Kapitel 29
Clara Archer
Es ist still wie auf einem Friedhof, obwohl die Kantine so voll ist, wie in jeder Pause.
Lesley und Randon stehen sich gegenüber, funkeln sich an. Er hat einen Saft am Automaten geholt und dann nicht seinen üblichen Tisch angesteuert, sondern meinen. Nur vier oder fünf Meter, bevor er dort angekommen ist, hat sich Lesley ihm in den Weg gestellt.
>Du und Clara, ja?<, fragt sie, mustert ihn abfällig. Sie spricht nicht laut, aber ich habe das Gefühl, dass die gesamte Kantine verstanden hat, was sie gesagt hat.
>Ich brauche deine Genehmigung nicht, um zu entscheiden, mit wem ich befreundet bin.< Max hat eben noch bezahlt, nun schlendert er an Randon und Lesley mit seinem Tablett vorbei zu mir, setzt sich mir gegenüber an den Tisch.
>Hi. Wir haben uns seit Samstag nicht gesehen. Bist du gut nach Hause gekommen?<, fragt er locker, als wären wir schon ewig befreundet. Schnell nehme ich einen Schluck von meinem Glas, nicke knapp. >Gut, gut. Mein Bus hat ewig auf sich warten lassen. Vielleicht hätte ich doch mit euch laufen sollen<, meint er und fängt an zu essen.
>Ich glaube es nicht. Ihr zwei teilt euch ein Mädchen<, lacht Lesley und es hätten sicher einige mitgelacht, wenn Randon nicht plötzlich so todernst ausgesehen hätte.
>Ich hoffe, du erstickst eines Tages an deinem widerlichen Lachen.< Seine Stimme ist dunkel, lässt Lesley zurückweichen. >Du kennst das vielleicht nicht, aber man kann miteinander befreundet sein und Freunde teilen, auch ohne, dass jeder mit jedem ins Bett geht. Ich weiß, Phil und du, ihr seid da anderer Meinung, aber das ist ganz euer Problem.< Ein Flüstern geht durch die Kantine, doch meine Aufmerksamkeit gehört ganz Randon.
Warum kann ich nur daran denken, wie heiß er grade ist?
>Da hast du Recht. Anstand ist ihr ein Fremdwort<, wird er von Max unterstützt, der breit grinst. >Oder Freundschaft. Hast du wirklich geglaubt, ich würde meinen besten Freund verraten, wenn du mir genug von deinem Ausschnitt ins Gesicht hältst?< Wieder geht ein Flüstern durch den Raum, diesmal auch begleitet von einigen Lachern.
>Das hat sie nicht gemacht<, mischt sich nun Phil ein, der vor wenigen Sekunden in die Kantine gekommen ist.
>Wetten?<, provoziert Max ihn, steht auf. So still wie möglich bleibe ich sitzen, beobachte einfach das Schauspiel. Phil läuft jetzt schon rot an vor Wut, dabei habe ich ihn nie für aggressiv gehalten.
>Ja, dagegen wette ich. Meine Freundin würde so etwas niemals tun.< Da schleicht sich ein gruseliges Lächeln in das hübsche Gesicht von Randon.
>Ach. So wie sie niemals mit dir ins Bett gehen würde, solange sie noch einen Freund hat? So wie vorletzten Freitag?< Ganz egal, was Phil oder Lesley dagegen sagen wollen, ihr blasses Gesicht verrät sie.
>Du bist mir zu erst fremd gegangen!<, fährt sie ihn an und schon hat sie zugegeben, dass sie ihn betrogen hat. Obwohl ich nicht finde, dass dieses Gespräch vor all den Leuten stattfinden sollte, habe ich nichts gegen den Verlauf einzuwenden.
>Tut mir leid, aber ich muss dich enttäuschen. Da war nie eine andere. Ich durfte vierundzwanzig Stunden am Tag an deinem Arsch kleben. Selbst, wenn ich es gewollt hätte, ich hätte gar keine Zeit für eine andere gehabt.< Sie funkelt ihn wütend an, sagt aber nichts mehr.
>Du bist doch nur eifersüchtig<, mischt sich Phil nun wieder ein und ich habe das Gefühl, dass fast alle hier die Augen verdrehen. Seine Halsschlagader kann ich von hier aus sehen. Er weiß, dass er sich lächerlich macht, will aber auch nicht klein beigeben.
Das ist die letzte Karte, wenn einem nichts mehr einfällt.
>Clara, Max, lasst uns draußen Essen. Ich habe mich eben daran erinnert, dass mir Anastasia heute beigebracht hat, meine Zeit nicht unnötig zu verschwenden.< Es braucht nur eine Sekunde, da explodiert Phil plötzlich. Lesley versucht ihn noch zurück zu halten, aber er stößt sie bei Seite. Auch Randon reagiert sofort, weicht aus, aber Phil verfehlt nur seinen ersten Schlag. Der zweite landet in Randons Seite, dann stehe ich. Ohne es wirklich kontrollieren zu können, laufe ich nicht um den Tisch herum, sondern klettere darüber, weil das schneller geht. Phil landet noch einen Treffer an Randons Kiefer, dann bin ich bei den beiden, reiße Phil von ihm weg und sorge dafür, dass er auf dem Boden landet.
Randon flucht, doch meine Aufmerksamkeit gilt ganz Phil.
>Du solltest liegen bleiben<, rate ich ihm, meine Stimme ist kalt und monoton. Doch natürlich macht er das nicht. Ruhig warte ich, bis er wieder steht, dann werfe ich ihn wieder zu Boden.
>Du solltest auf sie hören<, rät ihm nun auch Randon. >Sie hat in ihrem Leben mehr Kampfsport gemacht, als du dich geprügelt hast.< Phil sieht von ihm zu mir und tatsächlich sieht er so aus, als würde er diesmal liegen bleiben.
Langsam löse ich meinen Blick von Phil, sehe nach Randon. Er hält sich die Seite, sein Kiefer ist leicht gerötet. >Geht schon<, versichert er mir, lächelt leicht.
>Du solltest beides kühlen.< Er nickt knapp, wendet sich ab, doch dann wankt er. Max hat sich zu uns gesellt und kann rechtzeitig reagieren, um Randon aufzufangen. Augenblicklich suche ich die Ursache und finde Phil, der ihm ein Bein gestellt hat und nun hinterhältig grinst.
>Du mieser, kleiner....< Ich lasse den Satz absichtlich offen, packe Phils Fußgelenk und dann sorge ich dafür, dass er nie wieder auf so eine dumme Idee kommt.
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Unser Schuldirektor sieht gestresst aus. Gregor Montgomerie ist ein schmaler, hoch gewachsener Mann in den Fünfzigern, der von dem Stress hier deutlich gezeichnet ist. Die Schachtel Zigaretten auf seinem Schreibtisch macht deutlich, was dieser Job mit einem anstellt, denn er versucht immer wieder aufzuhören, kann der Versuchung aber an manchen Tagen nicht wiederstehen. Offenbar ist heute einer davon.
Er hat mich schon eine weile stumm gemustert, genau wie Randon, Max und Lesley. Phil ist im Krankenzimmer. Die Zusammenhänge kennt er, das haben wir schon ausführlich besprochen. Jetzt ist eigentlich der Zeitpunkt gekommen, eine Entscheidung zu treffen. Nur scheint er sich damit schwer zu tun.
>Lesley, Sie können gehen<, sagt er schließlich, aber sie verschränkt nur die Arme vor der Brust.
>Nein. Ich will wissen, welche Strafe Clara bekommt, ich habe ein Recht darauf. Sie hat meinem Freund den Fuß gebrochen.< Gregor reibt sich die Schläfen, Max rollt die Augen.
>Er ist nur verstaucht<, korrigiere ich deshalb Lesley, welche mich giftig ansieht.
>Halt deine verfluchte-<
>Wenn Sie diesen Satz zu Ende bringen, werden Sie für den Rest der Woche der Schule verwiesen<, wird sie vom Direktor unterbrochen, schluckt schwer. >Und jetzt raus. Kümmern Sie sich um Ihren Freund.< Mit verengten Augen sieht sie noch einmal zu mir, dann stolziert sie endlich aus dem Raum, schlägt die Tür zu. Kopfschüttelnd lässt sich Gregor zurück in seinen Stuhl sinken, mustert mich. >War das wirklich nötig? Ich weiß, du kannst mit solchen Situationen gut umgehen und Kurzschlussreaktionen kommen bei dir eigentlich eher nicht vor.< Kurz hebe ich die Schultern, sehe einen Moment zu Randon, dann wieder zu ihm. Ich wollte ihn beschützen und ich finde schon, dass das notwendig war. Er hat es meiner Meinung nach verdient, nach all dem, was er Randon angetan hat. Selbstverständlich würde ich das aber niemals so sagen.
>Sicher hätte es eine andere Lösung gegeben, aber Phil ist wütend gewesen. Er wäre wieder auf Randon los gegangen, oder auf irgendjemand anderen. Trotzdem kommt so etwas natürlich nicht wieder vor.< Sein Blick wandert von mir zu Randon, der sich mit einem Cool-pack den Kiefer kühlt, mich nachdenklich ansieht. Nun jedoch wendet er sich an den Direktor.
>Auch Sie kenne ich als vorbildlichen Schüler und soweit ich das beurteilen kann, haben Sie niemanden verletzt<, beginnt er, sieht von Randon zu Max. >Demnach wird keiner von Ihnen bestraft werden. Natürlich muss ich Ihre Eltern informieren und hoffe auch, dass so etwas nicht wieder vorkommt.< Beide nicken zustimmend, dann sieht er wieder zu mir. >Und du solltest es deinem Vater selbst sagen, wenn er wieder zurück ist. Wenn du meine Hilfe brauchst, melde dich bei mir.< Knapp nicke ich, lächle dankbar.
>Natürlich, vielen Dank. Würdest du deinem Sohn ausrichten, dass ich einen neuen Termin brauche? Wegen meinem Attest.< Er nickt knapp, nimmt sich ein Post-it aus einer der Schubladen, schreibt sich eine Notiz.
>Gut, dann können Sie alle zurück in den Unterricht. Wenn es noch weitere Probleme mit Lesley oder Phil geben sollte, melden Sie das bitte einem Kollegen oder direkt bei mir.< Mit einem knappen Nicken stehe ich auf, die anderen beiden folgen mir.
>Danke, Gregor. Sehen wir uns am Freitag im Club?< Er lächelt, sieht zu mir auf.
>Er spielt wieder?< Mein Vater hatte sich die Hand verstaucht und war deshalb die letzten beiden Male nicht im Golfclub, mittlerweile ist aber wieder alles verheilt.
>Das hat er zumindest gesagt.<
>Dann sehen wir uns Freitagmittag<, verabschiedete er sich und zum ersten Mal sieht er zu Frieden und entspannt aus. Die Stunden im Golfclub sind auch immer lustig, soweit ich das sagen kann. Oft bin ich nämlich wegen meinem Training nicht dabei, oder zumindest nicht bis zum Ende.
Kurz hebe ich noch eine Hand zum Abschied, dann folge ich den beiden aus dem Büro. Sobald die Tür geschlossen ist, drehen sich beide zu mir um, mustert mich.
>Du kennst unseren Rektor?<, fragt Max, sieht noch einmal auf die verschlossene Tür. Schulterzuckend sehe ich zu ihm auf, denn daran ist nicht besonderes.
>Gregor ist ein Freund der Familie und sein Sohn ist mein Hausarzt<, erkläre ich knapp, denn mehr gibt es da eigentlich auch nicht zu erzählen. Er und mein Vater kenne sich seit über fünfzehn Jahren, da war er noch kein Schuldirektor.
>Unglaublich<, meint Max kopfschüttelnd, begibt sich in Richtung der Klassenräume. >Hätte ich das gewusst, wären wir schon viel länger Freunde. Das hätte vieles leichter gemacht.< Er sagt das so, als hätte er soeben eine unglaubliche Entdeckung gemacht, was mich Lächeln lässt.
Warte. Wir sind Freunde? Ich habe keine Freunde.
Verwirrt schweige ich ein paar Sekunden, versuche die Situation zu verstehen, gebe es aber auch schnell wieder auf. Es würde ohnehin zu nichts führen, dass in meinem Kopf durch zu kauen.
>Wie oft warst du denn in den letzten drei Monaten bei ihm?< Fragend sieht er zu mir. >Ich bin erst seit elf Wochen auf dieser Schule<, erkläre ich knapp und er seufzt.
>Dann hätte es nichts gebracht, aber ab sofort sind wir Freunde und wenn ich was anstelle, kommst du mit zu Herrn Montgomerie<, beschließt er, schiebt seine Hände in die vorderen Taschen seiner Jeans. Mir wird warm, gleichzeitig jagt mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper.
Ich habe einen Freund. Noch dazu einen männlichen. Ist Randon jetzt auch mein Freund?
Randon betrachtet ihn schmunzelnd, dann sieht er zu mir. Er sagt nichts, sieht mich einfach nur an und ich weiß nicht, wie ich das deuten soll.
Was denkt er? Warum sieht er mich an? Warum redet er heute überhaupt so wenig?
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15.09.2019
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