Kapitel 22
Randon Banks
Es kann sein, dass ich auf Schlauch stehe. Ob das so ist oder nicht, es gibt für mich keine Erklärung für ihr Verhalten. Clara sieht unglaublich wütend aus und Tristan hat wohl so viel Angst vor ihr, dass er uns hier sitzen lässt und uns jemand anders abholen soll. Vor wenigen Minuten noch haben sie herumgealbert, allerdings habe ich auch die Blutergüsse gesehen, die er wohl Clara zu verdanken hat. Zwar nur kurz, aber doch deutlich.
Warum wird sie bei einem einzigen Namen derart wütend?
Zu gern würde ich sie fragen, aber ich traue mich einfach nicht. Außerdem glaube ich, dass es mich nichts angeht.
>Kann ich euch noch etwas bringen?< Wir erschrecken beide ein wenig, sehen uns nach der Kellnerin um. >Randon?<, fragt sie überrascht, sieht mich mit großen Augen an.
>Ronja.< Mehr fällt mir nicht zu dem Mädchen ein, das vor ein paar Wochen ab und zu Mal etwas mit Max hatte. Wir haben nie viel miteinander zu tun gehabt oder auch nur mehr als ein paar Worte gewechselt.
Sie lächelt, streicht sie durch die langen, leicht gelockten, dunkelblonden Haare.
>Schön dich Mal wieder zu sehen. Was führt dich her?< Offenbar hat sie Clara vergessen, welche noch immer den Tisch umklammert. Allerdings scheint sie uns durchaus ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
>Wir wollten etwas frühstücken und das Café hier lag auf dem Weg<, lüge ich, denn eigentlich will ich ihr nicht mehr erzählen, als ich muss. >Seit wann arbeitest du hier?<
>Zwei oder drei Wochen<, meint sie locker, achtet noch immer nur auf mich. >Hast du heute Nachmittag Zeit?<, will sie dann gleich wissen, beißt sich auf die Lippe und ihre Augen sind auch nicht mehr nur auf mein Gesicht gerichtet.
Warum sind nicht mehr Frauen so zurückhaltend wie Clara? Das nervt.
>Nein, habe ich nicht. Ehrlichgesagt möchte ich auch gar nichts mit dir unternehmen.< Sie blinzelt ein paar Mal überrascht, starrt mich überrumpelt an.
>Was? Warum denn nicht?<, will sie wissen, versucht sich vor mir zu posieren.
>Wir haben nichts miteinander zu tun und ich finde, das kann so bleiben. Wir hätten gerne die Rechnung.< Sie sieht aus, als hätte sie mit allem gerechnet, nur nicht mit einer so klaren Abfuhr. Schnaubend wirft sie einen giftigen Blick zu Clara, bekommt aber nur einen stechenden Mörderblick zurück. Mit einem verwirrten Stirnrunzelnd geht sie dann endlich und macht hoffentlich unsere Rechnung zusammen. >Soll ich gehen?<, frage ich Clara vorsichtig, um ihre Wut nicht auf mich zu lenken, doch sie schüttelt den Kopf. Langsam löst sich ihre angespannte Haltung und ihr Blick wird weniger stechend.
>Vergiss einfach nur, was mein Bruder gesagt hat. Wenn wir bei mir sind, solltest du allerdings nach Hause fahren.< Sie sagt das ganz sachlich, löst ihre Hände von der Tischkante. Es ist schade, dass sie mich nach Hause schickt, aber das ist vermutlich besser so. Ein paar frische Sachen wären sicher nicht schlecht und abgesehen davon muss ich meinen Eltern auch noch erklären, warum ich ihnen nicht erzählt habe, dass ich woanders übernachte. Immerhin war das auch nicht geplant. Nichts in den letzten Stunden war geplant, aber ich kann nicht sagen, dass alles davon schlecht war.
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Auf dem Rückweg war sie nicht mehr so verspannt wie gestern, wenn wir allein waren. Obwohl wir nicht wirklich allein sind, sitzen wir beide auf der Rückbank von Manuels Auto. Dafür scheint sie die ganze Zeit sehr abwesend zu sein. Fast so, als wäre ich gar nicht da. Natürlich macht mich das traurig, aber sie wird schon ihre Gründe haben.
Ihr Verhalten hat sich nur durch einen Satz, einen Namen, so stark geändert, dass ich ihr alles Folgende nicht übelnehmen kann. Und auch gar nicht will. Es ist nur schade, dass wir schweigen. Sobald wir bei ihr sind, werde ich nach Hause fahren und wir werden uns erst am Montag wiedersehen, obwohl ich gern noch mehr Zeit mit ihr verbringen würde. All die Rätsel um sie herum lenken mich von mir und meinem Chaos ab.
>Möchtest du morgen ins Kino gehen?<, frage ich sie spontan, als wir gerade in die Taubengasse fahren, sehe zu ihr. Sie sieht weiter aus dem Fenster, schüttelt langsam den Kopf.
>Nimm es mir bitte nicht übel, aber ich möchte allein sein.< Ich will sie berühren, sie in den Arm nehmen und trösten, nur weiß ich, dass es ihr nicht helfen würde. >Mach dir keine Sorgen, ich komme zu Recht<, sagt sie noch, dann halten wir an. >Bis Montag<, verabschiedet sie sich, ohne mich anzusehen und steigt aus. Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun soll, dann fällt die Autotür schon wieder zu.
>Nimm es nicht persönlich, sie ist immer so. Ich kenne Tristan seit sie hier wohnen und selbst er muss sie immer überreden, mal aus ihrem Zimmer zu kommen<, versucht Manuel mich aufzumuntern, aber das tut es nicht.
Wenn sie immer so ist, sich immer versteckt, will ich gar nicht wissen, wie einsam sie ist.
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Nach meinem ständigen Grübeln habe ich mich entschieden, nicht zu Hause zu bleiben, sondern zu Max zu fahren. Meine Eltern waren nicht da, somit konnte ich das Gespräch verschieben und auch Dana ist mit Freundinnen unterwegs.
Max hat daraufhin von mir eine Nachricht bekommen, dass ich auf dem Weg zu ihm bin und als Antwort habe ich ein Emoji von einem Bier bekommen. Genau das halte ich ihm auch grade vor die Nase. Beziehungsweise einen ganzen Kasten davon.
>Willst du mich bestechen?<, will er lachend wissen, nimmt mir den Kasten ab und lässt mich rein kommen.
>Das weiß ich noch nicht.< Wie üblich stelle ich meine Schuhe neben der Haustür an die Wand, folge ihm durch einen langen, schmalen Flur in das Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch. Seine Eltern sind unter der Woche immer zu Hause, sie arbeiten nur am Wochenende. Was genau sie beruflich machen konnte er mir allerdings nie so richtig erklären.
>Dann schieß mal los<, fordert er, nimmt gleich zwei Flaschen aus dem Kasten und öffnet sie. >Was führt dich an einem Samstagnachmittag zu mir?<, will er wissen, reicht mir eine der Flaschen. Den Kasten habe ich aus einem neuen Getränkeladen, der auch gekühlte Kästen verkauft. Zwar nur bestimmte Sorten, aber dieses hier trinkt Max sehr gerne.
>Die Sehnsucht nach einem Freund. Einem echten Freund.< Er schüttelt den Kopf, lässt sich zu mir auf die Couch fallen und wirft den Flaschenöffner auf den hölzernen Wohnzimmertisch.
>Du klingst genau wie Les. Sie war vorhin hier und hat versucht sich einzuschleimen, damit ich ihr erzähle, wo du bist.< Skeptisch sehe ich zu ihm, warte ab, denn da kommt sicher noch mehr. >Ich habe dich nicht verraten, als Gegenleistung hätte ich aber schon gerne die Wahrheit. Wo warst du heute Nacht und was hat es mit diesen Pausenbroten auf sich?< Genau diese Fragen wollte ich nicht hören. Ich will ihm vertrauen, aber es fällt mir im Moment einfach schwer, mich jemandem mitzuteilen. Das kann ich nur bei ihr und sehr wahrscheinlich verletzte ich sie damit. Was ich natürlich nicht will.
>Das ist eine längere, komplizierte Geschichte.< Er deutet auf den Kasten, den ich mitgebracht habe.
>Wir haben Zeit.< Schweigend betrachte ich den Kasten und die Flaschen darin, versuche eine Lösung zu finden. Ich sollte mit jemandem darüber reden, aber es fühlt sich einfach nicht so an, als könnte ich das. Es ist irgendwie so, als wäre das ein gigantisches Geheimnis, das nur ich kennen sollte. Obwohl ich durchaus weiß, dass das nicht so ist. >Randon<, beginnt er leise und ich sehe ihn an. >Du bist wie ein Bruder für mich, das weißt du. Geheimnisse sind bei mir sicher, das weißt du auch. Ich zwinge dich nicht, mit mir zu reden, aber lass nicht zu, dass diese ganze Scheiße dich auffrisst.< Tief atme ich durch, dann nehme ich einen kräftigen Schluck von meinem Bier.
>Dann bringe ich am Besten gleich alles auf den Punkt. Phil und Lesley schlafen seit mindestens einer Woche miteinander, irgendein wirklich tolles Mädchen macht mir jeden Morgen ein Pausenbrot für die Schule und ich war letzte Nacht bei Clara Archer, dem kompliziertesten Mädchen der Welt.< Der Mund von Max öffnet sich, doch er sagt nichts. >Ach, was ich fast vergessen habe: Lesley glaubt, dass ich mit dem Pausenbrot-Mädchen oder Clara schlafe und wahrscheinlich hat sie mich deswegen verlassen. Allerdings weiß sie nicht, dass das zweite Mädchen Clara ist, sie hat sie nicht erkannt.< Es ist befreiend, ihm das alles zu sagen. Natürlich waren das wirklich nur die Kerne der Dinge, die mich grade beschäftigen, aber jetzt weiß er ungefähr, was mich im Moment so alles beschäftigt.
>Die Clara mit der Brille und den viel zu großen Klamotten?<, hakt er nach und ich nicke knapp. >Stille Mädchen sind immer Rätselhaft und haben Geheimnisse<, meint er dann nachdenklich, nimmt einen Schluck von seinem Bier. >Wie hat sich das mit euch ergeben? Du sprichst doch sonst nie die Weiber an und sie hat dich wohl eher nicht angesprochen.< Schulterzuckend lehne ich mich zurück. Das war tatsächlich mehr oder weniger ein Zufall.
>Ich habe Herr Tibet um Nachhilfe gebeten und weil er keine Zeit hatte, sollte Clara das übernehmen und sie hat das super gemacht. Sie kann das Thema und erklärt auch sehr gut, sie bleibt immer beim Thema und lenkt nicht ab. Nach der Nachhilfe habe ich ihr angeboten sie nach Hause zu fahren, war aber vorher noch bei Lesley, um meine Sachen zu holen. Flora hat Clara in meinem Auto gesehen und falsche Schlüsse gezogen. Und als ich dann auch noch herausgefunden habe, dass Lesley und Phil etwas hatten, als ich letzten Freitag mit dir von der Party weg bin, wollte ich einfach nicht allein sein, also bin ich mit zu ihr.<
>Und hast bei ihr übernachtet<, schließt er lächelnd und ich rolle die Augen.
>Wir sind beim Film schauen eingeschlafen, mehr war da nicht. Können wir über was anderes reden?< Er lacht leise, trinkt sein Bier in einem Zug aus.
>Der Spaß fängt doch grade erst an. Du hast mir noch gar nichts über dein geheimnisvolles Pausenbrot-Mädchen erzählt. Woher weißt du, dass sie „wirklich toll" ist?<, fragt er und nutzt meine Worte. Seufzend rolle ich die Augen und hole tief Luft. Alles werde ich ihm nicht sagen, aber ein bisschen schon.
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18.05.2019
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