäre Clara als seine Freundin viel lieber. Sie ist ruhig und erwachsen, außerdem ist sie wirklich verknallt, wenn sie ihm so lange diese Brote macht und für ihn da ist. Obwohl es sie verletzt haben muss, dass er sie am Anfang nicht beachtet hat, ist sie immer am Ball geblieben und war ihm eine Stütze. Er hat mir erzählt, wie gut ihm das geholfen hat und das heißt für mich, dass er sie mag.

>Sag so was nicht<, bittet sie, umklammert das kleine Stück Karotte in ihrer Hand.

>Ich sage nur, wie es ist.< Ihre grünen Augen huschen zu Randon, dann wieder zu mir. Natürlich will ich sie nicht verraten, sie hat das alles vermutlich nur gemacht, weil sie es nicht über sich bringt, mit ihm darüber zu reden. Da die Option damit ausscheidet, werde ich ihm wenigstes klar machen müssen, dass Anna ein falsches Spiel spielt.

>Das kann gar nicht sein. Er hat mir heute Morgen nicht Mal geantwortet.< Sie reißt die Augen auf, schlägt sich eine Hand vor den Mund.

>Wegen der Cookies?<, versuche ich sie dazu zu bringen, weiter zu reden. Sie wirkt ein wenig verzweifelt, lässt aber dann die Schultern sinken. >Er hat mich gezwungen, ihm zu helfen. Ich habe ihm das Rezept eine Millionen Mal vorgelesen. Er hat mir nicht gesagt, dass sie für dich sind, aber als er sie in sein Schließfach gestellt hat, war es offensichtlich. Er stellt sich sonst immer nur für seine Schwester in die Küche.< Sie sieht wieder zu Randon, steckt sich das letzte Stück Karotte in den Mund und ich nehme mir auch eines. Es ist irgendwie schön sie so zu sehen. Zu wissen, dass so ein gutes Mädchen in meinen besten Freund verliebt ist. Da kommt in mir glatt das Bedürfnis auf, sie in einen Raum zu stecken und sie zu zwingen, sich ihre Gefühle zu gestehen.

Plötzlich springt sie auf, schnappt sich ihre Tasche und ächzt, dann eilt sie aus der Kantine. Verdutzt sitze ich nun mit der Dose und den übrigen Karotten da, sehe mich um. Ich wüsste zu gern, warum sie einfach gegangen ist und finde die Antwort nur Sekunden später. Randon hat eine Dose vor sich auf dem Tisch stehen, so wie eigentlich immer. Doch es ist die falsche Dose.

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01.10.2019

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