Kapitel 17
Clara Archer
Mit wild schlagendem Herz stehe ich in einer Kabine der Mädchentoiletten, versuche zu atmen.
Das war viel zu eng.
Um mich nicht zu verraten, habe ich Randon angelogen und behautet, dass ich nicht in seinem Chemie-Kurs bin. Deshalb fühle ich mich ein bisschen schlecht, aber es geht nicht anders. Ich muss meine Deckung wahren.
Dann habe ich mir den Zettel aus dem Mülleimer geschnappt, den Lesley beim Rausgehen reingeworfen hat und bin direkt zu Randons Schließfach gelaufen. Dass sie darauf mit Natascha irgendwelche Informationen ausgetauscht hat, die niemand lesen sollte, habe ich an ihrem versteckten Kichern erkannt. Und der Tatsache, dass sie außergewöhnlich gut aufgepasst haben, dass auch ja niemand mitliest oder unser Lehrer sie erwischt.
Wir wurden früher rausgelassen, nur deshalb hat das alles überhaupt geklappt. Aber nachdem das Schließfach wieder verschlossen war, bin ich nur zehn Meter weit gekommen, bis Randon in den Gang abgebogen ist.
Das war verdammt knapp.
So natürlich wie möglich bin ich abgehauen – weiter gelaufen meine ich natürlich – und habe mich dann im Mädchenklo versteckt. Hier komme ich immer her, wenn ich kurz vor dem Kollaps stehe. Und in den aller meisten Fällen ist Randon daran schuld. Also eigentlich immer.
Ein kurzer Blick auf mein Handy verrät mir, dass Randon mir nicht geschrieben hat und ich mich vom Acker machen sollte. Die nächste Stunde beginnt in zwei Minuten und ich habe noch ein ganzes Stück vor mir, bis ich an dem Raum bin. Abgesehen davon habe ich bei dem Trubel gestern meine Hausaufgaben vergessen, was ich meiner Lehrerin auch noch irgendwie erklären muss.
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Nach der sechsten und somit letzten Stunde für heute bin ich ein Wrack. Emotional, versteht sich. Körperlich bin ich wie immer in top Form. Also mal abgesehen von dem Herzrasen, dem Hyperventilieren und dem ganzen Zeug. Ich habe nämlich die tollen Bachblüten zu Hause stehen lassen. Was mir genau vor zwei Minuten aufgefallen ist. Und um mich dabei zu unterstützen, völlig durchzudrehen, machen da zwei in der Kabine neben mir rum. Sie waren schon vor mir da, aber ich bin einfach nicht im Stande woanders hin zu gehen. Das hier ist es mir immer noch lieber, als draußen irgendwo Randon über den Weg zu laufen.
Atmen Clara, atmen.
Ich habe nicht die geringste Idee, wie ich das anstellen soll. Mit Randon an einem Tisch sitzen, mit ihm reden, ihn ansehen und von ihm angesehen werden. Jedem anderen könnte ich Nachhilfe geben. Es wäre mir unangenehm, aber ich würde es schon überleben. Bei ihm ist das etwas völlig anderes.
Das Mädchen in der Nachbarkabine kichert, was dann aber auch wieder schnell von einem Kuss erstickt wird. Bevor ich Zeuge von etwas werde, das mir Albträume verschafft, verlasse ich nun doch die Kabine und wasche auch brav meine Hände, obwohl ich mich hier nur versteckt habe.
Zurück auf dem Flur bin ich so gut wie allein. Hier und da schlendern noch Schüler aus dem Gebäude und am liebsten würde ich mich ihnen anschließen.
Reiß dich zusammen. Es ist ja kein Date oder so.
Bei dem Gedanken will mein Herz schon wieder Saltos schlagen, aber ich verbiete es ihm. Es kann nicht sein, dass ich von solchen Gedanken durchdrehe und er noch nicht einmal vor mir steht.
>Clara, richtig?< Mit weit aufgerissenen Augen und einem völlig stillstehenden Herzen drehe ich mich um.
Ich weiß genau, wem diese sinnliche Stimme gehört.
>Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken<, sagt er, lächelt und noch immer steht mein Herz.
Er hat meine Namen gesagt.
Wenn er mit diesem perfekten Gesicht lächelt, geht jedes Mädchen vor ihm auf die Knie. Natürlich meine ich das sinnbildlich und nicht zweideutig. Er ist nur ein kleines Bisschen größer als ich, was ich sehr gut finde. So bekomme ich keinen steifen Nacken, wenn ich zu ihm aufsehe.
Warum muss er so gut aussehen? Verdammt aber auch.
>Schon gut.< Meine Stimme klingt grausam.
>Wollen wir?< Da meine Gedanken so sehr in Chaos gestürzt sind, dass ich garantiert nicht antworten kann, nicke ich nur knapp.
Schweigend gehen wir nebeneinander her und es ist einfach wundervoll sich einzubilden, ich könnte seine Wärme spüren. Einige Schüler mustern uns skeptisch, aber ich bin so damit beschäftigt mich normal zu verhalten, dass ich überhaupt keine Zeit habe auf sie zu achten. Randon ignoriert sie oder bekommt nichts davon mit. So oder so sind wir ziemlich schnell in der verlassenen Bibliothek angekommen. Nur die Dame am Empfang ist da, sortiert irgendwelche Zeitschriften.
>Clara und Randon?<, fragt sie und alles, was bei mir ankommt, sind unsere beiden Namen in einem Satz. Ich kann daraus einfach keine Information ziehen.
>Die sind wir<, bestätigt Randon und geht zu ihr. Sie reicht ihm zwei Bücher, sieht kurz zu mir.
>Euer Lehrer hat die für euch zurücklegen lassen. Bringt sie einfach wieder zu mir, wenn ihr fertig seid<, erklärt sie freundlich und ich nicke, da sie aus irgendwelchen Gründen nur mich ansieht.
Folgsam wie ein Hund laufe ich Randon nach, einmal quer durch den großen Raum, bis in die letzte Ecke und da an einen Tisch. Er scheint sich hier auszukennen, ich dagegen war zwar häufiger hier um mir etwas auszuleihen, habe mich aber nie an einen der Tische gesetzt.
>Ich würde gern einfach das Thema von Grund auf noch einmal durchgehen. Wie ich das sehe habe ich irgendwo zwischendrin eine Lücke und so finden wir sie am schnellsten<, erklärt er, sieht mich erwartungsvoll mit seinen schönen, bernsteinfarbenen Augen an. Nickend setzte ich mich über Eck zu ihm an den Tisch und er schlägt das Buch auf. Meinen Rucksack stelle ich zwischen uns, weil ich mich damit einfach wohler fühle. Er garantiert uns einen gewissen Abstand, den ich einfach brauche, um meine Gedanken wenigstens weit genug ordnen zu können, um keine zusammenhangslosen Worte von mir zu geben.
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Es funktioniert. Ich kann es kaum fassen, aber es funktioniert. Sobald mein Gehirn realisiert hat, dass Randon auch nur ein Mensch ist, - was ich eigentlich schon lange weiß - läuft es super. Ich konnte ihm alles erklären, ihm schöne Beispielaufgaben geben, ihn korrigieren, wenn er einen Denkfehler hatte.
Einfach herrlich.
Zugegeben, ich habe ihn höchstens zwei oder drei Mal korrigieren oder auf den richtigen Weg lenken müssen, aber selbst das macht mich einfach glücklich.
>Mir qualmt der Kopf<, scherzt er gut gelaunt, lässt sich gegen die Stuhllehne sinken. >Aber ich habe es endlich verstanden.< Stumm freue ich mich einfach, erwidere sein Lächeln. >Hast du am Samstag Zeit?< Augenblicklich gefriert das Lächeln in meinem Gesicht.
Warte was?
>Wozu?< Meine Stimme ist eindeutig zu hoch. Ich verstehe einfach nicht, worauf er hinaus will.
>Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich gerne revangieren.<
Oh nein.
Selbst, wenn ich in der Lage wäre, ihm eine Zusage zu geben, ohne ihn Ohnmacht zu fallen, würde ich es nicht machen.
>Keine Zeit<, entfährt es mir und sein Blick wird fragend. >Entschuldige, aber am Wochenende habe ich keine Zeit.< Das war eine glatte Lüge, aber ich kann doch nicht einfach etwas mit ihm unternehmen. Am Ende sind wir auch noch allein und machen etwas Schönes und dann verleibe ich mich endgültig in einen Mann, der mich niemals haben will.
>Schade<, meint er, packt seinen Block ein. >Dann-< Er sieht auf seine Uhr, unterbricht sich. >Es ist schon vier?<, fragt er, springt auf. >Ich muss los, meine Sachen bei Lesley holen<, erklärt er knapp.
Er hat Sachen bei Lesley? Sie waren doch nur knapp drei Monate zusammen. Wahrscheinlich ist es aber nur die Zahnbürste, oder so. Aber dann würde er vielleicht auch nicht hin fahren. Eine Zahnbürste kann man sich überall neu kaufen.
>Soll ich dich mitnehmen?< Mein Mund öffnet sich und beinahe fällt mir mein Rucksack wieder aus der Hand, den ich eben noch aufsetzten wollte.
Allein mit ihm in seinem Auto?
>Ich glaube nicht, dass das auf dem Weg liegt.< Natürlich meine ich damit mein zu Hause, aber das muss er wohl erraten. Mein Satz hatte nämlich ausgesprochen wenige Informationen.
>Wo wohnst du denn?<, fragt er. Mir war klar, dass er das vielleicht wissen will, aber sie aus seinem Mund zu hören, haut mich kurz aus der Bahn.
Er nimmt die beiden Bücher auf den Arm, schultert seine Tasche und geht vor. Schnell folge ich ihm, setzte auch meinen Rucksack auf.
>In der Taubengasse.< Er scheint kurz zu überlegen, sieht über die Schulter zu mir. Unsere Blicke begegnen sich und für einen Moment zweifle ich daran, dass ich jemals keine weichen Knie davon bekomme, wenn er mich ansieht.
>Ist die nicht bei der Grundschule?<, will er wissen und ich nicke. Er sieht wieder nach vorn, biegt um die Ecke und steuert auf die Dame zu, welche uns die Bücher ausgehändigt hat. >Tatsächlich liegt es nicht direkt auf dem Weg, aber zwischen ihr und mir, also kann ich dich fahren.< Leider habe ich keine Ahnung, wie ich da wieder raus kommen soll. Lügen will ich nicht, was zum Teil auch daran liegt, dass ich keine Ahnung habe, was ich mir ausdenken kann, um mich vor dem Autofahren mit ihm zu drücken. Und mit der Wahrheit, dass ich normalerweise laufe, komme ich auch nicht weiter.
Die Dame nimmt ihm die Bücher ab, wünscht uns ein schönes Wochenende und wir gehen.
Wieder laufen wir nebeneinander die leeren Flure entlang, diesmal jedoch in Richtung Ausgang. Plötzlich fällt mir auf, dass mich heute niemand auf das Princess-Ding angesprochen hat. Vermutlich allerdings nur, weil Anastasia nicht da war. Vielleicht will sie sich das Ganze für Montag aufheben, damit es am Wochenende seinen Hype nicht verliert. Meine Freude darüber hält sich in Grenzen.
Vielleicht sollte ich nächste Woche einfach nicht her kommen. Randon war der einzige Grund, warum ich heute in die Schulegekommen bin, obwohl ich dachte, dass Anastasia über mich herziehen würde. Da sie aber erst am Montag hier sein wird und ich keinen Termin mit Randon habe, kann ich doch eigentlich zu Hause bleiben. Nur müsste ich mir dann auch eine glaubwürdige Geschichte für Tristan ausdenken und der lässt mir nie etwas durchgehen. Das heißt, ich brauche einen wirklich sehr guten Grund.
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03.12.2018
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